JudikaturJustiz11Os80/12t

11Os80/12t – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. August 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. August 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Ohsidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Temper als Schriftführerin, in der Strafvollzugssache des Imre Ü*****, über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 13. März 2012, GZ 2 BE 63/12y 5, und des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 19. April 2012, AZ 9 Bs 114/12a, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Dr. Haslwarter, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafvollzugssache des Imre Ü***** verletzen die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 13. März 2012, GZ 2 BE 63/12y 5, und des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 19. April 2012, AZ 9 Bs 114/12a, in der Begründung, wonach bei der Berechnung des Stichtags für eine bedingte Entlassung der bereits vor dem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug verbüßte Strafteil außer Betracht zu bleiben hat, das Gesetz in § 46 StGB iVm § 1 Z 5 StVG.

Text

Gründe:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 17. Dezember 2009, AZ 4 Hv 87/09t, wurde Imre Ü***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 130 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt. Unter einem wurde die Imre Ü***** mit Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 16. Jänner 2007, AZ 18 BE 295/06v, gewährte bedingte Entlassung aus einer Strafe (Strafrest 5 Monate) gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO widerrufen. Die vom 17. Juni 2009 bis 17. Dezember 2009 erlittene Vorhaft wurde gemäß § 38 StGB angerechnet.

In Stattgebung der Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 8. Juni 2010, GZ 2 BE 133/10i 5, sah das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 15. Juli 2010, AZ 9 Bs 243/10v (ON 6 des Aktes 2 BE 133/10i des Landesgerichts für Strafsachen Graz), vom weiteren Vollzug der Strafe gemäß § 133a StVG vorläufig ab. Am 6. August 2010 wurde Imre Ü***** aus der Strafhaft zum Zwecke der Ausreise nach Ungarn entlassen (ON 7 des Aktes 2 BE 133/10i des Landesgerichts für Strafsachen Graz).

Am 23. September 2011 kehrte Imre Ü***** während der Dauer des Aufenthaltsverbots unzulässig in das österreichische Bundesgebiet zurück und wurde gemäß § 133a Abs 5 StVG wieder in Haft genommen (ON 1, S 9 des Aktes 2 BE 63/12y des Landesgerichts für Strafsachen Graz). Er befindet sich derzeit in der Justizanstalt Graz Jakomini in Strafhaft.

Das Landesgericht für Strafsachen Graz lehnte mit Beschluss vom 13. März 2012, GZ 2 BE 63/12y 5, die bedingte Entlassung des Imre Ü***** nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafhaft aus spezialpräventiven Gründen ab, wobei es bei der Berechnung des Stichtags die vor dem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug verbüßten Strafteile außer Acht ließ.

Mit Beschluss vom 19. April 2012, AZ 9 Bs 114/12a (ON 8 des Aktes 2 BE 63/12y des Landesgerichts für Strafsachen Graz), gab das Oberlandesgericht Graz der vom Verurteilten dagegen erhobenen Beschwerde aus spezialpräventiven Gründen nicht Folge (BS 4) und führte zur Berechnung des Stichtags aus, dass ausschließlich der Strafrest nach der neuen Festnahme heranzuziehen sei, weil das vorläufige Absehen vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots gemäß § 133a StVG nicht als Fall einer Unterbrechung der Freiheitsstrafe anzusehen wäre und mangels eines in § 46 Abs 5 StGB genannten Falls eine Zusammenrechnung des Strafrests mit dem vor dem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug bereits verbüßten Strafteils nicht vorzunehmen sei (BS 2 f).

Die vom Landesgericht für Strafsachen Graz und vom Oberlandesgericht Graz vertretene Rechtsansicht steht wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Das vorläufige Absehen vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots nach § 133a StVG ist kein Unterfall der bedingten Entlassung, sondern ein Rechtsinstitut sui generis, das nicht an sonstige Bedingungen, wie etwa eine neuerliche Verurteilung geknüpft ist (vgl 12 Os 131/08v; Pieber in WK 2 StVG § 133a Rz 43 f). Kommt der Verurteilte seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder kehrt er während der Dauer des Aufenthaltsverbots in das Bundesgebiet zurück, ohne im Besitz einer Wiedereinreisebewilligung zu sein, ist er von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes wieder in Haft zu nehmen und in die nächstgelegene Justizanstalt einzuliefern (vgl § 133a Abs 5 letzter Satz StVG). Der Strafvollzug ist (ohne dass es einer gerichtlichen Beschlussfassung bedarf) von der Vollzugsbehörde unter Neuberechnung der Strafzeit ex lege fortzusetzen ( Pieber aaO § 133a Rz 30).

§ 1 Z 5 StVG definiert die Strafzeit als jene Zeit, die der Verurteilte aufgrund eines Strafurteils oder mehrerer nacheinander zu vollziehender Strafurteile in Strafhaft zuzubringen hat. Ein Vorgehen nach § 133a StVG entspricht einer Unterbrechung der Strafzeit (vgl Pieber aaO § 1 Rz 19), sodass die vor einem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots verbüßte Strafzeit bei neuerlicher Festnahme infolge unerlaubter Wiedereinreise bei der Strafzeitberechnung anzurechnen ist (zutreffend: RIS Justiz RL0000106). Wie im Falle eines nachträglichen Aufschubs des Strafvollzugs wegen Vollzugsuntauglichkeit gemäß § 133 StVG ( Jerabek in WK 2 § 46 Rz 11) ist für die Berechnung der zeitlichen Voraussetzungen einer bedingten Entlassung die Gesamtdauer der Strafzeit (§ 1 Z 5 StVG) maßgebend. Dass im Fall des Widerrufs einer bedingten Entlassung der noch unverbüßt aushaftende Strafrest der Entscheidung über die (zulässige) neuerliche bedingte Entlassung zu Grunde zu legen ist (vgl Jerabek in WK 2 § 46 Rz 8), steht dieser Rechtsansicht mit Blick auf die Anordnung des Vollzugs durch ein Gericht (§ 53 Abs 1 oder Abs 2 StGB) nicht entgegen. Die Rechtsauffassung, wonach bei der Berechnung der Stichtage für eine bedingte Entlassung der bereits vor dem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug verbüßte Strafteil außer Betracht zu bleiben hätte (so RIS Justiz RG0000070), findet im Gesetz hingegen keine Deckung und verkennt vor allem auch den kriminalpolitischen Sinn des vorläufigen Absehens vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots, nämlich den österreichischen Strafvollzug zu entlasten (vgl Pieber aaO § 133a Rz 1 und 8). Die Rückkehr trotz Aufenthaltsverbots wird ausschließlich durch die Fortsetzung des Strafvollzugs sanktioniert.

Da die Beschlüsse dem Verurteilten mit Blick auf die aus anderen Gründen verweigerte bedingte Entlassung nicht zum Nachteil gereichen, war die Gesetzesverletzung lediglich festzustellen.