JudikaturBVwG

W243 2316514-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
18. September 2025

Spruch

W243 2316514-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Marianne WEBER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen – BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2025, Zl. 1391846903-240607420:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 15.04.2024 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er an einem ihm unbekannten Ort in Myanmar geboren worden und staatenlos sei. Seine Muttersprache sei Bengali und habe er zuletzt in Bangladesch gelebt. Seine Volksgruppenzugehörigkeit sei ihm unbekannt.

Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, dass seine Eltern Myanmar verlassen hätten, als er ein Baby gewesen sei. Seine Eltern hätten ihn abgegeben und sei er bei einem Ziehvater, der Reishändler gewesen sei, aufgewachsen. Im November 2023 habe der Beschwerdeführer, der bei seinem Ziehvater gearbeitet habe, wiederholt Streit mit einem anderen Mitarbeiter gehabt. Dabei habe der Beschwerdeführer diesem Mitarbeiter mit einem Reismesser in den Hals gestochen, welcher daraufhin umgefallen und verblutet sei. Sein Ziehvater habe ihm zur Flucht geraten.

2. Am 06.06.2025 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Im Zuge der Einvernahme führte der Beschwerdeführer an, dass er in Bangladesch geboren und Staatsangehöriger von Bangladesch sei. Seine Volksgruppe kenne er nicht. Seine Eltern seien vor seiner Geburt nach Bangladesch gekommen und sei er bei seinem Ziehvater aufgewachsen.

Als Fluchtgrund brachte er vor, er bekomme in Bangladesch keine Dokumente und er habe mit einer Person bei seiner Arbeit Streit gehabt. Dabei habe der Beschwerdeführer diese Person mit einem messerartigen Gegenstand leicht verletzt. Die Person sei am Boden gelegen und habe geblutet. Aufgrund der Panik sei er gegangen und sein Ziehvater habe sich um die Ausreise gekümmert.

Am Ende der Befragung führte der Beschwerdeführer an, dass er in Bangladesch nicht respektiert und dort „gehänselt“ würde, wobei man „Rohinga“ zu ihm sage.

Im Zuge der Einvernahme wurden dem Beschwerdeführer Länderberichte zur Lage in Bangladesch zur Kenntnis gebracht.

3. Mit Bescheid vom 26.06.2025 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Bangladesch gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Bangladesch zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte unter anderem fest, dass der Beschwerdeführer angeführt habe, Staatsangehöriger von Bangladesch zu sein und seine Volksgruppe nicht zu kennen. In der Folge wurden Feststellungen zur Lage in Bangladesch getroffen und beweiswürdigend festgehalten, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers als unglaubwürdig anzusehen sei.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung die gegenständliche Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen moniert, dass der Beschwerdeführer staatenlos sei und der Volksgruppe der Rohingya angehöre. Er habe nie angegeben, Staatsangehöriger von Bangladesch zu sein und er habe nie bengalische Dokumente besessen. Es sei auch falsch protokolliert worden, dass er seine Volksgruppenzugehörigkeit nicht kenne. Er gehöre der Volksgruppe der Rohingya an. Da der Beschwerdeführer als Kind zweier aus Myanmar geflüchteter Rohingyas in Bangladesch geboren worden sei, sei er nach den vorliegenden Quellen eine staatenlose Person im Sinne von Art. 1 GFK. Da es sich beim Beschwerdeführer um einen Rohingya handle, habe er nie Identitätsdokumente besessen. Zudem sei er in Bangladesch nie registriert worden. Da der Beschwerdeführer sich in Bangladesch unrechtmäßig aufgehalten habe, liege kein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne der GFK vor, weshalb der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz im Hinblick auf Myanmar zu prüfen sei. Dem Beschwerdeführer drohten sowohl in Myanmar als auch in Bangladesch gravierende Verfolgungshandlungen aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Rohingya.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen Inhalt des von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensaktes. Ergänzend wurde Einsicht genommen in das Zentrale Melderegister, das Strafregister, das Fremdenregister und das Betreuungsinformationssystem.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zurückverweisung:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2014/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Gemäß § 18 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl prüfte im Verfahren zum Antrag auf internationalen Schutz Bangladesch als „Herkunftsstaat“, wobei es zu diesem Staat Feststellungen traf und eine Gefährdung im Falle der Rückkehr prüfte.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 ist Herkunftsstaat der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder – im Falle der Staatenlosigkeit – der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.

In casu hat die belangte Behörde jedoch jegliche Ermittlungsschritte zur Erhebung der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers unterlassen. Die belangte Behörde traf im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, sondern verwies lediglich auf Teile seiner Angaben (arg: „Sie verwendeten im Laufe ihrer Antragstellung auf internationalen Schutz in Österreich die Identität […] Staatsangehörigkeit: Bangladesch“ AS 52). Auch im Kopf auf der ersten Seite des angefochtenen Bescheides wird zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers lediglich „Bangladesch alias staatenlos“ vermerkt. Für das Bundesverwaltungsgericht ist somit nicht nachvollziehbar, von welcher Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers die belangte Behörde schlussendlich ausgeht.

Hierbei wird nicht übersehen, dass der Beschwerdeführer zu seiner Staatsangehörigkeit in seinen niederschriftlichen Befragungen divergierende Angaben tätigte. So gab er einerseits in seiner Erstbefragung an, dass seine Eltern aus Myanmar stammten und er staatenlos sei (AS 7), und führte er andererseits in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, Staatsangehöriger von Bangladesch zu sein (AS 33). Mit diesen (nicht in sich) stimmigen Aussagen hat sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jedoch mit keinem Wort auseinandergesetzt und zudem sein Vorbringen, wonach er keine Dokumente in Bangladesch ausgestellt bekommen habe, vollkommen unberücksichtigt gelassen. Der Grund für das Nichtausstellen von Dokumenten durch Bangladesch wurde seitens der Behörde nicht weiter hinterfragt.

Auch in Bezug auf die Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers traf das Bundesamt für Fremdenwesen keine Feststellungen, sondern verwies nur auf seine Angaben (arg: „[…] gaben an, nicht wissen würden, welcher Volksgruppe Sie angehören“ AS 52). Zwar ist es richtig, dass er im Verfahren gleichlautend angab, diese nicht zu kennen (AS 9, 33). Gleichzeitig führte er jedoch an, als „Rohinga“ beschimpft worden zu sein. Eine Auseinandersetzung mit diesen Ausführungen ist durch die Verwaltungsbehörde allerdings zur Gänze unterblieben.

All dies wäre jedoch insofern von Relevanz gewesen, da nach den im angefochtenen Bescheid herangezogenen Berichten die Regierung (von Bangladesch) die Geburten von Rohingya-Flüchtlingen, die im Land geboren würden, nicht registriere und ihnen auch nicht die Staatsbürgerschaft verleihe (AS 92).

Bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit bzw. des Herkunftsstaates handelt es sich zweifellos um eine zentrale Frage im Asylverfahren (vgl. etwa VwGH 16.04.2009, 2008/19/0706; 20.02.2009, 2007/19/0535), welche grundsätzlich von der Behörde erster Instanz zu klären ist, da ansonsten im Fall der Klärung des Herkunftsstaates durch das Bundesverwaltungsgericht das gesamte sich an die Feststellung knüpfende Ermittlungsverfahren zum Herkunftsstaat vor das Bundesverwaltungsgericht verlagert würde.

Es wäre somit Aufgabe des Bundesamtes für Fremdenwesen uns Asyl gewesen, sich mit den Aussagen des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit sowie zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit auseinanderzusetzen, eine gesamtheitliche Würdigung seines Vorbringens hierzu vorzunehmen und auf Basis dessen schlüssige Feststellungen zu treffen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird sich im fortgesetzten Verfahren weiters mit der Frage zu befassen haben, inwieweit dem Beschwerdeführer eine individuelle Verfolgung im Zusammenhang mit einer etwaigen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya droht, sowie mit der Frage, ob die Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe für sich genommen bereits Asylrelevanz hat (Gruppenverfolgung; Hinweis auf VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407, und auf VwGH 29.4.2015, Ra 2014/20/0151).

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens sowie eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, da eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist – auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird somit im fortgesetzten Verfahren die erforderlichen Ermittlungstätigkeiten durchzuführen und die daraus gewonnenen Ermittlungsergebnisse mit dem Beschwerdeführer – im Rahmen des Parteiengehörs – zu erörtern haben.

Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig. Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheides ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).