JudikaturBVwG

W243 2307130-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
28. Juli 2025

Spruch

W243 2307130-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Marianne WEBER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen – BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.01.2025, Zl. 1392469105-240637825:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 19.04.2024 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er Staatangehöriger von Myanmar und an einem ihm unbekannten Ort in Bangladesch geboren worden sei.

Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, dass er in Bangladesch keine Schulausbildung und keine Papiere erhalten habe, sodass er keiner ordentlichen Arbeit nachgehen habe können. Er habe das Familienflüchtlingsbuch der Rohingya erhalten. In Bangladesch hätte er im Falle einer Rückkehr keine Zukunft und in Myanmar seien bereits seine Eltern mit dem Tode bedroht worden.

2. Am 22.10.2024 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Im Zuge der Einvernahme führte der Beschwerdeführer an, dass Bengali nicht seine Muttersprache sei und seine Familie aus Myanmar stamme. Befragt, welche Staatsangehörigkeit er besitze, antwortete der Beschwerdeführer, dass er nur das Familienflüchtlingsbuch der Rohingya habe. Dieses legte der Beschwerdeführer vor und wurde dieses in Kopie zum Akt genommen.

Der Beschwerdeführer wiederholte, dass er seinen Geburtsort nicht kenne und 15 Jahre bei einer Familie (in Bangladesch) gewohnt habe. Als Fluchtgrund brachte er vor, er könne in Bangladesch nicht arbeiten oder die Schule besuchen. Die Rohingya würden dort nicht gut behandelt. Er sei deshalb beschimpft und geschlagen worden.

Im Zuge der Einvernahme wurden dem Beschwerdeführer Länderberichte zur Lage in Bangladesch zur Kenntnis gebracht.

Am Ende der Befragung betonte der Beschwerdeführer abermals, aus Myanmar zu stammen.

3. Mit Bescheid vom 03.01.2025 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Bangladesch gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Bangladesch zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte unter anderem fest, dass der Beschwerdeführer Staatsbürger von Bangladesch sei und der Volksgruppe der Rohingya angehöre. Er habe vor seiner Ausreise in Bangladesch gelebt. In der Folge wurden Feststellungen zur Lage in Bangladesch getroffen und beweiswürdigend unter anderem festgehalten, dass der Beschwerdeführer zu seiner Nationalität und Volksgruppenzugehörigkeit ob der Verwendung der Sprache Bangla, seiner Kenntnisse und diesbezüglich unbestrittener Angaben glaubhaft sei. Als Rohingya gehöre er einer Volksgruppe mit einer gewissen Größe an und ergäbe sich kein glaubhafter Anhaltspunkt auf das Vorliegen einer Gefährdung seiner Person durch den Staat Bangladesch.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung die gegenständliche Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen moniert, dass die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen insbesondere hinsichtlich der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers grob mangelhaft seien. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer in Bangladesch aufgewachsen sei und die dortige Landessprache spreche, sage naturgemäß nichts über seine Staatsangehörigkeit aus. Richtigerweise hätte die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz im Hinblick auf Myanmar prüfen müssen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe auch die herangezogenen Länderberichte völlig unberücksichtigt lassen und die Situation von Rohingya in Bangladesch völlig unzureichend gewürdigt bzw. die Situation von Rohingya in Myanmar mit keinem Wort erwähnt. Dem Beschwerdeführer drohten sowohl in Myanmar als auch in Bangladesch gravierende Verfolgungshandlungen aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Rohingya.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen Inhalt des von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensaktes. Ergänzend wurde Einsicht genommen in das Zentrale Melderegister, das Strafregister, das Fremdenregister und das Betreuungsinformationssystem.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zurückverweisung:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2014/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Gemäß § 18 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Der Beschwerdeführer gab im bisherigen Verfahren stets gleichlautend an, er sei Angehöriger der Volksgruppe der Rohingya, kenne seinen Geburtsort nicht und sei in Bangladesch aufgewachsen, jedoch stamme seine Familie aus Myanmar, wobei er ein Flüchtlingsfamilienbuch der Rohingya vorlegte. Mit diesen Angaben des Beschwerdeführers hat sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jedoch in keiner Weise auseinandergesetzt, sondern vielmehr gänzlich aktenwidrig und dem Parteienvorbringen widersprechend im angefochtenen Bescheid beweiswürdigend festgehalten, dass der Beschwerdeführer „zu seiner Nationalität ob der Verwendung der Sprache Bangla, seiner Kenntnisse und diesbezüglich unbestrittener Angaben glaubhaft sei“. Ohne weitergehende Ermittlungen kann in casu aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers jedoch nicht eindeutig von einer Staatsangehörigkeit der Volksrepublik Bangladesch ausgegangen werden. Die belangte Behörde hätte sich mit den Angaben des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung des vorgelegten Bescheinigungsmittels auseinandersetzen und Erhebungen zur Staatsangehörigkeit anstellen müssen. Die vorgelegte Urkunde hat die Behörde im Übrigen gänzlich unberücksichtigt gelassen und auch nicht übersetzen lassen. Am Rande wird darauf hingewiesen, dass die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer die Staatsangehörigkeit von Bangladesch besitze, auch den von der belangten Behörde selbst zitierten Länderberichte widerspricht. Denn nach dem im angefochtenen Bescheid herangezogenen Berichten registriere die Regierung (von Bangladesch) die Geburten von Rohingya-Flüchtlingen, die im Land geboren würden, nicht und verleihe ihnen auch nicht die Staatsbürgerschaft (AS 231).

Bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit bzw. des Herkunftsstaates handelt es sich zweifellos um eine zentrale Frage im Asylverfahren (vgl. etwa VwGH 16.04.2009, 2008/19/0706; 20.02.2009, 2007/19/0535), welche grundsätzlich von der Behörde erster Instanz zu klären ist, da ansonsten im Fall der Klärung des Herkunftsstaates durch das Bundesverwaltungsgericht das gesamte sich an die Feststellung knüpfende Ermittlungsverfahren zum Herkunftsstaat vor das Bundesverwaltungsgericht verlagert würde.

Abgesehen von den mangelhaften Ermittlungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ist weiters darauf hinzuweisen, dass es die belangte Behörde auch unterlassen hat, sich mit den Länderberichten zur Situation von (aus Myanmar geflüchteten) Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya sowie von ihnen bereits in Bangladesch geborenen Kindern auseinanderzusetzen. Der pauschale Hinweis des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in der Beweiswürdigung, dass der Beschwerdeführer „als Rohingya einer Volksgruppe mit einer gewissen Größe angehöre“ und nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt werde, greift angesichts der Angaben des Beschwerdeführers, wonach er in Bangladesch keine Schulbildung und keine Papiere erhalten habe und keiner ordentlichen Arbeit nachgehen habe können, jedenfalls zu kurz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird sich im fortgesetzten Verfahren nicht nur mit der Frage zu befassen haben, inwieweit dem Beschwerdeführer eine individuelle Verfolgung im Zusammenhang mit einer etwaigen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya droht, sondern auch mit der Frage, ob die Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe für sich genommen bereits Asylrelevanz hat (Gruppenverfolgung; Hinweis auf VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407, und auf VwGH 29.4.2015, Ra 2014/20/0151).

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens sowie eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, da eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist – auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird somit im fortgesetzten Verfahren die erforderlichen Ermittlungstätigkeiten durchzuführen und die daraus gewonnenen Ermittlungsergebnisse mit dem Beschwerdeführer – im Rahmen des Parteiengehörs – zu erörtern haben.

Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig. Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheides ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).