JudikaturJustiz10Os176/86

10Os176/86 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 1986

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Dezember 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Sulzbacher als Schriftführer in der Strafsache gegen Gertraud W*** wegen des Vergehens der Vollstreckungsvereitelung nach § 162 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Stainz vom 29.August 1986, GZ U 184/86-24, und den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Beschwerdegericht vom 24.September 1986, AZ 1 c Bl 95/86, (GZ U 184/86-27 des Bezirksgerichtes Stainz), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Gehart, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Stainz vom 29.August 1986, GZ U 184/86-24, und des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 24. September 1986, AZ 1 c Bl 95/86, verletzen das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 393 a Abs. 1 und 458 Abs. 6 StPO. Diese Beschlüsse werden aufgehoben; dem Bezirksgericht Stainz wird aufgetragen, über den Antrag der Gertraud W*** auf Leistung eines Beitrages zu den Kosten der Verteidigung (neuerlich) das gesetzliche Verfahren einzuleiten.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil eines Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 24.Jänner 1986, GZ 9 E Vr 4098/85-8, wurde Gertraud W*** wegen des Vergehens der Vollstreckungsvereitelung nach § 162 Abs. 1 und 2 StGB teils schuldig erkannt (und zu einer Geldstrafe verurteilt), teils von dieser Anklage freigesprochen. Ihrer durch einen (danach) bevollmächtigten Verteidiger gegen das Strafurteil ergriffenen Berufung gab das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht mit Beschluß vom 13.März 1986, AZ 10 Bs 76/86 (ON 14), Folge, hob das Ersturteil - ersichtlich mit Ausnahme des rechtskräftigen Teilfreispruchs (S 70), sohin im Schuldspruch - "zur Gänze" auf und verwies die Sache (im Umfang der Aufhebung) zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht. Im neuen Rechtsgang holte das Landesgericht für Strafsachen Graz zunächst ein Gutachten über den Wert jener (gepfändeten) Gegenstände ein, deren Beiseiteschaffen der Angeklagten (noch) zur Last lag, und trat sodann - da sich ein 5.000 S nicht übersteigender Wert ergab - die Strafsache auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 4. Juli 1986 dem Bezirksgericht Stainz zur Fortsetzung des Verfahrens wegen des Vergehens der Vollstreckungsvereitelung nach § 162 Abs. 1 StGB ab (S 3 e und 3 e verso).

Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Stainz vom 23.Juli 1986, GZ U 184/86-19, wurde Gertraud W*** von (dem noch aufrechten Teil) der Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO rechtskräftig freigesprochen. Daraufhin stellte sie beim Bezirksgericht Stainz den (am 28. Juli 1986 dort eingelangten) Antrag, ihr einen Beitrag zu den Kosten der Verteidigung im Rechtsmittelverfahren zu leisten (ON 21). Der Bezirksrichter übersandte den Akt mit diesem Antrag vorerst an den Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, bei dem er am 31.Juli 1986 - also fristgerecht (§ 393 a Abs. 4 StPO) - einlangte, zur Entscheidung (ON 22), die letzterer indessen - wie er annahm - mangels einer gesetzlichen Kompetenzregelung ablehnte (ON 23), wobei er in der Übersendungsnote überdies in Verkennung der Bestimmung des § 393 a Abs. 5 StPO unzutreffend zum Ausdruck brachte, der Freigesprochenen stehe im Verfahren über den geltend gemachten Anspruch keine Beschwerdemöglichkeit zu, wenn das Landesgericht (in erster Instanz) darüber entscheide. Daraufhin wurde der Antrag vom Bezirksgericht Stainz durch Beschluß vom 29.August 1986, GZ U 184/86-24, mit der Begründung "zurückgewiesen", daß § 393 a StPO gemäß § 458 Abs. 6 StPO im Verfahren vor den Bezirksgerichten nicht anzuwenden sei; dazu komme noch, daß das festgestellte Verhalten der freigesprochenen Beschuldigten "zumindest ... sehr leichtfertig" gewesen sei, worin Vorsatz (in bezug auf die Herbeiführung des das Verfahren begründenden Verdachts) erblickt werden könne, sodaß sich "ernstlich die Frage" erhebe, "ob ihr ein Beitrag zu den Kosten der Verteidigung grundsätzlich überhaupt" zustehe.

Der von Gertraud W*** erhobenen Beschwerde gab das Landesgericht für Strafsachen Graz mit Beschluß vom 24. September 1986, AZ 1 c Bl 95/86 (ON 27 d.A), keine Folge. Das Beschwerdegericht vertrat die Auffassung, daß im vorliegenden Fall ein Beitrag zu den Kosten der Verteidigung "expressis verbis nicht vorgesehen" sei, weil hier als grundsätzliche Voraussetzung für den Anspruch ein Freispruch durch ein Bezirksgericht diene, nach §§ 393 a Abs. 1 und 458 Abs. 6 StPO aber im bezirksgerichtlichen Verfahren ein derartiger Kostenbeitrag nicht in Betracht komme. Auf die (weiteren) Beschwerdeeinwände gegen die Annahme eines Ausschlußgrundes nach § 393 a Abs. 3 StPO ging es nicht ein. Der Beschluß des Bezirksgerichtes Stainz vom 29.August 1986 und der Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Beschwerdegericht vom 24.September 1986 stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 393 a Abs. 1 StPO besteht der Anspruch auf einen Beitrag des Bundes zu den Kosten der Verteidigung, wenn ein (nicht lediglich auf Grund einer Privat- oder Subsidiaranklage) im Verfahren vor einem Geschwornen- oder Schöffengericht oder vor einem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz Angeklagter freigesprochen wird. Dem Freispruch ist die Einstellung des Verfahrens nach Durchführung einer Hauptverhandlung infolge Rückziehung der Anklage nach § 227 StPO oder nach bewilligter Wiederaufnahme ausdrücklich gleichgestellt, weil es nach der Intention des Gesetzgebers offenbar unbillig wäre, den Beschuldigten in bezug auf den Ersatz der Kosten in diesen Fällen ungünstiger zu stellen als im Fall eines Freispruchs (1084 BlgNr XV. GP, S 27).

Nichts anderes kann aber nach dem Sinne des Gesetzes dann gelten, wenn ein Angeklagter, gegen den eine Hauptverhandlung vor dem Geschwornen- oder Schöffengericht oder vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz stattgefunden hat, in der Folge nicht von einem dieser Gerichte oder dem im Instanzenzug dazu bestimmten Rechtsmittelgericht, sondern von einem Bezirksgericht freigesprochen wird, an welches die Sache von dem im Gerichtshofverfahren tätig gewordenen Rechtsmittelgericht verwiesen (§§ 288 Abs. 2 Z 3, 351, 489 Abs. 1, 475 Abs. 1 StPO), oder - wie hier geschehen - von dem in erster Instanz zunächst damit befaßten Gerichtshof abgetreten worden ist. § 393 a Abs. 1 StPO knüpft daher den Ersatzanspruch eines von einem Geschwornen- oder Schöffengericht oder vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz Angeklagten an dessen Freispruch schlechthin, ohne zu unterscheiden, welches Gericht den Freispruch gefällt hat.

Ebenso ist auch der Bestand eines eingeschränkten Ersatzanspruchs eines vor einem Geschwornen- oder Schöffengericht Angeklagten, die lediglich einer in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte fallenden strafbaren Handlung für schuldig erkannt wurde, nach der Textierung des § 393 a Abs. 2 StPO nicht davon abhängig, ob der betreffende Schuldspruch von einem dieser Gerichte oder von einem im Sinn des zuvor Gesagten später damit befaßten Bezirksgericht gefällt wurde.

Aus § 458 Abs. 6 StPO hinwieder ist für alle derartigen Fälle nur abzuleiten, daß für Verteidigungskosten, die vor dem (zuletzt befaßten) Bezirksgericht entstanden sind, kein Ersatzanspruch zusteht; ein solcher wurde aber vorliegend ohnehin nicht beantragt. Zur Entscheidung über den Antrag auf Kostenersatz ist mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung jenes Gericht zuständig, bei dem - entgegen der von der Generalprokuratur vertretenen Auffassung nicht "die Strafsache" schlechthin, sondern - das anspruchsbegründende Strafverfahren zuletzt in erster Instanz anhängig war; im hier aktuellen Fall war das der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Graz.

Daher entsprach es nicht dem Gesetz, daß über den Antrag der (zur Gänze) freigesprochenen Angeklagten Gertraud W***, ihr einen Beitrag zu den Kosten ihrer Verteidigung im Rechtsmittelverfahren gegen das vom Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz gefällte Urteil zuzuerkennen, das Bezirksgericht Stainz entschied und ihr einen derartigen Kostenbeitrag mit Bezug auf § 458 Abs. 6 StPO verweigerte; die meritorische Eventualüberlegung aber war deshalb verfehlt, weil ein das Verfahren begründender Verdacht nur dann als vorsätzlich herbeigeführt hätte angesehen werden können (erster Ausschlußgrund nach § 393 a Abs. 3 StPO), wenn die Angeklagte es zumindest ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden hätte, daß sie durch ihr Verhalten in den Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung geraten werde; bloße Leichtfertigkeit hingegen reicht zur Annahme eines bezüglichen Vorsatzes nicht aus.

Das Beschwerdegericht schließlich wäre zum einen verpflichtet gewesen, die sachliche Unzuständigkeit des Bezirksgerichts wahrzunehmen, und hat zum anderen die grundsätzliche Berechtigung des geltend gemachten Ersatzanspruches nach § 393 a Abs. 1 StPO gleichfalls verkannt.

Dementsprechend waren die von der Generalprokuratur (ohne Beanstandung der aufgezeigten Kompetenzverletzungen) zutreffend gerügten meritorischen Gesetzwidrigkeiten in Stattgebung der von ihr erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wie im Spruch festzustellen. Darüber hinaus waren im Sinn des § 292 letzter Satz StPO die der Anspruchswerberin zum Nachteil gereichenden Beschlüsse erster und zweiter Instanz aufzuheben; das Bezirksgericht Stainz wird den Akt neuerlich an den Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Graz zur Entscheidung über den Antrag der Gertraud W*** auf Leistung eines Kostenbeitrags gemäß § 393 a StPO vorzulegen haben, den dieser einer meritorischen Entscheidung zu unterziehen haben wird.

Rechtssätze
2
  • RS0101422OGH Rechtssatz

    15. Dezember 1986·1 Entscheidung

    § 393 a Abs 1 StPO knüpft den Ersatzanspruch eines von einem Geschwornengericht oder Schöffengericht oder vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz Angeklagten an dessen Freispruch schlechthin, ohne zu unterscheiden, welches Gericht den Freispruch gefällt hat. Der Anspruch auf einen Beitrag zu den Kosten der Verteidigung besteht daher auch dann, wenn ein Angeklagter, gegen den eine Hauptverhandlung vor dem Geschwornengericht oder Schöffengericht oder vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz stattgefunden hat, in der Folge nicht von einem dieser Gerichte oder dem im Instanzenzug dazu bestimmten Rechtsmittelgericht, sondern von einem Bezirksgericht freigesprochen wird, an welches die Sache von dem im Gerichtshofverfahren tätig gewordenen Rechtsmittelgericht verwiesen (§§ 288 Abs 2 Z 3, 489 Abs 1, 475 Abs 1 StPO), oder von dem in erster Instanz zunächst damit befaßten Gerichtshof abgetreten worden ist. Ebenso ist auch der Bestand eines eingeschränkten Ersatzanspruchs gemäß § 393 a Abs 2 StPO nicht davon abhängig, ob der betreffende Schuldspruch von dem Geschwornengericht oder Schöffengericht oder von einem später damit befaßten Bezirksgericht gefällt wurde. Aus § 458 Abs 6 StPO ist für alle derartigen Fälle nur abzuleiten, daß für Verteidigungskosten, die vor dem (zuletzt befaßten) Bezirksgericht entstanden sind, kein Ersatzanspruch zusteht. Zur Entscheidung über den Antrag auf Kostenersatz ist jenes Gericht zuständig, bei dem das anspruchsbegründende Strafverfahren zuletzt in erster Instanz anhängig war.