JudikaturJustiz11Os105/11t

11Os105/11t – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. Oktober 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Oktober 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sommer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Manfred M***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 19. Mai 2011, GZ 51 Hv 37/11z 16, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Der Angeklagte wird mit seinen Rechtsmitteln auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manfred M***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er zwischen 8. April 2009 und 15. Oktober 2010 in sechs Angriffen in Wien als Beamter des Finanzamts ***** mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an seinem konkreten Recht auf Gebühreneinhebung für Abfragen aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er ohne dienstliches Erfordernis aus rein privater Motivation in der ZMR-Anwendung die gespeicherten Daten von sechs im Ersturteil namentlich genannten Personen abfragte.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil mit einer auf Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass der angefochtenen Entscheidung der von Amts wegen wahrzunehmende (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhaftet, weil die erstgerichtlichen Feststellungen keine tatsächliche Grundlage für die primär entscheidungswesentliche Beurteilung der Frage bieten, ob der Angeklagte bei den Datenabfragen mit dem Vorsatz handelte, die betroffenen Personen in ihrem Grundrecht auf Datenschutz nach § 1 Abs 1 DSG zu schädigen.

Gegenständlich nützte der Angeklagte eine ausschließlich für dienstliche Zwecke eingeräumte Abfrageermächtigung, die den Zugang zum Gesamtdatensatz (also auch nicht von der Meldeauskunftspflicht nach § 18 Abs 1 MeldeG erfasster sowie auch der Auskunftssperre unterliegender Daten) der betroffenen Personen ermöglichte.

Nach den erstgerichtlichen Annahmen „fasste der Angeklagte den Entschluss, seine Abfragebefugnis auch für ausschließlich private Zwecke zu missbrauchen, um dadurch an Daten von Personen zu gelangen, ohne die ansonsten für Zentralmeldeauskünfte vorgeschriebenen Abgaben und Gebühren bezahlen zu müssen“ (US 4); er führte „die gegenständlichen ZMR Abfragen durch, um sich dadurch die Abgaben und Gebühren, die für eine private Zentralmelderegisterauskunft zu bezahlen sind, zu ersparen, wobei er die Schädigung des Staates, dem die Gebühren bei regulärer Vorgehensweise zufließen, billigend in Kauf nahm“ (US 5).

Für die Erteilung von Meldeauskünften nach § 18 Abs 1 MeldeG sind nach § 18 Abs 6 MeldeG Verwaltungsabgaben zu entrichten, für solche „Auskünfte“ hingegen, die das Meldegesetz gar nicht vorsieht, kann naturgemäß kein Gebührenanspruch des Staates bestehen, weshalb die erstgerichtlichen Feststellungen dazu (US 4, 5) ins Leere gehen.

Jedes gezielte unbefugte Beschaffen von personenbezogenen Daten, die dem Geheimnisschutz unterliegen, ist vorrangig unter dem Aspekt des Grundrechts auf Datenschutz (§ 1 Abs 1 DSG) einer Prüfung zu unterziehen, weil die konkrete Schädigung eines Dritten bereits in der Verletzung des Grundrechts auf Datenschutz durch missbräuchliche Datenermittlung liegt (vgl RIS Justiz RS0114637).

Fallbezogen wäre somit durch Feststellungen zu klären gewesen, ob der Beschwerdeführer bei den bloß zu privaten Zwecken erfolgten Abfragen jeweils bezogen auf den Einzelfall mit dem Vorsatz handelte, die betroffenen Personen in ihrem Grundrecht auf Datenschutz nach § 1 Abs 1 DSG zu schädigen (wobei eine missbräuchliche Datenbeschaffung in der Regel auch den Vorsatz indiziert, das Geheimhaltungsinteresse der betroffenen Personen zu verletzen, vgl Marek/Jerabek , Korruption und Amtsmissbrauch 4 , § 302 Rz 24a).

Lediglich bei allgemein zugänglichen, demnach nicht dem Geheimnisschutz unterliegenden Daten oder wenn der an der Geheimhaltung Berechtigte der Verwendung seiner Daten zugestimmt hat (vgl § 8 Abs 1 Z 2 DSG), kommt ein allein durch eine Meldeabfrage begründeter Befugnismissbrauch nicht in Betracht. Gemäß § 16 Abs 1 MeldeG ist das Zentrale Melderegister insofern ein öffentliches Register, als der Hauptwohnsitz eines Menschen oder jener Wohnsitz, an dem dieser Mensch zuletzt mit Hauptwohnsitz gemeldet war, abgefragt werden kann, wenn der Anfragende den Menschen durch Vor und Nach oder Familiennamen sowie zumindest ein weiteres Merkmal bestimmen kann und der Anfragende seine eigene Stammzahl zur Verfügung stellt. In diesen Fällen würde ein deliktisches Verhalten nach § 302 Abs 1 StGB den Vorsatz erfordern, ein (anderes) konkretes Recht, etwa des Staates auf Einhebung von Verwaltungsgebühren für die Erteilung von Auskünften, zu schädigen (vgl Marek/Jerabek , Korruption und Amtsmissbrauch 4 , § 302 Rz 24b und Rz 49 Beispiel 4).

Da der aufgezeigte Mangel eine Aufhebung des Urteils bereits in nichtöffentlicher Sitzung erfordert (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), erübrigt sich ein Eingehen auf die Nichtigkeitsbeschwerde.

Der Angeklagte war mit seinen Rechtsmitteln auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Rechtssätze
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