JudikaturJustiz11Os116/19x

11Os116/19x – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Oktober 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Oktober 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sysel als Schriftführer in der Strafsache gegen Stefan L***** wegen des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB, AZ 6 U 6/19i des Bezirksgerichts Mödling, über die von der Generalprokuratur gegen die Strafverfügung dieses Gerichts vom 1. April 2019 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter-Longitsch, LL.M., zu Recht erkannt:

Spruch

Die Strafverfügung des Bezirksgerichts Mödling vom 1. April 2019, GZ 6 U 6/19i-9, verletzt § 491 Abs 1 StPO und § 89 StGB.

Die Strafverfügung wird aufgehoben und dem Bezirksgericht Mödling die Fortsetzung des Hauptverfahrens aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit beim Bezirksgericht Mödling zu AZ 6 U 6/19i eingebrachtem Strafantrag vom 8. Jänner 2019 (ON 3) legte die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Stefan L***** ein als Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (§ 81 Abs 2) StGB beurteiltes, zum Nachteil des Jozo P***** am 25. September 2018 in A***** begangenes Verhalten zur Last.

In der am 18. Februar 2019 durchgeführten Hauptverhandlung (ON 6) verantwortete sich der Angeklagte zum Anklagevorwurf geständig (ON 6 S 4 f), erklärte, „mit einer Verurteilung beziehungsweise einer Strafverfügung einverstanden“ zu sein, „auf eine mündliche Verhandlung [zu verzichten]“, und ersuchte „für den Fall einer Verurteilung mittels Strafverfügung“ um Ratenzahlung (ON 6 S 5). Die Bezirksrichterin vertagte daraufhin die Verhandlung auf unbestimmte Zeit – unter anderem – zur „Zuführung des Aktes an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hinsichtlich Zulässigkeit des Mandatsverfahrens“ (ON 6 S 5).

Die Akten wurden sodann der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt (erkennbar) zur Stellung eines Antrags auf Erlassung einer Strafverfügung (vgl „Mandatsverfahren 220 TS à 4 € PK 0“; ON 1 S 1 verso) übermittelt. Die Staatsanwaltschaft stellte daraufhin den „Antrag auf Durchführung eines Mandatsverfahrens bei ausdrücklichem Verzicht des Beschuldigten auf Durchführung einer Hauptverhandlung“ (ON 1 S 1a).

Mit schriftlicher Strafverfügung vom 1. April 2019 (ON 9) erkannte das Bezirksgericht Mödling L***** wegen des vom Strafantrag umfassten Vorwurfs des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (§ 81 Abs 2) StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 220 Tagessätzen zu je 4 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit zu 110 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom selben Tag (ON 10) wurde L***** die Zahlung der mit Strafverfügung festgesetzten Geldstrafe in Raten gewährt.

Die Strafverfügung erwuchs ebenso unbekämpft in Rechtskraft (§ 491 Abs 9 StPO) wie der genannte Beschluss.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht die Strafverfügung des Bezirksgerichts Mödling vom 1. April 2019, GZ 6 U 6/19i-9, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1./ Mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014 (BGBl I 2014/71) wurde wieder (vgl §§ 460 ff StPO idF vor BGBl I 1999/55) ein Mandatsverfahren in Strafsachen eingeführt:

§ 491 StPO ermöglicht im Verfahren vor dem Bezirksgericht und dem Landesgericht als Einzelrichter unter den in Abs 1 Z 1 bis Z 3 leg cit genannten Voraussetzungen auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Festsetzung einer Geldstrafe oder (soweit der Angeklagte durch einen Verteidiger vertreten ist) einer nach § 43 Abs 1 StGB bedingt nachzusehenden, ein Jahr nicht übersteigenden Freiheitsstrafe (vgl Abs 2 leg cit) ohne vorausgehende Hauptverhandlung durch schriftliche Strafverfügung (Abs 1 leg cit).

Die Strafverfügung ist dem Angeklagten und dem Opfer samt Strafantrag zu eigenen Handen zuzustellen, gegebenenfalls auch deren Vertretern (§ 491 Abs 5 StPO). Gegen die Strafverfügung können die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und das Opfer binnen vier Wochen ab Zustellung schriftlich Einspruch erheben (§ 491 Abs 6 StPO). Im Fall eines zulässigen Einspruchs ist die Hauptverhandlung anzuordnen (§ 491 Abs 8 StPO), worunter – wie aus dem Verweis auf § 455 (iVm § 221 StPO) und § 488 StPO hervorgeht – die „Ausschreibung“ der Hauptverhandlung zu verstehen ist (zum davon verschiedenen Begriffsverständnis der §§ 450 und 485 Abs 1 StPO siehe 11 Os 78/19h; RIS Justiz RS0132157 [Punkt 3. und T2]). Diesfalls tritt die Strafverfügung ex lege außer Kraft ( Tipold , WK-StPO § 491 Rz 103).

Zum Zweck der Klärung der Voraussetzungen für die Erlassung einer Strafverfügung kann das Gericht – in der Art eines „Zwischenverfahrens“ (vgl EBRV 181 BlgNR 25. GP 18) – den Angeklagten und das Opfer vernehmen, wobei es gegebenenfalls auch dessen privatrechtliche Ansprüche iSd § 69 StPO zu wahren hat (§ 491 Abs 3 StPO; vgl Fabrizy , StPO 13 § 491 Rz 7).

Die Strafverfügung ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 491 Abs 1 StPO – und im Sinn des mit dem Mandatsverfahren verfolgten Ziels der Verfahrensbeschleunigung und Ressourcenschonung (vgl EBRV 181 BlgNR 25. GP 17 f) – ohne vorausgehende Hauptverhandlung zu erlassen (vgl auch den Einführungserlass BMJ-S578.028/0021-IV 3/2014 S 34). Zulässig sind ausschließlich zuvor erwähnte vorbereitende Tätigkeiten des Gerichts iSd § 491 Abs 3 StPO (vgl hiezu Tipold , WK-StPO § 491 Rz 70 ff). Nach Durchführung einer – wenn auch nicht abgeschlossenen – Hauptverhandlung ist die Erlassung einer Strafverfügung somit nicht mehr zulässig, sondern das Hauptverfahren nach den allgemein geltenden Vorschriften zu führen und mit Urteil (gegebenenfalls mit Beschluss [vgl § 191 Abs 2, § 199 StPO]) zu beenden (vgl § 491 Abs 8 StPO; §§ 447, 458 letzter Satz und § 488 StPO jeweils iVm §§ 228 ff StPO; ausdrücklich zu §§ 460 ff StPO aF RIS Justiz RS0101667).

Die (noch dazu „Im Namen der Republik“ erfolgte) Erlassung der schriftlichen Strafverfügung durch das Bezirksgericht Mödling am 1. April 2019 nach Durchführung der Hauptverhandlung am 18. Februar 2019 verletzt demnach § 491 Abs 1 StPO.

2./ Das Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (hier: dritter Fall) StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bedroht.

Indem das Bezirksgericht Mödling mit der Strafverfügung vom 1. April 2019 eine Geldstrafe von 220 Tagessätzen festsetzte, hat es seine Strafbefugnis überschritten und das Gesetz in der Bestimmung des § 89 StGB verletzt.

3./ Da sich dies zum Nachteil des Angeklagten auswirkte, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzungen mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO), die Strafverfügung aufzuheben und dem Bezirksgericht Mödling die Fortsetzung des Hauptverfahrens aufzutragen.

Der förmlichen Aufhebung des von der Strafverfügung rechtslogisch abhängigen Ratenzahlungsbeschlusses vom 1. April 2019 (ON 10) bedarf es nicht (RIS-Justiz RS0100444; Ratz , WK-StPO § 292 Rz 28).

Rechtssätze
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  • RS0132157OGH Rechtssatz

    31. Januar 2024·3 Entscheidungen

    1. Die Verbindung zweier Hauptverfahren gemäß § 37 Abs 3 StPO setzt – auch im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts oder dem Bezirksgericht – die Rechtswirksamkeit (§ 4 Abs 2 StPO) beider Anklagen voraus. Im Fall des § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz iVm Abs 2 zweiter Satz StPO zuständigkeitsbegründend zuvorgekommen ist jenes Gericht, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam wurde. 2. Im einzelrichterlichen Verfahren tritt die Rechtswirksamkeit der Anklage mit dem positiven Abschluss einer amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags ein. Sie findet dort jedoch – anders als im kollegialgerichtlichen Verfahren – keinen beschlussförmigen Ausdruck, sondern zeigt sich erst im darauf folgenden Akt der Einleitung des Hauptverfahrens. 3. Die Einleitung des Hauptverfahrens (§ 4 Abs 2 StPO) geschieht im einzelrichterlichen Verfahren durch die Anordnung der Hauptverhandlung (§ 450 und § 485 Abs 1 Z 4 StPO). Unter dieser Anordnung wird (keineswegs nur das "Ausschreiben" einer Hauptverhandlung, sondern) jedes Verhalten des Gerichts verstanden, das die Bejahung der Prozessvoraussetzungen (den positiven Ausgang der amtswegigen Vorprüfung) unmissverständlich erkennen lässt. Dies trifft auf jede Entscheidung zu, deren Ergebnis keines nach (im landesgerichtlichen Verfahren:) § 485 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO oder (im bezirksgerichtlichen Verfahren:) § 450 erster Satz StPO (beschlussförmiger Ausspruch sachlicher Unzuständigkeit), § 451 Abs 2 StPO (beschlussförmige Verfahrenseinstellung) oder § 38 StPO (Wahrnehmung eigener Unzuständigkeit nach § 36 Abs 3, Abs 5; § 37 Abs 1, Abs 2 StPO) ist, also jeder contrarius actus dazu. 4. Bei der amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags (noch) außer Betracht zu bleiben hat die Anhängigkeit eines im Sinn des § 37 Abs 3 StPO konnexen Hauptverfahrens bei (irgend-)einem Gericht. Vielmehr hat sich die Vorprüfung – isoliert – auf jenes (Haupt-)Verfahren zu beziehen, das durch die Einbringung dieses (einen) Strafantrags begonnen hat.