BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde des venezolanischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2025, Zl. XXXX , betreffend Antrag auf internationalen Schutz:
A)Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.
B)Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Begründung:
Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer (BF) beantragte am 17.07.2024 in Österreich internationalen Schutz.
Im Rahmen seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.07.2024, brachte der BF vor, in XXXX (Peru) geboren und Staatsangehöriger Venezuelas zu sein. Den Asylantrag stelle er aufgrund der schlechten finanziellen und medizinischen Lage vor Ort. Darüber hinaus habe er Probleme in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die venezolanische Botschaft in Österreich.
Am 21.01.2025 erfolgte die niederschriftliche Befragung vor dem BFA, anlässlich derer der BF zahlreiche Unterlagen in Vorlage brachte. Im Zuge der Einvernahme führte der BF aus, sowohl die venezolanische als auch die peruanische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Allerdings habe er Peru im Alter von drei Jahren verlassen. Zuletzt war er als Fünfzehnjähriger in Peru. Zu seinen Fluchtgründen befragt, schilderte er, dass er im Zuge seiner Arbeit für die venezolanische Botschaft bedroht worden sei.
Mit Schreiben des BFA vom 27.03.2025 wurde der BF aufgefordert, Fragen in Zusammenhang mit seiner peruanischen Staatsbürgerschaft zu beantworten. Eine entsprechende Stellungnahme langte am 11.04.2025 beim BFA ein, worin der BF darauf hinwies, warum er nicht in Peru leben könne.
Mit dem oben angeführten Bescheid wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 AsylG (Spruchpunkt I.) als auch des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 AsylG in Bezug auf Peru abgewiesen (Spruchpunkt II.), dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Peru festgestellt (Spruchpunkt V.) sowie gemäß § 55 Abs 1 bis Abs 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde ausgeführt, dass nicht festgestellt werden hätte können, ob der BF „in Peru (und/oder Venezuela)“ asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Sein Vorbringen wurde als nicht glaubhaft erachtet. In Bezug auf die Rückkehrsituation wurde ebenfalls auf die Lage in Peru Bezug genommen.
Dagegen erhob der BF fristgerecht Beschwerde und brachte unter anderem vor, dass der BF zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung kein peruanischer Staatsbürger mehr war. Zum Beweis legte der BF eine Bestätigung der Botschaft von Peru, Konsularabteilung, vom 15.04.2025 vor, wonach mit Wirksamkeit vom 15.04.2025 der ausdrückliche Verzicht auf die peruanische Staatsbürgerschaft eingetragen wurde.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des BFA und des Gerichtsakts des BVwG.
Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.
§ 28 VwGVG normiert somit einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte (siehe z.B. VwGH 19.06.2020, Ra 2019/06/0060). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).
Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Gemäß § 2 Abs 1 Z 17 AsylG ist ein Herkunftsstaat: der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.
Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die „begründete Furcht vor Verfolgung“. Diese liegt dann vor, wenn in objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Eine „Verfolgungsgefahr“ im Sinne der GFK ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011).
Als Herkunftsstaat gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist nach der Definition des § 2 Abs 1 Z 17 AsylG vorrangig jener Staat heranzuziehen, dessen Staatbürgerschaft der Antragsteller besitzt.
Bezüglich der Frage, unter welchen Voraussetzungen internationaler Schutz zu gewähren ist, wenn ein Antragsteller, wie der Beschwerdeführer, mehrere Staatsbürgerschaften besitzt, ging der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 09.11.2004, 2003/01/0534, – wenn auch noch unter anderen völkerrechtlichen, aber im Ergebnis nach wie vor vergleichbaren Voraussetzungen – davon aus, dass den Bürgern des Kosovo Doppelstaatsbürgerschaft zukomme und im Falle der Zumutbarkeit eine Ausweichmöglichkeit in Serbien bestehe. Erst wenn diese Ausweichmöglichkeit nicht zumutbar erscheine, käme ihnen im Falle einer Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK Flüchtlingseigenschaft zu.
Im gegenständlichen Fall ist es so, dass diese Ausweichmöglichkeit nunmehr nicht mehr gegeben ist Damit ist im vorliegenden Verfahren der Sachverhalt zu zentralen Fragen im Tatsachenbereich grundlegend klärungsbedürftig und kann aufgrund einer in Bezug auf Venezuela gänzlich fehlenden Sachverhaltsgrundlage nicht beurteilt werden, ob im Beschwerdefall die Furcht des BF vor Verfolgung wohlbegründet iSd GFK ist. Da die angeführten notwendigen Feststellungen im angefochtenen Bescheid in Bezug auf Venezuela, wenngleich ohne Verschulden der belangten Behörde, gänzlich unterblieben sind und hinsichtlich des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes auch keine brauchbaren Ermittlungsergebnisse aktenkundig sind, ist zu den hier bedeutsamen Fragen im Tatsachenbereich keine Sachverhaltsgrundlage für eine Entscheidung vorhanden und die Rechtssache nicht entscheidungsreif.
Im Sinne der angeführten Judikatur kann es nicht Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes sein, das Ermittlungsverfahren hinsichtlich jenes Sachverhaltselements neu zu beginnen, welches den Kern und die Grundlage des angefochtenen Bescheides bildet. In einem Asylverfahren handelt es sich bei dem Herkunftsstaat wohl um das grundlegendste Sachverhaltselement, auf welches das gesamte weitere Verfahren im Sinne der Prüfung einer auf diesen Staat bezogenen Rückkehrgefährdung aufbaut.
Da zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt.
Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die Revision ist mangels einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG, insbesondere wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG (siehe z.B. VwGH 31.01.2019, Ra 2018/07/0486), nicht zuzulassen.
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