JudikaturJustiz11Os139/23k

11Os139/23k – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. März 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. März 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Drach als Schriftführerin in der Strafsache gegen H* L* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangenen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 2, § 129 Abs 1 Z 1, § 130 Abs 2 erster und zweiter Fall (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall), § 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten H* L* und N* B* sowie die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 12. Juli 2023, GZ 9 Hv 38/22t 235, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden sowie aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, hinsichtlich

der Angeklagten H* L* und N* B* sowie des Mitangeklagten S* O* in der zu A des jeweiligen Schuldspruchs erfolgten Subsumtion auch als Tatbegehung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach § 130 Abs 2 erster und zweiter Fall iVm Abs 1 zweiter Fall StGB – damit auch in der jeweils dazu gebildeten Subsumtionseinheit im Umfang dieser Qualifikation, überdies hinsichtlich

B* und O* in der zu C I des jeweiligen Schuldspruchs erfolgten Subsumtion auch nach § 241e Abs 2 StGB sowie (insoweit zur Gänze) zu B 2 und C II des jeweiligen Schuldspruchs,

demzufolge auch in allen Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen) aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten L* und B* im Übrigen werden zurückgewiesen.

Diese Angeklagten werden mit ihren Berufungen gegen den jeweiligen Ausspruch über die Strafe ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde und ihrer Berufung auf diese kassatorische Entscheidung verwiesen.

Den Angeklagten L* und B* fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden

H* L* des Verbrechens des gewerbsmäßigen und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangenen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 2, § 129 Abs 1 Z 1, § 130 Abs 2 (ergänzt:) erster und zweiter Fall (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall), § 15 (zum Teil als Beitragstäterin nach § 12 dritter Fall) StGB (A I bis A III und A V) und des Vergehens des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs 1 StGB (D),

N* B* des Verbrechens des gewerbsmäßigen und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangenen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 2, § 129 Abs 1 Z 1, § 130 Abs 2 (ergänzt:) erster und zweiter Fall (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall), § 15 StGB (A I bis A V), der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B 1, B 2 und C III), des Verbrechens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 1 (ergänzt:) erster Fall und Abs 2 (ergänzt:) zweiter Fall StGB (C I) und des Verbrechens des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach § 148a Abs 1 und 4 StGB (C II), sowie

S* O* des Verbrechens des gewerbsmäßigen und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangenen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, § 129 Abs 1 Z 1, § 130 Abs 2 (ergänzt:) erster und zweiter Fall (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall), § 15 StGB (A I und A IV), der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B 1, B 2 und C III), des Verbrechens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 1 (ergänzt:) erster Fall und Abs 2 (ergänzt:) zweiter Fall StGB (C I) und des Verbrechens des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach § 148a Abs 1 und Abs 4 StGB (C II) schuldig erkannt.

[2] Danach haben – soweit hier relevant und zusammengefasst – von 20. März bis 5. Juli 2022 in G* und an anderen Orten des Bundesgebiets

(A) L*, B* und O* mit einer abgesondert verfolgten Person als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung jeweils unter Mitwirkung eines anderen Mitglieds fremde bewegliche Sachen mit einem im Großteil der Einzelfälle 5.000 Euro, hinsichtlich L* und B* insgesamt auch 300.000 Euro übersteigenden Wert durch Einbruch mit dem Vorsatz weggenommen oder wegzunehmen versucht, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei sie jeweils unter Einsatz besonderer Mittel, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen, und in der Absicht handelten, jeweils sich selbst durch die wiederkehrende Begehung von schweren Einbruchsdiebstählen längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, indem sie – L* und B* in 18 (A I, A II, A III und A V) sowie O* in elf (A I) im Urteil näher bezeichneten Fällen – Personenkraftwagen der Marke BMW unter Verwendung von OBD Steckern und von (von L* beschafften) BMW Schlüsselrohlingen aufbrachen und in Betrieb nahmen, um mit den Fahrzeugen nach Ungarn auszureisen und diese dort zu verkaufen,

(B 2) B* und O* in der Nacht zum 20. April 2022 in L* anlässlich eines der Autodiebstähle (A I 6) Urkunden, über die sie nicht verfügen durften, nämlich die Geburtsurkunde und den Reisepass der T* A*, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden,

(C) B* und O* in der Nacht zum 5. Juli 2022 in R* als Mittäter und Mitglieder einer kriminellen Vereinigung

(I) sich anlässlich eines der Einbruchsdiebstähle (A IV 1 a) ein unbares Zahlungsmittel, über das sie nicht verfügen durften, nämlich die Bankomatkarte des G* P*, mit dem Vorsatz verschafft, dass sie durch dessen Verwendung im Rechtsverkehr unrechtmäßig bereichert werden,

(II) mit dem Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern, G* P* dadurch am Vermögen geschädigt, dass sie das Ergebnis einer automationsunterstützten Datenverarbeitung durch Einwirkung auf den Ablauf des Verarbeitungsprogramms beeinflussten, indem sie unter Verwendung seiner zuvor entfremdeten (C I) Bankomatkarte Zigaretten im Wert von 141 Euro aus zwei Zigarettenautomaten drückten.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses Urteil richten sich die von den Angeklagten L* und B* gemeinsam ausgeführten, auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a, von L* überdies auf § 281 Abs 1 Z 5a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden sowie die aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

[4] Die Tatsachenrüge (Z 5a) der Angeklagten L* zu A I 1 bis A I 7 behauptet unter pauschaler Berufung auf die eigene Verantwortung, die Verantwortung von Mitangeklagten und das angebliche Fehlen anderer Beweisergebnisse, dass das Schöffengericht in Bezug auf „diverse Taten [...], welche vor Juni 2022 begangen“ worden seien, „seine Beweiswürdigungsfreiheit überzogen“ hätte. Bestimmte Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen, gegen die erhebliche Bedenken bestehen sollten, werden jedoch ebenso wenig bezeichnet wie konkrete Verfahrensergebnisse, aus denen sich solche Bedenken ergeben könnten, weshalb die Rüge nicht prozessförmig ausgeführt ist (RIS Justiz RS0128874, RS0117446 [T18]; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 488).

[5] In ihrer gemeinsamen Rüge kritisieren die Angeklagten L* und B* der Sache nach die ausdrücklich getroffenen (US 16) Feststellungen zum jeweils 300.000 Euro übersteigenden (Gesamt )Wert (§ 29 StGB) der von ihnen gestohlenen Fahrzeuge als offenbar unzureichend begründet (nominell Z 9 lit a, inhaltlich Z 5 vierter Fall – RIS-Justiz RS0117437; Ratz , WK StPO § 285d Rz 9).

[6] Die Tatrichter gründeten diese Festellungen auf die polizeilichen Ermittlungsergebnisse und auf die Expertise des Sachverständigen zu (Vergleichs )Werten zum jeweiligen Datum der Wegnahme (US 21). Der Rüge zuwider war es dem Schöffengericht unter Aspekten formeller Begründungstauglichkeit gestattet, aufgrund dieser Beweisergebnisse Wahrscheinlichkeitsschlüsse zu ziehen und darauf – nach dem Grundsatz freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) – Tatsachenfeststellungen zu den Fahrzeugwerten zu stützen (RIS-Justiz RS0098362). Warum darin „eine bloße Vermutung zu Lasten des Angeklagten“ zu erblicken sein sollte, ist nicht ersichtlich.

[7] Der ins Treffen geführte Zweifelsgrundsatz ist unter Gesichtspunkten formeller und materieller Nichtigkeit ebenso unbeachtlich (RIS-Justiz RS0102162, RS0099756) wie das dazu erstattete Vorbringen zu hypothetisch möglichen wertmindernden Umständen, das einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung entspricht.

[8] Im Recht ist allerdings die von diesen Nichtigkeitswerbern vorgebrachte Kritik, dass die Feststellung zur zeitlichen Komponente der kriminellen Vereinigung, in deren Rahmen sie ihre Diebstahlstaten nach dem jeweiligen Schuldspruch begingen, nicht oder offenbar unzureichend begründet ist (nominell Z 9 lit a, der Sache nach wiederum Z 5 vierter Fall – erneut RIS Justiz RS0117437; Ratz , WK StPO § 285d Rz 9).

[9] Das Schöffengericht begründete die Festellungen zur „Tatbegehung als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung eines anderen Mitglieds“ einheitlich und ausschließlich damit, dass Fahrzeugteile von zwei gestohlenen Fahrzeugen (A II 1 und A III 3) anlässlich einer am 2. September 2022 von ungarischen Strafverfolgungsbehörden bei einem „bekannten BMW Dieb“ durchgeführten Hausdurchsuchung vorgefunden wurden, „wobei keine direkte Verbindung zwischen den drei Angeklagten und diesem festgestellt werden konnte“ (US 21), und dass zu A I 5 „ein H* La* involviert war und mit beiden Angeklagten Kontakt aufnahm“ (US 23).

[10] Diese in der Beweiswürdigung allein angeführten Umstände tragen die Festellungen zu den zeitlichen Merkmalen einer kriminellen Vereinigung nicht (RIS Justiz RS0099413). Eine andere unter formellen Aspekten taugliche Begründung (vgl RIS Justiz RS0098671), warum die Tatrichter einen auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss mit krimineller Zielsetzung unter Beteiligung der Angeklagten annahmen, ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen.

[11] Dieser aufgezeigte Begründungsmangel betrifft eine für die Subsumtion unter die Vereinigungsqualifikation nach § 130 Abs 2 erster und zweiter Fall iVm Abs 1 zweiter Fall StGB entscheidende Tatsachenfeststellung (vgl Salimi , SbgK § 130 Rz 9; Stricker in WK² StGB § 130 Rz 23) und war nach § 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StPO auch zugunsten des Mitangeklagten O* wahrzunehmen (RIS Justiz RS0129172).

[12] Dieses Begründungsdefizit erstreckt sich hinsichtlich B* und O* zudem auf die auf denselben Gründen beruhende (vgl US 17 iVm US 21, 28) Annahme der Vereinigungsqualifikation nach § 241e Abs 2 zweiter Fall StGB zu C I und nach § 148a Abs 4 StGB zu C II des jeweiligen Schuldspruchs (§ 289 StPO – vgl RIS Justiz RS0120632, RS0099106 [T4]).

[13] Zu C II ist überdies zu bemerken, dass – worauf die Generalprokuratur zutreffend hinweist – der nachfolgende Einsatz eines entfremdeten unbaren Zahlungsmittels bei Geld- oder Warenausgabeautomaten (wie etwa Zigarettenautomaten) an sich nicht als betrügerischer Datenverarbeitungsmissbrauch nach § 148a StGB, sondern – bei konstatierter Öffnung einer Sperrvorrichtung sowie entsprechend festgestellter subjektiver Tatseite – als Diebstahl durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs 1 Z 3 StGB zu subsumieren wäre (RIS Justiz RS0134098, RS0119780 [T3]).

[14] Sollte im zweiten Rechtsgang eine Feststellungsbasis geschaffen werden, die eine rechtliche Unterstellung der vom (aufgehobenen) Schuldspruch C II umfassten Taten nach §§ 127, 129 Abs 1 Z 3 StGB trägt, wären gegebenenfalls auch diese Taten in die B* und O* betreffenden Subsumtionseinheiten (§ 29 StGB) zu A zu integrieren (§ 289 StPO; RIS Justiz RS0116734 [insb T1]; Ratz , WK StPO § 289 Rz 3, 10).

[15] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur überzeugte sich der Oberste Gerichtshof weiters davon, dass die Entscheidungsgründe zu B 2 der Schuldsprüche von B* und O* keine Festellungen enthalten, die die Subsumtion (auch) als Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB zulassen würden. Das Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) und die Darstellung der auf dieses Faktum bezogenen Modifikation der Anklageschrift (US 10) vermögen solche Festellungen nicht zu ersetzen (RIS Justiz RS0114639). Diese den Genannten zum Nachteil gereichende materiell rechtliche Nichtigkeit (Z 10) war von Amts wegen wahrzunehmen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[16] Dies führte bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zur Aufhebung der Schuld- und Strafaussprüche in dem im Spruch ersichtlichen Ausmaß und zur Verweisung der Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung in diesem Umfang (§ 285e StPO).

[17] Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten L* und B* im Übrigen waren unter einem zurückzuweisen (§ 285d StPO).

[18] Mit ihren gegen die Strafaussprüche gerichteten Rechtsmitteln waren diese Angeklagten ebenso wie die Staatsanwaltschaft auf die Kassation dieser Aussprüche zu verweisen.

[19] Die Kostenentscheidung, die die amtswegige Maßnahme nicht umfasst ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.