JudikaturJustiz10Nc4/24f

10Nc4/24f – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen E*, geboren * 2012, AZ 36 Pu 45/23h des Bezirksgerichts Graz West, wegen Genehmigung der Übertragung der Zuständigkeit in Pflegschaftssachen nach § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Graz West vom 12. September 2023 ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit der den minderjährigen E* betreffenden Unterhaltssache vom Bezirksgericht Graz-West an das Bezirksgericht Braunau am Inn wird genehmigt.

Text

Begründung:

[1] Die Minderjährigen I*, geboren * 2019, und E*, geboren * 2012, sind die Kinder von N* und S*. Die Mutter ist im Sprengel des Bezirksgerichts Graz West wohnhaft, der Vater im Sprengel des Bezirksgerichts Braunau am Inn.

[2] Vor dem Bezirksgericht Graz West war ein Obsorge und Kontaktrechtsverfahren hinsichtlich der Minderjährigen anhängig.

[3] Am 17. 8. 2023 stellte der Vater unter Vorlage einer einen Hauptwohnsitz in Braunau am Inn ausweisenden Meldebestätigung des minderjährigen E* beim Bezirksgericht Braunau am Inn den Antrag, ihn ab dem 1. 7. 2023 von seiner Unterhaltspflicht gegenüber E* zu entheben und die beim Bezirksgericht Braunau am Inn anhängige Unterhaltsexekution einzustellen, weil E* seit Juli 2023 seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei ihm habe. Das Bezirksgericht Braunau am Inn übermittelte das Protokoll zuständigkeitshalber dem Bezirksgericht Graz West.

[4] Mit Schriftsatz vom 25. 8. 2023 trat die Mutter den Anträgen nicht förmlich entgegen.

[5] In der Folge schlossen die Eltern am 6. 9. 2023 vor dem Bezirksgericht Graz West einen Obsorge und Kontaktrechtsvergleich, mit dem sie die gemeinsame Obsorge der Eltern für den minderjährigen I* und den minderjährigen E* aufhoben und die Obsorge über I* vorläufig, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Obsorgeverfahrens, alleine der Mutter, die Obsorge über E* ebenfalls vorläufig, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Obsorgeverfahrens, alleine dem Vater übertrugen.

[6] Das Bezirksgericht Graz West fasste am 12. 9. 2023 den Beschluss auf Übertragung der Zuständigkeit für die Unterhaltssache betreffend den minderjährigen E* an das Bezirksgericht Braunau am Inn mit der Begründung, dass der minderjährige E* sich ständig in dessen Sprengel aufhalte.

[7] Das Bezirksgericht Braunau am Inn lehnte die Übernahme mit der Begründung ab, dass der Minderjährige zwar derzeit beim Vater wohne, dem aber nur eine vorläufige Obsorgeregelung zugrunde liege und zudem eine gespaltene Zuständigkeit dadurch, dass lediglich das Unterhaltsverfahren hinsichtlich des minderjährigen E* beim Bezirksgericht Braunau am Inn, das Obsorge und Kontaktrechtsverfahren hinsichtlich beider Minderjähriger und das Unterhaltsverfahren hinsichtlich des minderjährigen I* aber beim Bezirksgericht Graz West geführt würden, vermieden werden solle.

[8] Das Bezirksgericht Graz West legte den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 111 JN vor.

[9] Mit Beschluss vom 27. 10. 2023 (10 Nc 27/23m) stellte der Oberste Gerichtshof den Akt dem Bezirksgericht Graz West zurück, weil der Übertragungsbeschluss den Parteien noch nicht zugestellt war.

[10] Am 17. 11. 2023 schlossen die Eltern vor dem Bezirksgericht Graz West einen Obsorge und Kontaktrechtsvergleich, mit dem sie die gemeinsame Obsorge über die beiden Minderjährigen aufhoben und die Obsorge über I* (endgültig) alleine der Mutter, die Obsorge über E* (endgültig) alleine dem Vater übertrugen. Darüber hinaus wurde hinsichtlich beider Kinder eine Kontaktrechtsregelung getroffen.

[11] In der Folge wurde der Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichts Graz West vom 12. 9. 2023 den Eltern zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

[12] Das Bezirksgericht Graz West legte den Akt daraufhin neuerlich dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 111 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1. Die Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Braunau am Inn ist zu genehmigen.

[14] 2. Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.

[15] Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung nach § 111 Abs 1 JN ist stets das Kindeswohl (RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen das Gericht am Besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und der Mittelpunkt seiner Lebensführung liegt (RS0047300).

[16] Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.

[17] 3. Eine Teilübertragung der Zuständigkeit bei Pflegschaftsverfahren mehrerer Kinder, die aus derselben Ehe oder Lebensgemeinschaft entstammen, ist zwar in der Regel nicht zweckmäßig (RS0129854), sie ist aber auch nicht ausgeschlossen (RS0129854 [T3]). So bestätigte der Oberste Gerichtshof die Übertragung der Pflegschaftssache hinsichtlich (nur) eines Kindes in Konstellationen, in der den Eltern für beide Geschwister die gemeinsame Obsorge zukam, aber jeweils ein Kind hauptsächlich im Haushalt der Mutter, eines hauptsächlich im Haushalt des Vaters betreut wurde (6 Nc 6/20i; 6 Nc 1/21f).

[18] 4. Im vorliegenden Fall liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor, weil beiden Elternteilen die Obsorge für eines der beiden Kinder zukommt. A ufgrund des – die vorläufige Obsorgeregelung bestätigenden – Obsorge und Kontaktrechtsvergleichs vom 17. 11. 2023 besteht auch eine stabile Lebenssituation des minderjährigen E* beim Vater, wo er sich bereits seit mehreren Monaten aufhält.

[19] Soweit das Bezirksgericht Braunau am Inn die Teilübertragung nur des Unterhaltsverfahrens hinsichtlich des minderjährigen E* bei Belassung des Obsorge und Kontaktrechtsverfahrens vor dem Bezirksgericht Graz West als einen der Übertragung entgegenstehenden Umstand ansah (vgl aber 6 Nc 16/18g zur Teilübertragung nach § 111 JN), muss darauf nicht näher eingegangen werden, weil im Obsorge und Kontaktrechtsverfahren aufgrund des Abschlusses des Obsorge und Kontaktrechtsvergleichs vom 17. 11. 2023 keine Anträge mehr offen sind.

[20] 5. Gegen die Übertragung der Pflegschaftssache 36 Pu 45/23h (Unterhaltssache) des Bezirksgerichts Graz West betreffend den minderjährigen E* an das Bezirksgericht Braunau am Inn bestehen daher keine Bedenken.