JudikaturJustiz10Nc19/05h

10Nc19/05h – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juli 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hoch und Hon. Prof. Dr. Neumayr als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin Helga O*****, vertreten durch Dr. Günther Riess, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die Antragsgegnerin C*****-Club ***** B.V., *****, Curaçao, Niederländische Antillen, wegen EUR 200.000,-- s.A., infolge Anrufung des Obersten Gerichtshofes nach § 28 JN den Beschluss

gefasst:

Spruch

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Landesgericht Innsbruck bestimmt.

Text

Begründung:

Nach den Behauptungen der Antragstellerin in ihrem Ordinationsantrag betreibt die Antragsgegnerin ein Internetcasino. Die Antragstellerin, Österreicherin mit ständigem Wohnsitz in Tirol, habe sich als Spielerin registrieren lassen und seit Juni 2003 Spielverluste in Höhe von EUR 200.000,-- erlitten, die sie nunmehr aus dem Titel des Schadenersatzes gegenüber der Antragsgegnerin klageweise geltend zu machen beabsichtige. Diese habe ihren Sitz auf Curaçao (Niederländische Antillen), wo eine Rechtsverfolgung für die Antragstellering unzumutbar sei, weshalb der Antrag gestellt werde, das Landesgericht Innsbruck gemäß § 28 Abs 1 Z 2 JN als örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen.

Bei den mit dem Ordinationsantrag vorgelegten vier Beilagen handelt es sich um Ausdrucke aus offensichtlich von der Antragsgegnerin betriebenen Websites, die über die Spielbedingungen, die Registrierung, die Rechtsgrundlagen und den Kundenkontakt - jeweils in deutscher Sprache - informieren.

Rechtliche Beurteilung

Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind im vorliegenden Fall gegeben.

Die niederländischen Antillen sind nicht Mitglied der Europäischen Gemeinschaft und nicht vom räumlichen Geltungsbereich der EuGVVO erfasst (Burgstaller/Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR I Art 1 EuGVO Rz 33); sie sind daher als Drittstaat iSd Art 4 Abs 1 EuGVVO anzusehen. Der Gerichtsstand der Schadenszufügung nach § 92a JN scheidet aus, weil der Antragstellerin nach ihren Behauptungen ein reiner Vermögensschaden entstanden ist (SZ 64/123; RIS-Justiz RS0046729; Simotta in Fasching2 I § 92a JN Rz 3).

§ 28 Abs 1 Z 2 JN soll die Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland nicht gegeben ist (Matscher in Fasching2 I § 28 JN Rz 40). Ein genereller inländischer Klägergerichtsstand darf durch diese Ordinationsmöglichkeit allerdings nicht geschaffen werden (Matscher aaO Rz 44).

Die Klägerin erfüllt die erste der beiden von § 28 Abs 1 Z 2 JN aufgestellten Voraussetzungen (Naheverhältnis zum Inland) im Hinblick auf ihren Wohnsitz in Österreich. Hinsichtlich der zweiten Voraussetzung (Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im konkurrierenden Ausland im Einzelfall) ist zu bedenken, dass eine unterschiedliche Ausgestaltung der materiellen Rechtslage allein für eine Ordination nicht ausreichen kann (9 Nc 109/02g = SZ 2003/55; RIS-Justiz RS0117751). Insbesondere darf die Ordination nicht dazu dienen, dass der Antragsteller einer bestimmten materiellen Rechtslage zu entrinnen vermag, die er subjektiv als Härte oder als ungerecht empfindet (Burgstaller/Neumayr, Beobachtungen zu Grenzfragen der internationalen Zuständigkeit: Von forum non conveniens bis Notzuständigkeit, FS Peter Schlosser [2005] 119 [132]).

Angesichts dessen, dass die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin ganz offensichtlich als Verbraucherin aufgetreten ist, sprechen aber folgende Umstände dafür, ausnahmsweise inländischen Rechtsschutz zu gewähren:

§ 28 Abs 1 Z 2 JN wurde mit der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1997 (BGBl I 1997/140) leicht verändert. Ziel der Neuformulierung war nach den Gesetzesmaterialien (RV 898 BlgNR 20. GP 33 f) unter anderem eine Lockerung der von der Rechtsprechung gelegentlich zu restriktiv gehandhabten Erfordernisse einer Ordination. So sollte etwa die Frage der Kostspieligkeit der Führung eines Rechtsstreits im Ausland stärker berücksichtigt werden als zuvor.

Nach der aus den Art 13 - 15 EuGVÜ/LGVÜ, Art 15 - 17 EuGVO und Art 5 EVÜ hervorgehenden Wertung soll der Verbraucher als typischerweise schwächere Partei insbesondere dann, wenn sein Vertragspartner seine geschäftliche Tätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausrichtet, einem besonderen kollisionsrechtlichen und prozessualen Schutz unterliegen (siehe etwa Czernich/Tiefenthaler, Die Übereinkommen von Lugano und Brüssel [1997] Art 13 Rz 1; Verschraegen in Rummel3 Art 5 EVÜ Rz 2 und 29), der sich unter anderem dadurch auswirkt, dass ihm typischerweise die Möglichkeit eingeräumt wird, an seinem Wohnsitz zu klagen. Dahinter steht, dass dem Verbraucher - anders als bei klassischen Vertriebstechniken - durch die technischen Möglichkeiten, die das Internet bietet, und die damit verbundenen neuen Vermarktungstechniken typischerweise nicht bewusst wird, dass sein potenzieller Vertragspartner seinen Sitz möglicherweise in großer Entfernung vom Verbraucherstaat hat, speziell dann, wenn sich der Vertragspartner in der Heimatsprache des Verbrauchers an diesen wendet.

Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist eine Rechtsverfolgung im weit entfernten Sitzstaat des Unternehmers unter Verwendung einer fremden Gerichtssprache als unzumutbar anzusehen.

Im Hinblick auf den Wohnsitz der klagenden Partei und den Streitwert ist das Landesgericht Innsbruck zu ordinieren.

Rechtssätze
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