JudikaturJustiz10Ob24/23m

10Ob24/23m – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. August 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Kindes V*, geboren * 2010, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 13, 14, 15, 1150 Wien, Gasgasse 8–10/Stiege 1/3. Stock), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 10. Februar 2023, GZ 43 R 491/22g-24, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom 5. Oktober 2022, GZ 32 Pu 43/21g 9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

[1] Das Kind sowie sein Vater und seine Mutter sind ukrainische Staatsangehörige. Im Verfahren ist nicht strittig, dass das Kind und die Mutter seit 2015 in Österreich leben und beide über eine „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ (§ 41a NAG) verfügen. Nach dem (vom Kinder- und Jugendhilfeträger gemäß § 11 Abs 2 UVG bestätigten) Antragsvorbringen war der Vater im Jahr 2020, sowie neuerlich seit 27. 5. 2022 an einer Adresse in Wien gemeldet.

[2] Der Vater verpflichtete sich mit vor dem Bezirksgericht * geschlossenen Unterhaltsvergleich vom 29. 6. 2020, GZ 55 Fam 19/20s-7, zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von 1.600 EUR an das Kind.

[3] Das Kind beantragte am 31. 8. 2022 die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG. Im Antrag wird vorgebracht, eine Rückkehr der Familie in die Ukraine sei aufgrund des seit 24. 2. 2022 dort herrschenden Krieges ausgeschlossen und die Flüchtlingseigenschaft des Kindes gegeben. Dies werde durch die VertriebenenV (Verordnung der Bundesregierung über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht für aus der Ukraine Vertriebene, BGBl II 2022/92, geändert mit BGBl II 2023/27) bekräftigt.

[4] Der Vater stellte am 5. 10. 2022 einen Antrag auf Herabsetzung seiner monatlichen Unterhaltsverpflichtung auf 570 EUR.

[5] Das Erstgericht gewährte dem Kind Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 570 EUR monatlich gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für den Zeitraum von 1. 8. 2022 bis 31. 7. 2027 und sprach aus, dass über das darüber hinausgehende Begehren gesondert entschieden werde.

[6] Dagegen richtete sich der Rekurs des Bundes, mit dem dieser die Abänderung und Antragsabweisung beantragte. Er führte aus, das Kind sei ein Drittstaatsangehöriger mit Aufenthaltstitel in Österreich, der „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“. Daraus resultiere keine Anspruchsberechtigung nach § 2 Abs 1 UVG. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte für eine Flüchtlingseigenschaft.

[7] Das Kind brachte in seiner Rekursbeantwortung vor, der Vater habe infolge des Krieges wieder zurück nach Österreich fliehen müssen.

[8] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes Folge und änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass es den Antrag im Umfang der Entscheidung des Erstgerichts abwies. Den von der Vertreterin des Kindes eingebrachten Nachtrag zur Rekursbeantwortung wies es zurück. Es ließ den Revisionsrekurs zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob der Krieg in der Ukraine und die VertriebenenV zu einer Änderung der Rechtsstellung eines Kindes führten, das bereits vor dem Jahr 2022 mit einem gültigen Aufenthaltstitel, allerdings „ohne Flüchtlingsstatus“ in Österreich gelebt habe.

[9] Rechtlich führte es aus, sämtliche Beteiligte seien weder Konventionsflüchtlinge noch subsidiär schutzberechtigt. Die Mutter habe ihren Aufenthaltstitel im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung auf die „Rot Weiß Rot Karte plus“ gestützt, der Vater lebe nach seinen Angaben seit 2020 in Österreich. Die Ereignisse vom 24. 2. 2022 seien nicht geeignet, die Rechtsstellung des Kindes und seiner Eltern zu ändern, weil sie nicht zu ihrer Vertreibung aus der Ukraine geführt hätten. Das Kind gehöre daher nicht zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen nach § 2 Abs 1 UVG.

[10] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes, mit dem es die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung anstrebt.

[11] Im Revisionsrekurs wird vorgebracht, auch am 24. 2. 2022 in Österreich aufhältige ukrainische Staatsangehörige seien von der VertriebenenV erfasst. Die Flüchtlingseigenschaft von Mutter und Kind bestehe seit Jahren, weil sie aus Donezk stammten, wo bereits seit dem Jahr 2014 kriegsähnliche Zustände geherrscht hätten. Darüber hinaus bestehe die Flüchtlingseigenschaft von Personen auch dann, wenn sie vorerst, ohne bedroht zu sein, in einem anderen Land Aufenthalt nähmen und sich danach Fluchtgründe ergäben (Nachfluchtgründe). Ein solcher Fall liege hier vor, weil die Rückkehr in die Ukraine seit dem 24. 2. 2022 mit einer Gefahr für Leib und Leben verbunden sei und Minderjährige von russischen Behörden verschleppt würden. Selbst wenn die Flüchtlingseigenschaft zu verneinen sei, müssten die Mutter und das Kind subsidiären Schutz erhalten, womit ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse verbunden sei.

Rechtliche Beurteilung

[12] Der Revisionsrekurs ist zulässig , er ist aber nicht berechtigt .

[13] 1. Gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 UVG haben minderjährige Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind, Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse. Das Kind hat im vorliegenden Fall seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, ist aber weder österreichischer Staatsbürger noch staatenlos.

[14] 2. Die „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ ist ein Aufenthaltstitel, der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 AuslBG berechtigt (§ 8 Z 2 NAG). Die Voraussetzungen der Erteilung dieses Aufenthaltstitels sind in § 41a NAG normiert. Gemäß § 17 Z 1 AuslBG besteht für Ausländer, die über eine „Rot Weiß Rot Karte plus“ nach § 41a NAG verfügen, ein unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt.

[15] Im Verfahren besteht Einigkeit darüber, dass allein aus dem Umstand, dass das Kind über die „Rot Weiß Rot-Karte plus“ verfügt, keine Anspruchsberechtigung auf Unterhaltsvorschüsse gemäß § 2 Abs 1 UVG abgeleitet werden kann.

[16] 3. Nach dem Antragsvorbringen soll sich der Anspruch daraus ableiten, dass dem Kind seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine am 24. 2. 2022 Flüchtlingseigenschaft zukomme, was durch die VertriebenenV bekräftigt werde.

[17] 3.1. Nach ständiger Rechtsprechung sind Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention (BGBl 1955/55, GFK) und dem Flüchtlingsprotokoll (BGBl 1974/78) österreichischen Staatsbürgern im Sinn des § 2 Abs 1 UVG gleichgestellt und haben daher Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse (10 Ob 3/23y; 10 Ob 11/20w; 10 Ob 28/18t ua). Der Vorschussanspruch wurde auch für subsidiär Schutzberechtigte nach § 8 AsylG 2005 (bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen) bejaht (RIS Justiz RS0126325; RS0110397 [T2]).

[18] 3.2. Die Anspruchsberechtigung von Flüchtlingen nach der GFK und dem Flüchtlingsprotokoll ergibt sich allerdings nicht unmittelbar aus § 2 Abs 1 UVG (10 Ob 6/21m; 10 Ob 40/18g ua). Sie folgt vielmehr einerseits daraus, dass Flüchtlingen das für den familienrechtlichen Bereich maßgebliche Personalstatut zukommt (vgl insbesondere Art 12 Z 1 GFK) und ein enger Zusammenhang des Vorschussrechts mit dem Unterhaltsrecht besteht, was durch die ausdrückliche Einbeziehung der Staatenlosen in den Kreis der gemäß § 2 Abs 1 UVG Anspruchsberechtigten zum Ausdruck kommt (10 Ob 6/21m; 10 Ob 40/18g ua; Neumayr in Schwimann/Kodek , Praxiskommentar II 5 § 2 UVG Rz 14 f).

[19] 3.3. Für die persönliche Rechtsstellung von „Konventionsflüchtlingen“ im Sinn der GFK und des Flüchtlingsprotokolls ist gemäß § 53 Abs 1 IPRG und Art 12 Z 1 GFK das Sachrecht des Wohnsitzstaats bzw Staats des gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich (10 Ob 6/21m; 10 Ob 35/12p; 10 Ob 46/10b).

[20] 3.4. Nach Art 1 A Z 2 der GFK ist Flüchtling im Sinn dieser Konvention, wer sich „aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung fürchtet verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen“.

[21] Die Flüchtlingseigenschaft kann auch erst nach dem Verlassen des Herkunftsstaats entstehen ( Frei/Hinterberger/Hruschka in Hruschka , Genfer Flüchtlingskonvention [2022] Art 1 Rz 20 mwN). Daher können auch Gründe, die erst nach der Ausreise zu einer Verfolgungsfurcht geführt haben, für die Entstehung der Flüchtlingseigenschaft relevant sein (sogenannte Nachfluchtgründe, Frei/Hinterberger/Hruschka in Hruschka , Genfer Flüchtlingskonvention Art 1 Rz 115; vgl § 3 Abs 2 AsylG 2005).

[22] 3.5. Die Flüchtlingseigenschaft kommt gemäß § 9 Abs 3 IPRG auch (nicht zwingend staatenlosen) Personen zu, deren Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen sind. Das Gesetz meint damit gleichwertige Gründe wie die in der GFK und im Zusatzprotokoll, BGBl 1974/78, aufgezählten ( Verschraegen in Rummel , ABGB³ § 9 IPRG Rz 6).

[23] Das Vorliegen eines Abbruchs der Beziehungen zum Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen im Sinn des § 9 Abs 3 IPRG wurde in der Rechtsprechung für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 AsylG 2005 bejaht (RS0126325; 10 ObS 28/18t; 10 Ob 73/18k; vgl Neumayr in Schwimann/Kodek , Praxiskommentar II 5 § 2 UVG Rz 16; Hueber , iFamZ 2018, 275 [279]).

[24] Auch für die Beurteilung des Personalstatuts subsidiär Schutzberechtigter gilt nach § 9 Abs 3 IPRG als Personalstatut das Recht des Wohnsitz- bzw des Aufenthaltsstaats (10 Ob 6/21m ua). Auch sie haben daher bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen einen Vorschussanspruch (RS0126325).

[25] 3.6. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter nach § 8 Abs 1 AsylG 2005 an einen Fremden ist, dass dessen Asylantrag abgewiesen oder dessen Asylstatus aberkannt wurde, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in dessen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich brächte (10 Ob 28/18t ErwGr I.2.1; 10 Ob 46/10b). Es muss somit eine reale Gefahr einer Verletzung im Recht auf Leben, auf Schutz vor Folter, unmenschlicher Behandlung oder erniedrigender Strafe oder einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person im Rahmen eines bewaffneten Konflikts bestehen (10 Ob 28/18t ErwGr I.2.1).

[26] 3.7. Unionsrechtliche Grundlage des § 8 AsylG 2005 ist die Regelung des subsidiären Schutzes in der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 12. 2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Status-RL).

[27] Art 2 lit f Status-RL definiert als „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland oder, bei einem Staatenlosen, in das Land seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinn des Art 15 zu erleiden, und auf den Art 17 Abs 1 und 2 (Anmerkung: Ausschlussgründe) keine Anwendung findet und der den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will.

[28] Demgegenüber ist der subsidiäre Schutzstatus (nach Art 2 lit g Status RL) die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen durch einen Mitgliedstaat als Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ist in Art 18 Status-RL geregelt.

[29] Art 5 Status-RL stellt klar, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, (auch) auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem der Antragsteller das Herkunftsland verlassen hat.

[30] 3.8. Nach der ständigen Rechtsprechung hat das Gericht im Verfahren über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen die Flüchtlingseigenschaft selbständig als Vorfrage zu prüfen (RS0110397; RS0037183). Das folgt aus dem Umstand, dass die Flüchtlingseigenschaft – anders als die Entscheidung über die Zu- oder Aberkennung des Status als Asylberechtigter (vgl 10 Ob 40/18g ErwGr 4.3.) – nicht vom Vorliegen der (bloß deklarativen) Feststellung durch eine Behörde abhängig ist, sondern sich unmittelbar aus Art 1 A Z 2 der GFK ergibt (10 Ob 3/23y; 10 Ob 55/20s; 10 Ob 30/20i ua). Asylbescheide und die damit verbundene Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Verwaltungsverfahren (§ 3 Abs 5 AsylG 2005) entfalten in Verfahren nach dem UVG somit keine Bindungswirkung, sondern haben für die Vorfragenbeurteilung nur Indizwirkung (10 Ob 3/23y; 10 Ob 6/21m; 10 Ob 52/20z ua).

[31] Erforderlich ist eine individuelle Prüfung, ob die antragstellenden Kinder aus konkreten, sie betreffenden Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung befürchten müssen, bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt zu werden und ob sie wegen dieser Furcht nicht in der Lage oder nicht gewillt sind, sich des Schutzes dieses Staats zu bedienen (10 Ob 30/20i Rz 29).

[32] Bei Personen, denen nach § 8 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden war, billigte der Oberste Gerichtshof eine selbständige Prüfung der materiellen Schutzberechtigung durch das Zivilgericht (lediglich) als Vorfrage des Abbruchs der Beziehungen zum Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen im Sinn des § 9 Abs 3 IPRG (10 ObS 28/18t ErwGr II.3.1; Hueber , iFamZ 2018, 275 [279]).

[33] 3.9. Diese Rechtsprechung wurde jüngst in der Literatur kritisiert und ein abweichender Ansatz vertreten:

[34] Für Personen, denen internationaler Schutzstatus im Sinn der Status RL zuerkannt worden sei, folge die Anspruchsberechtigung nicht aus dem Personalstatut, sondern aus der Einordnung des Unterhaltsvorschusses als „notwendige Sozialhilfe“ im Sinn des Art 29 Abs 1 Status RL, sodass eine selbständige Prüfung durch die Zivilgerichte ausscheide, solange der Status (verwaltungsrechtlich) zuerkannt sei. Eine selbständige materielle Prüfung der Flüchtlingseigenschaft im Hinblick auf das Personalstatut sei nur vorzunehmen, soweit der internationale Schutzstatus nicht zuerkannt oder aberkannt worden sei ( Matti , Die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft im Unterhaltsvorschussverfahren, in Bauer/Baumgartl , 70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention – altbewährt? [2021] 85 [91 ff, insb 102 f]).

[35] Die Rechtsprechung wird also insofern kritisiert, als sie bei aufrechter verwaltungsrechtlicher Zuerkennung des Schutzstatus dennoch eine zivilrechtliche Prüfung der materiellen Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK (zu subsidiär Schutzberechtigten äußert sich Matti nicht gesondert) vornimmt. Die vom Autor vorgetragenen Argumente müssen im vorliegenden Fall allerdings nicht näher erörtert werden, weil ein Fall, in dem der Status als Asylberechtigter oder subsidiär Schutzberechtigter verwaltungsrechtlich zuerkannt wurde, hier nicht gegeben ist.

[36] 3.10. Nach dem Antragsvorbringen soll die VertriebenenV für die Einbeziehung des Kindes in den anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 2 Abs 1 UVG sprechen.

[37] Nach § 62 Abs 1 AsylG 2005 kann die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats für Zeiten eines bewaffneten Konflikts oder sonstiger die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände davon unmittelbar betroffenen Gruppen, die anderweitig keinen Schutz finden (Vertriebene), ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewähren.

[38] Die auf der Rechtsgrundlage des § 62 Abs 1 AsylG 2005 erlassene VertriebenenV gewährt bestimmten Personengruppen unabhängig von einer individuellen Prüfung ein vorläufige s Aufenthaltsrecht in Österreich.

[39] Erfasst sind nach § 1 Z 1 VertriebenenV Staatsangehörige der Ukraine mit Wohnsitz in der Ukraine, die aus dieser aufgrund des bewaffneten Konflikts ab dem 24. 2. 2022 vertrieben wurden.

[40] Nach § 3 Abs 1 VertriebenenV haben darüber hinaus Staatsangehörige der Ukraine, die am 24. 2. 2022 über einen gültigen Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) oder gemäß §§ 55 bis 57 AsylG 2005 verfügt haben, der mangels Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen nicht verlängert oder entzogen wurde und die aufgrund des bewaffneten Konflikts nicht in die Ukraine zurückkehren können, nach Ablauf der Gültigkeitsdauer dieses Aufenthaltstitels ebenfalls ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet, sofern nicht – was im vorliegenden Fall nicht behauptet wird – Ausschlussgründe im Sinn des Art 28 Abs 1 der Richtlinie 2001/55/EG (MassenzustromRL) vorliegen (ausführlich Feik , Die Ukraine-Vertriebenen-Verordnung, FABL 2022, 1).

[41] 4.1. Im vorliegenden Fall ergeben sich aus dem Akt und dem Antragsvorbringen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen individueller, konkret personenbezogener (RS0110397 [T6]), einen Elternteil oder das Kind betreffender Fluchtgründe im Sinn des Art 1 A Z 2 der GFK. Der Umstand, dass in der Ukraine Krieg herrscht, ist für sich genommen nicht geeignet, derartige Fluchtgründe zu begründen. Zutreffend verneinte die Vorinstanz daher eine aus der Eigenschaft als Konventionsflüchtling iVm § 9 Abs 3 IPRG (vgl 10 Ob 28/18t ErwGr II.1 ff) resultierende Anspruchsberechtigung auf Unterhaltsvorschüsse gemäß § 2 Abs 1 UVG.

[42] 4.2. Das Revisionsvorbringen, der Mutter und dem Kind käme materielle Flüchtlingseigenschaft zu, weil sie aus Donezk stammten, wo bereits seit 2014 kriegsähnliche Zustände herrschten, widerspricht dem Neuerungsverbot (§ 49 Abs 2 AußStrG).

[43] 4.3. Das weitere Revisionsvorbringen, die Mutter und der Minderjährige müssten „zumindest subsidiären Schutz erhalten“, ist dahin zu verstehen, das Kind sei im Hinblick auf den Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse gleich einer gemäß § 8 AsylG subsidiär schutzberechtigten Person zu behandeln, die aufgrund von § 9 Abs 3 IPRG in den anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 2 Abs 1 UVG einzubeziehen ist.

[44] Da sich der Vorschussanspruch von gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 subsidiär schutzberechtigten Personen aus der Maßgeblichkeit des Rechts des Wohnsitz- bzw Aufenthaltsstaats für das Personalstatut dieser Personen ergibt, zielt das Antragsvorbringen darauf ab, dass im vorliegenden Fall die Beziehungen des Kindes zur Ukraine im Sinn des § 9 Abs 3 IPRG „aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen“ seien. Als vergleichbar schwerwiegender Grund ist nach dem Antragsvorbringen der Ausbruch des Krieges in der Ukraine am 24. 2. 2022 anzusehen. Zeitlich davor liegende Bedrohungen wurden im erstgerichtlichen Verfahren nicht vorgebracht.

[45] 4.4. Die Beurteilung, ob der Kriegsausbruch in der Ukraine als „vergleichbar schwerwiegender Grund“ im Sinn des § 9 Abs 3 IPRG einzuordnen ist, ist im vorliegenden Fall allerdings nicht entscheidend, weil die Voraussetzungen der Anwendung des § 9 Abs 3 IPRG bereits aus anderen Gründen nicht erfüllt sind:

[46] Das Kind hat bereits seit dem Jahr 2015 seinen Wohnsitz in Österreich und verfügt über einen im Beurteilungszeitpunkt aufrechten Aufenthaltstitel nach dem NAG.

[47] Seine Aufenthaltnahme in Österreich ist – schon nach dem zeitlichen Ablauf – nicht durch den Kriegsbeginn am 24. 2. 2022 ausgelöst. Dass der weitere Verbleib des Kindes in Österreich konkret durch den seit 24. 2. 2022 herrschenden Krieg in der Ukraine bedingt sei, wurde nicht behauptet. Die Behauptungen beschränkten sich darauf, dass eine Rückkehr wegen des Kriegszustands nicht möglich sei, ohne darauf einzugehen, dass sich aus dem Vorbringen und dem gesamten Akteninhalt keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das Kind – und seine Mutter –, wäre der Krieg nicht ausgebrochen, die Absicht gehabt hätten, in die Ukraine zurückzukehren.

[48] Daraus ergibt sich, dass der Abbruch der Beziehungen des Kindes zur Ukraine im vorliegenden Fall nicht aufgrund des Kriegsausbruchs am 24. 2. 2022 erfolgte.

[49] 4.5. Ob sich ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse aus Art 29 Abs 1 Status RL ableiten lässt, ist im vorliegenden Fall nicht entscheidend, weil die Prüfung der Anspruchsberechtigung im vorliegenden Fall (auch unter Berücksichtigung der Rechtsansicht von Matti ) vom Personalstatut des Kindes abhängt. Bei der Beurteilung nach § 9 Abs 3 IPRG kommt es allerdings, wie ausgeführt, nicht nur darauf an, ob das Kind subsidiär schutzberechtigt im Sinn des § 8 AsylG 2005 ist, sondern auch darauf, ob die Gründe für die Schutzberechtigung (die „vergleichbar schwerwiegenden Gründe“) kausal für den Abbruch der Beziehungen zum Heimatstaat waren.

[50] Das ist hier nicht der Fall.

[51] 4.6. Soweit sich der Antrag auf die VertriebenenV stützt, ist daraus keine für das Kind günstigere Rechtslage abzuleiten, weil es nicht zu einer der von dieser Verordnung erfassten Personengruppen gehört:

[52] Es wurde nicht (im Sinn des § 1 Z 1 VertriebenenV) aufgrund des bewaffneten Konflikts ab dem 24. 2. 2022 aus der Ukraine vertrieben, sondern lebt bereits seit 2015 in Österreich. Eine Qualifikation als Familienangehöriger einer nach § 1 Z 1 VertriebenenV vertriebenen Person gemäß § 2 der Verordnung scheitert selbst unter der Annahme, dass der Vater des Kindes die Voraussetzungen des § 1 Z 1 VertriebenenV erfüllt. Die Qualifikation eines minderjährigen Kindes als Familienangehöriger nach § 2 Z 2 VertriebenenV ist im vorliegenden Fall deshalb nicht erfüllt, weil nach § 2 der Verordnung alle (vgl Feik , FABL 2022, 1 Fn 15) als Familienangehörige in Betracht kommende Personen vor dem 24. 2. 2022 in der Ukraine aufhältig gewesen sein mussten, was auf das Kind im vorliegenden Fall nicht zutrifft. § 3 Abs 1 VertriebenenV erfasst Personen, deren am 24. 2. 2022 gültige Aufenthaltstitel nach dem NAG nicht verlängert oder entzogen wurden; der Aufenthaltstitel des Kindes ist im vorliegenden Fall allerdings im Beurteilungszeitpunkt weiterhin aufrecht.

[53] Das Kind gehört daher im vorliegenden Fall nicht zu einer der von der VertriebenenV erfassten Personengruppen, sodass die Auswirkungen der VertriebenenV auf einen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse im vorliegenden Fall nicht relevant sind.

[54] 4.7. Der Vollständigkeit halber – obwohl sich der Antrag nicht darauf stützt – ist klarzustellen, dass auch der im Sinn des Art 5 der MassenzustromRL ergangene Durchführungsbeschluss 2022/382/EU des Rates vom 4. 3. 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine Personen in der Situation des hier betroffenen Kindes nicht erfasst:

[55] Nach Art 2 Abs 1 des Durchführungsbeschlusses gilt der vorübergehende Schutz für die in dieser Bestimmung aufgezählten Personengruppen, die am oder nach dem 24. 2. 2022 infolge der militärischen Invasion der russischen Streitkräfte, die an diesem Tag begann, aus der Ukraine vertrieben wurden. Dies trifft auf das Kind im vorliegenden Fall nicht zu.

[56] 5. Aus den dargestellten Erwägungen folgt daher insgesamt die Verneinung des Vorschussanspruchs nach § 2 Abs 1 UVG im vorliegenden Fall.

[57] Allgemein gilt: Ein minderjähriges Kind mit ukrainischer Staatsangehörigkeit, das seinen Wohnsitz bereits lange vor dem 24. 2. 2022 in Österreich hatte und im Beurteilungszeitpunkt über einen aufrechten Aufenthaltstitel nach § 8 Abs 1 Z 2, § 41a NAG („Rot-Weiß-Rot-Karte plus“) verfügt, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für eine Rückkehrabsicht in die Ukraine bestanden hätten, hat nach § 2 Abs 1 UVG keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse.