JudikaturJustiz11Os35/97

11Os35/97 – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Juni 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Juni 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Ebner, Dr.Holzweber und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Marte als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr.Wolfgang M***** wegen des Verbrechens der versuchten schweren Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die vom Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 5. März 1996, GZ 12 e Vr 4.522/96-73, und den Vorgang, daß der Untersuchungsrichter im Zeitraum vom 11.Februar 1996 bis 23.Februar 1996 dem Untersuchungsgefangenen Dr.Wolfgang M***** den Besuchsempfang verwehrte, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Fabrizy, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Graff zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 5.März 1996 (ON 73) verletzt das Gesetz in den Bestimmungen des § 113 Abs 1 und Abs 2 StPO.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Über Dr.Wolfgang M*****, der am 11.Februar 1996 festgenommen worden war, wurde mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom 13.Februar 1996, GZ 12 e Vr 5.422/96-22, die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 1 und Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a StPO verhängt (S 487/I). Ungeachtet einer Reihe von Anträgen um Besuchserlaubnis gestattete der Untersuchungsrichter bis einschließlich 23.Februar 1996 ausnahmslos keinen Besuchsempfang (S 99 ff/I).

Einer gegen die Ablehnung verschiedener solcher Ersuchen eingebrachten Beschwerde des Christian M*****, des Bruders des Beschuldigten, gab die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien nach Einholung einer Stellungnahme des Untersuchungsrichters mit Beschluß vom 5.März 1996 nicht Folge (ON 73). Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, daß § 187 StPO, dessen Verletzung der Beschwerdeführer reklamiert hatte, das Recht des Untersuchungshäftlings auf Besuchsempfang normiere, ein potentieller Besucher daraus aber kein Recht für sich ableiten könne; im übrigen sei das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers weggefallen, weil nunmehr Besuche gestattet werden (S 69 ff/III).

Rechtliche Beurteilung

Nach der in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes vertretenen Auffassung des Generalprokurators stehen der Vorgang der Verwehrung des Besuchsempfangs und der angeführte Beschluß der Ratskammer mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt nur zum Teil Berechtigung zu.

In Ansehung der relevierten Besuchsrechtsverletzung ist zunächst - mit der Beschwerde - davon auszugehen, daß gemäß § 187 Abs 1 StPO (in der bis zum 1.März 1997 geltenden Fassung) die Untersuchungshäftlinge unbeschadet des § 45 der Strafprozeßordnung und des § 85 des Strafvollzugsgesetzes (dessen in der Beschwerde zitierter § 88 bereits durch BGBl 1993/799 entfallen ist) mit allen Personen, von denen keine Beeinträchtigung des Zweckes der Untersuchungshaft zu befürchten ist, schriftlich verkehren und von solchen Personen Besuche empfangen dürfen. Nach § 187 Abs 3 StPO dürfen die Untersuchungshäftlinge Besuche innerhalb der Amtszeit so oft und in dem zeitlichen Ausmaß empfangen, als die erforderliche Überwachung ohne Beeinträchtigung des Dienstes und der Ordnung in der Anstalt möglich ist. Es darf ihnen jedoch in keinem Fall verwehrt werden, mindestens zweimal in jeder Wochen einen Besuch in der Dauer von einer Viertelstunde zu empfangen.

Daß nun, wie die Beschwerde argumentiert, im vorliegenden Fall der Untersuchungsrichter dadurch, daß er in einem Zeitraum von fast zwei Wochen keine Besuche zuließ, die letztgenannte Bestimmung verletzt und damit gesetzwidrig gehandelt hat, träfe nur dann zu, wenn § 187 Abs 3 StPO ein generelles Mindestbesuchsrecht vorsähe, das unter allen Umständen zu beachten wäre. Dafür scheint zwar die Verwendung der adverbialen Bestimmung "in keinem Fall" zu sprechen, doch erzwingt die unter Beachtung des Wortsinns vorzunehmende systematische und teleologische Auslegung dieser Vorschrift die Annahme eines etwas differenzierteren Bedeutungsinhaltes:

Liest man Abs 3 des § 187 StPO im Ganzen und sieht ihn weiters im Zusammenhang mit Abs 1, dann folgt aus dem Kontext des zweiten Satzes des Abs 3 mit dem unmittelbar vorangehenden Satz schlüssig, daß der Besuchsempfang allein aus organisatorischen, mit der (im Gesetz nicht näher geregelten) Überwachung und der Hausordnung in Zusammenhang stehenden Gründen wohl eingeschränkt, aber nicht gänzlich verwehrt werden darf. Dem Gesetzeswortlaut kann aber nicht entnommen werden, daß diese Bestimmung auch dann zu gelten hat, wenn durch den Besuch eine Beeinträchtigung des Haftzweckes zu besorgen ist. Dem steht nämlich § 187 Abs 1 StPO entgegen, der solche Besuche gerade nicht zu jenen zählt, die die Untersuchungshäftlinge empfangen dürfen. Das in Abs 3 festgelegte zeitliche Mindestmaß ist daher durch teleologische Reduktion nur auf die im Sinne des Abs 1 zulässigen Besuche anzuwenden.

Die Entscheidung über die Erteilung einer Besuchserlaubnis und damit die Beurteilung der in der Regel bei Bestehen des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr aktuellen Frage, ob der Kontakt des Beschuldigten mit dem Besucher die Untersuchung erschweren könnte, obliegt dem Untersuchungsrichter, der, ausgenommen von den im Gesetz besonders geregelten Fällen des Besuchsrechtes des Verteidigers (§ 45 StPO) und der in § 85 und, seit 1.März 1997, in § 90 b StVG angeführten Personen den Besuch bei Bejahung einer trotz Überwachung zu besorgenden Verfahrensgefährdung gegebenenfalls auch gänzlich untersagen kann, ohne auf das in § 187 Abs 3 StPO festgehaltene Besuchsminimum Rücksicht nehmen zu müssen. Liegt eine solche (in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfende !) Befürchtung bei sämtlichen Besuchern innerhalb eines bestimmten Zeitraumes vor, dann kann die Besuchsgarantie des § 187 Abs 3 StPO nicht wirksam und demnach durch Verweigerung des Besuchs das Gesetz nicht verletzt werden.

Vorliegend ist der von der Ratskammer aus Anlaß der Beschwerde des Christian M***** eingeholten Stellungnahme des Untersuchungsrichters zu entnehmen, daß er die im hier interessierenden Zeitraum beantragten Besuche ua auch wegen des Bestehens des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr untersagt hat. Damit handelte er, weil sich das garantierte Besuchsrecht des § 187 Abs 3 StPO nach dem Vorgesagten nur auf Besuche bezieht, die unter dem Gesichtspunkt des § 187 Abs 1 StPO zulässig sind, im Rahmen des Gesetzes. Denn anders als bei organisatorischen Schwierigkeiten bei der Besuchsüberwachung, die für die Frage der Besuchserlaubnis keine Rolle spielen dürfen, kann wegen der zu befürchtenden Beeinträchtigung des mit diesem Haftgrund verbundenen Haftzweckes das Besuchsrecht zur Gänze entfallen.

Ob allerdings die Ablehnung der Besuchsanträge in jedem Einzelfall auch sachlich berechtigt war, ist aus der erwähnten Stellungnahme nicht zu ersehen. Es wäre Sache der Ratskammer gewesen, diese Frage in ihrer Beschwerdeentscheidung zu erörtern.

Zutreffend zeigt der Generalprokurator hingegen auf, daß die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien durch die Begründung der über die Beschwerde des Christian M***** ergangenen Entscheidung gegen die Bestimmungen des § 113 Abs 1 und Abs 2 StPO verstoßen hat.

Gemäß § 113 Abs 1 erster Satz StPO haben alle, die sich während der Vorerhebungen, der Voruntersuchung oder in dem der Einbringung der Anklageschrift nachfolgenden Verfahren durch eine Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters beschwert erachten, das Recht, darüber, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, eine Entscheidung der Ratskammer zu verlangen und ihr Begehren schriftlich oder mündlich beim Untersuchungsrichter oder unmittelbar bei der Ratskammer anzubringen.

Dieses Beschwerderecht stand demgemäß entgegen der Rechtsansicht der Ratskammer auch Christian M***** zu, war er doch durch die Ablehnung des Besuchsantrages durch den Untersuchungsrichter jedenfalls beschwert und deshalb zur Beschwerde legitimiert, weshalb es dahingestellt bleiben kann, ob ihm als Angehörigen des Untersuchungshäftlings auch ein persönliches Besuchsrecht eingeräumt ist.

Gemäß § 113 Abs 2 StPO hat die Ratskammer überdies im Falle, daß die Beschwerde zwar berechtigt, aber inzwischen gegenstandslos geworden ist, zu erkennen, daß durch den angefochtenen Beschluß oder Vorgang das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde. Sohin hat sie auch über die Berechtigung mittlerweile gegenstandslos gewordener Beschwerden zu entscheiden. Indem die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vorliegend ein Rechtsschutzinteresse bereits infolge mittlerweile gewährter Besuchserlaubnis verneint hat, ist sie dieser gesetzlichen Verpflichtung nicht nachgekommen.

Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen waren somit, dem Antrag des Generalprokurators entsprechend, festzustellen, ohne daß es einer konkreten Maßnahme bedurfte, während die Nichtigkeitsbeschwerde, soweit ihr nicht gefolgt werden konnte, zu verwerfen war.