JudikaturJustiz11Os63/14w

11Os63/14w – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. September 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. September 2014 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel und Mag. Fürnkranz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Breuß als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Michael B***** wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 28. März 2014, GZ 024 Hv 5/14z 82, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Michael B***** des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (1) und des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.

Danach hat er nachts zum 7. August 2013 in Wien Michael G*****

(1) außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er ihm ein Schlaf- oder Betäubungsmittel verabreichte und sodann intensiv unter der Hose im Genitalbereich berührte;

(2) widerrechtlich gefangen gehalten, indem er ihn durch Versperren der Wohnungstüre mehrere Stunden am Verlassen der Wohnung hinderte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die vom Angeklagten aus Z 3, 4, 5, 9 lit a, 10, 10a und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde.

Die Verfahrensrüge (Z 3) reklamiert einen Verstoß gegen § 252 Abs 1 StPO. Der Angeklagte stellte in der Hauptverhandlung den Antrag (ON 81 S 18) auf „Beischaffung des Videomaterials über die für das Haus C*****gasse ***** zuständige Hausverwaltung zum Beweis dafür, dass sich das Opfer zum Tatzeitpunkt nicht in der Wohnung aufgehalten hat. Aus den Angaben des Angeklagten geht hervor, dass eine 24 Stunden Videoüberwachung am Hauseingang angebracht ist und daher ersichtlich sein müsste, dass das Opfer zum Tatzeitpunkt nicht in der Wohnung gewesen ist.“

Danach wurde von der Vorsitzenden (ON 81 S 20) ein (nach der Aktenlage während der Hauptverhandlung offenkundig in ihrem Auftrag von einer Rechtspraktikantin erstellter; US 10, ON 81 S 18 f) Amtsvermerk (ON 1 S 37) verlesen, wonach die Mutter des Angeklagten über telefonische Anfrage bekannt gab, von einer Videoüberwachung keine Kenntnis zu haben und eine Mitarbeiterin der Hausverwaltung KR Prof. H***** GmbH über telefonische Anfrage den Bestand einer Videoüberwachung verneinte.

Weiters wendet sich die Verfahrensrüge (Z 3) dagegen, dass aus Anlass der Ablehnung des psychiatrischen Sachverständigen, weil dieser den Angeklagten angeblich nicht wie im Gutachten behauptetet drei , sondern lediglich zweimal untersucht haben soll, sowie eines Antrags der Verteidigung auf Beischaffung entsprechender „Unterlagen aus dem Gefangenenhaus“ eine telefonische Erhebung der Anzahl der Untersuchungstermine durchgeführt und deren Ergebnis von der Vorsitzenden im Rahmen der Hauptverhandlung mitgeteilt wurde (ON 81 S 41 f).

§ 252 Abs 1 und Abs 4 StPO sichern mit Nichtigkeit aus Z 3 bewehrt das Unmittelbarkeitsprinzip mit Blick auf die Urteilsfällung ab, bei welcher das Gericht nur auf das Rücksicht zu nehmen hat, was in der Hauptverhandlung vorgekommen ist (§ 258 Abs 1 StPO). Hingegen ist das Zustandekommen der Sachverhaltsgrundlage von (hier gemäß § 238 StPO getroffenen) prozessleitenden Verfügungen (vgl RIS Justiz RS0125707) nicht vom Regelungsbereich des geltend gemachten Verlesungsverbots erfasst (ebensowenig übrigens vom Verlesungsgebot des § 252 Abs 2 StPO), sondern ist Gegenstand der (von der StPO vorausgesetzten) Aktenkenntnis des Verhandlungsleiters. Die vom Vorsitzenden eines Schöffensenats im Rahmen der Hauptverhandlung vorgenommene Präsentation von allenfalls (wie hier) zu diesem Zweck erhobenen Tatsachen, um den übrigen Senatsmitgliedern eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die (gemeinsam zu treffende) prozessleitende Verfügung zu liefern und den Parteien die Möglichkeit zu sachgerechter Antragstellung zu eröffnen (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 315), erfolgt daher weder im Rahmen des Beweisverfahrens (5. Unterabschnitt des 14. Hauptstücks der StPO) noch bewirkt sie überhaupt (im Sinn des § 258 Abs 1 StPO) ein Vorkommen dieser Tatsachen in der Hauptverhandlung und scheidet somit als Bezugspunkt einer auf die Z 3 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Anfechtung aus. Solcherart präsentierte Erhebungsergebnisse dürfen wie zur Klarstellung angemerkt wird allerdings ohne vorherige Einhaltung der im 5. Unterabschnitt enthaltenen Vorschriften bei der Urteilsfällung nicht verwendet werden (zum Ganzen Ratz , Zweifelsfragen beim [eingeschränkten] Verlesungsverbot nach § 252 StPO, ÖJZ 2000, 550 [552 und 556]; ders , WK StPO § 281 Rz 42 und 459; vgl auch Kirchbacher , WK StPO § 245 Rz 66, § 246 Rz 4 und § 252 Rz 1, 7, 14, 70 und 126; vereinzelt geblieben 14 Os 79/96 = ÖJZ LSK 1996/310).

Auch die unter dem Aspekt der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO gegen das Unterbleiben der zuvor bezeichneten Beweisaufnahmen erhobenen Einwände scheitern. Angesichts der rite von der Vorsitzenden erteilten Informationen (ON 81 S 20 und 42) hätte es in Bezug auf die beantragte Beischaffung „des Videomaterials“ einer ergänzenden (tatsächlich jedoch nicht erfolgten) Darlegung der Verteidigung zur Widerlegung der Annahme der Unmöglichkeit der Beweisaufnahme (§ 55 Abs 2 erster Satz StPO) bedurft. Im Zusammenhang mit den „Unterlagen aus dem Gefangenenhaus“ hätte der Angeklagte vorbringen müssen, weshalb deren Verlesung ein anderes Ergebnis (zur thematisierten Anzahl der vom Sachverständigen durchgeführten Untersuchungen) hätte erwarten lassen als die von der Vorsitzenden telefonisch von dieser Justizanstalt eingeholte Auskunft. Ohne solche Erklärung blieb das Begehren auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS Justiz RS0118444 [insbesondere T6 und T15]).

Der Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen, welcher allein auf den (von der Vorsitzenden widerlegten) Einwand von diesem unrichtig aufgestellter Tatsachenbehauptungen gestützt worden war, ließ davon abgesehen nicht erkennen, dass dieser sein Gutachten auch angesichts dessen Unrichtigkeit aufzeigender Beweisergebnisse nicht ändern werde (RIS Justiz RS0126626; Hinterhofer , WK StPO § 126 Rz 64).

Soweit die Mängelrüge offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) reklamiert, weil das Erstgericht die Annahmen fehlender Videoüberwachung der Tatortnähe und zur Richtigkeit der Darstellung des Sachverständigen zur Anzahl der Gesprächstermine mit dem Angeklagten nicht nur auf den Amtsvermerk (ON 1 S 37) und die Wiedergabe einer telefonischen Auskunft in der Hauptverhandlung (ON 81 S 42 iVm AB-Bogen S 37 f), sondern auch auf nach der Hauptverhandlung veranlasste (ON 85; AB-Bogen S 37 f), jedoch inhaltlich idente schriftliche Bestätigungen (ON 85 und 87) gründete (US 10), wendet sie sich nicht gegen die Feststellung entscheidender Tatsachen (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 398 ff) und bedarf daher keiner Erörterung.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810, RS0116565).

Dies missachtet die gegen den Schuldspruch 2 gerichtete Rechtsrüge, die mit dem auf Kienapfel/Schroll StudB BT I 3 § 99 Rz 19 gegründeten Vorbringen zum Ausschluss von Tatbestansdsmäßigkeit bei erschlichener Einwilligung jene Urteilskonstatierungen übergeht, wonach sich der Angeklagte auch über entsprechende Bitte des Michael G***** über mehrere Stunden weigerte, die von ihm versperrte Türe der in einem höheren Stockwerk gelegenen Wohnung zu öffnen (US 6 f, 18).

Der Einwand fehlender Mindestdauer der Freiheitsentziehung orientiert sich ebensowenig am Bezugspunkt der Urteilsfestellungen, wonach der Angeklagte Michael G***** über 14 Stunden (US 6 ff, 18) gefangen hielt und wonach das Opfer schon davor, aber jedenfalls in der Zeit von 06:00 bis 11:00 Uhr fähig war, einen Fortbewegungswillen zu entfalten (US 8; vgl RIS Justiz RS0092794; Schwaighofer in WK 2 StGB § 99 Rz 7).

Auch die eine Verurteilung wegen sexueller Belästigung und öffentlicher geschlechtlicher Handlungen „nach § 218 StGB“ anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) nimmt mit der Behauptung, die Verabreichung eines berauschenden oder betäubenden Mittels erfülle nicht den Tatbestand des „§ 202 StGB“, nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß. Sie ignoriert nämlich jene Urteilskonstatierungen, wonach der Angeklagte entsprechend vorsätzlich Michael G***** ohne dessen Einwilligung das betäubende (berauschende) Mittel verabreichte, das bei diesem eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung hervorrief, in der ihm eine eigenständige Willensentfaltung unmöglich war (US 7, 17), und erklärt nicht, welche darüberhinausgehenden Konstatierungen zur rechtsrichtigen Annahme von Gewalt als Nötigungsmittel erforderlich gewesen sein sollten (vgl im Übrigen RIS Justiz RS0093295; instruktiv 13 Os 102/05g; Philipp in WK 2 StGB § 201 Rz 13).

Im Zusammenhang mit dem Vorbringen, das Erstgericht habe „keine Feststellungen getroffen, ob Herr G***** nicht auch mit der Verabreichung einer anderen (auch berauschenden) Flüssigkeit einverstanden gewesen wäre“, nennt die Rüge kein eine solche Feststellung indizierendes und in der Hauptverhandlung vorgekommenes Tatsachensubstrat (vgl RIS-Justiz RS0118580 [T8, T15]).

Die Diversionsrüge (Z 10a) und die gegen die Unterbringung gerichtete Sanktionsrüge (Z 11) argumentieren auf Basis der urteilsfernen Annahme, dem Angeklagten liege „nur der Tatbestand des § 218 StGB zur Last“ und gehen solcherart vom Ansatz her fehl.

Die Behauptung (Z 11) eines unvertretbaren Verstoßes gegen Bestimmungen über die Strafbemessung, weil die Tat des Angeklagten „erheblich hinter dem typisierten Schuld- und Unrechtsgehalt zurück“ bleibt, sodass „eine unbedingte Freiheitsstrafe nicht notwendig gewesen“ wäre, erschöpft sich in einem Berufungsvorbringen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher entgegen der dem Vorbringen aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO Berechtigung zuerkennenden Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.