JudikaturJustiz11Os81/20a

11Os81/20a – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. September 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. September 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Chakdar A***** und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2, Abs 4 erster Fall FPG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Chakdar A***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 29. Juni 2020, GZ 42 Hv 38/20m 157, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten Chakdar A***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil (das einen rechtskräftigen Freispruch des Mitangeklagten enthält) wurde Chakdar A***** der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2, Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt.

Danach hat er (zusammengefasst wiedergegeben) in H***** und an anderen Orten Österreichs die rechtswidrige Einreise und Durchreise von Fremden, die über keine aufrechte Einreise- oder Aufenthaltsbewilligung für den betreffenden Mitgliedstaat verfügten, in und durch Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert, sich durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er jeweils die Durchreise organisierte, und zwar

1) am 17. Juli 2019 von fünf irakischen Staatsangehörigen von Slowenien durch Österreich nach Deutschland,

2) am 20. Juli 2019 von drei irakischen Staatsangehörigen von Ungarn nach Österreich und nach einem Fahrerwechsel weiter nach Deutschland,

3) am 13. August 2019 von fünf irakischen Staatsangehörigen von Österreich nach Deutschland,

4) am 21. August 2019 von drei irakischen Staatsangehörigen von F***** nach Deutschland,

5) am 8. Oktober 2019 von sechs irakischen und eines syrischen Staatsangehörigen über G***** nach Deutschland und

6) am 9. Oktober 2019 von drei irakischen Staatsangehörigen über G***** nach Deutschland,

wobei er die Taten nach § 114 Abs 1 FPG gewerbsmäßig (§ 70 StGB), in Bezug auf mindestens drei Fremde und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung beging.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Chakdar A*****.

Der Einwand (nominell Z 5, der Sache nach Z 10) fehlender Feststellungen zur kriminellen Vereinigung (§ 114 Abs 4 erster Fall FPG) ignoriert prozessordnungswidrig (vgl RIS-Justiz RS0099810, RS0099025) die Konstatierungen, wonach der Angeklagte spätestens im Juli 2019 beschloss, sich einem auf längere Zeit von zumindest mehreren Monaten angelegten Zusammenschluss von mehreren, jedenfalls mehr als zwei Personen anzuschließen, der es sich seit zumindest 2017 zum Ziel gesetzt hat, arbeitsteilig und professionell Fremde (überwiegend irakischer Staatsangehörigkeit) von der Türkei in die Europäische Union gegen hohe Entgeltzahlungen zu schleppen (US 4, 9), er weiters um das Bestehen der kriminellen Vereinigung Bescheid wusste, grob deren Aufbau und Organisation kannte und durch die Organisation der schuldspruchgegenständlichen Schleppungen im Rahmen der kriminellen Vereinigung deren Zielsetzung, nämlich die Schleppung möglichst vieler Personen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union, fördern wollte (US 4, 5 – vgl Plöchl , WK 2 StGB § 278 Rz 4/1 ff, 19, 25).

Die Behauptung unzureichender Begründung dieser Feststellungen orientiert sich nicht an den Entscheidungsgründen (RIS-Justiz RS0119370), wonach sich diese Konstatierungen unter anderem auf durch Aussagen von Geschleppten gestützte Ermittlungsergebnisse der deutschen Bundespolizei sowie der (österreichischen) Kriminalpolizei, auf die Wahrnehmungen eines verdeckten Ermittlers und auf das äußerst professionelle und arbeitsteilige Vorgehen auch des Beschwerdeführers bei der Organisation der Schleppungen im Rahmen der bereits seit zumindest 2017 vernetzt und gegen hohe Entgeltzahlungen agierenden Vereinigung (US 8 ff) gründen.

Inwiefern die zur Gewerbsmäßigkeit (§ 114 Abs 3 Z 1 FPG iVm § 70 StGB) getroffenen Feststellungen, wonach es dem Angeklagten bei seinen Tathandlungen darauf ankam, sich durch die wiederkehrende Begehung von Schleppereien eine fortlaufende Einnahme über einen Zeitraum von zumindest einigen Wochen zu verschaffen, die bei einer jährlichen Durchschnittsbetrachtung einen Betrag in der Höhe von 400 Euro pro Monat jedenfalls überschritten hätte (US 5, 12 – Jerabek/Ropper , WK 2 StGB § 70 Rz 7 ff, 14; Tipold , WK 2 FPG § 114 Rz 17 f), undeutlich (Z 5 erster Fall) wären, ist nicht zu erkennen ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 419).

Entgegen der Kritik (Z 5 vierter Fall) unzureichender Begründung dieser Feststellungen hat das Erstgericht die darauf bezogene subjektive Tatseite logisch und empirisch einwandfrei unter anderem aus dem objektiven Tatgeschehen (RIS-Justiz RS0098671, RS0116882), den tristen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Angeklagten, der Vielzahl der Angriffe innerhalb von nicht einmal drei Monaten, der Anzahl der Geschleppten und dem allein für eine Fahrt an den verdeckten Ermittler bezahlten Fuhrlohn (2.500 Euro) abgeleitet (US 12).

Zudem haben die Tatrichter bei der Annahme gewerbsmäßiger Tatbegehung die äußerst professionelle Vorgehensweise (vgl zu den solcherart aus den Urteilsgründen hervorgehenden Kriterien des § 70 Abs 1 Z 1 StGB Jerabek/Ropper , WK 2 StGB § 70 Rz 13/1 ff; RIS-Justiz RS0132006) – nämlich insbesondere das arbeitsteilige Vorgehen bei den etappenweisen Schleppungen, die Organisation der Reisebewegungen von in den jeweiligen Ziel- oder deren Nachbarländern aufhältigen Mitgliedern der Vereinigung, dem kurzfristigen Anwerben verschiedener Fahrer durch den Beschwerdeführer und dessen Auftragserteilung an diese, Fremde gegen ein Entgelt von 400 Euro pro geschleppter Person von Österreich nach Deutschland zu verbringen, die Bezahlung der Fahrer durch Dritte sowie die Verwendung von jeweils unterschiedlichen Transportmitteln und Kleintransportern – einbezogen (US 4 f, 9 und 12 – Tipold , WK 2 FPG § 114 Rz 17/1).

Die von der Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermissten Feststellungen zu den Schlepperlöhnen sowie dazu, dass der Beschwerdeführer oder ein Dritter von den Fremden einen die tatsächlichen Aufwendungen des Transports und der Organisation übersteigenden Betrag erhalten habe, finden sich in US 4 und 10 (wonach das in Höhe von zumindest 3.000 Euro pro Erwachsenem und 1.500 Euro pro Kind von den Fremden an Mitglieder der kriminellen Vereinigung geleistete Entgelt jedenfalls den für die jeweiligen Beförderungsleistungen adäquaten Fuhrlohn überstieg).

Im Übrigen leitet die Rüge nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116565), weshalb Strafbarkeit wegen Schlepperei eine tatsächlich eingetretene Bereicherung voraussetzen sollte (RIS-Justiz RS0131308, RS0130267 [T2]; Tipold , WK 2 FPG § 114 Rz 12) und inwiefern sich der Täter bei einem bloßen Fördern der Ein- und Durchreise (hier: Organisation der Reisebewegungen) auf einen Vergleich mit einem adäquaten Entgelt berufen können sollte (RIS-Justiz RS0130267 [T3]).

Mit der erneut gegen die Annahme gewerbsmäßiger Tatbegehung gerichteten Argumentation (Z 10), der Beschwerdeführer habe bei einer jährlichen Durchschnittsbetrachtung den Feststellungen zufolge „nicht tatsächlich mehr als 400 Euro verdient“, macht die Rüge nicht klar, weshalb zur Erfüllung der in Rede stehenden Qualifikation tatsächliche Einkommenserzielung entscheidend sein sollte (vgl zum maßgeblichen Kriterium beabsichtigter Einkommenserzielung US 5 und Jerabek/Ropper , WK 2 StGB § 70 Rz 13).

Soweit die Rüge zur Unterstellung der Taten unter die Qualifikation des § 114 Abs 4 erster Fall FPG reklamiert, es würden Feststellungen zur Zugehörigkeit der vom Angeklagten beauftragten Fahrer und eines allenfalls zweiten Fahrers zu einer kriminellen Vereinigung sowie zu deren darauf gerichteten subjektiven Tatseite fehlen, bleibt unerfindlich, weshalb derartige Konstatierungen zur rechtsrichtigen Annahme einer Tatbegehung des Beschwerdeführers als Mitglied der Schlepperorganisation erforderlich sein sollten (vgl Plöchl , WK 2 StGB § 278 Rz 33, 35).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.