JudikaturJustiz11Os153/98

11Os153/98 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Holy als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Jeanette G***** wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 27. Juli 1998, GZ 2 Vr 196/98-37, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kirchbacher, der Angeklagten Jeanette G***** und des Verteidigers Mag. Schuster zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in dem das Faktum I A des Urteilssatzes betreffenden Ausspruch, daß die Gewaltanwendung der Angeklagten eine Körperverletzung des Ernst W***** mit schweren Dauerfolgen nach sich zog und damit in der rechtlichen Beurteilung auch als Verbrechen nach § 143 vierter Satz StGB, demgemäß auch im Strafausspruch einschließlich der Entscheidung über die Vorhaftanrechnung und letztlich auch der Beschluß gemäß § 494a StPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit ihrer Berufung wegen des Ausspruches über die Strafe und mit ihrer Beschwerde wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 8. Oktober 1979 geborene Jeanette G*****, soweit für das Beschwerdeverfahren relevant, zu I A des Urteilssatzes des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 vierter Fall StGB schuldig erkannt.

Darnach hat sie in Wien am 16. März 1998 dadurch, daß sie Ernst W***** von hinten einen harten Gegenstand gegen die Rippen drückte und Geld verlangte, diesem durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz abzunötigen versucht, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, wobei die von ihr geübte Gewaltanwendung eine Körperverletzung des Ernst W***** mit schweren Dauerfolgen, nämlich eine posttraumatische Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Stimmung, somit für immer oder für lange Zeit ein schweres Leiden, Siechtum oder Berufsunfähigkeit zur Folge hatte.

Nur gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten, die auch den Strafausspruch mit Berufung und den Widerruf bedingter Strafnachsichten mit Beschwerde bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Dem Einwand (Z 10), die schwere Körperverletzung des Tatopfers und damit die Annahme der Qualifikation nach § 143 vierter Fall StGB könne der Beschwerdeführerin mangels Anführung einer erheblichen Gewaltausübung im Urteilssatz nicht zugerechnet werden, kann im Ergebnis Berechtigung nicht abgesprochen werden:

Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes muß die den qualifizierenden Erfolg des § 143 vierter Fall StGB bewirkende Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen - als welche durch den Verweis auf § 85 StGB (und damit implizite auf § 83 Abs 1 StGB) auch eine gleichwertige Gesundheitsschädigung in Betracht kommt - Folge der beim Raub als Begehungsmittel eingesetzten Gewalt sein. Der schwerere Erfolg ist daher dem Täter nur bei deliktsspezifischem Zusammenhang zwischen Gewalthandlung und Verletzung bzw Gesundheitsschädigung einerseits und zudem nur dann zuzurechnen, wenn er ihn zumindest fahrlässig zu verantworten hat (§ 7 Abs 2 StGB), ihn demzufolge vor allem als Folge seines gewaltsamen Handelns vorhersehen konnte. Ist eine Gesundheitsschädigung in der Bedeutung des § 85 StGB nicht auf Gewaltanwendung, sondern auf die durch die gefährliche Drohung als Raubmittel hervorgerufene Belastungssituation zurückzuführen, wird dadurch weder die Qualifikation des vierten Falles noch die einer anderen Spielart des § 143 StGB begründet.

Nach dem Inhalt des Schuldspruches zum Faktum I A und den damit korrespondierenden Urteilsannahmen in den Gründen hatte die Angeklagte den Raubversuch durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, nämlich dadurch unternommen, daß sie dem Tatopfer von hinten einen harten Gegenstand, und zwar ihr Handy mit Antenne gegen die Rippen drückte. Worin die der Angeklagten im Spruch weiters angelastete Gewaltanwendung bestanden haben soll, welche die in Rede stehende "Körperverletzung" mit schweren Dauerfolgen zur Folge hatte, ist dem Urteilssatz selbst nicht zu entnehmen. Die darin an sich gelegene Gesetzesverletzung (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), den die Beschwerdeführerin mit ihrem Vorbringen, der Sache nach Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO relevierend, reklamiert, wäre indes nur dann zu bejahen, wenn sich auch in den Gründen entsprechende Konstatierungen zur Gewaltanwendung nicht fänden. Vorliegend hatte das Schöffengericht als erwiesen angenommen, daß der Überfallene trachtete, zur Eingangstür zu gelangen, von der Angeklagten aber zurückgehalten wurde (S 241). Mit diesem Zurückhalten ist in tatsächlicher Hinsicht der Einsatz von Gewalt festgestellt, der - weil Spruch und Gründe eine Einheit bilden - den bei isolierter Betrachtung dem Spruch anhaftenden, nichtigkeitsbegründenden Gesetzesverstoß entfallen läßt.

Dessenungeachtet ergibt sich aus dem Urteilssachverhalt in seiner Gesamtheit nicht mit hinlänglicher Deutlichkeit, daß die im Spruch beschriebene Gesundheitsschädigung (auch) auf diese Gewaltanwendung kausal zurückgeführt werden kann. Denn wenngleich W***** im Zuge des "dadurch" - nämlich durch das Zurückhalten - entstandenen Gerangels zu Boden stürzte, erlitt er hiedurch keine Verletzungen (S 241). Die zur Diskussion stehende, vom Schöffengericht als Körperverletzung bezeichnete Gesundheitsschädigung stellt sich nach den Urteilsannahmen vielmehr als psychiatrisch-neurologische Erkrankung dar, die sich in einer Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Stimmung als posttraumatische Reaktion auf den Überfall manifestiert und zwar im kausalen Zusammenhang mit der "Tat" steht, aber nicht notwendigerweise durch den nach den Begleitumständen keinesfalls erheblichen Gewalteinsatz, sondern allenfalls allein durch die durch Drohung bewirkte Belastungssituation ausgelöst wurde (S 241).

Ein deliktsspezifischer Zusammenhang zwischen der Gewaltanwendung und der mit schweren Dauerfolgen verbundenen psychiatrisch-neurologischen Erkrankung ist nach den getroffenen Feststellungen daher nicht einwandfrei zu bejahen, womit die Gesundheitsschädigung des Tatopfers der Beschwerdeführerin nicht mit Sicherheit zugerechnet werden kann; davon abgesehen bedürfte es noch der Erörterung der Frage, ob sie diesen schweren Erfolg auch zumindest fahrlässig zu verantworten hat.

Weil somit die getroffenen Feststellungen einen sicheren Schluß auf die Kausalität der von der Beschwerdeführerin eingesetzten Gewalt für die konstatierte Gesundheitsschädigung aufgrund der aufgezeigten Mängel nicht zulassen, kommt eine sofortige Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst nicht in Betracht. In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war deshalb der bekämpfte Qualifikationsausspruch und demzufolge auch der Strafausspruch und der darauf beruhende Widerrufsbeschluß aufzuheben und eine Neudurchführung der Verhandlung anzuordnen.

Mit ihrer Berufung und der Beschwerde war die Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.