JudikaturJustiz10ObS95/22a

10ObS95/22a – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juli 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dora Camba (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei L*, vertreten durch die anwaltschriefl KG in Mödling, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Mai 2022, GZ 9 Rs 36/22p 28, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Mit Bescheid vom 27. August 2020 sprach die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen aus, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld für das am 19. Jänner 2019 geborene Kind T* um 1.300 EUR reduziere und dieser Betrag binnen vier Wochen nach Zustellung des Bescheids zurückzuzahlen sei.

[2] Das Erstgericht gab der Klage im zweiten Rechtsgang statt und stellte fest, dass „die Reduzierung des Kindesbetreuungsgeldes um 1.300 EUR nicht rechtens“ sei.

[3] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte die Entscheidung dahin ab, dass es das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass die Klägerin nicht zum Rückersatz von 1.300 EUR an Kinderbetreuungsgeld verpflichtet sei, abwies. In rechtlicher Hinsicht ging es davon aus, dass die Klägerin die Kindesuntersuchungen nicht rechtzeitig iSd § 7 Abs 2 Z 2 und § 7 Abs 3 Z 2 KBGG nachgewiesen habe und ein Hinderungsgrund iSd § 7 Abs 3 Z 1 KBGG nicht vorliege. Eine Verpflichtung zur Rückzahlung des Betrags von 1.300 EUR sei der Klägerin jedoch nicht aufzuerlegen, weil § 89 Abs 4 Satz 1 ASGG idF BGBl 1994/624 durch den Verfassungsgerichtshof mit Wirkung ab 1. Jänner 2022 aufgehoben worden sei und die Neuregelung des § 89 Abs 4 Satz 1 ASGG idF der ZVN 2022 auf das gegenständliche Verfahren gemäß § 98 Abs 31 ASGG nicht anwendbar sei. Für den Ausspruch eines Rückzahlungsauftrags bestehe daher keine Rechtsgrundlage.

Rechtliche Beurteilung

[4] In der außerordentlichen Revision macht die Klägerin keine Rechtsfrage von iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblicher Bedeutung geltend.

[5] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs begründet die Geltendmachung einer Nichtigkeit nur dann eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung, wenn der Nichtigkeitsgrund auch tatsächlich gegeben ist (RIS Justiz RS0043067 [T1, T2]). Das ist hier nicht der Fall.

[6] 1.2. Die Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO umfasst drei Fälle: a) die mangelhafte, eine Überprüfung nicht mit Sicherheit zulassende Fassung der Entscheidung, b) die Widersprüchlichkeit der Entscheidung mit sich selbst und c) das Fehlen jeglicher bzw einer für die Überprüfung zureichender Begründung für die Entscheidung (RS0042133 [T12]).

[7] 1.3. Keiner dieser Tatbestände trifft auf die Entscheidung des Berufungsgerichts zu, dessen Entscheidungswille deutlich erkennbar ist. Das Berufungsgericht hat zwischen dem von der Klägerin erhobenen (negativen) Feststellungsbegehren über den Anspruch der Beklagten auf Rückersatz (vgl RS0084315; RS0109892) und einem (vollstreckbaren) Rückzahlungsauftrag unterschieden. Dass es – jeweils mit ausführlicher Begründung – das Klagebegehren abwies, weil es (materiell) vom Bestehen eines Rückersatzanspruchs der Beklagten ausging, hingegen eine (prozessuale) Rechtsgrundlage für den Ausspruch eines Rückzahlungsauftrags verneinte, macht die Entscheidung weder unüberprüfbar noch in sich widersprüchlich.

[8] 2. Soweit die Klägerin im Rahmen der Rechtsrüge eine unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht behauptet, weil es eine Rechtsgrundlage für den Rückzahlungsauftrag verneinte und das Klagebegehren „dennoch“ abwies, ist der Rechtsmittelgrund nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil nicht dargelegt wird, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht unrichtig erscheint (RS0043603). Die bloße Wiedergabe der Beurteilung des Berufungsgerichts ohne konkretes Eingehen darauf genügt diesen Anforderungen nicht. Entgegen der offenbaren Vorstellung der Klägerin führt der Umstand, dass das Berufungsgericht das Bestehen einer (prozessualen) Rechtsgrundlage für den Ausspruch eines Rückzahlungsauftrags verneinte, nicht automatisch zur Verneinung des (materiellen) Rückzahlungsanspruchs. Soweit die Klägerin im Revisionsbegehren die Abänderung der Berufungsentscheidung dahin begehrt, dass ihr eine Verpflichtung zur Rückzahlung von 1.300 EUR nicht aufzuerlegen sei, missversteht sie offensichtlich die Entscheidung des Berufungsgerichts, weil ihr eine solche Verpflichtung gerade nicht auferlegt wurde.

[9] 3. Im Übrigen wendet sich die Klägerin nicht gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sie die Mutter Kind Pass Untersuchungen nicht rechtzeitig iSd § 7 Abs 2 Z 2 und § 7 Abs 3 Z 2 KBGG nachgewiesen habe und ein Hinderungsgrund iSd § 7 Abs 3 Z 1 KBGG nicht vorliege, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist. Gleiches gilt für die Frage, ob für den vom Berufungsgericht unterlassenen Ausspruch eines Rückzahlungsauftrags eine Rechtsgrundlage bestand oder nicht, weil die Überprüfung ein entsprechendes Rechtsmittel – des Sozialversicherungsträgers (10 ObS 156/12g SSV NF 27/2) – voraussetzen würde (RS0128675).

[10] 4. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision folglich zurückzuweisen.