W189 2296741-1/28E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU-GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2024, Zl. 1310276409-221799721, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31.07.2025 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: der BF), ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 06.06.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am Folgetag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Er gab an, aus Jowhar zu stammen, der Religionsgemeinschaft der Muslime sowie dem Clan der Hawiye anzugehören und die Grundschule besucht zu haben. In Somalia habe er seine Eltern, vier Brüder, zwei Schwestern, einen Sohn sowie drei Töchter. Somalia habe er im Juni 2021 illegal mit dem Flugzeug in die Türkei verlassen. Zu seinem Ausreisegrund gab er zu Protokoll, dass er ein Tuk-Tuk-Fahrer gewesen sei und zwei Militärangehörige mitgenommen habe. In Lower Shabelle habe die Al Shabaab sie angeschossen. Die Militärangehörigen seien gestorben und der BF sei von den Mitgliedern der Al Shabaab mit einem Messer am Hals schwer verletzt worden, sodass er noch heute eine Narbe habe. Sie hätten gedacht, dass er gestorben sei. Im Falle einer Rückkehr fürchte der BF um sein Leben.
2. In seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: das BFA) am 26.06.2024 wurde der BF zu seinem Fluchtgrund und seinen Lebensumständen näher befragt.
3. Mit Bescheid des BFA vom 29.06.2024, übernommen am 03.07.2024, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Ihm wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).
4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der BF am 26.07.2024 durch seine Rechtsvertretung binnen offener Frist Beschwerde, über welche das Bundesverwaltungsgericht nach schriftlicher Stellungnahme des BF vom 07.02.2025 am 31.07.2025 in beider Anwesenheit eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchführte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Identität des BF steht nicht fest. Er ist ein Staatsangehöriger von Somalia und gehört der Religionsgemeinschaft der sunnitischen Muslime sowie dem Clan der Hawiye, Subclan Duduble, an.
Entgegen den von ihm angegebenen Ausreisegründen wurde der BF nicht von der Al Shabaab der Zusammenarbeit mit der somalischen Regierung oder ihren Verbündeten beschuldigt.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia
Folgende Personengruppen sind bezüglich eines gezielten Attentats bzw. Vorgehens durch al Shabaab einem erhöhten Risiko ausgesetzt:
Angehörige der AMISOM bzw. ATMIS (BS 2024; vgl. USDOS 30.6.2024; ÖB Nairobi 10.2024) sowie deren lokale Angestellte (BMLV 7.8.2024);
nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter (Williams/ACSS 27.3.2023; vgl. BS 2024; MBZ 6.2023); die öffentlichen Institutionen Somalias werden von al Shabaab als unislamisch erachtet (MBZ 6.2023);
Angehörige der nationalen Sicherheitskräfte (BS 2024; vgl. MBZ 6.2023; USDOS 30.6.2024) im sowie abseits des Dienstes (MBZ 6.2023);
Politiker von Bund und Bundesstaaten (MBZ 6.2023; vgl. Williams/ACSS 27.3.2023; BS 2024); al Shabaab greift z. B. gezielt Örtlichkeiten an, wo sich Regierungsvertreter treffen. Laut einer Quelle haben hochrangige Politiker eine höhere Priorität (MBZ 6.2023);
mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten (USDOS 22.4.2024) und ehemalige oder pensionierte Staatsvertreter - z. B. vormalige Bezirksvorsteher (TSD 20.9.2023; vgl. Sahan/SWT 6.3.2024);
Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (USDOS 22.4.2024); Mitarbeiter werden mitunter beschuldigt, das Christentum verbreiten zu wollen (USDOS 30.6.2024).
Wirtschaftstreibende (Sahan/SWT 7.9.2022), insbesondere dann, wenn sie sich weigern, Schutzgeld ("Steuer") an al Shabaab abzuführen, aber auch, wenn sie die Regierung unterstützen oder einem Clan angehören, der in die Militäroffensive involviert ist (MBZ 6.2023). Ins Visier geraten mitunter auch jene, welche auf Anordnung der NISA an den eigenen Gebäuden Überwachungskameras der Sicherheitsbehörden installiert haben (HIPS 7.5.2024);
Älteste und Gemeindeführer (Williams/ACSS 27.3.2023; vgl. USDOS 22.4.2024; MBZ 6.2023); gemäß somalischen Regierungsangaben aus dem Jahr 2022 hat al Shabaab innerhalb von zehn Jahren 324 Älteste ermordet. Einige der Opfer waren in Wahlprozesse involviert (KM 31.8.2022). Älteste, die nicht oder nicht ausreichend mit der Gruppe kooperieren, werden mitunter eingeschüchtert, entführt oder ermordet (MBZ 6.2023). In jüngerer Vergangenheit hat al Shabaab v. a. solche Ältesten ermordet, die ihre Clans zur Beteiligung an der Offensive gegen die Gruppe aufgerufen bzw. deren Teilnahme öffentlich unterstützt haben (BMLV 9.2.2023; vgl. UNSC 15.6.2023; Sonna 12.4.2023; INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Dies betrifft insbesondere Älteste der Hawadle (BMLV 7.8.2024; vgl. HO 21.3.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; IO-D/STDOK/SEM 4.2023), aber z. B. auch Älteste in der Region Gedo (Sahan/SWT 17.11.2023) und der Saleban (MBZ 6.2023), Abgaal in Middle Shabelle und vereinzelt Älteste in Mudug (BMLV 7.8.2024);
Unterstützer der Macawiisley, z. B. zivile Informanten; ganze Gemeinden sind von Rachemaßnahmen bedroht (Sahan/Petrovski 3.5.2024);
Wahldelegierte (UNSC 15.6.2023; vgl. Williams/ACSS 27.3.2023; MBZ 6.2023) und deren Angehörige (USDOS 22.4.2024; vgl. UNSC 10.10.2022); in der Vergangenheit hat al Shabaab alle, die an Wahlen teilnehmen, als Apostaten bezeichnet und sie zu potenziellen Zielen für Anschläge erklärt (Sahan/SWT 9.6.2023; vgl. MBZ 6.2023). Von Anfang 2021 bis Juli 2023 gab es mehr als 50 diesbezügliche Vorfälle, 71 % davon in Mogadischu (ACLED 28.7.2023). Doch auch etwa in Bay und Bakool wurden Delegierte getötet (Sahan/SWT 21.8.2023);
Angehörige diplomatischer Missionen (USDOS 22.4.2024);
prominente und Menschenrechts- und Friedensaktivisten bzw. Organisationen der Zivilgesellschaft (USDOS 22.4.2024; vgl. MBZ 6.2023);
religiöse Führer (Williams/ACSS 27.3.2023; vgl. MBZ 6.2023); laut einer Quelle hat es aber in der jüngeren Vergangenheit keine Attentate auf religiöse Führer gegeben (MBZ 6.2023).
Journalisten (BS 2024; vgl. MBZ 6.2023) und Mitarbeiter von Medien (USDOS 22.4.2024);
Humanitäre Kräfte (BS 2024; vgl. MBZ 6.2023);
Telekommunikationsarbeiter (USDOS 22.4.2024);
mutmaßliche Kollaborateure und Spione - siehe auch weiter unten (HRW 11.1.2024; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; BS 2024; USDOS 22.4.2024);
Deserteure (MBZ 6.2023); siehe dazu Wehrdienst und Rekrutierungen / Al Shabaab - Deserteure und ehemalige Kämpfer
als glaubensabtrünnig Bezeichnete (Apostaten) (BS 2024) oder Blasphemiker (USDOS 30.6.2024) bzw. Personen, die nicht der Glaubensauslegung von al Shabaab folgen (z. B. Sufis) (BMLV 7.8.2024); siehe dazu Religionsfreiheit
(vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des sogenannten Islamischen Staates in Somalia (ISS) (AA 23.8.2024; vgl. HO 26.3.2023); den ISS hat al Shabaab als Seuche bezeichnet, welche ausgerottet werden müsse (JF 14.1.2020);
Personen, die einer Schutzgelderpressung ("Steuern") nicht nachkommen; siehe dazu Recht und "Steuer"-Wesen bei al Shabaab
Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie kein Schutzgeld bzw. "Steuern" an al Shabaab abführen. Gleichzeitig muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde auf o. g. Personengruppen politisch motiviert oder einfache Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen (BMLV 7.8.2024).
Spionage und Kollaboration: In von al Shabaab kontrollierten Gebieten gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden (AA 23.8.2024). Al Shabaab tötet - meist nach unfairen Verfahren - Personen, denen Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung oder ausländischen Kräften vorgeworfen wird (HRW 11.1.2024; vgl. USDOS 30.6.2024). Beispiele für Hinrichtungen: Im Jänner 2024 werden in Jilib sieben Männer wegen angeblicher Spionage für die Bundesregierung, die Regierung von Jubaland, die USA und Kenia öffentlich exekutiert (Halqabsi 15.1.2024). Im Juni 2023 werden in Kunyo Barrow, Lower Shabelle, fünf Männer wegen angeblicher Spionage für die Bundesregierung und ausländische Nachrichtendienste öffentlich durch Erschießen exekutiert (SMN 16.6.2023).
Die Schwelle dessen, was al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, ist mitunter sehr niedrig angesetzt (STDOK 8.2017, S. 40f). So wurden etwa im Feber 2021 in Mogadischu drei Frauen erschossen, die im Verteidigungsministerium als Reinigungskräfte gearbeitet hatten (Sahan/KM o.D.) - nach Angaben einer Quelle wird ihr Beruf aber nicht der einzige Grund für die Exekution gewesen sein, die Frauen haben vermutlich die Zusammenarbeit mit al Shabaab verweigert (BMLV 7.8.2024).
Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden (STDOK 8.2017, S. 40ff). So wurden etwa Anfang Juli 2021 fünf Zivilisten im Gebiet Jowhar von al Shabaab entführt, weil sie Soldaten der Armee mit Erfrischungen bewirtet bzw. mit ihnen gehandelt hatten. Mehrere Häuser und Fahrzeuge wurden angezündet (ATMIS/Caasimada 2.7.2021). Generell sind jedenfalls das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt. Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen: a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat (STDOK 8.2017, S. 40ff).
Auf der anderen Seite kollaborieren viele Menschen mit al Shabaab. Verwaltungsstrukturen und Sicherheitskräfte sind unterwandert. Eine derartige Kollaboration kann aus finanziellen oder ideologischen Gründen erfolgen, oft aber auch aus Angst. Es scheint wenig ratsam, ein "Angebot" von al Shabaab abzulehnen (BMLV 7.8.2024).
Grundsätzliche Ziele: Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, auf Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie direkt Soldaten von Armee und ATMIS. Grundsätzlich richten sich die Angriffe der al Shabaab in nahezu allen Fällen gegen Personen des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter ausländische Truppen) und gegen Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden (BMLV 9.2.2023). Hotels werden i.d.R. angegriffen, um die Entrichtung von Steuern und Abgaben einzumahnen. Möglicherweise anwesende Staatsvertreter gelten hierbei als „Draufgabe“. Ausnahmen dazu können vorkommen, etwa, wenn ein Anschlag einer bestimmten Feier in einem Hotel gilt oder wenn sich dort gleichzeitig drei Minister befinden würden. Anschläge auf Cafés und Restaurants fallen entweder ebenfalls in die Kategorie „Mahnung“ oder sollen Schlagzeilen machen - etwa wenn ein Anschlag auf Fußballzuschauer verübt wird, um daran zu erinnern, dass Fußball aus Sicht von al Shabaab „un-islamisch“ ist (BMLV 7.8.2024).
Die meisten Anschläge außerhalb von Mogadischu richten sich gegen Sicherheitskräfte und vermehrt auch Führungspersonen aus Clans, die sich dem Kampf gegen al Shabaab verpflichtet haben (AA 23.8.2024). Gemäß einer Aussage einer Quelle der FFM Somalia 2023 stellt das letztgenannte Phänomen aber eine Ausnahme dar, denn üblicherweise wird eine Person nicht durch den eigenen Clan(Hintergrund) zum Ziel, sondern durch das eigene Tun und Handeln (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).
Drohungen: Eine Quelle der FFM Somalia 2023, deren Mitarbeiter in vielen Teilen Somalias arbeiten, erklärt, dass Bedrohungen durch al Shabaab nicht überprüfbar sind. Tatsächlich ist oft unklar, wer hinter einer Drohung steht, ob es um den Arbeitgeber geht oder um Persönliches oder um ein Familienmitglied (weil z. B. der Vater Polizist ist). Kein Mitarbeiter dieser großen Organisation hat bisher wegen Drohungen die Organisation verlassen müssen (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Eine weitere Quelle der FFM erläutert diesbezüglich: Wenn eine Person eine Textnachricht von al Shabaab erhalten hat und darin nur Drohungen ausgesprochen und keine Forderungen gestellt werden, dann ist es oft schwierig, tatsächlich al Shabaab als Absender festzustellen. Die Nachricht kann auch von einer anderen Quelle stammen, die dafür eigene Motive hat. Zusätzlich agiert al Shabaab als Stellvertreter anderer mafiöser Strukturen. Wenn z. B. ein Mord aufgrund von wirtschaftlichen oder Clan-Interessen ausgeführt wird, kann dieser von al Shabaab vollzogen werden - oder aber die Gruppe wird dafür verantwortlich gemacht (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023).
Ausweichmöglichkeiten: Wenn al Shabaab eine Person bedroht, kann diese natürlich auch flüchten. Manche tun dies auch – mitunter aus Angst und in der Gewissheit, dass die Regierung sie nicht beschützen kann, weil dieser die entsprechenden Kapazitäten fehlen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Laut zweier Quellen kann sich ein Mensch in Mogadischu vor al Shabaab verstecken (BMLV 7.8.2024; vgl. AI 13.2.2020, A. 36). Dies kann beispielsweise für eine Person gelten, die vom eigenen Clan z. B. im Bezirk Jowhar für eine Rekrutierung bei al Shabaab vorgesehen gewesen wäre und sich nach Mogadischu abgesetzt hat; nicht aber prominentere Personen, die vor al Shabaab auf der Flucht sind. Al Shabaab verfügt also generell über die Kapazitäten, menschliche Ziele – auch in Mogadischu – aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Personen al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clandynamiken. Die Gruppe ist bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen (BMLV 7.8.2024).
Al Shabaab stellt keine Haftbefehle aus. Eine Suche läuft durch ihre eigenen, entwickelten Informationssysteme. Die Gruppe weiß, wie man Personen aufspürt (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Nach Angaben von Quellen der FFM Somalia 2023 kann al Shabaab in Städten wie Mogadischu jedermann aufspüren (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023) bzw. ist es schwierig, sich effektiv zu verstecken (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Da in größeren Städten bestimmte Subclans oft in bestimmten Stadtteilen leben, kann al Shabaab eine Person auch über das Clansystem ausfindig machen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 ist man in Somaliland, Garoowe und Bossaso vor al Shabaab einigermaßen sicher. Der Gruppe mangelt es dort demnach an Kapazitäten und Personal. Allerdings kann es auch dort zu Drohungen kommen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).
Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen (BMLV 7.8.2024).
2. Beweiswürdigung:
Mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente steht die Identität des BF nicht fest. Zumal der BF aber zweifellos aus dem somalischen Kulturraum stammt, kann ihm in seinen im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben zu seiner Staats-, Religions- und Clanzugehörigkeit gefolgt werden.
Zu seinem Ausreisegrund führte der BF im Wesentlichen aus, dass er im April 2021 als privater Tuk-Tuk-Fahrer zwei Militärangehörige bzw. Polizisten transportiert habe und am Weg von Mitgliedern der Al Shabaab angeschossen und verletzt worden sei. Er habe überlebt, sei aber in der Folge telefonisch von der Gruppierung bedroht worden, dass er mit der somalischen Regierung zusammenarbeite. Dieses Vorbringen ist jedoch nicht glaubhaft.
Der BF war nicht in der Lage, einheitliche Angaben zum Transport und seinen Fahrgästen zu machen. Während er in der Erstbefragung zu Protokoll gab, dass er zwei Militärangehörige mitgenommen habe (AS 31), führte er in der freien Erzählung der Einvernahme aus, dass es zwei Polizisten gewesen seien. Auf Vorhalt dieses Widerspruchs erklärte der BF, dass es doch Soldaten gewesen seien (AS 72). In der mündlichen Verhandlung erklärte er dazu, dass man in Somalia alle (gemeint wohl: Uniformierten) nur „Soldaten“ nennen würde und es dort zu der Zeit keine Polizei gegeben habe (Verhandlungsprotokoll S. 8). Das erklärt aber gerade nicht, weshalb er in der Einvernahme zunächst dennoch ausdrücklich von Polizisten sprach, zumal der BF diese Personen andererseits eindeutig nicht bloß als Soldaten, sondern Angehörige der ATMIS, also ausländische Soldaten, identifizierte. Ebenso widersprach sich der BF dazu, wie der Kontakt zu diesen beiden Personen zustande gekommen wäre. Auf der einen Seite gab er in der Einvernahme an, dass er sie von einem ATMIS-Stützpunkt abgeholt habe (AS 73), auf der anderen Seite sagte er in der mündlichen Verhandlung aber aus, dass sie zu einer Taxi-Haltestelle gekommen seien (Verhandlungsprotokoll S. 9). Wenig nachvollziehbar ist auch die Behauptung des BF, dass er von den Soldaten gezwungen worden sei, die Fahrt durchzuführen, obwohl er um die Gefahren auf der Strecke gewusst habe und sie nicht transportieren habe wollen (AS 74 f; Verhandlungsprotokoll S. 9), da weder ersichtlich ist noch vom BF näher ausgeführt wurde, mit welchem Druckmittel Angehörige der ATMIS (also ausländische Soldaten) auf Ausgang ihn mitten in Afgooye derart bedrohen hätten sollen. In diesem Zusammenhang erscheint es aber auch sehr unwahrscheinlich, dass ATMIS-Soldaten während ihrer Einsatzzeit in Somalia freien Ausgang erhalten würden und in ihrer Freizeit alleine weite Strecken in einem Bürgerkriegsgebiet zurücklegen dürften, widersprächen derartige Freiheiten doch angesichts der damit verbundenen erheblichen Gefahren einer erwartbaren militärischen Herangehensweise.
Auch das Vorbringen des BF zu seinen Verletzungen ist nicht plausibel. So erzählte er nämlich in der Einvernahme, dass er nach dem Schussattentat auf die Soldaten von seinem Tuk-Tuk gestürzt sei. Da er selbst nur am Bein getroffen worden sei, habe ein Mann ihm mit dem Messer in den Hals gestochen. Dieser Mann sei geflohen und der BF sei bewusstlos geworden und erst im Krankenhaus in Mogadischu wieder aufgewacht (AS 72). Dazu legte er die Kopie eines Krankenhausberichts (AS 87) sowie in der mündlichen Verhandlung drei Fotos von Narben an seinem Körper vor (Beilage ./1). In dieser mündlichen Verhandlung führte der BF aber zunächst wieder inkongruent aus, dass er nicht wisse, wie er die Verletzung am Hals zugefügt bekommen habe, um erst danach (doch) anzugeben, dass er von einem Mann mit einem Messer verletzt worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 9). Wie der BF nun einen in Mordabsicht versetzten Messerstich in seinen Hals mitten am Land, weit entfernt von notfallmedizinischer Versorgung, überleben konnte und keine bleibenden Schäden davontrug – der BF sprach insoweit in der Erstbefragung noch von einer schweren Verletzung (AS 31) –, lässt sich kaum nachvollziehen und ist mit der allgemeinen Lebenserfahrung nur schwer in Einklang zu bringen. Umso erstaunlicher ist dahingehend die Angabe des BF, diese Halsverletzung (bloß) mit Schmerzmitteln behandelt zu haben (Verhandlungsprotokoll S. 9). Auch aus dem vom BF vorgelegten Befundbericht lässt sich insoweit nichts gewinnen, da darin keine Behandlung beschrieben wird. Der BF konnte trotz mehrerer Nachfragen in der mündlichen Verhandlung auch nicht erklären, zu welchem Zweck er sich bereits am dort datierten 08.05.2021 einen auf Englisch verfassten Befundbericht ausstellen habe lassen (Verhandlungsprotokoll S. 10), wenn er doch erst im Juni 2021 infolge telefonischer Drohungen durch die Al Shabaab nach seiner Spitalentlassung den Ausreiseentschluss gefasst habe (AS 27; Verhandlungsprotokoll S. 11 f). Auch fällt auf, dass der Befundbericht von einem namentlich genannten „consultant physician“ (also etwa: Konsiliararzt) unterschrieben wurde, der laut seinem in der mündlichen Verhandlung recherchierten LinkedIn-Profil (Verhandlungsprotokoll S. 11) als Virologe arbeitet, somit in einem Fachgebiet tätig ist, das mit den beschriebenen bzw. behaupteten Verletzungen des BF in keinem Zusammenhang steht. Damit ist die Echtheit des Schreibens bzw. die Wahrheit seines Inhaltes zu bezweifeln. Aber selbst wenn man vom Gegenteil ausginge, würde dieser Befundbericht letztlich nicht das – wie oben bereits beschrieben – schon für sich widersprüchliche und unplausible Fluchtvorbringen des BF belegen.
Das gilt erst recht für die vom BF behaupteten telefonischen Drohungen durch die Al Shabaab nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus, die ihn erst zu seiner Flucht aus Somalia veranlasst hätten. Der BF blieb insoweit nicht nur vage und oberflächlich, sondern widersprach sich erneut, da er einerseits in der Einvernahme angab, „mehrfach“ Drohanrufe bekommen zu haben (AS 72) bzw. in der gegenständlichen Beschwerde von „mehrere[n] Drohanrufe[n]“ schrieb (AS 314), in der mündlichen Verhandlung aber nur mehr von zwei Anrufen sprach (Verhandlungsprotokoll S. 11 f). Während er zudem in der Einvernahme wie auch in der Beschwerde lediglich angab, dass er nach dem Vorfall bzw. nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus diese Drohanrufe erhalten habe, erwähnte er erst in der mündlichen Verhandlung erstmals, dass er (erst) bedroht worden sei, als er neuerlich seine Tätigkeit als Tuk-Tuk-Fahrer aufgenommen habe. Weshalb er dies nicht schon zuvor so dargelegt hatte, ist nicht ersichtlich.
Insgesamt betrachtet ist damit das vage, widersprüchliche und unplausible Vorbringen des BF nicht glaubhaft. Weder ist das Vorbringen zum Schussattentat noch zu einer folgenden Bedrohung durch die Al Shabaab glaubhaft. Selbst wenn der BF in Zusammenhang mit einem nicht gegen ihn gerichteten Anschlag oder einem Attentat verletzt worden sein sollte – der BF behauptet im Grunde auch gar nicht, das Ziel eines solchen Attentates gewesen zu sein (AS 323) –, so ist doch zumindest aus den genannten Gründen eine folgende individuelle Bedrohung des BF durch die Al Shabaab nicht glaubhaft.
2.2. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat
Die Feststellungen zur Situation in Somalia beruhen auf den angeführten Quellen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Somalia vom 16.01.2025 (Version 7). Bei den Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Somalia ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Dem aktualisierten Länderinformationsblatt vom 07.08.2025 (Version 8) sind insoweit keine Änderungen zu entnehmen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“
Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend (VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108).
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).
Das Vorbringen des Antragstellers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit der Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 10.08.2019, Ra 2018/20/0314).
Wie beweiswürdigend dargelegt, ist das Vorbringen des BF über ein Schussattentat – dieses wäre schon ohnedies nicht gegen ihn gerichtet gewesen – und eine folgende individuell gegen ihn gerichtete Bedrohung durch die Al Shabaab nicht glaubhaft. Sonstige Gründe einer asylrelevanten Bedrohung sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Es besteht somit keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlichen Verfolgung des BF in Somalia aus Konventionsgründen.
Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten durch das BFA war daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich zur Gänze auf die unter A) zitierte Rechtsprechung stützen.
Rückverweise