JudikaturJustiz10ObS141/23t

10ObS141/23t – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Birgit Riegler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter Mag. Andreas Lang, LL.B., Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1050 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Pflegegeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 29. November 2023, GZ 12 Rs 124/23a-21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die 1925 geborene Klägerin bezieht seit dem Jahr 2017 Pflegegeld der Stufe 1. Am 28. April 2023 beantragte sie die Zuerkennung eines höheren Pflegegeldes.

[2] Mit Bescheid vom 16. Mai 2023 wies die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen den Antrag ab, weil der Pflegebedarf der Klägerin durchschnittlich nur 80 Stunden monatlich betrage.

[3] Die Vorinstanzen wiesen die auf Zuerkennung eines höheren Pflegegeldes als jenes der Stufe 1 gerichtete Klage ab, wobei sie von einem Pflegebedarf der Klägerin von 85 Stunden monatlich ausgingen.

Rechtliche Beurteilung

[4] In ihrer außerordentlichen Revision , in der sie ausschließlich die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Erschwerniszuschlags (§ 4 Abs 5 und 6 BPGG) releviert, zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[5] 1. Nach der ständigen Rechtsprechung ist für die Gewährung des Erschwerniszuschlags nicht die Graduierung der Schwere der Behinderung im Sinn einer diagnosebezogenen Betrachtung, sondern der Mehraufwand infolge der aus der Behinderung erfließenden pflegeerschwerenden Faktoren (§ 4 Abs 6 BPGG) maßgeblich (10 ObS 37/19t; 10 ObS 187/10p; 10 ObS 99/10x). Die den Erschwerniszuschlag rechtfertigende Pflegeerschwernis liegt daher darin, dass die Gesamtsituation eine andere Art bzw Qualität der Pflege, wie etwa in Form vermehrter Zuwendung, besonderer Geduld oder eines erhöhten Maßes an Aufmerksamkeit und Einfühlungsvermögen, erfordert (10 ObS 37/19t; Greifeneder/Liebhart , Pflegegeld 5 Rz 5.333).

[6] 2. § 4 Abs 5 BPGG nennt als typisches Beispiel einer schweren geistigen oder psychischen Behinderung eine „demenzielle Erkrankung“. Auch wenn dabei nicht zwischen leichten und schweren Formen der Erkrankung unterschieden wird, rechtfertigt eine demenzielle Erkrankung für sich allein keinen Erschwerniszuschlag. Wie dargelegt, müssen dafür mit der Erkrankung pflegeerschwerende Defizite einhergehen, die sich in Summe als schwere Verhaltensstörung äußern und eine besonders aufwändige Pflege erfordern (§ 4 Abs 5 und 6 BPGG; vgl RS0126109). Insofern kommt es somit zwar nicht auf den Grad der demenziellen Erkrankung, sehr wohl aber auf Ausmaß und Intensität der mit ihr verbundenen Defizite iSd § 4 Abs 6 BPGG an (vgl Greifeneder/Liebhart , Pflegegeld 5 Rz 5.338).

[7] 3. Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen nicht abgewichen. Dass die Klägerin an einem beginnenden demenziellen Abbau und einer Depression leidet, begründet auch im Zusammenhalt mit ihrem Alter noch keinen Anspruch auf einen Erschwerniszuschlag. Vielmehr bedürfte es daraus resultierender Defizite, die auch konkrete Auswirkungen auf die Pflege zeitigen. Dafür bieten weder der Sachverhalt Anhaltspunkte, noch spricht die Revision mit dem Hinweis auf psychopathologische Befundergebnisse solche an:

[8] Zwar wurde festgestellt, dass bei entsprechenden Tests die Bereiche Orientierungsstörungen, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen, Antriebs- und psychomotorische Störungen sowie sozialer Rückzug als jeweils „leicht“ und Störungen der Affektivität als „mittelgradig“ bewertet wurden. Nach den weiteren Feststellungen ist eine geordnete Kommunikation mit der Klägerin aber (trotzdem) möglich; ob sie zu bestimmten Tätigkeiten motiviert werden muss, war nicht feststellbar. Die Klägerin war bislang auch stets zeitlich und örtlich orientiert, bewusstseinsklar und ohne formale Denkstörungen, Wahn, Sinnestäuschungen oder Ich Störungen. Sie bedarf zwar Hilfe bei einzelnen (vom Erstgericht näher festgestellten) Teilverrichtungen, ist grundsätzlich aber in der Lage, alleine zu leben und ihre Wohnung mit Unterstützung einigermaßen in Ordnung zu halten. Defizite, die in Summe als schwere Verhaltensstörung zu bewerten wären und eine besondere Intensität der Pflege erfordern, lassen sich daraus nicht ableiten.

[9] Wenn die Vorinstanzen daher zum Ergebnis gelangen, die Voraussetzungen des Erschwerniszuschlags iSd § 4 Abs 5 und 6 BPGG seien im Anlassfall nicht erfüllt, ist darin keine Fehlbeurteilung zu erkennen.