JudikaturJustiz11Os29/21f

11Os29/21f – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. April 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. April 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der FI Jäger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johannes L* wegen des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB, AZ 132 Bl 61/20d des Landesgerichts für Strafsachen Wien (AZ 21 St 101/20b der Staatsanwaltschaft Wien), über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 27. November 2020 (ON 14 der Bl Akten) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Dr. Janda, des Verteidigers Mag. Rebisant sowie des Privatbeteiligtenvertreters DDr. Doppelbauer zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 27. November 2020, GZ 132 Bl 61/20d 14, verletzt § 195 Abs 2 dritter Satz iVm § 196 Abs 2 erster Satz StPO.

Der Beschluss wird aufgehoben und der Antrag der A* GmbH auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens gegen Johannes L* wegen § 153 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB, AZ 21 St 101/20b der Staatsanwaltschaft Wien, als unzulässig zurückgewiesen.

Der Fortführungswerberin wird die Bezahlung eines Pauschalkostenbeitrags von 90 Euro aufgetragen.

Text

Gründe:

[1] Die Staatsanwaltschaft Wien stellte am 15. Juli 2020 ein gegen Johannes L* zu AZ 21 St 101/20b wegen des Verdachts des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB geführtes Ermittlungsverfahren gemäß § 190 Z 1 StPO ein und verständigte hievon den Rechtsvertreter der (nach dem Vorbringen durch die Straftat geschädigten) Anzeigerin A* GmbH (ON 1 S 2). Über dessen Antrag (ON 8) begründete die Staatsanwaltschaft mit am 24. Juli 2020 abgefertigter (ON 1 S 2) Note ihr Vorgehen gemäß § 194 Abs 2 zweiter Satz StPO (ON 9).

[2] Mit am 7. August 2020 bei der Staatsanwaltschaft eingebrachtem Schriftsatz (ON 10 S 1) beantragte die A* GmbH die Fortführung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 195 Abs 1 Z 1 StPO. Die zur Beurteilung seiner fristgemäßen Einbringung notwendigen Angaben enthält der Antrag der anwaltlich vertretenen Geschädigten nicht (ON 10 S 4 f). Nach Zustellung der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft (ON 11) unter gleichzeitigem Hinweis auf die Bestimmung des § 196 Abs 2 StPO (wenn auch primär in Zusammenhang mit der Möglichkeit, zur Zahlung eines Pauschalkostenbeitrags verpflichtet zu werden [ON 1 S 5]), erstattete der Vertreter hiezu eine Äußerung (ON 12), ohne die notwendigen Angaben des § 195 Abs 2 StPO nachzutragen.

[3] Mit Beschluss vom 27. November 2020, AZ 132 Bl 61/20d (ON 14), gab das Landesgericht für Strafsachen Wien dem Fortführungsantrag statt und trug der Staatsanwaltschaft die Fortführung des Verfahrens auf.

Rechtliche Beurteilung

[4] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht der Beschluss ON 14 mit dem Gesetz nicht in Einklang:

[5] Als Korrektiv für die ausschließlich in die Kompetenz der Staatsanwaltschaft fallende Verfahrenseinstellung sieht das Gesetz die gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidung aufgrund eines Fortführungsantrags gemäß § 195 StPO vor, wobei Opferschutzinteressen in der ebenfalls schützenswerten Position des Beschuldigten ihre Grenzen finden und die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft – ohne das Anklagemonopol in Frage zu stellen – lediglich einer Missbrauchskontrolle unterworfen ist (RIS Justiz RS0126209; Nordmeyer , WK-StPO § 196 Rz 6, 16).

[6] Gemäß § 195 Abs 1 StPO hat das Gericht auf Antrag des Opfers die Fortführung eines gemäß §§ 190 bis 192 StPO beendeten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen, wenn das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde (Z 1), erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachen bestehen, die der Entscheidung über die Beendigung zugrunde gelegt wurden (Z 2), oder neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die für sich allein oder im Zusammenhalt mit übrigen Verfahrensergebnissen geeignet erscheinen, den Sachverhalt soweit zu klären, dass nach dem 11. oder 12. Hauptstück vorgegangen werden kann (Z 3).

[7] Gemäß § 195 Abs 2 dritter Satz StPO muss der Antrag die zur Beurteilung seiner fristgemäßen Einbringung notwendigen Angaben enthalten (vgl dazu Nordmeyer , WK StPO § 195 Rz 27; Tauschmann in Schmölzer/Mühlbacher , StPO 1 § 195 Rz 18 [insb FN 10]; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 7.1113; Steiner in LiK-StPO § 195 Rz 59 [insb FN 136]). Anträge, die den – auch die genannten Angaben zur formalen Zulässigkeit umfassenden – Voraussetzungen des § 195 StPO nicht entsprechen, sind gemäß § 196 Abs 2 erster Satz StPO zurückzuweisen (vgl EBRV zum Budgetbegleitgesetz 2009 113 BlgNR 24. GP 37; Nordmeyer , WK StPO § 195 Rz 27 und § 196 Rz 4/1; Tauschmann in Schmölzer/Mühlbacher , StPO 1 § 196 Rz 5; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 7.1119; Steiner in LiK StPO § 195 Rz 59).

[8] Die (von Nordmeyer [WK StPO § 195 Rz 27] in diesem Zusammenhang erwähnte , zu Gunsten des Beschuldigten entwickelte) Rechtsprechung zur – § 195 Abs 2 dritter Satz StPO ähnlichen – Bestimmung des § 3 Abs 1 letzter Satz GRBG (wonach die Unterlassung der Anführung des Tages, der für den Beginn der Beschwerdefrist maßgeblich ist, nicht zur Zurückweisung der Grundrechtsbeschwerde führt, wenn sich deren Rechtzeitigkeit aus den Akten ergibt [RIS-Justiz RS0114092]) ist auf das in §§ 195 f StPO geregelte (gegen den Beschuldigten gerichtete) „Fortführungsrecht“ nicht übertragbar, weil § 196 Abs 2 erster Satz StPO – im Unterschied zum GRBG – die Zurückweisung des Fortführungsantrags für den Fall unterbliebener Angaben zur Rechtzeitigkeit ausdrücklich anordnet (arg: „... hat das Gericht als unzulässig zurückzuweisen...“; dazu auch Gw 14/17t = JSt-GP 2017/3, 253; Steiner in LiK-StPO § 195 Rz 59 [insb FN 135]).

[9] Das Landesgericht für Strafsachen Wien gab dem Fortführungsantrag statt, obwohl er den in § 195 Abs 2 dritter Satz StPO genannten formalen Erfordernissen nicht entsprach. Damit verletzt der Beschluss § 195 Abs 2 dritter Satz iVm § 196 Abs 2 erster Satz StPO.

[10] Diese Gesetzesverletzung gereicht dem Beschuldigten zum Nachteil, weswegen sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, deren Feststellung konkrete Wirkung wie aus dem Spruch ersichtlich zuzuerkennen (§ 292 letzter Satz StPO).

[11] Der Auftrag zur Bezahlung eines Pauschalkostenbeitrags beruht auf § 196 Abs 2 zweiter Satz StPO.