JudikaturJustiz11Os61/14a

11Os61/14a – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. August 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. August 2014 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, Mag. Michel, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Anscheringer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Anton S***** und Willi B***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 2, 130 dritter Fall, 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 28. April 2014, GZ 17 Hv 14/14v 75, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Erstgericht verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Anton S***** und Willi B***** jeweils des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 2, 130 (insoweit verfehlt: RIS Justiz RS0113957 [T8]; Ratz , WK StPO § 281 Rz 652; Kirchbacher in WK 2 StGB § 148 Rz 10 f) „erster und“ dritter Fall, 15 StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie zwischen 9. Februar 2012 und 14. Jänner 2014 in Feldkirch und an anderen Orten gemeinsam (I) und teils auch mit einem abgesondert verfolgten Mittäter (II) jeweils mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung teils schwerer Diebstähle mit einem 3.000 Euro übersteigendem Wert der Beute eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, in neun im Urteil detailliert angeführten Fällen den dort genannten Geschädigten fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld und Wertgegenstände im Gesamtwert von 159.881 Euro weggenommen und dies in acht im Urteil detailliert angeführten Fällen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die gemeinsam ausgeführten, aus § 281 Abs 1 Z 2, 3, 4, 5, 5a und 10 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten.

Die Verfahrensrüge (Z 2) zeigt zutreffend auf, dass in der Hauptverhandlung trotz Widerspruchs der Angeklagten (ON 74 S 35 ff) ein amtliches Schriftstück über eine nichtige Erkundigung im Ermittlungsverfahren, nämlich ein mit 7. Februar 2014 datierter Amtsvermerk der Landespolizeidirektion Vorarlberg (ON 37 S 3 ff), verlesen wurde (ON 74 S 37).

Anton S***** wurde nach seiner Festnahme im gegenständlichen Verfahren am 24. Jänner 2014 vor seiner Vernehmung am selben Tag durch die Kriminalpolizei über seine Rechte als Beschuldigter informiert (ON 16 S 63) und verweigerte anlässlich dieser Vernehmung „Angaben zu Straftaten in Österreich und in Deutschland“ (ON 16 S 67). Darauf bezog er sich im Zuge seiner der Verhängung der Untersuchungshaft vorangegangenen (ON 19 S 5 und ON 21) Vernehmung durch den Haft- und Rechtsschutzrichter am 26. Jänner 2014, die nach Belehrung „nach §§ 49, 164 StPO“ durchgeführt worden war (ON 19 S 3 f).

Am 29. Jänner 2014 wurde er in der Justizanstalt Feldkirch von Beamten der Landespolizeidirektion Vorarlberg „neuerlich (formlos) zu den ihm vorgeworfenen Straftaten sowie den Begleitumständen“ befragt, worüber ein mit 7. Februar 2014 datierter Amtsvermerk angefertigt wurde (ON 37 S 1 und 3, ON 74 S 11 bis 17 und 38 ff, US 22 f). Demnach war der „formlosen“ Befragung des Anton S***** die telefonische Mitteilung einer Sozialarbeiterin der Justizanstalt am 28. Jänner 2014 gegenüber einem Kriminalbeamten vorausgegangen, wonach Genannter ihr gegenüber angegeben habe, „dass er gerne nochmals mit der Polizei sprechen würde“, wobei „sie davon ausgehe“, dass Anton S***** „durchaus bereit sein dürfte, Angaben zu machen, die für die Wahrheitsfindung von Bedeutung sein könnten“ (ON 37 S 3).

Aus dem Amtsvermerk ergibt sich weiters, dass Anton S***** im Verlauf der „formlosen“ Befragung Angaben zu Modus („Wasserrohrbruch-Masche“) und Zeitraum der Tatbegehung, zu seinen Mittätern und zur Verwertung der Beute machte (ON 37 S 3 bis 6). Diese Angaben bestätigte er in der Hauptverhandlung nicht (ON 74 S 8), deponierte dort vielmehr, zu wissen, dass er sich „nicht vernehmen habe lassen“ und zudem, dass er „so einen Vermerk niemals genehmigt“ hätte (ON 74 S 40).

Die Beschwerdeführer kritisieren mit Recht, dass die Befragung des Anton S***** am 29. Jänner 2014 unter nichtigkeitsbegründender Umgehung der Bestimmungen über die Beschuldigtenvernehmung in Form einer Erkundigung durchgeführt wurde (§ 152 Abs 1 StPO; deren Ergebnis demgemäß auch in einem Amtsvermerk festgehalten wurde: § 152 Abs 3 StPO).

Daran ändern hier auch die im Rahmen vorangegangener (inhaltsleer gebliebener) Beschuldigtenvernehmungen rechtskonform frühzeitig erfolgten (bei fortgesetzten, bloß durch Pausen unterbrochenen Vernehmungen mit durchgehend inhaltlicher Einlassung durchaus maßgeblichen: vgl 17 Os 9/13x, RIS Justiz RS0126995) Rechtsbelehrungen nichts, weil der wiederholte Hinweis auf die fehlende Förmlichkeit der Befragung den beim nicht rechtskundigen Anton S***** auch eingetretenen (ON 74 S 40 oben) Eindruck erweckte, dass eine Vernehmung unter den dem Beschuldigten garantierten Rechten (§ 164 Abs 1 dritter Satz und Abs 2 StPO; vgl Kirchbacher , WK StPO § 151 Rz 7, § 164 Rz 8 ff) nicht stattfindet und in ihr getätigte Angaben auch nicht als Beweis Verwendung finden können (§ 164 Abs 1 letzter Satz StPO; vgl Pilnacek/Pleischl , Das neue Vorverfahren [2005] Rz 694; Michel Kwapinski , WK StPO § 166 Rz 22). Dies läuft dem Schutzzweck des § 152 Abs 1 StPO (und der darin normierten Nichtigkeitssanktion) gerade zuwider (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 187; 17 Os 9/13x).

Da Anton S***** wegen seiner im Gegensaztz zu früheren derartigen Anlässen nunmehr bekundeten Bereitschaft, zur Sache aussagen zu wollen, als Beschuldigter unter (im Gegenstand neuerlich zu effektuierender) Garantie der in § 164 Abs 1 StPO angeführten Rechte zu vernehmen gewesen wäre, begründet die trotz ausdrücklichem Widerspruch erfolgte Verlesung des Amtsvermerks über die „(formlosen) Angaben“ (vgl ON 37 S 1) des Genannten in der Hauptverhandlung Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 2 StPO ( Kirchbacher , WK StPO § 152 Rz 1; Michel Kwapinski , WK StPO § 166 Rz 22; Ratz , WK StPO § 281 Rz 187; Pilnacek/Pleischl , Das neue Vorverfahren [2005] Rz 694).

Ein nachteiliger Einfluss (§ 281 Abs 3 StPO) dieser Formverletzung ist unzweifelhaft erkennbar, weil das Erstgericht seine Feststellungen maßgeblich auf die im Amtsvermerk festgehaltenen Angaben des Anton S***** gestützt hat (US 23 letzter Absatz; Ratz , WK StPO § 281 Rz 741).

Ohne dass auf das übrige Beschwerdevorbringen einzugehen war, sah sich der Oberste Gerichtshof zufolge dieses Verfahrensmangels in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zu dem im Spruch ersichtlichen Vorgehen veranlasst (§ 285e StPO).

Bleibt anzumerken, dass die vom Erstgericht übernommene (US 22) (nicht nachvollziehbare) Auffassung der befragenden Kriminalbeamten, zum fraglichen Zeitpunkt sei eine „förmliche Einvernahme“ nicht „zielführend“ gewesen (ON 74 S 12 und 15 f), ebenso unerheblich ist, wie die Frage, von welcher Seite die Initiative für die Befragung ausgegangen ist ( Kirchbacher , WK StPO § 151 Rz 5; Michel Kwapinski , WK StPO § 166 Rz 25; Pilnacek/Pleischl , Das neue Vorverfahren [2005] Rz 626 und 696; vgl US 22).

Die Aufhebung der Schuldsprüche zog auch die Aufhebung der Strafaussprüche nach sich.