JudikaturJustiz11Os93/03

11Os93/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. September 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. September 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Allmayer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr. Farhad P***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1, Abs 2 StGB, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2003, AZ 11 Bs 443/02, ON 25 in den Akten 21 E Vr 2932/00 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Solé und des Privatanklägers DI Dr. L*****, zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 29. Jänner 2003, AZ 21 Bs 443/02 (GZ 21 E Vr 2932/00-25 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz), verletzt das Gesetz in §§ 3; 473 Abs 2, 489 Abs 1 StPO.

Text

Gründe:

Aufgrund zweier Privatanklagen des DI Dr. L***** (ON 2 sowie ON 1 in ON 5 der Akten 21 E Vr 2932/00 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz) wurde Dr. Farhad P***** mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 15. Mai 2002, ON 17 der Vr-Akten, des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1, Abs 2 StGB schuldig erkannt, weil er am 9. Februar 2000 in Klagenfurt durch die gegenüber Journalisten der "Kleinen Zeitung", der "Kärntner Tageszeitung" und der "Kärntner Krone" abgegebene, zur Veröffentlichung in diesen Medien bestimmte Äußerung, der Privatankläger DI Dr. Hermann L***** habe [als Richter], ... obwohl in der Hauptverhandlung vom 9. Februar 2000 beim Landesgericht Klagenfurt im Verfahren 15 E Vr 439/00 der Zeuge Gerald G***** bleich wurde, schwitzte und zu ihm sagte, dass ihm schlecht und schwindelig sei, die Verhandlung weitergeführt, ... den Privatankläger in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise eines unehrenhaften und gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet war, ihn in der öffentlichen Meinung herabzusetzen und verächtlich zu machen, wobei er die Tat auf eine Weise beging, wodurch die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurde.

In den Entscheidungsgründen wurde ua festgestellt [wörtliche Zitate daraus in Kursivschrift], dass der Zeuge G***** erst über Frage des Staatsanwaltes erklärte, ihm sei schlecht, ohne dass dies dem Privatankläger vorher aufgefallen wäre. Dieser stimmte dem Ansinnen des im Verhandlungssaal anwesenden Dr. P*****, dem Zeugen ein Glas Wasser zu holen, sofort zu und unterbrach die Verhandlung. Nach diesem Vorfall erklärte Dr. P***** gegenüber drei ihm bekannten Journalisten, obwohl dem Zeugen G***** sichtbar schlecht geworden sei, weil er schwitzte und die Gesichtsfarbe sich veränderte, habe der Privatankläger als Richter die Verhandlung nicht unterbrochen, sondern die Befragung fortgesetzt, dabei unterstellte Dr. P***** dem Richter bewusst und gewollt die Gefährdung des Zeugen durch die Befragung und das Nichtunterbrechen der Verhandlung; er hielt es ernstlich für möglich, dass der Privatankläger, indem er ihn eines unehrenhaften und gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigte, in der öffentlichen Meinung verächtlich gemacht und herabgesetzt werde. Überdies hielt er die Veröffentlichung seiner Äußerung in mehreren Tageszeitungen und damit den Umstand ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass seine üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde (US 8, 9). Aufgrund der Äußerungen des Beschuldigten ist es zu nachstehenden Veröffentlichungen gekommen: Das Erstgericht integrierte in der Folge Kopien dreier Zeitungsartikel, in denen unter anderem (teilweise in Anführungszeichen gesetzt) zu lesen steht: 'Aus Angst vor dem Prozess hat der Mann die ganze Nacht nicht geschlafen', erzählt der Klagenfurter Anwalt Farhad P*****. 'Während der Einvernahme hat der Zeuge dann dem Richter noch gesagt, dass ihm schlecht sei. Doch die Verhandlung ist einfach weitergegangen'. Aus US 10 ist folgende Passage zu entnehmen: Der Klagenfurter Anwalt Farhad P***** ist empört über den Vorfall bei dem Diebstahlsprozess: 'Der Zeuge war bleich, schwitzte und sagte, dass ihm schlecht und schwindlig sei. Doch Richter Hermann L***** hat trotzdem keine Pause gemacht.'

In der Beweiswürdigung führte das Erstgericht unter anderem aus, in der Gesamtheit sei der Eindruck geblieben, dass Dr. P***** den Richter bewusst und gewollt auflaufen ließ und diese Gelegenheit dazu nutzte, sich abfällig zu äußern. Das stattgefundene Geschehen und die Äußerungen seien durch die eigene Verantwortung des Beschuldigten nachvollziehbar und entsprächen genau dem, was in der Privatanklage inkriminiert wird (US 13).

In Stattgebung der unter anderem auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a (iVm §§ 489 Abs 1, 468 Abs 1 Z 4) StPO gestützten Berufung wegen Nichtigkeit hob das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht das angefochtene Urteil am 29. Jänner 2003, AZ 11 Bs 443/02, zur Gänze auf und sprach den Angeklagten von dem wieder ihn erhobenen Vorwurf frei. In den Entscheidungsgründen des Rechtsmittelurteiles heißt es unter anderem (US 11, 12):

Die insofern maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichtes lassen sich dahin zusammenfassen, dass der Angeklagte, von den Journalisten der "Kleinen Zeitung", "Kärntner Krone" und der "Kärntner Tageszeitung" nach den Vorgängen befragt, angab, "dass dem Zeugen G***** schlecht geworden sei und obwohl dem Zeugen sichtbar schlecht geworden sei, weil er schwitzte und die Gesichtsfarbe sich veränderte, habe der Privatankläger als Richter die Verhandlung nicht unterbrochen, sondern die Befragung fortgesetzt". Der Angeklagte habe den Journalisten seine Meinung vermittelt, dass es nicht notwendig wäre, einen Zeugen solange zu befragen, bis dieser zusammenbricht. Auf welche Weise der Angeklagte diese Meinung vermittelte, lässt sich den Feststellungen nicht konkret entnehmen. Eine Feststellung, wonach der Angeklagte wörtlich geäußert habe, der Privatankläger habe den Zeugen solange vernommen, bis er zusammengebrochen sei, wurde nicht getroffen (US 7 und 8).

Das Berufungsgericht konnte in den inkriminierten Äußerungen einen Wertungsexzess schon deshalb nicht erblicken, weil sich das Werturteil des Angeklagten auf wahre Tatsachen stützte und eine formelle Ehrenbeleidigung in den festgestellten Äußerungen nicht erkennbar ist. Anders läge der Fall, hätte der Angeklagte - wahrheitswidrig - geäußert, der Privatankläger habe die Befragung des Zeugen auch dann noch fortgesetzt, als der Zeuge erklärte, ihm sei schlecht ... (US 15).

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz verletzt - wie der Generalprokurator in seiner gemäß §§ 33 Abs 2, 292 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ausführt - das Gesetz.

Nach Urteilsaufhebung darf das Berufungsgericht nur dann ohne weiters in der Sache selbst entscheiden, wenn es im Ersturteil die Tatsachen, die bei richtiger Anwendung des Gesetzes der Entscheidung zu Grunde zu legen wären, nach einem mängelfreien Verfahren mit unbedenklicher Begründung festgestellt findet (SSt 51/2; 13 Os 168/96 ua). Andernfalls muss es - von dem im § 470 Z 3 StPO geregelten Fall abgesehen - in der Berufungsverhandlung den Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit gemäß das vom Erstgericht durchgeführte Beweisverfahren wiederholen bzw ergänzen. Das Berufungsgericht hätte seinem (freisprechenden) Urteil die erstgerichtlichen Feststellungen in der vorliegenden Form nicht zu Grunde legen dürfen. Das Landesgericht für Strafsachen Graz folgte nämlich der Verantwortung des Angeklagten, der den entscheidenden Vorwurf in Abrede stellte, er habe dem Privatankläger unterstellt, trotz des Hinweises des Zeugen G*****, ihm sei schlecht und schwindlig, weiterverhandelt zu haben, und unterließ es, sich mit den genau in diese Richtung belastenden Aussagen der Zeuginnen Manuela K***** (S 93) und Kerstin A***** (S 95) - der Journalisten, die als Artikelverfasser deponierten, die unter Anführungszeichen gesetzten Passagen seien wörtliche Zitate der Worte Dris. P***** gewesen - auseinander zu setzen, weil es - zu Unrecht - davon ausging, dass die Einlassung des Beschuldigten genau dem Anklagevorwurf entspreche. Da sich die vom Erstgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen somit nicht als begründungsmängelfrei erweisen, hätte das Berufungsgericht - um seiner Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit (§ 3 StPO) zu entsprechen - ohne Wiederholung und Ergänzung des vom Erstgericht vorgenommenen Beweisverfahrens (§§ 473 Abs 2, 489 Abs 1 StPO) nicht in der Sache selbst erkennen dürfen. Denn eine Prozesspartei, die durch die Entscheidung erster Instanz nicht beschwert wurde und daher kein Anfechtungsrecht hatte, darf nicht schlechter gestellt werden als jene Prozesspartei, gegen deren Antrag schon in erster Instanz ein (in diesem Fall freisprechendes) Urteil ergangenen ist und die daher in der Lage gewesen wäre, eine Mängelrüge zu erheben (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 415, Mayerhofer StPO4 § 474 E 24, § 288 E 39 f).

Der §§ 3; 473 Abs 2, 489 Abs 1 StPO (entgegen der Beschwerde aber nicht auch § 476 StPO, fehlt es doch am Vorliegen der dort genannten Fälle des § 475 Abs 1, Abs 3 StPO) verletzende Freispruch wirkte sich zum Vorteil des Angeklagten aus, weshalb es mit dem Aufzeigen des Rechtsverstoßes sein Bewenden haben musste.