JudikaturBVwG

L516 2292031-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
14. August 2025

Spruch

L516 2292031-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Syrien, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.04.2024, 1370214100-231900853, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger und stellte am 20.09.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag des Beschwerdeführers (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab. Das BFA erkannte dem Beschwerdeführer unter einem (II.) gem § 8 Abs 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte (III.) eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr gemäß § 8 Abs 4 AsylG.

Gegen Spruchpunkt I diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache des Beschwerdeführers am 20.11.2024 und 06.05.2025 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertretung teilnahmen; die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme und erschien nicht.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; EB=Erstbefragung; EV=Einvernahme; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht; S=Seite; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes]

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Er ist syrische Staatsangehöriger, gehört der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht nicht fest.

Der Heimatort des Beschwerdeführers ist die Stadt Qamishli, wo er geboren und aufgewachsen ist. Er besuchte in Syrien 9 Jahre die Schule. Sein Vater, die von diesem getrennt lebende Mutter, sowie drei Brüder und drei Schwestern leben in Syrien. (NS EV 19.03.2024 S 4; VS 24.10.2024 S 4, 5; VS 06.05.2025 S 5)

Einem älteren Bruder des Beschwerdeführers wurde bereits im Juni 2021 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. (BVwG W176 2235106-1/15E)

Der Beschwerdeführer verließ Syrien ungefähr im Frühjahr/Sommer 2023 und reiste über verschiedene Länder im September 2023 in Österreich ein. (NS EB 21.09.2023 S 4; VS 24.10.2025 S 5)

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten und eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG. (siehe die rechtskräftigen Spruchpunkte II und III des angefochtenen Bescheides)

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten. (SA)

1.2 Zum Antragsgrund und zur Rückkehrgefährdung

1.2.1 Der Beschwerdeführer wurde vor seiner Ausreise als Minderjähriger von den Kurdischen Kräften in seiner Heimatstadt Qamishli zwangsrekrutiert und nach Ra’s al-‘Ain gebracht. Als er wenige Tage später von dort flüchtete, wurde er von den Kurdischen Kräften angeschossen, wobei sein rechter Arm verletzt und später operativ mit Metallverschraubungen versorgt werden musste.

1.2.2 Der Heimatort des Beschwerdeführers ist die Stadt Qamischli im Gouvernement al-Hasaka im Nordosten Syriens. Der Heimatort des Beschwerdeführers bzw. dessen Umgebung unterliegen zum Entscheidungszeitpunkt zur Gänze der Kontrolle der Kurdischen Kräfte, der SDF.

1.2.3 Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung und Eingriffe in seine körperliche Integrität durch die Kurdischen Kräfte wegen einer ihm unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung.

1.3 Zur Ländersituation in Syrien

1.3.1 EUAA Interim Country Guidance: Syria, Juni 2025

Kinder in kurdisch kontrollierten Gebieten sind besonders gefährdet, von bewaffneten Gruppen rekrutiert zu werden.

Während das Risiko einer Zwangsrekrutierung als solches im Allgemeinen keinen Zusammenhang mit einem Verfolgungsgrund darstellt, könnten die Folgen einer Verweigerung, abhängig von den individuellen Umständen, einen solchen Zusammenhang herstellen, unter anderem mit einer (unterstellten) politischen Meinung.

Im Falle der Rekrutierung von Kindern müssen die individuellen Umstände des Antragstellers berücksichtigt werden, um festzustellen, ob ein Zusammenhang mit einem Verfolgungsgrund nachgewiesen werden kann. Im Fall von Kindern, die sich weigern, den kurdischen Streitkräften beizutreten, kann beispielsweise eine Verfolgung auf (unterstellten) politischen Überzeugungen beruhen.“

[Auszug aus EUAA Interim Country Guidance: Syria, Juni 2025, 40, 50]

1.3.2 Staatendokumentation, Anfragebeantwortung Syrien, Zwangsrekrutierung von Minderjährigen durch bewaffnete Gruppierungen, DAANES

Syrians for Truth and Justice ist eine Nichtregierungsorganisation für Menschenrechte. Syrians for Truth and Justice berichtete, dass im Laufe des Jahres 2023 über 52 Fälle von Kinderrekrutierung in Democratic Autonomous Administration of North and East Syria-Gebieten (DAANES) dokumentiert wurden. Von diesen Fällen betrafen 29 minderjährige Jungen und 23 minderjährige Mädchen. Die meisten Fälle ereigneten sich in Qamischli mit 22 gemeldeten Fällen, gefolgt vom Stadtteil Sheikh Maqsoud in Aleppo mit 13 Fällen, Manbidsch mit 7 Fällen, Raqqa mit 6 Fällen und Ayn al-Arab/Kobanî mit 4 Fällen.

The Syria Justice and Accountability Centre ist eine syrische Menschenrechtsorganisation, die sich für sinnvolle Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht in Syrien einsetzt, indem sie Täter zur Verantwortung zieht und Missstände beseitigt. The Syria Justice and Accountability Centre gibt an, dass die höchste Anzahl an Fällen in der Provinz Aleppo verzeichnet (28 Fälle) wurde, gefolgt von Hasakeh (15 Fälle) und schließlich Raqqa (6 Fälle). In Hasakeh traten die meisten Fälle in der Stadt Hasakeh (7 Fälle), Qamishli (6 Fälle) und dann Al Darbasiyah (1 Fall) auf.

[Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: Syrien, Zwangsrekrutierung von Minderjährigen durch bewaffnete Gruppierungen, DAANES, 08.08.2025]

1.3.3 ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Zwangsrekrutierung von Kindern und der Einsatz von Kindersoldat·innen in der Autonomieverwaltung von Nordostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) [a-12243] 12.10.2023

Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) schreibt in seinem Jahresbericht über Menschenrechtsverletzungen in Syrien im Jahr 2022, dass die SDF (Syrian Democratic Forces) weiterhin Kinder zum Zweck der Rekrutierung entführe und sie in Ausbildungs- und Rekrutierungslager bringe, wo sie keinen Kontakt zu ihren Familien haben dürften (SNHR, 17. Jänner 2023, S. 87).

Syrians for Truth und Justice (STJ) und 22 weitere Organisationen hätten im Mai 2022 einen offenen Brief unterschrieben, in dem sie die Regierung der AANES dazu aufgefordert hätten, der Rekrutierung von Kindern ein Ende zu setzen. Die kurdische Revolutionäre Jugend (KU: Tevgera Ciwanên Şoreşgerê; AR: Shabiba Al-Thawra; eine der PKK nahestehende Gruppierung (DIS, Juni 2022, S. 43)) führe weiterhin ungestraft weit verbreitete und systematische Entführungen und Rekrutierungen minderjähriger Kinder in den Gebieten der Autonomieverwaltung durch (STJ, 23. Mai 2022).

STJ dokumentierte die Rekrutierung von 24 Minderjährigen im Jahr 2021. Eines der Kinder sei zum Zeitpunkt der Rekrutierung 12 Jahre alt gewesen, fünf seien 13 Jahre alt und drei seien 14 Jahre alt gewesen. Im ersten Halbjahr 2022 (Anfang Jänner bis Ende Juni 2022) habe STJ die Rekrutierung von 29 Minderjährigen dokumentiert. Die rekrutierten Minderjährigen seien 12 Jahre und älter gewesen. Die Rekrutierungen seien von der Revolutionären Jugend (27 der 29 Fälle aus 2022) und den Volksverteidigungseinheiten (YPG) (2 der 29 Fälle) durchgeführt worden. Der Bericht nennt auch die Wohnorte der rekrutierten Jugendlichen und beschreibt in einigen Beispielen, wie die Rekrutierungen durchgeführt worden seien (siehe Anhang) (STJ, 26. Juli 2022). Im Jänner 2023 bestätigt STJ, dass die Revolutionäre Jugend in den Gebieten der AANES weiterhin Minderjährige rekrutiere. Die AANES und ihre Sicherheitskräfte würden keine Maßnahmen dagegen ergreifen. STJ habe in Manbidsch und Ayn Al-Arab (auch Kobane genannt) mehrere Fälle von Kinderrekrutierung dokumentiert. In der zweiten Hälfte des Jahres 2022 habe STJ 20 Fälle dokumentiert. STJ habe Informationen erhalten, dass die Revolutionäre Jugend Kinder im Alter zwischen 14 und 18 Jahren mit gefälschten Ankündigungen über Aktivitäten, wie kostenlose Fotografie- und Fußballkurse, in ihr Hauptquartier in Manbisch locken würde. Sobald ein Kind in die Zentrale komme, um sich nach einem Kurs zu erkundigen oder sich dafür anzumelden, verschwinde es und kehre nie mehr nach Hause zurück (STJ, 25. Jänner 2023).

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN Human Rights Council (HRC)) veröffentlicht im Februar 2023 einen Bericht der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission zur Arabischen Republik Syrien mit einem Berichtszeitraum von Anfang Juli bis Ende Dezember 2022. Laut der Untersuchungskommission habe es 2022 weiterhin Berichte über die Rekrutierung von Kindern in der AANES gegeben. Einige Familien hätten bei bestehenden Kinderschutzämtern in der AANES die Rekrutierung von Kindern im Alter von 14 Jahren gemeldet. Den Familien sei mitgeteilt worden, dass ihnen nicht geholfen werden könne, da die Kinder von der Revolutionären Jugend entführt worden seien (HRC, 7. Februar 2023, S. 17).

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UNSC) veröffentlicht im Juni 2023 den Bericht des Generalsekretärs über Kinder und bewaffnete Konflikte, dessen Berichtszeitraum das Jahr 2022 umspannt. Es seien im Berichtszeitraum 637 Minderjährige von der SDF (davon 633 von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten und Frauenschutzeinheiten (YPG/YPJ)) und 21 von den Inneren Sicherheitskräften der AANES rekrutiert worden (UNSC, 5. Juni 2023, S. 24-25). Weiters sei die Entführung von vier Kindern (zwei durch YPG/YPJ und zwei durch die Revolutionäre Jugend) bestätigt worden. Alle Kinder seien zum Zweck der Rekrutierung entführt worden (UNSC, 5. Juni 2023, S. 25). Der Generalsekretär sei besorgt über die Zunahme bestätigter Fälle der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern durch die SDF (UNSC, 5. Juni 2023, S. 26).

Laut SNHR hätten mit Dezember 2022 SDF-Mitarbeiter·innen weiterhin Kinder zum Zweck der Rekrutierung entführt (SNHR, 3. Jänner 2023, S. 13). SNHR dokumentiert im Dezember 2022 die Entführung eines 2008 geborenen Mädchens in der Stadt Aleppo und eines 2007 geborenen Jungen in der Stadt Manbidsch. Beide seien zu SDF-Rekrutierungszentren gebracht worden (SNHR, 3. Jänner 2023, S. 23).

Das Danish Immigration Service (DIS) veröffentlicht im Juni 2022 einen Bericht über militärische Rekrutierungen in der Provinz Hasaka, für den eine Reihe von Expert·innen im Jänner und Februar 2022 unter anderem über die Rekrutierung von Minderjährigen befragt wurden. Laut einem/r Kinderschutzbeauftragten der AANES rekrutiere die SDF keine Minderjährigen unter Zwang, indem sie sie entführe oder aus ihren Häusern verschleppe. Die Minderjährigen, die sich der SDF angeschlossen hätten, hätten dies freiwillig getan. Gründe inkludierten familiäre Probleme, den Wunsch, die Familie finanziell zu unterstützen sowie den Wunsch, Teil einer Streitkraft zu sein. Einige Minderjährige würden beim Beitritt falsche Dokumente vorlegen. Andere würden angeben, keine Ausweispapiere zu besitzen. In letzterem Fall stütze sich die SDF auf das äußere Erscheinungsbild der Person, um ihr Alter zu bestimmen. In den meisten Fällen sei es schwierig zu erkennen, ob die Person minderjährig oder volljährig sei. Es gebe Beispiele von Minderjährigen, die nach ein bis zwei Tagen Aufenthalt bei der SDF zu ihren Familien zurückgebracht worden seien, weil sie als unter 18 Jahre alt eingeschätzt worden seien. Die Minderjährigen, die sich der SDF anschließen würden, seien überwiegend zwischen 15 und 18 Jahre alt. Sollten Minderjährige in der SDF entdeckt werden, würden sie sofort entlassen. Einige 17-jährige, die ein oder zwei Monate später 18 Jahre alt werden, würden sich weigern, die SDF zu verlassen. Sie würden bis zu ihrem 18. Lebensjahr zivile Arbeiten verrichten. Der/Die Kinderschutzbeauftragte wisse von Familien, die sich darüber beschwert hätten, dass ihre Kinder der Revolutionären Jugend beigetreten seien. Das Büro könne jedoch erst eingreifen, wenn sich das Kind einer SDF-Truppe anschließe (DIS, Juni 2022, S. 40-41). Fabrice Balanche, Associate Professor und Forschungsdirektor an der Universität Lyon 2, erklärt im Interview mit DIS, dass er nicht glaube, dass die Behörden der SDF und AANES Minderjährige zum Zweck der Rekrutierung entführen würden, da es viele Freiwillig gebe, die daran interessiert seien, der SDF beizutreten. Balanche gehe jedoch davon aus, dass die Revolutionäre Jugend versuche, Minderjährige politisch und ideologisch zu ermutigen und sie darauf vorzubereiten, sich der PKK anzuschließen (DIS, Juni 2022, S. 43- 44). Ein/e internationale/r humanitäre/r Koordinator·in („international humanitarian coordinator“) sagt gegenüber DIS aus, dass er/sie weiterhin Berichte über die Rekrutierung von Minderjährigen erhalte. Es handle sie dabei um die Revolutionäre Jugend, die mit der SDF verbündet sei, jedoch den Aktionsplan [gegen Kinderrekrutierung, Anmerkung ACCORD] nicht unterzeichnet habe. Fälle von Zwangsrekrutierung seien selten und es sei unmöglich den Schluss zu ziehen, dass ein Kind gewaltsam in eine bewaffnete Gruppe entführt worden sei, da die Informationen von den Eltern stammen würden. Die Eltern würden in der Regel erklären, dass der/die Minderjährige plötzlich verschwunden sei und sie später von Freund·innen erfahren hätten, dass der/die Minderjährige von einer bestimmten Gruppierung entführt worden sei. Es gebe auch Berichte von Familien darüber, dass die SDF Kinder zwangsrekrutiert habe. Diese Berichte seien jedoch nicht verifizierbar. Die Informationen würden ausschließlich auf den Berichten der Familien basieren und kämen nicht von den Minderjährigen selbst. Laut dem/der Koordinator·in könnten die Familien ein Interesse daran haben, eine veränderte Geschichte zu erzählen, und die Minderjährigen könnten sich freiwillig dazu entschieden haben, den bewaffneten Truppen beizutreten. Einige Minderjährige würden der SDF aus wirtschaftlichen Gründen beitreten. Es würden sich monatlich mindestens 500 Minderjährige an die SDF wenden. Die Quelle gehe jedoch davon aus, dass die SDF die meisten der Kinder ablehne (DIS, Juni 2022, S. 47). Laut einem Universitätsprofessor aus Erbil gebe es im Allgemeinen keine Zwangsrekrutierung junger Menschen, indem sie auf der Straße entführt würden. Es könne Einzelfälle dieser Art geben, aber im Allgemeinen sei die Vorgehensweise von Gruppen, wie der Revolutionären Jugend, eine andere. Eine Kombination sozialer und psychologischer Faktoren (wie niedriges Bildungsniveau, soziale Probleme und ideologische Propaganda) führe dazu, dass junge Menschen sich den Gruppierungen freiwillig anschließen. In Trainingslagern würden junge Menschen ideologisch so beeinflusst werden, dass sie nicht mehr zu ihrer Gemeinschaft und ihren Familien zurückkehren möchten. Diejenigen, die sich der Revolutionären Jugend anschließen, würden schließlich der PKK und nicht der SDF beitreten. Unter den Pro-PKK-Gruppen rekrutiere nur die Revolutionäre Jugend Minderjährige. Laut dem Professor rekrutiere die SDF zum Zeitpunkt des Interviews keine Minderjährigen (DIS, Juni 2022, S. 67-68). Laut Wladimir van Wilgenburg, ein in der Autonomen Region Kurdistan ansässiger, auf kurdische Angelegenheiten spezialisierter Reporter und Analyst, gebe es Fälle von Minderjährigen, die sich ohne Zustimmung ihrer Eltern der SDF anschließen wollten. Während die Minderjährigen sich freiwillig der SDF anschließen würden, würden die Eltern die Rekrutierung ihrer Kinder als Entführung betrachten (DIS, Juni 2022, S. 71).

Enab Baladi veröffentlicht im März 2022 einen Artikel über die gewaltsame Entführung von Kindern aus Aleppo durch die Revolutionäre Jugend. Laut einem lokalen Informanten würden Mitglieder der PYD (Democratic Union Party) zusammen mit der Revolutionären Jugend versuchen, Teenager im Alter zwischen 14 und 18 Jahren davon zu überzeugen, der Revolutionären Jugend beizutreten. Jugendliche würden durch monetäre Anreize und ideologische Diskussionen dazu bewegt, sich der Revolutionären Jugend anzuschließen. Die Jugendlichen würden auch gegen den Willen ihrer Eltern rekrutiert werden. Sollten sich die Jugendlichen weigern, sich der Revolutionären Jugend anzuschließen, käme es zu Entführungen. Manchmal würden die Entführungen bei Tag stattfinden. Es wage niemand darüber zu sprechen, aus Angst verhaftet zu werden (Enab Baladi, 18. März 2022).

Das Rasd Syria Network for Human Rights, eine syrische Medieninstitution, die sich auf Menschenrechtsfragen spezialisiert, veröffentlicht im Mai 2023 einen Artikel über den Anstieg der Fälle von Rekrutierungen und Entführungen von Kindern durch die Revolutionäre Jugend. Laut dem Netzwerk sei es zu einem deutlichen Anstieg der rekrutierten Kinder und deren Beteiligung an Kämpfen gekommen. Familien, die sich an offizielle Stellen der AANES gewendet hätten, seien ihre Kinder nicht zurückgegeben worden und sie hätten auch nichts über deren Schicksal oder Aufenthaltsort erfahren. Laut Rasd Syria Network for Human Rights sei die tatsächliche Zahl der (zum Zweck der Rekrutierung) entführten Kinder um einiges höher als die Zahl der dokumentierten Fälle. Familien hätten Angst Fälle offenzulegen, da sie sich durch die Revolutionäre Jugend bedroht fühlen würden. Zu den vom Netzwerk dokumentierten Fällen gehöre die Entführung eines 13-jährigen Mädchens aus der Stadt Qamischli sowie die Entführung eines 15-jährigen Jungen aus der Provinz Raqqa, der an chronischen Krankheiten leide (Rasd Syria Network for Human Rights, 25. Mai 2023).

Syria Indicator veröffentlicht ebenfalls im Mai 2023 einen Artikel über die Situation von Kindern in Nordost-Syrien. Im Artikel stellt Syria Indicator Informationen der ‘Bercav’ Organization for Democratic Development and Media, laut der Kinder unter 15 Jahren nicht rekrutiert würden, Quellen von STJ gegenüber, die Entführung zum Zweck der Rekrutierung von unter 15-jährigen im Jahr 2022 dokumentieren. Laut Syria Indicator seien in den Jahren 2021 und 2022 Dutzende Kinder unter 15 Jahren rekrutiert worden, darunter zwei Jungen im Alter von neun und zehn Jahren in Aleppo im Mai 2022, die jedoch aufgrund von medialem Druck nach einem Tag wieder frei gelassen worden seien, sowie einem 13-jährigen Mädchen aus Qamischli. Insgesamt seien im Zeitraum von 2021 bis 2022 mindestens 97 Kinder rekrutiert worden. Im Jänner und Februar 2023 seien ein Mädchen (15 Jahre) und ein Junge (14 Jahre) von der Revolutionären Jugend in Aleppo entführt worden (Syria Indicator, 17. Mai 2023).

STJ bestätigt die kontinuierliche Rekrutierung von Minderjährigen durch die Revolutionäre Jugend in der Region im Juli 2023. Im ersten Halbjahr 2023 seien mindestens 32 Kinder rekrutiert worden. Die Revolutionäre Jugend habe die meisten Rekrutierungen zu verantworten. Eine Rekrutierung sei durch die YPJ durchgeführt worden. Es seien Mädchen wie auch Jungen rekrutiert worden, zehn davon in Qamischli, fünf in Ayn Al-Arab, vier in Manbidsch, fünf in Raqqa, drei in Al-Hasaka und fünf in Aleppo (STJ, 7. Juli 2023).

Laut dem Rasd Syria Network for Human Rights seien mit September 2023 weiterhin Minderjährige in der AANES rekrutiert und eingesetzt worden. Das Netzwerk habe im September die Entführung zum Ziel der Rekrutierung von zwei Kindern durch die Revolutionäre Jugend dokumentiert (Rasd Syria Network for Human Rights, 1. Oktober 2023).

1.3.4 Rekrutierung Minderjähriger in den Gebieten der Demokratischen Autonomen Administration Nord- und Ostsyrien (DAANES), Stand 08.05.2025

[Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage in von den Kurden dominierten Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen dazu, bitten wir auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]

2019 haben die von Kurden geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) ein Abkommen mit den UN unterzeichnet, in dem sie versprachen, die Rekrutierung von Kindern unter 18 Jahren zu beenden und in ihrem Gebiet eine Reihe von Kinderschutzbüros einzurichten (AP 28.6.2023). Im Jahr 2020 entließen die SDF 150 Kinder aus ihren Reihen, was einen erheblichen Einsatz bei der Umsetzung des Aktionsplans von 2019 zeigt. Diese Zahl der Demobilisierungen stieg 2021 leicht auf 182 an, was auf weitere Fortschritte hindeutet. Im Jahr 2022 stieg die Zahl der SDF-Rekrutierungen von Kindern auf 637 bestätigte Fälle an. In diesem Jahr gingen die SDF-Demobilisierungen laut UN auch stark zurück, auf nur 33 Kinder, was einen besorgniserregenden Rückgang der Korrekturmaßnahmen widerspiegelt, obwohl die Rekrutierung von Kindern stark anstieg (HRW 2.10.2024). Personen unter 18 Jahren werden dem Danish Immigraton Service (DIS) zufolge nicht zum Selbstverteidigungspflichtdienst einberufen, und die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht in Bezug auf das Einberufungsalter werden von den DAANES-Behörden generell eingehalten und konsequent durchgesetzt. Dennoch gab es Berichte über die Rekrutierung von Personen unter 18 Jahren in die SDF. Die genauen Zahlen und das Ausmaß, in dem diese Rekrutierung unter Anwendung physischer Gewalt (z. B. Entführungen) durchgeführt wurde, sind unklar (DIS 6.2024). Die SDF haben dem Syrian Human Rights Committee zufolge die Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern in ihren Gebieten im August 2024 wieder erhöht (SHRC 3.9.2024). Ein Drittel der rekrutierten Minderjährigen ging im Jahr 2022 zulasten der SDF (AP 28.6.2023). Befürworter der SDF und der DAANES neigen dazu, dieses Problem herunterzuspielen, indem sie behaupten, dass diese Rekrutierungspraktiken nicht stattfinden oder dass sich die Situation verbessert hat. Umgekehrt neigen diejenigen, die der SDF und der DAANES kritisch gegenüberstehen, dazu, die Zahl dieser Fälle zu übertreiben (DIS 6.2024). Innerhalb der SDF ist es hauptsächlich die Revolutionäre Jugendbewegung Syriens, Tevgera Ciwanên Şoreşger, die Mädchen und Jungen im Alter von 12 Jahren rekrutiert, sie aus ihren Schulen und Häusern entfernt, ihren Familien den Kontakt zu ihnen verweigert und die verzweifelten Bemühungen der Familien, sie zu finden, abweisen. Trotz der Zusagen der Behörden, diese Praxis zu beenden, scheint die Gruppe offen und ungestraft Kinder im Auftrag bewaffneter Gruppen ideologisch zu indoktrinieren. Diese Jugendgruppe ist zwar selbst keine bewaffnete Gruppe, scheint aber tief in die politischen und militärischen Strukturen der kurdisch geführten Autonomieverwaltung für Nord- und Ostsyrien und der von den USA unterstützten, kurdisch geführten SDF, ihrem militärischen Flügel, verstrickt zu sein. Untersuchungen unabhängiger syrischer Menschenrechtsgruppen zeigen, dass die Revolutionäre Jugendbewegung Kinder an die beiden Hauptkomponenten der SDF, die Volksverteidigungseinheit (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) und ihren Frauenverband, die (Yekîneyên Parastina Jin - YPJ), überstellt hat, beides bewaffnete Gruppen, die selbst direkt in die Rekrutierung von Kindersoldaten verwickelt waren (HRW 2.10.2024). Berichte von Organisationen, die sich mit den Menschenrechten in Syrien befassen, weisen auf die Beteiligung der Revolutionären Jugend an der Entführung und Rekrutierung von Kindern in Gebieten im Nordosten Syriens sowie in Teilen der Stadt Aleppo und der Region Manbij hin, die unter der Kontrolle der kurdischen DAANES stehen (TNA 2.8.2023). Obwohl ihre Zahl zurückgegangen ist, gibt es derzeit sechs funktionierende Kinderschutzbüros, die sich in at-Tabqa, Kobane, Jazira, ar-Raqqa, Deir ez-Zour und Manbij befinden. Das Kinderschutzbüro ist für Fälle zuständig, die die Rekrutierung von Minderjährigen durch die SDF betreffen. Die Rekrutierung von Minderjährigen durch andere Gruppen, einschließlich der Revolutionäre Jugendbewegung, fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des Büros. Eltern von rekrutierten Minderjährigen können sich an das Kinderschutzbüro ihres Gebiets wenden, um eine Beschwerde über die Rekrutierung ihres Kindes einzureichen. Die Beschwerden und die von den Eltern eingereichten erforderlichen Unterlagen werden dann von dem betreffenden Büro in physischer und elektronischer Form an das zuständige SDF-Büro weitergeleitet. Die Bearbeitungszeit für diese Art von Beschwerden beträgt 15 bis 30 Tage (DIS 6.2024).

[Auszug aus Staatendokumentation, Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, 08.05.2025]

1.3.5 Zur Wehrpflicht und Rekrutierungspraxis in Syrien seit Dezember 2024

Zur Selbstverteidigungspflicht in der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)

Wehrdienst

Der Gesellschaftsvertrag von 2023 regelt in der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) in Abschnitt 5 die Selbstverteidigungspflicht. Artikel 111 besagt, dass Selbstverteidigung eine Garantie und Fortsetzung des Lebens, und basierend auf dem Recht und der Pflicht ist, die Existenz zu verteidigen. Sie erfordert die Einrichtung eines Selbstschutzsystems, das auf dem Bewusstsein der legitimen Selbstverteidigung und der organisierten demokratischen Gesellschaft in Nord- und Ostsyrien beruht. Einerseits gibt es die Community Protection Forces, die für den Schutz Nord- und Ostsyriens und die Gewährleistung des Schutzes von Leben und Eigentum der Bürger vor allen Angriffen und Besatzungen verantwortlich sind. Die Community Protection Forces werden unter Beteiligung aller Bürger organisiert. Selbstverteidigung ist ein Recht und eine Pflicht für jeden Bürger. Es ist die Pflicht organisierter ethnischer und religiöser Gruppen, sich wirksam am Selbstverteidigungssystem zu beteiligen, angefangen bei Stadtvierteln, Dörfern, Städten und allen Wohneinheiten. Anderseits erwähnt Artikel 111 auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF). Sie sind die legitimen Verteidigungskräfte in der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens. Sie nehmen den freiwilligen Beitritt der Söhne und Töchter des Volkes und die Pflicht zur Selbstverteidigung an. Ihre Aktivitäten werden vom Demokratischen Volksrat und der Verteidigungskommission überwacht. Sie organisieren sich autonom innerhalb des Demokratischen Konföderalen Systems Nord- und Ostsyrien und haben die Aufgabe, die DAANES und alle syrischen Gebiete zu verteidigen und sie vor jeglichen potenziellen Angriffen oder Gefahren von außen zu schützen (RIC 14.12.2023). Laut Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigung gelten Männer mit Vollendung des 18. Lebensjahres als wehrpflichtig und müssen den Selbstverteidigungsdienst bis zum vierzigsten Lebensjahr vollendet haben (Artikel 13). Wehrpflichtig ist jeder männliche Bewohner der Region Nord- und Ostsyrien, der das gesetzliche Alter für die Ausübung des Selbstverteidigungsdienstes erreicht hat, bzw. jeder, der seit mehr als drei Jahren dauerhaft in Nord- und Ostsyrien ansässig ist und die syrische Staatsangehörigkeit besitzt (Artikel 1) (AANES-GC 22.2.2024). Zwei Quellen, die vom Danish Immigration Service (DIS) befragt wurden, äußerten jedoch Zweifel an der konsequenten Einberufung von Personen von außerhalb der DAANES in allen Regionen (DIS 6.2024). Frauen in den von der Autonomen Verwaltung kontrollierten Gebieten können freiwillig Wehrdienst leisten (Enab 22.2.2024). Wladimir van Wilgenburg, Journalist und Autor, und ein Experte für syrische Kurden haben noch von keinem Fall gehört, in dem Frauen zwangsweise zur Selbstverteidigung eingezogen wurden (DIS 6.2024).

Das sogenannte Verteidigungsbüro des Exekutivrats der „Demokratischen Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien“ hat die für die Wehrpflicht erforderlichen Geburtsjahrgänge festgelegt, während die Verhaftungskampagnen gegen junge Menschen für die Einberufung in die Reihen der SDF weitergehen. Die Erklärung wurde vom Verteidigungsbüro der Autonomen Verwaltung an alle Verteidigungsbüros in der Region verteilt. Darin steht, dass wer zwischen dem 1.1.1998 und dem 31.12.2005 für den Dienst der Selbstverteidigung wehrpflichtig ist (Shaam 10.1.2024). Bereits vier Tage nach dem Erlass der Richtlinien, in der die Geburtsjahrgänge für die Selbstverteidigungspflicht bekannt gemacht wurden, nahmen die SDF eine Rekrutierungskampagne in al-Hasaka im Juni 2024 wieder auf, nachdem sie im Monat zuvor, am 8.5.2024 die Rekrutierungsprozesse eingestellt hatten (Enab 27.6.2024a). Anfang Juli 2024 wurden beispielsweise 240 Personen in den Provinzen Deir ez-Zour, al-Hasaka und ar-Raqqa gefangen genommen, um sie für den Militärdienst zu rekrutieren (SO 2.7.2024). Die Dienstzeit im Selbstverteidigungsdienst beträgt laut Artikel 2 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht zwölf volle Monate beginnend mit dem Datum der Einschreibung des Wehrpflichtigen (AANES-GC 22.2.2024).

2014 wurde die Zwangsrekrutierung von den Volksschutzeinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG), einer militärischen Säule der SDF, im Anschluss an das Dohuk-Abkommen, bei dem sich die kurdischen Parteien in der irakischen Stadt Dohuk getroffen hatten, um eine Einigung über die Verwaltung der Region zu erzielen, eingeführt (Enab 22.2.2024).

Araber und Kurden werden laut von ACCORD befragten Experten vor dem Gesetz gleichbehandelt. Fabrice Balanche erklärt jedoch, dass mehr Flexibilität gegenüber Arabern gezeigt werden würde, um einen Aufstand zu vermeiden. Arabische Stammesführer hätten lokal die Macht und würden für bestimmte junge Araber Ausnahmen und Aufschiebungen erwirken. Einem Syrienexperten zufolge seien die speziellen Konsequenzen für Araber von Region zu Region unterschiedlich. Nicht alle von den SDF kontrollierten Gebiete stünden unter derselben Art von Kontrolle. In den vornehmlich arabisch besiedelten Stammesregionen von Deir ez-Zour hätten die SDF beispielsweise nicht die Kapazität, eine direkte Rekrutierung wie in der Provinz al-Hasaka durchzusetzen. Anders als Balanche meint Muhsen Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, dass arabische Wehrdienstverweigerer bei der Festnahme anders behandelt werden und Beleidigungen und Gewalt ausgesetzt sein könnten (ACCORD 6.9.2023). Quellen des Danish Immigration Service (DIS) zufolge ist DAANES bei der Umsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung in Gebieten mit überwiegend arabischer Bevölkerung vorsichtig. Ebenso werden Christen in der Praxis nicht der gleichen Durchsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung unterworfen wie Kurden, so eine weitere Quelle. Daher nehmen christliche Jugendliche in der Regel nicht an der Selbstverteidigungspflicht teil, sondern treten stattdessen für drei Jahre der christlichen Polizeitruppe Sutoro bei. Dieser Dienst befreit sie von der Selbstverteidigungspflicht (DIS 6.2024).

Mehrere Quellen des DIS, darunter ein ehemaliger Rekrut, der seine Wehrpflicht vor zwei Jahren erfüllt hat, berichteten, dass der Selbstverteidigungsdienst mit einem grundlegenden theoretischen und praktischen militärischen Ausbildungsprogramm beginnt. Während des theoretischen Teils erhalten die Wehrpflichtigen Unterricht in allgemeiner Geschichte der Nationalen Streitkräfte sowie in Kultur und Ethik. Sie erhalten auch eine theoretische Einführung in militärische Themen, einschließlich militärischer Begriffe und Waffen. Im praktischen Teil des Ausbildungsprogramms absolvieren die Wehrpflichtigen ein körperliches Training und eine Waffenausbildung. Während der ersten Phase der Grundausbildung haben die Wehrpflichtigen keinen einzigen Tag frei. Nach Abschluss ihrer Ausbildung haben sie acht bis zehn Tage frei, bevor sie in ihren jeweiligen Einheiten und Aufgabenbereichen eingesetzt werden. Anschließend haben die Wehrpflichtigen für den Rest ihres Dienstes alle zehn Tage einen Tag frei. Nach der Ausbildungszeit, die bis zu zwei Monate dauert, werden die Wehrpflichtigen verschiedenen Aufgaben in unterschiedlichen Zentren oder Einheiten zugewiesen, wo sie für den Rest ihres Dienstes tätig sind. Die Ausbildung oder Qualifikationen der Wehrpflichtigen werden bei der Zuweisung ihrer Aufgaben oft berücksichtigt. So werden beispielsweise diejenigen mit einem besseren Bildungshintergrund und besseren Fähigkeiten Aufgaben in Büros oder Einrichtungen zugewiesen, die von ihren Fähigkeiten profitieren könnten. Wehrpflichtige mit niedrigem oder ohne Bildungshintergrund werden oft für Aufgaben im Zusammenhang mit der Bewachung oder dem Schutz öffentlicher Gebäude eingesetzt. Im Allgemeinen werden die Wehrpflichtigen nicht in Kampfsituationen eingesetzt. Es gab jedoch Fälle, in denen die Wehrpflichtigen in Kampfsituationen verwickelt waren, z. B. während der Schlacht um Afrin im Jahr 2018, bei schweren Kämpfen in Deir ez-Zour im Sommer 2023, bei den Kämpfen in Tell Abyad und bei Angriffen des Islamischen Staats (IS) auf das Gefängnis von al-Hasaka (2022), das hauptsächlich von Wehrpflichtigen bewacht wurde (DIS 6.2024).

Aufschub und Befreiung

Die Gesetzgebung erlaubt es Personen, die zur Selbstverteidigung verpflichtet sind, ihren Dienst aufzuschieben oder sich davon befreien zu lassen, je nach ihren individuellen Umständen. Diese Regeln, die unter anderem Ausnahmen aus medizinischen Gründen und Aufschübe für Studierende oder im Ausland lebende Personen vorsehen, werden von der DAANES aufrechterhalten und durchgesetzt. Einer Person, der eine Befreiung oder Entlassung von der Selbstverteidigungspflicht gewährt wurde, wird dies in ihrem Selbstverteidigungsheft vermerkt (DIS 6.2024). Das Gesetz Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht erlaubt es durch Artikel 16 Studierenden, wenn diese die erforderlichen Unterlagen vorlegen, ihre Einberufung jeweils für ein akademisches Jahr, beginnend mit 15. März jeden Jahres, aufzuschieben (AANES-GC 22.2.2024). Im September 2023 nahm die Selbstverwaltung im Nordosten Syriens Änderungen im Gesetz zur Selbstverteidigung vor. Die Änderungen legen eine bestimmte Altersgrenze für den Aufschub des Studiums fest, und zwar für jede einzelne Ausbildungsstufe. So kann ein Masterstudent den Dienst bis zum Alter von 32 Jahren aufschieben und hat kein Recht auf Aufschub nach diesem Alter, auch wenn er seine Studien oder einen weiteren Studienzweig noch nicht abgeschlossen hat. Ein neuer Artikel Nr. 30 wurde dem Gesetz hinzugefügt, der vorsieht, dass Ärzte und Apotheker, die ihr Studium abgeschlossen haben und sich zum Dienst auf dem Land verpflichten, ihren Wehrdienst um ein volles Jahr aufschieben können, sofern der Antragsteller das 30. Lebensjahr nicht überschritten hat. Bereits im Jahr 2018 wurde das Gesetz geändert, beispielsweise wurde ein Aufschub von Universitätsstudenten, des einzigen Kindes in der Familie, wie von Familien der Gefallenen und derjenigen, die Brüder in den Inneren Sicherheitskräften (Assayish) und der YPG haben (Enab 22.2.2024). Laut Artikel 17 wird Studenten, die einen Studienaufschub erhalten haben und das Alter für die Aufnahme des Studiums noch nicht erreicht haben, wie z. B. Studenten, die einen Studienaufschub erhalten haben, während sie noch 17 Jahre alt waren, dieses Jahr nicht als eines der Aufschubjahre gezählt. (AANES-GC 22.2.2024). Darüber hinaus stellte eine Quelle des Verteidigungsministeriums der DAANES klar, dass Studierende nicht an Bildungseinrichtungen innerhalb der DAANES eingeschrieben sein müssen, um für eine Aussetzung ihrer Selbstverteidigungspflicht infrage zu kommen. Sie können auch an Einrichtungen in von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten oder in den Nachbarländern Syriens, einschließlich der Türkei, des Irak, des Libanon und Jordaniens, eingeschrieben sein (DIS 6.2024).

Gemäß Artikel 25 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht wird Brüdern von Wehrpflichtigen derselben Mutter innerhalb der Selbstverteidigungspflicht, die den Ausbildungskurs abgeschlossen haben, ein Aufschub gewährt. Dieser Aufschub wird zweimal für jeweils sechs Monate gewährt. Artikel 26 regelt administrative Aufschübe. So kann, wer frisch von außerhalb Syriens zurückgekehrt ist, eine Aufschiebung für maximal sechs Monate bekommen. Der einzige Bruder eines Vermissten kann einen Aufschub für zwei Jahre bekommen. Geschwister, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und deren Eltern verstorben oder behindert sind, können ein Jahr aufschieben. Die genannten Aufschübe werden nach einer Überprüfung durch das Zentrum für Selbstverteidigungsaufgaben und der Genehmigung durch die Abteilung für Selbstverteidigungsaufgaben gewährt (AANES-GC 22.2.2024). Personen, die mindestens drei Jahre lang in einer Einrichtung oder Truppe unter dem DAANES gedient haben, können von der Selbstverteidigungspflicht befreit werden. Dies gilt für bezahlte, auf einem Vertrag basierende Dienste in jeder vom DAANES anerkannten Einrichtung, wie z. B. der Verkehrspolizei. Ehemalige Mitglieder der Internen Sicherheitskräfte (Assayish) oder der SDF sind vom Selbstverteidigungsdienst befreit, wenn sie bereits zwischen 2012 und 2015 mindestens zwei Jahre lang bei der Assayish oder der SDF gedient haben. Auch Personen, die derzeit drei bis fünf Jahre lang bei der Assayish oder der SDF dienen, können eine Befreiung beantragen. Junge Männer, die nicht dienen wollen, können alternative Wege in Betracht ziehen, um die Vorschriften des Gesetzes über die Selbstverteidigungspflicht zu erfüllen. Eine Möglichkeit besteht darin, drei Jahre lang bei der Verkehrspolizei zu dienen, wodurch sie sich für eine Befreiung von ihrer Selbstverteidigungspflicht qualifizieren würden (DIS 6.2024).

Von der Pflicht zur Selbstverteidigung befreit sind laut Artikel 29 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht: Kinder und Geschwister von Märtyrern, die offiziell in den Registern der Märtyrer-Familien-Kommission eingetragen sind und eine Bescheinigung über das Märtyrertum besitzen, Personen mit besonderen Bedürfnissen und Patienten mit Krankheiten, die sie an der Ausübung ihrer Pflicht hindern, gemäß den medizinischen Berichten des militärmedizinischen Zentrums und der Genehmigung der Verteidigung in den autonomen und zivilen Verwaltungen, der einzige Sohn von Eltern oder eines Elternteils, unabhängig davon, ob beide leben oder tot sind, ein Findelkind, dessen Abstammung nicht bekannt ist. Alle männlichen Geschwister mit besonderen Bedürfnissen werden gemäß den Berichten des militärmedizinischen Zentrums als das einzige Geschwisterkind behandelt (AANES-GC 22.2.2024). Je nach Art der Erkrankung kann eine Person entweder von der Dienstpflicht befreit oder von ihr zurückgestellt werden. Medizinische Befreiungen werden bei körperlichen und psychischen Erkrankungen gewährt, die die betreffende Person daran hindern, der Selbstverteidigungspflicht nachzukommen. In solchen Fällen wird eine medizinische Untersuchung durchgeführt, um die Dienstfähigkeit der Person festzustellen. Gemäß Artikel 29 des Gesetzes über die Selbstverteidigungspflicht können Personen mit besonderen Bedürfnissen und Patienten mit Krankheiten, die sie an der Erfüllung der Selbstverteidigungspflicht hindern, von der Pflicht befreit werden, wenn sie über einen genehmigten medizinischen Bericht des Militärmedizinischem Zentrums und die Genehmigung der Verteidigungsämter in Verwaltungs- und Zivilabteilungen verfügen. Ein syrischer Universitätsprofessor teilte dem Danish Immigration Service mit, dass die Regeln für medizinische Ausnahmen weiterhin von den DAANES-Behörden umgesetzt und eingehalten werden (DIS 6.2024).

Gemäß Artikel 27 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungsdienstpflicht müssen Einwohner und Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis aus allen Ländern mit Ausnahme der Länder, die eine Landgrenze zu Syrien haben, eine jährliche Aufschubgebühr von 400 US-Dollar für jedes Jahr ab Inkrafttreten des Gesetzes zahlen (AANES-GC 22.2.2024). Die Stundung durch Zahlung dieser Gebühr kann insgesamt zweimal in Anspruch genommen werden. Einzelpersonen können sich innerhalb der DAANES frei bewegen, ohne nach Zahlung der Gebühr zur Selbstverteidigung eingezogen zu werden. Einzelpersonen aus den DAANES, die in den Nachbarländern Syriens leben, können eine Stundung aus Bildungsgründen erhalten, z. B. wenn sie an einer Bildungseinrichtung in der Türkei eingeschrieben sind (DIS 6.2024). Gemäß Artikel 36 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungsdienstpflicht sind Personen nicht verpflichtet, den Selbstverteidigungsdienst zu leisten, wenn sie eine nicht-syrische Staatsbürgerschaft erhalten (AANES-GC 22.2.2024). Männer in der entsprechenden Altersgruppe, die Syrien verlassen haben, aber nach Überschreitung des Höchstalters für den Dienst zurückkehren, erhalten in der Regel Amnestie. Es kann jedoch eine Geldstrafe von bis zu 300 US-Dollar verhängt werden (DIS 6.2024).

Wehrpflichtverweigerer und Deserteure

Gemäß Artikel 15 des Gesetzes Nr. 1. über die Selbstverteidigungspflicht wird jeder säumige Soldat, der eingezogen wird, bestraft, indem er einen Monat auf das Ende seiner Dienstzeit angerechnet bekommt (AANES-GC 22.2.2024). Dass die Bestrafung mit einem zusätzlichen Monat auch in der Praxis so gehandhabt wird, bestätigten die von der Danish Immigration Service befragten Quellen. Die Namen der Wehrdienstverweigerer werden veröffentlicht und an Checkpoints weitergegeben. Dort wird nach ihnen gesucht, nicht aber in ihren Wohnhäusern (DIS 6.2024). Diejenigen, die auf frischer Tat beim illegalen Überschreiten der Grenze ertappt werden, werden direkt in das Ausbildungszentrum gebracht, um ihre Pflicht zur Selbstverteidigung zu erfüllen, besagt Artikel 28 im Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigungspflicht (AANES-GC 22.2.2024). Gemäß Quellen des Danish Immigration Service (DIS) werden Wehrdienstverweigerer, wenn sie an Checkpoints aufgegriffen werden, vorübergehend festgenommen und zur Ableistung ihres Dienstes geschickt. Die Familie des Betroffenen wird über seine Festnahme und Einberufung informiert. Den Quellen des DIS waren keine Fälle von Gewalt oder Misshandlung von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren bekannt, die an Kontrollpunkten gefasst wurden. Das Leben ist für diejenigen, die sich der Selbstverteidigungspflicht in den Nationalen Sicherheitskräften entziehen, eine Herausforderung, da viele junge Männer Kontrollpunkte meiden und auf Fluchtmöglichkeiten warten. Quellen berichteten von Entflohenen, die sich jahrelang versteckt hielten. In arabisch dominierten Gebieten kann die Flucht länger andauern, da die Behörden vorsichtig vorgehen, um keine Spannungen zu provozieren, indem sie diejenigen suchen und verhaften, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind (DIS 6.2024). Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, schreibt in einer E-Mail an ACCORD vom September 2023, dass alle Wehrdienstverweigerer unter die Bestimmungen des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht fallen würden und dem Gesetz entsprechend behandelt würden. Die Assayish würden den Wohnort von zum Dienst gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleiben, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft. Ein von ACCORD kontaktierter Syrienexperte gibt in einer E-Mail-Auskunft vom August 2023 an, dass die Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften vom Profil des Wehrpflichtigen und der Region, aus der er stamme, abhingen. Je strenger die kurdische Kontrolle, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass Rekruten nicht das Risiko eingehen würden, offen Einwände gegen den Selbstverteidigungsdienst zu zeigen. In al-Hasaka beispielsweise könnten Personen im dienstfähigen Alter verhaftet und zum Dienst gezwungen werden (ACCORD 6.9.2023).

Die SDF definieren einen Deserteur im Selbstverteidigungsgesetz als einen Kämpfer, der nach seinem Eintritt 15 aufeinanderfolgende Tage des Dienstes versäumt hat, während die volle Dienstzeit zwölf Monate beträgt (Enab 22.2.2024). Laut zwei vom DIS befragten Quellen werden Deserteure zwar nicht zusätzlich bestraft, aber es werden Ermittlungen zu ihren Motiven für die Desertion durchgeführt. Deserteure entscheiden sich oft dafür, die Region aus Angst vor möglichen Konsequenzen zu verlassen, obwohl die Einzelheiten dieser Konsequenzen unklar bleiben. Sowohl für Wehrdienstverweigerer als auch für Deserteure werden regelmäßig Amnestien angekündigt, vorausgesetzt, sie melden sich zum Wehrdienst und leisten ihn ab. Die jüngste Amnestie wurde Anfang Mai 2024 erlassen. Junge Menschen kommen ihren Verpflichtungen zur Selbstverteidigung in der Regel umgehend nach, wenn in der DAANES eine stabile Sicherheitslage herrscht, während sie sich bei anhaltenden externen Sicherheitsbedrohungen aktiv um eine Dienstverweigerung bemühen können (DIS 6.2024).

Familienangehörige von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren werden nicht bestraft. Den Quellen des DIS waren keine Fälle bekannt, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren aufgrund der Wehrdienstverweigerung oder Desertion ihrer Verwandten Schikanen oder anderen Verstößen ausgesetzt waren, selbst in Fällen, in denen der Wehrdienstverweigerer an einem Checkpoint festgenommen wurden (DIS 6.2024).

[Auszug aus Staatendokumentation, Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, 08.05.2025; 137-138]

Ein Forscher am Omran Center for Strategic Studies erklärt in einer E-Mail an ACCORD vom Februar 2025, dass die Situation bezüglich des Selbstverteidigungsdienstes vorerst unverändert geblieben sei, wenngleich er darauf hinwies, dass die SDF am 18. Februar 2025 einer Integration ihrer Streitkräfte in die syrische Armee zugestimmt habe. Weiters führte er aus, dass nach dem Sturz der Assad-Regierung mehrere Desertionen innerhalb der SDF-Truppen verzeichnet worden seien, darunter auch eine Anzahl von Militärangehörigen des Selbstverteidigungsdienstes (Al-Mustafa, 18. Februar 2025). Es konnten im Rahmen der Recherche keine Änderungen des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht sowie der Strafen bei Verweigerung seit November 2024 gefunden werden. […] Syria TV, ein syrischer Fernsehsender im Besitz des katarischen Fadaat Media Network, mit Hauptsitz in Istanbul, berichtet, dass die SDF mit Mitte Jänner den Prozess der Demobilisierung von Rekruten, die ihren Selbstverteidigungsdienst abgeleistet hätten, gestoppt habe. Ein Wehrpflichtiger habe gegenüber Syria TV berichtet, dass er sein Pflichtjahr des Selbstverteidigungsdienstes zwei Monate zuvor beendet habe, die SDF sich jedoch weigere, ihn - wie Hunderte andere Rekruten - zu entlassen (Syria TV, 31. Jänner 2025). […] Laut einem Interviewpartner aus Deir-ez Zor würden junge Männer in der Region von der SDF verhaftet und zwangsrekrutiert werden (Syria TV, 1. Februar 2025). […] Die kurdischen Nachrichtendienste Firat News Agency (ANF News) und Hawar News Agency (ANHA) berichten im Dezember 2024 und Jänner 2025 von einem Aufruf zur Generalmobilmachung („general mobilisation“) in Nordost-Syrien (ANHA, 18. Dezember 2024; ANF News, 10. Jänner 2025; ANF News, 11. Jänner 2025; ANF News, 14. Jänner 2025). Die Nachrichtendienste berichten von Bürger:innen aus unterschiedlichen Orten, die sich zusammenschließen würden, um die Region zu verteidigen (ANF News, 5. Jänner 2025; ANF News, 10. Jänner 2025; ANF News, 14. Jänner 2025; ANHA, 18. Dezember 2024; ANHA, 31. Dezember 2024; ANHA, 6. Jänner 2025). Laut ANF News seien diese Personen Freiwillige (ANF News, 11. Jänner 2025). […] Laut Syria TV gebe es mit Stand Ende Jänner 2025 nur begrenzte Rekrutierungsmaßnahmen von Wehrpflichtigen, da die SDF in der derzeitigen Situation nicht zu derartigen Operationen in der Lage sei. Laut einer anonymen Quelle würde die SDF jedoch alle Optionen prüfen, um ihre Militär- und Sicherheitskräfte zu stärken, einschließlich der Vergrößerung der Anzahl ihrer Streitkräfte (Syria TV, 31. Jänner 2025). […] Syria TV schreibt in einem Artikel über die Desertion von SDF-Mitgliedern vom Jänner 2025, dass sich die SDF bei der Bewachung von öffentlichen Gebäuden, sowie Sicherheitszentren und Militärstützpunkten hauptsächlich auf Wehrpflichtige verlassen würden (Syria TV, 31. Jänner 2025). Laut dem oben genannten Interviewpartner von Syria TV aus Deir-ez Zor würden Wehrpflichtige an die Front geschickt werden (Syria TV, 1. Februar 2025). Laut The Century Foundation (TCF) würden Wehrpflichtige in Nordost-Syrien Gefahr laufen in den Kampf, um die Kontrolle in der Region, hineingezogen zu werden (TCF, 3. Februar 2025).

[Auszug aus ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Selbstverteidigungspflicht in der DAANES Aktueller Meinungsstand; 24.02.2025]

In einem arabischsprachigen Artikel von März 2025 von Al Jazeera wird ein Mann zitiert, der an den zu der Zeit bestehenden Protesten in Deir ez-Zor teilgenommen habe. Er habe unter anderem darauf hingewiesen, dass SDF-Kräfte Verhaftungskampagnen in den von der SDF kontrollierten Gebieten durchgeführt hätten, in deren Rahmen Dutzende junge Männer unter dem Vorwurf der Gruppe Islamischer Staat (IS) beitreten zu wollen, verhaftet und zwangsrekrutiert worden seien (Al Jazeera, 8. März 2025). In einem arabischsprachigen Artikel von Jänner 2025 zitiert Al Jazeera den Wissenschaftler Amir Al-Mithqal, dem zufolge die Demokratischen Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces, SDF) aufgrund eines Mangels an kurdischen Kräften ethnische Araber zwangsrekrutiert hätten (Al Jazeera,29. Jänner 2025). Ende Jänner 2025 berichtet Syria TV, dass seit dem Sturz der Assad-Regierung über 5.000 Männer die SDF verlassen hätten, indem sie übergelaufen oder geflohen seien. Einer der SDF nahestehenden Quelle zufolge bestehe ein Mangel an Kräften in den Reihen der SDF und diese sei nicht imstande neue Rekrutierungskampagnen in der Region zu starten. Es würden nur begrenzt Rekrutierungsoperationen durchgeführt, und zwar hauptsächlich im Gouvernement Hasaka. Der Quelle zufolge prüfe die SDF sämtliche Optionen, um ihre Militär- und Sicherheitskräfte zu stärken, unter anderem durch den Aufbau neuer Kräfte. Mitte Jänner habe die SDF die Demobilisierung von Wehrpflichtigen, die ihre Wehrpflicht bereits abgeleistet hätten, aufgrund des bedeutenden Anstiegs an Desertionen und Überläufen in ihren Kreisen gestoppt. […] (Syria TV, 31. Jänner2025). […] Der Quelle zufolge würden SDF-Kräfte weiterhin Kinder festnehmen und sie unter Zwang in Kinderrekrutierungslagern festhalten. Diese und andere Übertretungen hätten in der Zeit, die der Berichterstattung vorangegangen sei, zugenommen. Auch Entführungen und Rekrutierungen von Kindern durch die der SDF nahestehenden Revolutionären Jugend hätten zugenommen (RASD Syria, 27. Februar2025).

[Auszug aus Anfragebeantwortung zu Syrien, Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen (z.B. Yekîneyên Parastina Gel, YPG); Zwangsrekrutierungen [a-12592-v2], 21.03.2025]

Eingliederung der SDF in die Armee der Übergangsregierung

Die kurdisch geführten SDF kontrollieren große Gebiete im Nordosten Syriens. Laut einem Abkommen mit der Übergangsregierung werden sie nun in die reguläre Armee integriert. Syrien kommt damit einer Einigung einen Schritt näher. Drei Monate nach dem Machtwechsel in Syrien hat die Übergangsregierung ein Abkommen mit der kurdischen Führung im Nordosten des Landes geschlossen. Die Vereinbarung sieht unter anderem vor, dass die kurdisch geführte Truppe SDF in der syrischen Armee aufgeht. Auch eine Waffenruhe wurde in dem am Montag von Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa und SDF-Kommandeur Maslum Abdi unterzeichneten Abkommen vereinbart.

[Tagesschaubericht, Syriens Führung einigt sich mit Kurden, 11.03.2025]

Die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) haben sich gestern mit der neuen Führung in Syrien auf eine vollständige Eingliederung in die staatlichen Institutionen geeinigt. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur SANA wurde das Abkommen von dem islamistischen Präsidenten der Übergangsregierung, Ahmed al-Scharaa, und SDF-Oberkommandeur Maslum Abdi unterzeichnet. Beide Seiten betonten die Einheit des Landes und lehnen nach eigenen Angaben jegliche Teilung ab. Das Abkommen umfasst zentrale Punkte wie die politische Teilhabe aller Syrer unabhängig von ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit und die Anerkennung der kurdischen Gemeinschaft als Bevölkerungsgruppe mit vollen Staatsbürgerrechten. Die Kontrolle über zivile und militärische Einrichtungen im Nordosten, darunter Grenzübergänge, Flughäfen und Öl- und Gasfelder, soll dem Abkommen zufolge in staatlicher Hand liegen. Zudem wurde eine sichere Rückkehr aller Vertriebenen vereinbart. Der Nordosten Syriens wird überwiegend von den kurdisch geführten SDF kontrolliert, die während des Bürgerkriegs mit US-Unterstützung gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gekämpft haben. Dort haben sie sich eine eigene Selbstverwaltung aufgebaut. Die Türkei betrachtet die SDF als Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), stuft sie als Terrororganisation ein und bekämpft sie auch. Der Schritt könnte einen Wendepunkt in die Entwicklungen in Syrien bringen. Die kurdische Führung hatte in den vergangenen Wochen mit den neuen Machthabern in Damaskus über ihre Zukunft verhandelt. Die SDF werden laut Beobachtern mit der Vereinbarung von ihrer Rolle als eigenständige militärische und administrative Macht entbunden, um die territoriale Einheit Syriens wiederherzustellen.

[ORF-Bericht, Syriens Führung einigt sich mit Kurden im Nordosten, 10.03.2025]

1.3.6 Zur Sicherheitslage in der DAANES seit Dezember 2024

Die von den USA unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) werden von der Türkei als „Terroristen“ betrachtet und als eine existenzielle Bedrohung für ihre nationale Sicherheit. Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), die sich aus ehemaligen Rebellengruppierungen zusammensetzt, liefert sich entlang des Euphrat einen erbitterten Kampf mit den SDF. Trotz türkischer Luft- und Artillerieunterstützung scheint die SNA die größten Verluste zu erleiden. Es ist erwähnenswert, dass viele der kurdischen Kämpfer der SDF von den USA ausgebildet und bewaffnet wurden (Leb24 13.2.2025). Nach dem Sturz der Assad-Regierung und der Machtübernahme islamistischer Gruppierungen bleibt auch der Nordosten Syriens eine umkämpfte und hochgradig instabile Region (VB Amman 9.2.2025). Im Nordosten (al-Hasaka, ar-Raqqa, Deir ez-Zour) ist das Risiko aktiver Konflikte größer als anderswo (GPC 3.4.2025). Während islamistische Gruppierungen in anderen Teilen Syriens ihre Kontrolle gefestigt haben, ist al-Hasaka weiterhin eine umstrittene Zone, in der die SDF, türkische Streitkräfte und islamistische Milizen um Einfluss kämpfen. Die SDF, dominiert von den kurdischen Volkverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG), hält weiterhin große Teile der Region, insbesondere Städte wie al-Hasaka und Qamishli. Islamistische Gruppierungen, die nach dem Sturz al-Assads in anderen Teilen des Landes an die Macht gelangt sind, versuchen, ihren Einfluss im Nordosten auszudehnen und liefern sich Gefechte mit den kurdischen Einheiten der SDF. Die türkischen Streitkräfte und ihre Verbündeten syrischen Milizen nutzen den Zusammenbruch der Assad-Regierung, um ihre Angriffe auf SDF-kontrollierte Gebiete zu intensivieren. Es kommt regelmäßig zu türkischen Luftschlägen, Artilleriebeschuss und Bodengefechten entlang der Grenze. Zellen des Islamischen Staats (IS) sind weiterhin aktiv und nutzen die chaotische Lage, um ihre Angriffe zu intensivieren (VB Amman 9.2.2025). Die Gebiete al-Hasaka, ar-Raqqa und Deir ez-Zour sindAngriffen des IS ausgesetzt (GPC 3.4.2025). Immer wieder kommt es zu Anschlägen auf kurdische Sicherheitskräfte, Gefängnisaufständen und Sabotageakten. Die Schwäche der neuen islamistischen Machthaber gegenüber dem IS in der Region führt dazu, dass sich lokale Stämme teils eigenständig bewaffnen, was zu einem weiteren Fragmentierungsprozess beiträgt. Die anhaltenden Kämpfe und türkischen Offensiven haben Tausende Binnenvertriebene zur Flucht gezwungen. Viele Flüchtlingslager, die ehemals unter al-Assad verwaltet wurden, sind in eine ungewisse Lage geraten, da humanitäre Organisationen nur noch eingeschränkt Zugang haben. Die Wasserversorgung ist durch türkische Angriffe auf Infrastruktur beeinträchtigt, und Nahrungsmittelknappheit sowie medizinische Engpässe verschärfen die humanitäre Krise (VB Amman 9.2.2025). Die von der Türkei unterstützten syrischen Gruppierungen starteten im November eine Offensive gegen die SDF [Operation Dawn of Freedom] und vertrieben sie trotz der Bemühungen der USA, einen Waffenstillstand zu vermitteln, aus mehreren Gebieten im Norden (Arabiya 26.2.2025). Sie eroberten strategische Orte in der Umgebung von Manbij und Tall Rif’at. Die Kämpfe intensivierten sich in der Nähe des Tishrin-Staudamms am Euphrat in der Region Manbij im Osten Aleppos, der für die von den SDF kontrollierten Gebiete nach wie vor eine wichtige Wasser- und Stromquelle darstellt. Die Türkei hat Berichten zufolge Luftangriffe in der Region durchgeführt, was Bedenken hinsichtlich möglicher Schäden am Damm aufkommen lässt. Darüber hinaus wurden auch mehrere Orte in der Region Kobane und im Osten Aleppos angegriffen (SCR 30.1.2025). […] Zusammenstöße zwischen der SNA und der SDF sind nichts Neues, ebenso wenig wie Kämpfe zwischen der Türkei und der SDF. Ankara hat in den letzten zehn Jahren mehrere Operationen in Syrien gestartet, darunter die Operationen Euphrates Shield (2016), Olive Branch (2018) und Peace Spring (2019), die alle darauf abzielten, die SDF oder die Volksverteidigungseinheiten (YPG), die größte Fraktion innerhalb der SDF, zu bekämpfen. Vor dem Sturz des Assad-Regimes, der Ende November mit einer Offensive der HTS in der Nähe von Aleppo begann, waren die Fronten in Syrien zwischen den SDF und SNA mehrere Jahre lang unverändert geblieben. Der Zusammenbruch des Regimes führte jedoch zu raschen Veränderungen (LWJ 26.1.2025).

[Auszug aus Staatendokumentation, Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, 08.05.2025; 56-59]

1.3.7 Zur Sicherheitslage im Norden Syriens seit Dezember 2024

Kräfte der SNA haben die Situation genützt, um Territorium in Manbij von den SDF zu erobern (TWI 9.12.2024). Die SDF kontrollieren nun 20 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024). Am 6.2.2025 sind Streitkräfte des syrischen Ministeriums für Allgemeine Sicherheit in die nordwestsyrische Stadt ’Afrin einmarschiert. ’Afrin wird seit 2018 von verschiedenen bewaffneten Gruppierungen der von der Türkei unterstützten SNA besetzt gehalten. Mit dem Einmarsch in ’Afrin setzt die neue syrische Regierung ihre Kontrolle über Teile des Landes durch. ’Afrin ist ein historisch kurdisches Gebiet in Syrien, und der Machtwechsel wurde von den kurdischen Medien aufmerksam verfolgt (LWJ 6.2.2025). […]

Die Türkei hat Milizen, wie die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA) ausgebildet und bewaffnet (CIA 31.7.2024). Die SNA ist offiziell Teil der Syrischen Übergangsregierung (Syrian Interim Government - SIG) und ist dort dem Verteidigungsministerium untergeordnet (GCSP 10.2020). Die SNA untersteht de facto der Autorität der Türkei, ebenso wie die SIG, wobei Letztere wiederum weniger mächtig ist als die SNA und von dieser regelmäßig ignoriert und übergangen wird. Obwohl die Präsenz der Türkei ein gewisses Maß an Stabilität in die Region bringt, gilt ihre Kontrollzone in Nordsyrien als die unsicherste und am brutalsten regierte. Das ist auf ihre Abhängigkeit von undisziplinierten lokalen Stellvertretern, ihre Unfähigkeit die Querelen der zahlreichen bewaffneten Gruppierungen untereinander zu überwinden und ihre Toleranz gegenüber Missbrauch und Ausbeutung der Zivilbevölkerung zurückzuführen (BI 27.1.2023) […]

Die von der Türkei unterstützten Gruppierungen plünderten nach der Eroberung von Manbij das Eigentum von kurdischen Bürgern und führten identitätsbezogene Tötungen durch. Sie führten Racheaktionen durch, brannten Häuser nieder und demütigten Kurden (SOHR 9.12.2024; vgl. ISW 16.12.2024). Eine Mitarbeiterin von Human Rights Watch erklärte, dass die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA) und die türkischen Streitkräfte ein klares und beunruhigendes Muster rechtswidriger Angriffe auf Zivilisten und zivile Objekte gezeigt haben und diese sogar zu feiern scheinen. Die türkischen Streitkräfte und die SNA haben eine schlechte Menschenrechtsbilanz in den von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens. Human Rights Watch hat festgestellt, dass SNA-Gruppierungen und andere Gruppierungen, darunter Mitglieder der türkischen Streitkräfte und Geheimdienste, Menschen, darunter auch Kinder, entführt, rechtswidrig festgenommen und inhaftiert haben, sexuelle Gewalt und Folter mit geringer Rechenschaftspflicht begangen haben und sich an Plünderungen, Diebstahl von Land und Wohnraum sowie Erpressung beteiligt haben (HRW 30.1.2025). In den letzten Jahren sollen SNA-Kämpfer schwere Menschenrechtsverletzungen gegen kurdische Gemeinden in ’Afrin und im Umland von Aleppo begangen haben. Sie wurden beschuldigt, willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen ohne Kontakt zur Außenwelt, Entführungen und Folter begangen zu haben. Während der Offensive „Abschreckung derAggression“ hat HTS mehrere Kämpfer von SNA-Gruppen nördlich von Aleppo im Stadtviertel Sheikh Maqsoud festgenommen und sie beschuldigt, kurdische Zivilisten ausgeraubt und verletzt zu haben, so ein Experte (MEE 7.12.2024). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic berichtete weiterhin von Verhaftungen, Gewalt und finanzieller Erpressung durch die Militärpolizei der Syrischen Nationalarmee (SNA) und bestimmter Gruppierungen, insbesondere der Sultan-Suleiman-Shah Division und der Sultan-Murad-Division (UNHRC 12.8.2024) [Weitere Informationen zu den Gruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)]. SNHR dokumentierte im Jänner 2025 41 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch Gruppierungen der SNA (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 34 Fälle, darunter eine Frau (SNHR 3.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren es auch zwei von der Türkei unterstütze Gruppierungen, die Anfang März 2025 an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banyas, Tartus und Latakia beteiligt waren, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025). […]

Nichtregierungsorganisationen, die im Nordosten Syriens tätig sind, haben seit Mitte Dezember keinen Zugang mehr zu Manbij und ’Ain al-’Arab, da ein interner Grenzübergang geschlossen wurde, wodurch der Personen- und Warenverkehr behindert wird (UNOCHA 30.1.2025).

[Auszug aus Staatendokumentation, Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, 08.05.2025; 24, 32, 153, 296]

1.3.8 BAMF Briefing Notes Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration (Auszüge)

11.08.2025

SDF: Gefechte mit Übergangsregierung in Aleppo; Angriffe durch IS in Deir ez-Zor

Angaben der kurdisch-dominierten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) zufolge setzten sich die seit 02.08.25 andauernden Gefechte mit Truppen der Übergangsregierung (vgl. BN v. 04.08.25) im Gouvernement Aleppo fort, am 04.08.25 kam es demnach zu weiteren Zusammenstößen.

Im Gouvernement Deir ez-Zor wurden SDF-Streitkräfte zum Ziel mehrerer IS-Angriffe, darunter am 04.08.25 im Dorf Hawij Boumasaa sowie am 06.08.25 in al-Bahra. Angaben der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) zufolge führten Spezialkräfte der SDF zusammen mit der US-geführten internationalen Koalition verstärkt Operationen gegen IS-Zellen durch. Folglich konnten mehrere teils hochrangige IS-Mitglieder in den Gouvernements Hasaka und Deir ez-Zor verhaftet werden. Gemäß der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte kam es im Jahr 2025 bisher zu 148 Angriffen des IS in den Gebieten der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) mit insgesamt 62 Todesopfern. Der Großteil davon ereignete sich im Gouvernement Deir ez-Zor. Bei den Opfern handelte es sich überwiegend um Mitglieder der SDF oder um mit ihnen verbündete Milizen.

04.08.2025

Aleppo: Gegenseitiger Beschuss zwischen Übergangsregierung und SDF; IS-Angriff

Am 02.08.25 kam es zu gegenseitigem Beschuss durch Truppen der Übergangsregierung und den kurdisch-dominierten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) in der Region Manbij im Osten des Gouvernements Aleppo.

Das Verteidigungsministerium warf der SDF vor, einen Außenposten der syrischen Armee in Manbij mit Raketen beschossen zu haben. Hierbei sollen vier Mitglieder der Streitkräfte sowie drei Zivilpersonen verwundet worden sein. Die SDF gaben in einer Stellungnahme an, sie hätten auf Artilleriebeschüsse von mehr als zehn Granaten auf durch Zivilpersonen bewohntes Gebiet in Deir Haffar reagiert, die durch Gruppierungen abgefeuert wurden, die der syrischen Übergangsregierung angehörten. Einem Medienbericht nach sollen türkische Drohnen die Stellungen der SDF-Raketenwerfer unter Beschuss genommen haben.

Außerdem wurden in Deir ez-Zor Berichten nach am 31.07.25 fünf SDF-Kämpfer bei einem Angriff des IS auf einen Checkpoint getötet.

21.07.2025

Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES): Sicherheitslage

Angaben der inneren Sicherheitskräfte der DAANES zufolge wurden am 13.07.25 fünf ihrer Mitglieder bei einem bewaffneten Angriff auf einen Checkpoint in Shaddadi im Süden der Provinz Hasakah durch terroristische Gruppen getötet.

Bei einem weiteren Angriff in Tabqa (Raqqa) seien zwei Sicherheitskräfte verletzt worden. Am 19.07.25 kam es in der Provinz Deir ez-Zor zur Ermordung zweier Zivilpersonen durch Schusswaffen. Lokalen Berichten zufolge sollen die Angreifer von Motorrädern aus gezielt das Feuer eröffnet und dabei Slogans gerufen haben, die mit dem IS assoziiert werden

14.07.2025

Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES): Sicherheitslage

Im Government Deir ez-Zor kam es zu mehreren gewalttätigen Vorfällen. Am 07.07.25 eröffneten Unbekannte in der Stadt Abu Hamam das Feuer auf einen militärischen Außenposten der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF). Ebenfalls am 07.07.25 wurden zwei SDF-Soldaten im westlichen Teil des Governments von Unbekannten angeschossen und verwundet.

Mutmaßliche IS-Kämpfer übten am 08.07.25 einen bewaffneten Angriff auf das Wohnhaus und eine Tankstelle eines in der Region bekannten Ölfeldinvestors aus. Örtlichen Quellen zufolge sei dies bereits der dritte Angriff auf seine Person in diesem Jahr, nachdem er die Zahlung einer vom IS erpressten Steuerabgabe verweigere. Personen kamen bei dem Vorfall nicht zu Schaden.

In Raqqa-Stadt wurden einer Menschenrechtsorganisation zufolge vier Brüder am 05.07.25 durch die SDF verhaftet. Ihr Verbleib ist weiterhin unbekannt. Mit Berufung auf örtliche Quellen sei die Verhaftung aufgrund kritischer Äußerungen der Betroffenen gegenüber der SDF in sozialen Medien erfolgt. Ein Haftbefehl lag demnach nicht zugrunde.

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf die Verwaltungsverfahrensakten des BFA, den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes und auf das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.

2.1 Zur Person des Beschwerdeführers (oben 1.1)

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, zu seiner Schulbildung, zu seinen Familienangehörigen sowie zu seiner Ausreise und Einreise in Österreich (oben 1.1) ergeben sich aus seinen Angaben im Verfahren, welche insofern stringent waren und an denen auf Grund der Sprachkenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Mangels Vorlage von Identitätsdokumenten kann jedoch seine Identität nicht abschließend festgestellt werden. Das Feststehen der Identität eines Fremden ist keine besondere gesetzliche Voraussetzung für die Gewährung von Asyl (VwGH Ra 2017/01/0417)

Der festgestellte gegenwärtige Aufenthaltsstatus ergibt sich aus den rechtskräftigen Spruchpunkten II und III des gegenständlich angefochtenen Bescheides in Zusammenschau mit den dazu korrespondierenden Eintragungen im Zentralen Fremdenregister (IZR).

Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich nach Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich. (OZ 5)

2.2 Zum Antragsgrund und zur Rückkehrgefährdung (oben 1.2)

2.2.1 Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise als Minderjähriger von den Kurdischen Kräften in seiner Heimatstadt Qamishli zwangsrekrutiert und nach Ra’s al-‘Ain gebracht wurde und er, als er von dort flüchtete, von den Kurdischen Kräften angeschossen wurde, wobei sein rechter Arm verletzt und später operativ mit Metallverschraubungen versorgt werden musste, ergibt sich aufgrund der folgenden Erwägungen:

Der Beschwerdeführer erstattete von Beginn an und während der gesamten Verfahrensdauer ein in Bezug auf sein zentrales Fluchtvorbringen ein im Wesentlichen auch gleichbleibendes, jedoch nicht gleichlautendes Vorbringen zu seinen Erlebnissen in Syrien, wobei auch unter Berücksichtigung seines jungen Alters des von ihm Erlebten nicht erwartet und gefordert werden kann, dass er dazu in der Lage ist, zu jedem einzelnen Ereignis präzise Zeitangaben zu machen, sich an alles und stets detailreich und vollständig zu erinnern, und ihm auch nicht jeder geringfügigere Widerspruch anzulasten ist. (vgl NS EV 19.03.2024, VS 24.10.2024, VS 06.05.2025)

Der Beschwerdeführer war zudem in der mündlichen Verhandlung am 24.10.2024 dazu in der Lage, den Ablauf seiner zwangsweisen Mitnahme sowie die Geschehnisse während seiner Anhaltung durch die Kurdischen Kräfte in einem Lager in Ra’s al-‘Ain konkreter zu beschreiben, was ebenso für die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens spricht. (vgl VS 24.10.2024 S 6 ff)

Die von ihm vorgebrachte Schussverletzung und wurde auch in einem österreichischen Krankenhaus diagnostiziert (Ambulanzkarte 10.10.2023 (BFA-Akt ohne Seitennummerierung)), was ebenso die Richtigkeit seiner Angaben stützt.

Schließlich steht sein Vorbringen auch mit den Länderfeststellungen in Einklang. Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass immer wieder Minderjährige in den kurdischen Gebieten und insbesondere im Heimatort des Beschwerdeführers von Kurdischen Kräften zwangsrekrutiert wurden und werden (siehe oben Punkt 1.3).

Unter Berücksichtigung der soeben getroffenen Ausführungen ergibt sich in einer Gesamtbetrachtung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles, dass das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers glaubhaft ist.

2.2.2 Die Feststellung, dass sich die Heimatregion des Beschwerdeführers unter der Kontrolle der kurdischen SDF befindet basiert auf einer Nachschau in den online verfügbaren Karten (https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html (sowie https://syria.liveuamap.com/ )

2.2.3 Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung und Eingriffe in seine körperliche Integrität durch Kurdische Kräfte wegen einer ihm unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung droht, ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:

Den Länderfeststellungen ist zunächst zu entnehmen, dass die kurdischen Autonomiebehörden die Verweigerung der Leistung ihres Wehrdienstes nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung ansehen. Unter Zugrundelegung der Länderberichte liegen – normalerweise – auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass im Falle der Verweigerung der „Selbstverteidigungspflicht“ schwerwiegende Konsequenzen drohen würden, sondern den Länderinformationen ist als Strafe lediglich eine Verlängerung der Dienstzeit um einen Monat zu entnehmen. Personen, die den Selbstverteidigungsdienst verweigern oder sich ihm entziehen, würden, wenn sie aufgegriffen werden direkt in ein Trainingslager überstellt, um ihren Dienst anzutreten. In manchen Fällen komme es zu einer vorübergehenden Haft von einigen Tagen bis zu zwei Wochen, bis der Status der selbstverteidigungspflichtigen Person geklärt sei oder ein geeigneter Ausbildungsort für sie gefunden werde.

Im vorliegenden Fall des Beschwerdeführers ist jedoch festzuhalten, dass abweichend vom üblichen Vorgehen der Kurdischen Kräfte im Falle der Wehrdienstverweigerung die Kurdischen Kräfte auf den Beschwerdeführer bei seiner Flucht geschossen und diesen erheblich verletzt haben. Daraus ist zu schließen, dass die Kurdischen Kräften den Beschwerdeführer nicht als gewöhnlichen Wehrdienstverweigerer, sondern in ihm vielmehr einen Gegner oder Verräter sehen. Dafür spricht auch der aktuelle Bericht der EUAA, Interim Country Guidance: Syria, vom Juni 2025, demzufolge im Fall von Kindern, die sich weigern, den kurdischen Streitkräften beizutreten, eine Verfolgung auf (unterstellten) politischen Überzeugungen beruhen kann. (siehe oben 1.3.1) Ein solcher Fall liegt hier vor.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer inzwischen die Volljährigkeit erreicht hat, ändert –angesichts der ihm bereits vor seiner Ausreise unterstellten oppositionellen Gesinnung – nichts an der weiterhin bestehenden Gefährdung bei einer Rückkehr.

Dem Beschwerdeführer droht somit im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch die Kurdischen Kräfte wegen einer ihm unterstellten politisch-oppositionellen Gesinnung. Es droht ihm daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit, eine aktuellen sowie unmittelbare persönliche und konkrete Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffes von erheblicher Intensität in seine persönliche Sphäre und körperliche Integrität.

2.3 Zur Lage in Syrien

Die Feststellungen zur Lage in Syrien sowie der Herkunftsregion des Beschwerdeführers sind den unter Punkt 1.3 zitierten Quellen entnommen. Diese Berichte sind für den vorliegenden Fall hinreichend aktuell, zeigen ein im Wesentlichen übereinstimmendes Bild, stammen von seriösen staatlichen und unabhängigen Quellen, sodass auch kein Grund besteht, an diesen zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A) Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005)

Zum Begriff der politischen Überzeugung

3.1 Gemäß Artikel 10 Abs 1 lit e der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Artikel 6 genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

3.2 Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgeführt, dass die völlige Unverhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen, die wegen eines Verstoßes gegen bestimmte im Herkunftsstaat gesetzlich verbindliche Moralvorschriften drohen, darauf hindeuten kann, dass diese Maßnahmen an eine dem Zuwiderhandeln gegen das Gebot vermeintlich zu Grunde liegende, dem Betroffenen unterstellte Abweichung von der ihm von Staats wegen vorgeschriebenen Gesinnung anknüpfen. (17.09.2003, 99/20/0126 mwN). Als politisch kann dabei alles qualifiziert werden, was für den Staat sowie für die Gestaltung bzw. Erhaltung der Ordnung des Gemeinwesens und des geordneten Zusammenlebens der menschlichen Individuen in der Gemeinschaft von Bedeutung ist (VwGH 12.09.2002, 2001/20/0310 mwN; VfGH 12.12.2013, U616/2013).

Zu Verfolgungshandlungen

3.3 Für den Verwaltungsgerichtshof steht außer Frage, dass Verfolgungshandlungen, die sich in Beleidigungen, Bedrohungen und Körperverletzungen manifestieren, die für die Asylgewährung erforderliche Eingriffsintensität erreichen können. (VwGH 23.01.2003, 2002/20/0565)

Und auch der EGMR hat in seiner Entscheidung Bouyid vom 28.09.2015, 23.380/09 (Große Kammer) ausgesprochen, dass jeder Rückgriff auf physische Gewalt gegen eine ihrer Freiheit beraubte Person, der nicht durch deren Verhalten unbedingt erforderlich gemacht wurde, ihre Menschenwürde vermindert und daher grundsätzlich das in Art 3 EMRK vorgesehene Recht verletzt. Der Ausdruck »grundsätzlich« kann nicht dahingehend verstanden werden, dass es Situationen geben könnte, in denen eine solche Feststellung einer Verletzung nicht geboten ist, weil der gebotene Schweregrad nicht erreicht wurde. Jeder Eingriff in die Menschenwürde trifft den Kern der Konvention. Aus diesem Grund begründet jedes Verhalten von Exekutivbeamten gegenüber einer Person, das die Menschenwürde herabsetzt, eine Verletzung von Art 3 EMRK. Das gilt insbesondere für ihren Einsatz physischer Gewalt gegen eine Person, wenn dieser nicht aufgrund ihres Verhaltens absolut notwendig ist, unabhängig von seinen Auswirkungen auf die betroffene Person (vgl EGMR Bouyid, 28.09.2015, 23.380/09 (Große Kammer))

Zu einer Wehrdienstverweigerung

3.4 Zu den Gründen, die es rechtfertigen, den Wehrdienst zu verweigern, wird unter anderem gezählt, dass der Militärdienst in einem Konflikt Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 der Statusrichtlinie fallen, also etwa Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen werden. Eine Strafverfolgung oder Bestrafung kann in diesem Fall nach Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie als "Verfolgung" gelten. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 26.2.2015 in der Rechtssache C-472/13, Shepherd, klargestellt, dass sich auf den Flüchtlingsschutz nicht nur derjenige berufen kann, der den Wehrdienst verweigert, weil er persönlich solche Verbrechen begehen müsste. Es reicht vielmehr aus, dass der Betroffene an solchen Verbrechen nur indirekt beteiligt wäre, etwa weil er nicht zu den Kampftruppen gehört, sondern z.B. einer logistischen oder unterstützenden Einheit zugeteilt ist. Allerdings ist nach den Darlegungen des EuGH erforderlich, dass es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass der Betroffene sich bei der Ausübung seiner Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müsste. (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0330)

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch die Gefahr einer wegen „Wehrdienstverweigerung“ (allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen) drohenden Bestrafung dann zur Asylgewährung führen, wenn das Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen - wie etwa bei der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Ist Letzteres der Fall, so kann dies aber auch auf der - generellen - Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen, womit unabhängig von einer der Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion im konkreten Fall wirklich zugrundeliegenden religiösen oder politischen Überzeugung der erforderliche Zusammenhang zu einem Konventionsgrund gegeben wäre (vgl. VwGH 14.12.2004, 2001/20/0692).

Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine "bloße" Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH Ro 2020/19/0001, mwN).

Zum gegenständlichen Verfahren

3.5 Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt droht dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Syrien Verfolgung durch die Kurdischen Kräfte wegen einer ihm unterstellten politisch-oppositionellen Gesinnung. Dem Beschwerdeführer, der in seinem Herkunftsstaat bereits eine Vorverfolgung erlitten hat, droht daher bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit, neuerlich eine aktuellen sowie unmittelbare persönliche und konkrete Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffes von erheblicher Intensität in seine persönliche Sphäre und körperliche Integrität.

Der bereits vom BFA rechtskräftig zuerkannte Status eines subsidiär Schutzberechtigten steht der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative entgegen. Ausgehend von den Länderfeststellungen ist eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes nach Erlassung der Entscheidung des BFA nicht eingetreten. (vgl VwGH 12.03.2023, Ra 2020/19/0315)

Im Verfahren haben sich schließlich keine Hinweise auf die in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ergeben.

Im vorliegenden Fall des Beschwerdeführers sind somit unter Berücksichtigung der zuvor zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben.

3.6 Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B) Revision

3.7 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

3.8 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.