JudikaturJustiz11Os10/90

11Os10/90 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Februar 1990

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Feber 1990 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Horak, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Lassmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Richard H*** wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach dem § 136 Abs. 1 und Abs. 2 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Eisenstadt vom 27. Juni 1989, GZ 11 Vr 160/89-23, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Eisenstadt vom 27.Juni 1989, GZ 11 Vr 160/89-23, über den Widerruf bedingter Strafnachsichten verletzt insoweit die Bestimmung des § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO iVm § 56 StGB, als damit auch die im Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 20.Dezember 1985, GZ 3 a Vr 3.727/85-29, gewährte bedingte Nachsicht der mit diesem Urteil über Richard H*** verhängten Freiheitsstrafe widerrufen wurde.

Der Beschluß wird in diesem Umfang aufgehoben.

Der Antrag des öffentlichen Anklägers vom 27.Juni 1989, den Widerruf der bezeichneten bedingten Strafnachsicht gemeinsam mit der Aburteilung des Richard H*** im Verfahren AZ 11 Vr 160/89 des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Eisenstadt auszusprechen, wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 20. Dezember 1985, GZ 3 a Vr 3.727/85-29, wurde (ua) Richard H*** wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach dem § 136 Abs. 1 und Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat verurteilt. Diese Strafe wurde gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Das Urteil erwuchs mit Ablauf des 3.Februar 1986 in Rechtskraft. Am 22.November 1988 - also innerhalb der nach der Aktenlage am 3. Februar 1989 abgelaufenen dreijährigen Probezeit - beging Richard H*** eine Sachbeschädigung und wurde hiefür mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Hartberg vom 6.Februar 1989, GZ U 393/88-5, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde gemäß dem § 494 a Abs. 1 Z 2 StPO vom Widerruf der eingangs bezeichneten bedingten Strafnachsicht aus dem Verfahren AZ 3 a Vr 3.727/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz abgesehen.

Am 8.März 1989 - mithin außerhalb der im Verfahren AZ 3 a Vr 3.727/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz bestimmten dreijährigen Probezeit - verübte Richard H*** einen schweren Raub. Er wurde hiefür mit Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Eisenstadt vom 27.Juni 1989, GZ 11 Vr 160/89-23, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Gemeinsam mit diesem Urteil erging der in Rechtskraft erwachsene Beschluß, gemäß dem § 494 a Abs. 1 "Z 2" (richtig: Z 4) StPO die bedingten Nachsichten der in den Verfahren AZ 3 a Vr 3.727/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz und AZ U 393/88 des Bezirksgerichtes Hartberg über Richard H*** verhängten Freiheitsstrafen zu widerrufen.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Widerrufsbeschluß steht in Ansehung der im Verfahren AZ 3 a Vr 3.727/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz gewährten bedingten Strafnachsicht mit dem Gesetz nicht im Einklang, weil die Anlaßtat nach dem Probezeitende verübt wurde und im Entscheidungszeitpunkt (noch) keine Verlängerung der (abgelaufenen) Probezeit verfügt war, sodaß eine Grundvoraussetzung für den Widerruf - nämlich die im § 494 a Abs. 1 StPO geforderte Tatbegehung vor Ablauf der Probezeit - fehlte.

Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, daß nach der damals aktuellen Rechtslage (§ 494 a Abs. 7 StPO in der Fassung vor der Strafgesetznovelle 1989) im Sinn der §§ 53 Abs. 2 und 56 StGB eine Verlängerung der (abgelaufenen) Probezeit durch das Landesgericht für Strafsachen Graz (theoretisch) in Betracht kam, weil Richard H*** in dieser Probezeit die im Verfahren AZ U 393/88 des Bezirksgerichtes Hartberg abgeurteilte Straftat begangen hatte. Ohne eine derartige Verlängerungsverfügung, welche für den Zeitraum zwischen ursprünglichem Probezeitende und Verlängerungsanordnung rückwirkende Kraft entfaltet (Kunst im Wiener Kommentar Rz 13 zu § 53 StGB), darf ein in Betracht kommender Zeitraum nicht als Probezeit angesehen werden. Die aus § 56 StGB ersichtliche Rückwirkungsmöglichkeit, welche auch dem Wesen des Widerrufs der bedingten Strafnachsicht oder der Verlängerung einer Probezeit als rückbezogene Abänderung oder Ergänzung des ursprünglichen Urteils entspricht, bietet keine Rechtsgrundlage für eine Vorwegnahme der noch nicht gefaßten (allfälligen) Verlängerungsentscheidung anläßlich eines Widerrufsbeschlusses wegen einer außerhalb der ursprünglichen Probezeit begangene Tat.

Aus dieser Sicht vermochte daher der vom Landesgericht für Strafsachen Graz am 12.Juli 1989 gefaßte Beschluß zur GZ 3 a Vr 3.727/85-38 über die Verlängerung der ursprünglichen dreijährigen Probezeit auf fünf Jahre den anläßlich der Widerrufsentscheidung des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Eisenstadt vom 27.Juni 1989, GZ 11 Vr 160/89-23, unterlaufenen Gesetzesverstoß nicht zu sanieren. Die Gesetzesverletzung hat sich zum Nachteil des Richard H*** ausgewirkt, weil der Widerruf zu einem Zeitpunkt ausgesprochen wurde, in dem bei richtiger rechtlicher Beurteilung die Entscheidungsvoraussetzung der Anlaßtatbegehung vor Ablauf der Probezeit nicht hergestellt war und demgemäß das Widerrufsbegehren des öffentlichen Anklägers hätte abgelehnt werden müssen. Der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher stattzugeben und gemäß dem § 292 StPO wie im Spruch zu erkennen. Eine neuerliche Entscheidung über den Widerruf der zum AZ 3 a Vr 3.727/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz gewährten bedingten Strafnachsicht nach der mit dem Beschluß des genannten Gerichtshofes vom 12.Juli 1989 verfügten Verlängerung der Probezeit kommt entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht mehr in Betracht, weil eine Rückwirkung der Probezeitverlängerung in dem Sinn, daß eine Delinquenz nach Ablauf der usprünglich festgesetzten Probezeit und vor Beschlußfassung über die Probezeitverlängerung nachträglich - zum Nachteil des Angeklagten - als eine während einer Probezeit begangene strafbare Handlung anzusehen wäre, dem Gesetz nicht zu entnehmen ist.