JudikaturJustiz10ObS55/15h

10ObS55/15h – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Juni 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, den Hofrat Univ. Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Sacha Katzensteiner Blauensteiner Rechtsanwälte GmbH in Krems, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 26. März 2015, GZ 10 Rs 158/14z 32, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 ObS 165/12f, DRdA 2014/3, 36 (abl W. Panhölzl ] = SSV NF 26/88 die Frage, ob bei der Beurteilung des Berufsschutzes nach § 273 Abs 1 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, neben Beitragsmonaten einer unselbständigen Erwerbstätigkeit (als gelernter oder angelernter Arbeiter oder als Angestellter) zusätzlich obwohl sie im Gesetzestext nicht genannt sind auch Zeiten der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit nach dem GSVG zu berücksichtigen sind, mit der Begründung verneint, dass eine durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke nicht vorliegt. Gegen eine planwidrige Unvollständigkeit des § 273 Abs 1 ASVG sprechen bereits die Gesetzesmaterialien zum BudgetbegleitG 2011. Nach diesen bestand Übereinstimmung darin, dass künftig nur eine längere tatsächliche Ausübung des erlernten (angelernten) Berufs geschützt werden und daher zur Erlangung des Berufsschutzes erforderlich sein soll. Sollten die Voraussetzungen für die Erlangung des Berufsschutzes im Vergleich zur bisher geltenden Gesetzeslage, die keine Berücksichtigung von Beitragsmonaten nach dem GSVG zuließ, also erschwert werden, liefe deren nunmehrige Berücksichtigung der Intention des Gesetzesgebers zuwider. Wurden die neuen (erschwerten) Voraussetzungen zugleich für den Bereich des GSVG eingeführt, kann dem Gesetzgeber auch nicht unterstellt werden, dass er bei Normierung der neuen Voraussetzungen für die Erlangung des Berufsschutzes das etwaige Vorliegen von Beitragsmonaten nach dem GSVG nicht bedacht hätte. Eine Ergänzung des § 273 Abs 1 ASVG um Beitragsmonate nach dem GSVG widerspräche demnach der vom Gesetz gewollten Beschränkung (RIS Justiz RS0128674).

2. Diese Grundsätze müssen wie der erkennende Senat in den Entscheidungen 10 ObS 92/13x (SSV NF 27/55), 10 ObS 116/13a und 10 ObS 70/14p ausgeführt hat in gleicher Weise für die gleichlautende Bestimmung des § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG gelten. Es sind daher auch für die Erlangung des Berufsschutzes nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG nur qualifizierte Tätigkeiten als gelernter oder angelernter Arbeiter sowie Angestelltentätigkeiten zu berücksichtigen. Zeiten einer selbständigen Tätigkeit nach dem GSVG haben hingegen für die Frage des Berufsschutzes nach dieser Gesetzesstelle weiterhin außer Betracht zu bleiben (RIS Justiz RS0129026). Für eine Analogie bestehe kein Raum.

3. Der Argumentation der Revisionswerberin, nach dem Entfall der ausdrücklichen Wortfolge „nach diesem Bundesgesetz“ in § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 könne aus dem Gesetzeswortlaut nicht mehr abgeleitet werden, dass für den Berufsschutz nach dieser Gesetzesstelle nur mehr nach dem ASVG erworbene Beitragsmonate beachtlich seien, ist zu entgegnen, dass auch der nunmehrige Wortlaut des § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG ausdrücklich auf „eine Erwerbstätigkeit nach Abs 1 oder als Angestellte/r“, somit weiterhin ausschließlich auf unselbständige Tätigkeiten, abstellt. Es ist daher nach Ansicht des erkennenden Senats die Rechtsprechung zur alten Rechtslage, nach der Zeiten einer selbständigen Tätigkeit für die Frage eines Berufsschutzes nach § 255 Abs 2 ASVG nicht berücksichtigt werden, weiterhin maßgebend (vgl auch Födermayr in SV Komm § 255 ASVG Rz 119).

3.1 Soweit die Revisionswerberin auf die vom Gesetzgeber ebenfalls durch das BudgetbegeleitG 2011 für den Berufsschutz der selbständig Erwerbstätigen eingeführten neuen Voraussetzungen verweist, wonach in § 133 Abs 2 Z 3 GSVG für die für den Berufsschutz selbständig Erwerbstätiger ebenfalls erforderlichen 90 qualifizierten Pflicht-versicherungsmonate innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag neben einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach Z 3 ausdrücklich auch Tätigkeiten als Angestellte/r oder nach § 255 Abs 1 ASVG angerechnet werden, kann dem Gesetzgeber nach Ansicht des erkennenden Senats wie bereits dargelegt wurde nicht unterstellt werden, dass er bei der gleichzeitigen Normierung der neuen Voraussetzungen für die Erlangung des Berufsschutzes nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG das etwaige Vorliegen von Beitragsmonaten nach dem GSVG nicht bedacht hätte. Eine Ergänzung des § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG um Beitragsmonate nach dem GSVG widerspräche demnach der vom Gesetzgeber gewollten Beschränkung. Die Ansicht der Revisionswerberin, eine entsprechende Ergänzung wäre sachlich gerechtfertigt, rechtfertigt noch nicht die Annahme einer Gesetzeslücke.

3.2 Im Übrigen tritt der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit in den einzelnen Systemen der österreichischen Pensionsversicherung jeweils unter verschiedenen Bezeichnungen auf, wobei auch der Begriffsinhalt jeweils ein anderer ist. Diese unterschiedlichen Regelungen sind zum Großteil historisch gewachsen und für das österreichische Pensionsrecht in den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit charakteristisch (vgl 10 ObS 61/91, SSV NF 5/26 ua). Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs sind die einzelnen Sozialversicherungssysteme (ASVG, GSVG, BSVG) wegen ihrer unterschiedlichen Gestaltungen des Beitrags und Leistungsrechts nicht miteinander vergleichbar. Zufolge der bestehenden prinzipiellen Unterschiedlichkeit der einzelnen Sozialversicherungssysteme kann der Gleichheitsgrundsatz für eine einheitliche Regelung nicht ins Treffen geführt werden (vgl zuletzt 10 ObS 70/14p mwN ua).

4. Die von der Revisionswerberin zitierte Entscheidung 10 ObS 4/05v, SSV NF 19/22, betrifft den Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG. Es wurde ausgeführt, dass bei der Anwendung des § 255 Abs 4 ASVG auch Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach dem GSVG bei der Prüfung der Frage zu berücksichtigen sind, ob eine Tätigkeit 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt wurde (RIS Justiz RS0119740), allerdings nur unter der Voraussetzung, dass im maßgebenden Beobachtungszeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag auch Zeiten einer unselbständigen Beschäftigung nach dem ASVG vorliegen (RIS Justiz RS0119740 [T1]). Dies wurde damit begründet, dass der Gesetzeswortlaut und auch die Gesetzesmaterialien für das Vorliegen von Invalidität nach § 255 Abs 4 ASVG ganz allgemein darauf abstellen, ob der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, einer bestimmten durch längere Zeit hindurch ausgeübten Tätigkeit nachzugehen. Eine den beiden Vorgängerbestimmungen (§ 255 Abs 4 ASVG idF BGBl 1983/590; § 253d ASVG idF BGBl 1993/335) vergleichbare Einschränkung dahingehend, dass bei Beurteilung des „Tätigkeitsschutzes“ ausschließlich Zeiten der Pflichtversicherung nach dem ASVG zu berücksichtigen seien, finde sich weder im Gesetzestext noch in den Materialien zum SVÄG 2000 (BGBl I 2000/43).

4.1 Der Argumentation der Revisionswerberin, es sei kein Grund für eine „Ungleichbehandlung“ der Bestimmungen des § 255 Abs 2 und des § 255 Abs 4 ASVG ersichtlich, ist zu entgegnen, dass wie oben bereits ausgeführt eine Ergänzung des § 255 Abs 2 ASVG um Beitragsmonate nach dem GSVG der vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspräche und daher nicht in Betracht kommt. Bei § 255 Abs 4 ASVG findet sich demgegenüber keine derartige vom Gesetz gewollte Beschränkung.

Die Revisionsausführungen bieten daher insgesamt keinen Anlass für ein Abgehen von der zu Pkt 2 dargelegten ständigen Rechtsprechung.