JudikaturBVwG

I413 2291375-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
09. Mai 2025

Spruch

I413 2291375-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Mali, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol vom 27.03.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.04.2025 zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Mali, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 23.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am darauffolgenden Tag erfolgte seine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der Beschwerdeführer dabei aus, dass er in Mali täglich von Mitgliedern der Boko Haram misshandelt und gefoltert worden wäre. Sie hätten ihn verfolgt, weil er Christ sei. Er habe von dort wegmüssen, weil er Angst um sein Leben gehabt habe.

2. Am 09.02.2024 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, im Folgenden als belangte Behörde oder BFA bezeichnet, eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers in der Sprache Französisch statt. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab der Beschwerdeführer an, dass er wegen des Krieges aus Mali geflohen sei. Die Boko Haram seien plötzlich überall gewesen. Sie hätten alle, die keine Muslime seien, töten wollen. Sie hätten Leute überfallen und alles aus dem Haus mitgenommen. Auch hätten sie Leute umgebracht und gewollt, dass alle zum muslimischen Glauben übertreten. Niemand sei von Boko Haram sicher gewesen.

3. Am 22.03.2024 erfolgte eine zweite niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers in der Sprache Bambara. Dabei führte er aus, dass die Boko Haram in die Häuser gekommen seien und gesagt hätten, dass die Leute eine Opfergabe geben müssen. Wenn jemand nichts gehabt habe, seien die Kinder oder die Frau mitgenommen oder umgebracht worden.

4. Mit Bescheid des BFA vom 27.03.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 23.08.2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Ihm wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm für die Dauer eines Jahres eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt (Spruchpunkt III.).

5. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheids richtet sich die Beschwerde vom 23.04.2024, in der zusammengefasst ausgeführt wurde, dass in Mali die Religionsfreiheit eingeschränkt sei. Staatlichen Schutz könne der Beschwerdeführer nicht erwarten.

6. Mit Schriftsatz vom 24.04.2024, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 03.05.2024, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor und wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung I405 zugewiesen.

7. Am 07.08.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in der der Beschwerdeführer in Anwesenheit seiner Rechtsvertretung und einer Dolmetscherin für die Sprache Mandingo einvernommen wurde. Eine Vertreterin bzw. ein Vertreter des BFA blieb der Verhandlung entschuldigt fern.

8. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 23.01.2025 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung I405 abgenommen und am 05.02.2025 der Gerichtsabteilung I413 zugewiesen.

9. Am 24.04.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in der der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung, einer Vertreterin der belangten Behörde und einer Dolmetscherin für die Sprache Mandingo einvernommen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Der volljährige, ledige Beschwerdeführer, Staatsangehöriger von Mali, bekennt sich zum christlichen Glauben und ist der Volksgruppe der Mandingo/Bambara zugehörig. Seine Identität steht nicht fest.

Er ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer stammt aus (phon) Djenne bzw (phon) Ngigen, nahe Kolokani. Er besuchte keine Schule und war ausschließlich in der Landwirtschaft tätig. Die Ernte wurde nicht verkauft, sondern lebten der Beschwerdeführer, seine Mutter und seine Großmutter davon. Über Burkina Faso, Niger, Libyen und Italien erreichte der Beschwerdeführer Österreich, wo er am 23.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Die Mutter und die Großmutter des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Heimatort. Mit ihnen steht der Beschwerdeführer in Kontakt.

Der Beschwerdeführer bezieht seit April 2025 keine Leistungen mehr aus der staatlichen Grundversorgung. Er war im Zeitraum 04.11.2024 bis 31.12.2024 geringfügig beschäftigt und geht seit 08.04.2025 einer Erwerbstätigkeit nach.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

Mit Bescheid des BFA vom 27.03.2024 wurde dem Beschwerdeführer in Anbetracht der derzeitigen Sicherheitslage in Mali der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers

Vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat war der Beschwerdeführer keiner individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt. Er wurde bzw. wird in seinem Herkunftsland Mail weder aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, noch aufgrund seiner politischen Gesinnung verfolgt.

Sein Fluchtvorbringen in Zusammenhang mit Boko Haram ist nicht glaubhaft.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Mali

Die Situation im Herkunftsstaat (Gesamtaktualisierung 10.11.2023) des Beschwerdeführers stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

1.3.1. Politische Lage

Das politische System von Mali beruht im Allgemeinen auf der Verfassung von 1992. Sie sieht die Gewaltenteilung in Exekutive, Legislative und Judikative und, angelehnt an das französische, ein republikanisches, semipräsidentielles Regierungssystem vor (AA 3.6.2022). Der Präsident, der das Staatsoberhaupt ist, wird in der Regel vom Volk bestimmt und darf nicht mehr als zwei fünfjährige Amtszeiten bekleiden (FH 2023; vgl. CIA 19.10.2023). Wie der Präsident wird auch das Parlament, die Nationalversammlung (Assemblée nationale), laut Verfassung in freien, gleichen und geheimen Wahlen durch das Volk gewählt (AA 3.6.2022; vgl. USDOS 20.3.2023). Das Parlament besteht aus einer Kammer mit 147 Sitzen, 13 davon sind für im Ausland lebende Staatsangehörige reserviert. Die Abgeordneten werden direkt in Einzel- und Mehrmandatswahlkreisen mit absoluter Mehrheit in zwei Wahlgängen für fünf Jahre gewählt (CIA 19.10.2023). Die politische Lage in Mali ist aber fragil (BMZ 25.7.2023), weil die andauernde Unsicherheit sowie politische Spannungen sowohl in 2020 als auch in 2021 in Militärputschen kulminierten (FH 2023). Seither sind Exekutive wie Legislative nicht durch Wahlen legitimiert (BS 23.2.2022). Durch die im Nachgang des ersten Staatsstreichs verabschiedete Übergangscharta gibt es zudem staatliche Spitzenorgane, die nicht demokratisch bzw. verfassungskonform bestimmt wurden (AA 3.6.2022).

Zu Beginn der 1990er-Jahre vollzog sich im Land eine Abkehr von der autoritären Herrschaft und demokratische Institutionen wurden in etwa 20 Jahre lang schrittweise aufgebaut (FH 2023). 2012 erhoben sich jedoch separatistische Tuareg und Rebellengruppen im Norden und stürzten Mali in eine schwere, vielschichtige Krise (BMZ 25.7.2023; vgl. BS 23.2.2022), deren Folgen das Land bis heute konfrontieren (BS 23.2.2022; vgl. AA 3.6.2022). Im Anschluss einer militärischen Intervention durch die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Economic Community of West African States - ECOWAS), unterstützt von Paris und malischen Streitkräften (BS 23.2.2022), wurde 2015 ein Friedensabkommen - das Algiers Peace Agreement - unterzeichnet (BS 23.2.2022; vgl. FH 2023). Seitdem wurde durch mehrere UN-Missionen versucht, das Land zu stabilisieren, die staatliche Autorität zu restaurieren und die Zivilbevölkerung zu schützen (BMZ 25.7.2023), insbesondere durch die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der UN in Mali (Multidimensionnelle Intégrée des Nations Unies pour la Stabilisation au Mali - MINUSMA) (BS 23.2.2022). Gleichwohl lässt sich das Abkommen weiterhin nur schwer umsetzen (ICG o.D.; vgl. BS 23.2.2022), vor allem bzgl. Entwaffnung und (Wieder-)Eingliederung der Rebellen (BS 23.2.2022). Außerdem greifen die Vertragsparteien, darunter ethnische Bewegungen, dschihadistische Gruppen sowie transnationale kriminelle Netzwerke zur Beilegung ihrer Differenzen nach wie vor auf Gewalt zurück (ICG o.D.). Die staatliche Ordnung im Norden - in den Regionen Gao, Kidal, Ménaka und Taoudénit - ist dementsprechend noch immer nicht vollständig wiederhergestellt, während sie auch im Zentrum - in Mopti und Timbuktu sowie in Teilen von Koulikoro und Ségou - teilweise zusammengebrochen ist (AA 3.6.2022). Insgesamt sind weiterhin zwei Drittel des Landes von bewaffneten terroristischen Gruppen besetzt (BS 23.2.2022).

In diesem schwierigen Kontext fanden 2018 Präsidentschaftswahlen statt. Ibrahim Boubacar Keïta wurde mit mehr als 67 % der Stimmen im Vergleich zu den 33 % seiner Herausforderers, Soumaila Cissé, als Präsident wiedergewählt (BS 23.2.2022; vgl. FH 2023). Trotz einiger Regelwidrigkeiten stuften internationale Beobachter die Wahlen als weitgehend glaubwürdig ein (USDOS 20.3.2023; vgl. BS 23.2.2022). Ursprünglich für 2018 angesetzte Parlamentswahlen wurden 2020 abgehalten, die von Unregelmäßigkeiten, u.a. begrenzte Bewegungsfreiheit, Vorwürfe der Einschüchterung von Wählern oder Wahlmanipulation, begleitet wurden. In den Monaten nach diesen Wahlen annullierte das Verfassungsgericht wichtige Wahlergebnisse zugunsten der seinerzeit regierenden Partei, vor allem in Bamako (USDOS 20.3.2023). Das Verhalten des Gerichtshofs löste Massenunruhen aus (USDOS 20.3.2023; vgl. BS 23.2.2022, FH 2023), die begünstigten, dass das Militär am 18.8.2020 intervenierte und die Regierung von Präsident Keïta absetzte (BS 23.2.2022; vgl. FH 2023), wobei Letzteres von den Demonstrierenden gefordert wurde. Die Sicherheitskräfte gingen wiederholt mit übermäßiger Gewalt gegen diese Proteste vor und verhafteten Protestführer (BS 23.2.2022). Eine Gruppe von Militärangehörigen, das Nationale Komitee zur Rettung des Volkes (Comité national pour le salut du peuple - CNSP), unter Führung von Oberst Assimi Goïta übernahm die Macht (FH 2023; vgl. AA 3.6.2022) mit der Rechtfertigung, dass Keïta und dessen Umfeld die Hauptschuld für den Verfall des Landes trügen (ICG 21.9.2021). Der Putsch verlief unblutig, da eine unmittelbare Gegenwehr des alten Systems ausblieb (AA 3.6.2022): Keïta kündigte umgehend seinen Rücktritt sowie die Auflösung der Nationalversammlung an (BS 23.2.2022; vgl. FH 2023), wurde jedoch mit Mitgliedern seines Kabinetts verhaftet (C24 7.7.2022). Dafür wurde eine Übergangsregierung mit ziviler Führung gebildet (USDOS 20.3.2023).

Das CNSP ernannte Bah N’Daw, ein ehemaliger Militäroffizier und Verteidigungsminister der Keïta-Ära, zum Übergangspräsidenten, Goïta zu dessen Vize (FH 2023; vgl. AA 3.6.2022) und Moctar Ouane, ein Diplomat und früherer Außenminister (ICG 21.9.2021) zum Premierminister, d.h. zum Regierungschef (FH 2023), der die Minister ernennt (CIA 19.10.2023). Das Parlament wurde indes vom Nationalen Übergangsrat (Conseil national de la transition - CNT) ersetzt, der nicht gewählt (USDOS 20.3.2023), sondern laut der Übergangscharta vom Vizepräsidenten, also Goïta, ernannt wird (JA 9.3.2021). Von den 121 Sitzen kontrollieren die Sicherheitskräfte 22 Sitze direkt, politische Parteien und Organisationen elf und M5-RFP (Mouvement du 5 Juin - Rassemblement des forces patriotiques), das Oppositionsbündnis, welches die Anti-Keïta-Protestbewegung anführte, acht (FH 2023). Die erste Phase des Übergangsprozesses, zunächst auf 18 Monate bis Mai 2021 angelegt, verlief schleppend (AA 3.6.2022; vgl. ICG 21.9.2021). Spannungen zwischen Zivilisten und Militärs innerhalb der Regierung sowie ihre schwache soziopolitische Basis führten zu einer Lähmung der Exekutive. Zwar löste sich das CNSP nach dem Putsch offiziell auf, blieb aber hinter den Kulissen aktiv (ICG 21.9.2021; vgl. JA 9.3.2021). Nach Angaben der Bertelsmann Stiftung (BS) ist es sogar determiniert, Mali bis zur nächsten Wahl zu regieren (BS 23.2.2022). Trotz der Ausarbeitung eines ehrgeizigen Fahrplans - das CNSP versprach u. a. die nationale Einheit wiederherzustellen und die Korruption zu bekämpfen - gelang es der Regierung nicht, nennenswerte Reformen umzusetzen (ICG 21.9.2021). Der Übergang war überdies weder inklusiv noch einvernehmlich. Die wichtigsten Staatsämter, das Vizepräsidium und die Schlüsselressorts, wurden allesamt von Militärs geleitet. Gleichzeitig spielten die politische Klasse, zivilgesellschaftliche Organisationen und vor allem die M5-RFP in der ersten Übergangsphase keine Rolle (BS 23.2.2022).

Im Mai 2021 traten im Rahmen einer Kabinettsumbildung Spannungen zutage, die den Boden für einen zweiten Militärputsch bereiteten. Monatelang hatte die Regierung Ouane versucht, sich aus dem Einflussbereich des CNSP bzw. der Armee zu lösen (ICG 21.9.2021). Nach Bekanntgabe des neuen Kabinetts, aus dem zwei hochrangige Militärs ausgeschlossen waren, kam es zum zweiten Staatsstreich (FH 2023; vgl. ICG 21.9.2021), der erneut unblutig verlief (AA 3.6.2022). N’Daw und Ouane wurden beiden verhaftet, während sich Goïta selbst zum Übergangspräsidenten ernannte (FH 2023; vgl. C24 7.7.2022, ICG 21.9.2021). Die putschenden Offiziere des vormaligen CNSP waren aber nicht in der Lage, die volle Kontrolle im Land zu übernehmen. Deshalb haben sie den M5-RFP-Sprecher, Choguel Maïga, bei der Bildung eines neuen Kabinetts miteinbezogenen (ICG 21.9.2021); er wurde zum Premier ernannt (AA 3.6.2022; vgl. FH 2023). Das Verfassungsgericht bestätigte diese Entscheidungen bereits wenige Tage nach dem Coup d’État, und im August 2021 wurden N’Daw wie Ouane aus dem Hausarrest entlassen (FH 2023). Dieses erneute Bündnis zwischen Zivilisten und Militärs ist aber brüchig, da die M5-RFP in puncto Regierungsbeteiligung gespalten ist und noch nach dem ersten Militärputsch in 2020 gegen die Militarisierung der Macht protestiert hat. Die Zusammensetzung der Regierung lässt zudem keine Zweifel aufkommen, dass zurzeit die Putschisten der CNSP an der Macht in Mali sind (ICG 21.9.2021).

Wegen des zweiten Putsches und der damit verbundenen Verzögerung der Machtrückgabe an gewählte Staatsorgane, verhängten die Mitgliedsländer der ECOWAS sowie der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion (Union Économique et Monétaire Ouest-Africaine - UEMOA) am 9.1.2022 vielfältige Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Mali (AA 3.6.2022; vgl. AJ 9.1.2022, REU 10.1.2022). Überdies wurde das Land von der ECOWAS sowie der AU auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen (HRW 12.1.2023). Im Feber 2022 verhängte die EU ein Reiseverbot gegen fünf Mitglieder der Interimsregierung (HRW 12.1.2023; vgl. AA 3.6.2022), welche zur Verzögerung der Transition wesentlich beigetragen hatten (AA 3.6.2022). Außerdem wurden deren Vermögenswerte eingefroren, während die USA im August 2022 ihre Militärhilfe für die malische Regierung bis zur Abhaltung freier und fairer Wahlen einfror (HRW 12.1.2023). Außerdem gab die US-Regierung am 24.7.2023 bekannt, Sanktionen gegen mehrere ranghohe Politiker in Mali zu verhängen. Als Grund wird die Unterstützung der russischen Wagner-Gruppe genannt. Diese Sanktionen beinhalten u.a. das Einfrieren des Vermögens des Verteidigungsministers, Sadio Camara. Ihm sowie anderen wird vorgeworfen, den Aufstieg der Söldnertruppe in Mali erleichtert zu haben (BAMF 31.7.2023). Am 30.8.2023 scheiterte im UN-Sicherheitsrat ein Versuch am Veto Russlands, Sanktionen gegen Mali auf UN-Ebene zu verhängen (SCR 19.10.2023).

Die Beziehungen zwischen Bamako und Paris haben sich stark verschlechtert (HRW 12.1.2023). Mali wies den französischen Botschafter im Jänner 2022 aus, nachdem dessen Außenminister die Legitimität der Übergangsregierung infrage gestellt hatte (HRW 12.1.2023; vgl. F24 31.1.2022). Frankreich beendete hingegen seine neunjährige Antiterrorkampagne und zog seine Truppen ab; Mitte August 2022 verließ der letzte Soldat das Land [siehe Kapitel 5. Sicherheitsbehörden, Anm.] (AJ 16.8.2022; vgl. HRW 12.1.2023). Zudem setzte Paris im November 2022 die Entwicklungshilfe für Mali bis auf Weiteres aus (MEAE 16.11.2022; vgl. HRW 12.1.2023). Mehrere islamistische und dschihadistische Gruppierungen, die im Land operieren, darunter die Al-Qaida-nahe „Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime“ (Jama'at Nasr al-Islam wal Muslimin -JNIM; Groupe de Soutien à l'Islam et aux Musulmans - GSIM), deren Mutterorganisation „Al-Qaida des Islamischen Maghreb“ (Al-Qaeda in the Lands of the Islamic Maghreb - AQIM; Al-Qaïda au Maghreb islamique

- AQMI), oder der „Islamische Staat in der Größeren Sahara“ (Islamic State in the Greater Sahara - ISGS; État islamique dans le Grand Sahara - EIGS), haben auch „Probleme“ mit Frankreich „vor Ort“, so Abu Ubaidah Youssef al-Annabi, der Anführer von AQIM, weshalb sie den französischen Rückzug begrüßen (JF 26.5.2023; vgl. F24 6.3.2023).

Die malische Regierung hat nach Auseinandersetzungen mit der ECOWAS im Juni 2022 einen zwei Jahre laufenden Übergangsfahrplan vereinbart, der mehrere Urnengänge sowie ein Verfassungsreferendum beinhaltet (BMZ 25.7.2023; vgl. AP 25.6.2022). Die ECOWAS akzeptierte den Fahrplan und hob die Sanktionen wieder auf (AJ 3.7.2022), sodass im Sommer 2022 einige ausgesetzte Programme der Zusammenarbeit mit Mali wieder aufgenommen wurden (BMZ 25.7.2023). Das Übergangsgesetz erlaubt es Goïta und den Militärs der CNSP aber auch, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen zu kandidieren (AP 25.6.2022).

Gemäß dem Übergangsfahrplan war die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung zunächst für März 2024 geplant (F24 7.6.2022), später bereits für Feber 2024. Die Übergangsregierung hat am 25.9.2023 jedoch bekannt gegeben, dass auch dieser Wahltermin „aus technischen Gründen“ leicht verschoben wird. Als technische Gründe nannten die Behörden die Verabschiedung einer neuen Verfassung, eine Überarbeitung der Wählerverzeichnisse sowie einen Streit mit dem französischen Unternehmen Idemia, das an der Wahl beteiligt sein soll. Außerdem wurde erklärt, dass die neuen Termine der Präsidentschaftswahl zu einem späteren Zeitpunkt verkündet werden (AN 25.9.2023; vgl. AJ 25.9.2023, VOA 27.9.2023). Die M5-RFP verurteilte, so wie auch andere Parteien, diese Entscheidung und forderte die Regierung auf, „ihre Verpflichtungen einzuhalten“. Die ECOWAS hat Stand 6.11.2023 noch nicht offiziell auf diese jüngste Ankündigung reagiert (VOA 27.9.2023).

Am 23.6.2023 haben die Malier in einem Referendum Verfassungsänderungen gebilligt, die laut der Übergangsregierung sowie regionalen Mächten den Weg für eine zivile Regierung ebnen sollen. Die Wahlbehörde erklärte, dass sich 97 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 39,4 % für die Änderungen aussprachen (AJ 23.6.2023; vgl. BBC 23.7.2023). Der Präsident soll fortan „die Politik der Nation bestimmen“, eine Rolle, welche gemäß der alten Verfassung von 1992 der Regierung zukommt. Zudem wird er das Recht innehaben, den Premierminister und die Minister zu ernennen und entlassen. Die Regierung wird ihm gegenüber rechenschaftspflichtig sein, nicht wie bisher dem Parlament. Weitere Bestimmungen sehen eine Amnestie für frühere Putschisten, eine öffentliche Finanzaufsichtsreform oder eine obligatorische Vermögensoffenlegung für Abgeordnete und Senatoren vor (AJ 23.6.2023) - der Senat wird erst durch diese neue Verfassung eingerichtet. Gleichwohl wird Französisch von einer Amts- zu einer Arbeitssprache degradiert (BBC 23.7.2023).

Wahlbeobachter berichten von Zwischenfällen während des Referendums (AJ 23.6.2023; vgl. BBC 23.7.2023). Schon im Vorfeld ist davon ausgegangen worden, dass die überwiegende Mehrheit mit Ja stimmen wird, da die Kritiker der Übergangsregierung vor allem in Nord- und Zentral-Mali leben, in denen aus Sicherheitsgründen keine Wahl stattfand. Laut der Wahlbehörde konnte in 1.121 von landesweit 24.416 Wahllokalen die Abstimmung nicht durchgeführt werden (BAMF 30.6.2023). Mehrere der Klauseln der neuen Verfassung sind umstritten: Während die Befürworter sagen, die schwachen politischen Institutionen werden gestärkt, meinen die Gegner, der Präsident bekäme zu viel Macht (AJ 23.6.2023). Ismaël Sacko, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, die im Juni 2023 von der Regierung aufgelöst wurde, bezeichnete das Referendum als einen „Anschlag auf die Demokratie“ (BBC 23.7.2023). Muslimische Religionsführer mobilisierten ebenfalls gegen den Verfassungsentwurf, besonders aufgrund des darin enthaltenden „Prinzip des Säkularismus“ (AN 8.3.2023). Im malischen Norden, welcher von bewaffneten Gruppen kontrolliert wird, fanden nur wenige Wahlen statt (AJ 23.6.2023).

Am 17.6.2023 forderte Bamako im UN-Sicherheitsrat, dass die MINUSMA so schnell wie möglich abziehen solle, vermutlich aufgrund ihrer Ermittlungen von Menschenrechtsverletzungen, so die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), oder aufgrund populistischer Gründe, weil diese Forderung zwei Tage vor dem Verfassungsreferendum publik wurde (KAS 6.2023; vgl. BAMF 3.7.2023). Der Abzug wurde indes am 30.6.2023 einstimmig vom Sicherheitsrat beschlossen (BAMF 3.7.2023). Laut der KAS unterstützten viele Menschen im Norden wie im Zentrum des Landes die MINUSMA, da sie den schwachen oder nicht existierenden Staat in vielen Bereichen ersetzt hatte (KAS 6.2023).

Quellen

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AJ - Al Jazeera (25.9.2023): Mali postpones February presidential election due to „technical issues“, https://www.aljazeera.com/news/2023/9/25/mali-postpones-february-presidential-election-due-to-technical-issues, Zugriff 6.11.2023

AJ - Al Jazeera (23.6.2023): Malians approve amendments to constitution in referendum, https://www.aljazeera.com/news/2023/6/23/mali-approves-constitutional-amendments-in-a-referendum, Zugriff 6.11.2023

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AJ - Al Jazeera (9.1.2022): West Africa bloc ECOWAS hits Mali with sanctions after poll delay, https://www.aljazeera.com/news/2022/1/9/west-africa-bloc-ecowas-hits-mali-with-sanctions-after-poll-delay, Zugriff 6.11.2023

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AN - Africa News (8.3.2023): Mali: muslim leaders call for vote against draft constitution over „principle of secularism“, https://www.africanews.com/2023/03/08/mali-muslim-leaders-call-for-vote-against-draft-constitution-over-principle-of-secularism/, Zugriff 6.11.2023

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.7.2023): Briefing Notes. Gruppe 62 - Informationszentrum Asyl und Migration, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw27-2023.pdf?__blob=publicationFile v=9, Zugriff 6.11.2023

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JF - Jamestown Foundation (26.5.2023): Brief: JNIM Pursuing Localized Agenda in Mali; Terrorism Monitor Volume: 21 Issue: 11, https://www.ecoi.net/en/document/2098070.html, Zugriff 6.11.2023

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1.3.2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist im Land nicht nur volatil (AA 3.6.2022), sondern verschlechtert sich weiter (BMZ 25.7.2022; vgl. BAMF 30.6.2023, FH 2023), vor allem im Norden und im Zentrum, aber auch im Süden (AA 3.6.2022). Es gilt weiterhin ein landesweiter Ausnahmezustand, und terroristische Anschläge sind überall möglich (BMZ 25.7.2023; vgl. C24 11.9.2023). In Nord- sowie Zentral-Mali stehen sie nach wie vor an der Tagesordnung, während sich gelegentlich öffentlichkeitswirksame Anschläge gegen Bamako richten (C24 11.9.2023). Besonders im Norden und im Zentrum kommt es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen (BMZ 25.7.2023). Die Regierung nimmt zwar für sich in Anspruch, dschihadistische Kräfte in die Defensive gezwungen zu haben, der UN-Sicherheitsrat spricht jedoch von einer zunehmenden Verschlechterung der Sicherheitslage, in der Sahelzone im Allgemeinen wie in Mali im Speziellen (BAMF 30.6.2023). Im Norden steht das Land zudem am Rand eines Bürgerkriegs (ACSS 10.7.2023), und in den Regionen Gao, Kidal, Ménaka sowie Taoudénit, ist die staatliche Ordnung weiterhin nicht vollständig wiederhergestellt. Auch in Zentral-Mali, in Mopti, Timbuktu, sowie in Teilen von Koulikoro und Ségou, ist sie partiell zusammengebrochen (AA 3.6.2022; vgl. BS 23.2.2022).

Eine Vielzahl bewaffneter Gruppen operiert in diesen Gebieten und verübt häufig Anschläge, wobei die Gewalt allmählich auch auf den Süden übergreift (C24 11.9.2023). Auch entlang der Grenze zu Burkina Faso, der Côte d’Ivoire und Mauretanien sind Terrorgruppierungen aktiv (BMZ 25.7.2023); ähnlich verhält es sich an der malisch-nigrischen Grenze (AA 3.6.2022). Die Gruppen stehen alle auch miteinander im Konflikt (BMZ 25.7.2023). Darüber hinaus kommt es in Mali zu intra- sowie interkommunitäre Auseinandersetzungen (AA 3.6.2022). Die Bedrohung durch Kriminalität ist im Land allgegenwärtig (C24 27.4.2022). Die andauernde Instabilität trägt zudem dazu bei, dass sich die Organisierte Kriminalität samt damit einhergehender Gewalt und Entführungen weiter ausbreitet (FH 2023; vgl. AA 3.6.2022). Proteste aufgrund sozioökonomischer und politischer Themen sind an der Tagesordnung und können in Gewalt ausarten (C24 27.4.2022).

Die instabile Sicherheitslage begrenzt den tatsächlichen Wirkungsbereich der Behörden im Norden und im Zentrum des Landes (FH 2023). Die Ausübung der Staatsgewalt sowie Durchsetzung der staatlichen Ordnung, einschließlich rudimentärer sozialer Staatsfunktionen außerhalb von Städten und größeren Gemeinden, werden durch mehrere Faktoren, u. a. durch die Aktivitäten bewaffneter Akteure, erschwert oder verhindert (AA 3.6.2022). Ungefähr zwei Drittel des Staatsgebiets werden nicht vom malischen Staat kontrolliert, der dort weder die Integrität des Territoriums gewährleisten noch das Gewaltmonopol halten kann (BS 23.2.2022). Bewaffnete Gruppen kontrollieren de facto weite Teile des Nordens (ACSS 10.7.2023), und in von islamistischen Gruppierungen gehaltenen Gebieten werden regelmäßig brutale Strafen verhängt, einschließlich Hinrichtungen, Amputationen und Steinigungen (FH 2023; vgl. LM 5.5.2021).

Ausländische Streitkräfte haben stets eine wesentliche Rolle beim Kampf der jeweiligen Regierung gegen gewaltbereite extremistische Organisationen gespielt. Nach neun Jahren militärischer Hilfe kündigte Paris im Feber 2022 an, seine Truppen abzuziehen; der letzte französische Soldat verließ das Land im August 2022 (FH 2023). Am 30.6.2023 beschloss der UN-Sicherheitsrat des Weiteren den Abzug der MINUSMA, der am 1.7.2023 begonnen hat, derzeit läuft und schon am 31.12.2023 abgeschlossen sein sollte (BAMF 3.7.2023; vgl. SCR 19.10.2023). Obwohl nie offiziell eingeräumt hat die Übergangsregierung im Dezember 2021 ein Abkommen mit Moskau verhandelt, das neben einer 10,9 Millionen USD pro Monat schweren Konzession für Goldminen in Mali die Entsendung von rund tausend Kämpfer der Gruppe Wagner vorsieht (ACSS 10.7.2023). Diese tausend Mann oder mehr sollen sich noch immer im Land befinden. Durch den Abzug der MINUSMA wird Mali außerdem stärker auf die Wagner-Gruppe angewiesen sein (BBC 30.6.2023). Die Sicherheitslage hat sich seit deren Entsendung nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums ausschließlich verschlechtert (ACSS 10.7.2023).

Die gegen Zivilpersonen gerichtete Gewalt hat in Mali im Jahr 2023 bisher um 38 % zugenommen. Hauptverantwortlich für den Anstieg sind die JNIM (180 Ereignisse; d. h. 33 %), die malische Armee bzw. die Gruppe Wagner (160; 29 %), und der ISGS (90; 15 %). Die Kämpfe sowie Angriffe haben sich angesichts gemeinsamer Militäroperationen der malischen Streitkräfte mit der Wagner-Gruppe und des Wiederaufflammens der Feindseligkeiten im Norden auf weitere Orte ausgeweitet (ACLED 21.9.2023). Laut der US-Regierung sind viele der zivilen Todesfälle - seit Ankunft der Söldner Ende 2021 ist die Anzahl um 278 % gestiegen - das Ergebnis dieser gemeinsamen Operationen (BAMF 31.7.2023), da sowohl das malische Heer als auch die Gruppe Wagner laut Experten organisierte Menschenrechtsverletzungen begehen, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Deswegen ziele ihre Gewalt gerade gegen Frauen und Mädchen (BAMF 4.9.2023). Andererseits kann das Aufflackern extremistischer Gewalt u.a. durch den Rückzug einiger bewaffneter Gruppen aus dem Abkommen von Algier, das im Dezember 2022 geschah, erklärt werden (FH 2023; vgl. ICG 13.10.2023). Auch die JNIM hat eine Neuoffensive gestartet, in deren Rahmen sie militärische Stellungen großflächig angreift und Städte sowie wichtige Verkehrswege blockiert. Insgesamt hat die politische Gewalt in Mali, genauso wie in Burkina Faso und Niger, im Vergleich zum Vorjahr um 5 % und zu 2012 um 46 % zugenommen (ACLED 21.9.2023).

Diese Verschlechterung der Sicherheitslage verläuft in den nördlichen, zentralen sowie südlichen Regionen unterschiedlich (ACSS 10.7.2023).

Nord-Mali (Gao, Kidal, Ménaka, Timbuktu und Taoudénit):

[Es gibt keine einheitliche Aufteilung des Landes in Nord-, Zentral- bzw. Süd-Mali. Je nach Quelle werden bestimmte Regionen zu dem einen oder anderen Teil gezählt - insbesondere bei Koulikoro und Timbuktu scheiden sich die Geister. Die Gliederung dieses Kapitels übernimmt die Auffassung des Africa Center for Strategic Studies - ACSS 10.7.2023, Anm.]

Der Schritt der Übergangsregierung, einen Abzug der MINUSMA-Truppen zu erwirken, hat Mali an den Rand eines neuen Bürgerkriegs im Norden gebracht, da die UN-Mission das Abkommen von Algier zwischen der Regierung und den Separatisten im Norden garantierte (ACSS 10.7.2023). Ein Abzug wurde z. B. von führenden Vertretern der nördlichen Gemeinschaften als „Todesstoß“ für das Friedensabkommen bezeichnet (AJ 22.6.2023; vgl. ACSS 10.7.2023). Es wird eine Wiederholung der Ereignisse von 2012 befürchtet, als Dschihadisten einige Städte im Norden unter ihre Kontrolle brachten (BAMF 4.9.2023). Derzeit nehmen Angriffe von bewaffneten Islamlistengruppierungen sowie Tuareg-Rebellen weiter zu (BAMF 16.10.2023), welche bereits bedeutende Gebiete faktisch kontrollieren (ACSS 10.7.2023). Die malische Armee hat dem bisher wenig entgegenzusetzen (BAMF 16.10.2023) und führt nur vereinzelt Luftschläge oder Aufklärungsmissionen durch (ACSS 10.7.2023) - die Luftwaffe soll z. B. am 28. bzw. 29.8.2023 Positionen von Rebellen in Anéfis (Kidal) bombardiert haben (BAMF 4.9.2023).

Nord-Mali hat sich in der Folge zu einem Schlachtfeld zwischen rivalisierenden Islamistengruppen entwickelt, die sich um Gebiete streiten, die zuvor von UN-Friedenstruppen gehalten wurden. Vor allem der 2021 von der französischen Armee und der MINUSMA stark geschwächte ISGS konnte wiedererstarken (ACSS 10.7.2023; vgl. BAMF 4.9.2023) - in weniger als einem Jahr hat er die von ihm kontrollierten Gebiete nahezu verdoppelt, insbesondere im Osten von Ménaka und im Norden von Gao. Gleichzeitig profitiert auch die JNIM von der Schwäche der anderen Akteure, weil sie sich als Beschützer der Zivilbevölkerung positionieren kann (BAMF 4.9.2023). Diese Islamistengruppen bekämpfen sich aber auch untereinander, wie beispielsweise ISGS und JNIM in Gao wie Timbuktu (ACSS 10.7.2023).

Wie in den UN-Vorschriften vorgesehen leitete die MINUSMA im Juli 2023 den Übergabeprozess ihrer zwölf Militärbasen an den malischen Staat ein (ICG 13.10.2023), der auch plant, diese Basen zu übernehmen (BAMF 16.10.2023). Zwischen ihm und dem „Ständigen Strategischen Rahmen“ (Cadre Stratégique Permanent - CSP) herrschen in dieser Frage aber Meinungsverschiedenheiten - der CSP umfasst die separatistische „Koordination der Azawad-Bewegungen“ (Coordination des mouvements de l'Azawad - CMA) und einen Teil der bewaffneten Gruppen von der ursprünglich regierungsnahen „Plattform“ (Plateforme), die allesamt das Abkommen von Algier unterzeichneten. Einige der UN-Stützpunkte, insbesondere die in Ber (Timbuktu), Adjelhoc, Tessalit und Kidal (alle in Kidal), befinden sich in Gebieten, die von Separatisten beansprucht werden. Sie weigern sich, eine Rückeroberung durch die malischen Streitkräfte, ohne Vorabverhandlungen zu akzeptieren. Für die Übergangsregierung ist die Kontrolle über diese Militärbasen Teil ihres größeren Ziels, nämlich die Wiederherstellung der Souveränität über das gesamte Staatsgebiet. Diese Position bildet den Kern der Unterstützung, welche sie in der Bevölkerung genießt (ICG 13.10.2023; vgl. BAMF 4.9.2023). Sie bezeichnete die Rückeroberung bzw. Okkupation aller Gebiete von Mali im Oktober 2023 als einen „unumkehrbaren Prozess“ (MW 9.10.2023; vgl. ICG 13.10.2023). Im Allgemeinen lässt sich laut Medienberichten ein zunehmender Konflikt zwischen der malischen Regierung und der CMA feststellen (BAMF 4.9.2023).

Weil die malischen Behörden davon ausgehen, dass die JNIM und die CSP ihre Operationen koordinieren, werden Angriffe der CSP in offiziellen Verlautbarungen als „terroristisch“ bezeichnet (ICG 13.10.2023) - z. B. habe der Luftangriff auf Anéfis Ende August 2023 terroristischen Gruppen und nicht der CMA gegolten, so die malischen Streitkräfte (BAMF 4.9.2023). Die CSP dementierte jedoch vor Kurzem, dass sie gemeinsame Sache mit dem Al-Qaida-Ableger mache und betonte, dass ihre Agenda eine andere als die der JNIM sei (ICG 13.10.2023). Nichtsdestoweniger sollen Kombattanten aller Parteien des Friedensabkommens bereits zu dschihadistischen Gruppierungen oder Schmugglernetzwerken übergelaufen sein (BAMF 4.9.2023).

Am 11.8.2023 lieferte sich die malische Armee inklusive der Gruppe Wagner ein heftiges Gefecht mit CSP-Kämpfern um die Kontrolle des Stützpunkts Ber nahe Timbuktu (ICG 13.10.2023; vgl. SCR 19.10.2023). Dank ihrer Schlagkraft kontrolliert sie seit dem 13.8.2023 die Militärbasis (ICG 13.10.2023). Am 2.10.2023 verließ ein malischer Militärkonvoi aus über hundert Militärfahrzeugen, begleitet von russischen Söldnern, die Stadt Gao in Richtung der Stadt Kidal (BAMF 16.10.2023; vgl. ICG 13.10.2023), die Hochburg des CSP (ICG 13.10.2023). Auf dem Weg dorthin kam es immer wieder zu Kämpfen mit Tuareg-Rebellen und am 7.10.2023 sollen malische Truppen Anéfis erobert haben (BAMF 16.10.2023; vgl. ICG 13.10.2023). Da dieser Ort als Tor nach Kidal gilt, drohen die Kämpfe das Friedensabkommen aus 2015 endgültig zu untergraben (ICG 13.10.2023).

Im September 2023 führte das CSP mehrere tödliche Angriffe auf vorgeschobene Stellungen der malischen Armee in Nord- und Zentral-Mali durch, vornehmlich in Léré (Timbuktu), Dioura (Mopti), Bamba, Bourem (beide in Gao) (ICG 13.10.2023; vgl. SCR 19.10.2023) und Taoussa (Gao) (SCR 19.10.2023). Als Reaktion wurden Luftangriffe auf Stellungen der Rebellen geflogen und Truppen samt Kampfjets in den Norden verlegt (ICG 13.10.2023). Auch ein Passagierschiff auf dem Niger wurde attackiert, das von Gao nach Mopti unterwegs war. Nach Angaben der Übergangsregierung starben 49 Zivilisten (BBC 8.9.2023; vgl. BAMF 11.9.2023), eine weitere Quelle spricht von über 60 Getöteten insgesamt. Jedenfalls handelt es sich um einen der bisher tödlichsten Vorfälle im Zuge der zunehmenden, auf Zivilisten abzielenden Gewalt (ACLED 21.9.2023). Am 8.9.2023 wurde des Weiteren ein Selbstmordattentat auf einen Militärstützpunkt in Gao verübt, wobei die Opferzahlen hier unbekannt sind (BAMF 11.9.2023).

Anfang Oktorber 2023 gaben Tuareg-Rebellen der CMA bekannt, die Stadt Bamba (Gao) von der Armee erobert zu haben; die Regierung bestätigte das. Gleichzeitig konstatierten Erstere, mehr als 80 Soldaten im Zentrum getötet zu haben (BBC 1.10.2023). Gemäß einer Erklärung des Militärs sollen am 10.10.2023 bei einem weiteren Anschlag in Bourem (ebenfalls Gao) mindestens zehn Soldaten getötet und 13 verletzt worden sein, während 46 „Terroristen“ ebenfalls ums Leben gekommen sein sollen (BAMF 16.10.2023). Bereits im Vormonat gab es ebenda einen Anschlag auf ein Militärlager, bei welchem 15 Soldaten (BAMF 11.9.2023; vgl. BBC 8.9.2023) und wohl 50 Militante getötet worden sind; die JNIM bekannte sich zu diesem Angriff. Die Behörden hingegen riefen eine dreitägige Staatstrauer aus (BBC 8.9.2023).

Die Stadt Timbuktu ist seit Wochen fast komplett von der Außenwelt abgeriegelt, mutmaßlich von der JNIM. Straßen und Wasserwege, die in die Stadt führen, sind blockiert (BAMF 16.10.2023; vgl. ACLED 21.9.2023, ICG 13.10.2023, SCR 19.10.2023). Hierbei kommt es häufiger zu Abgriffen auf Transportmittel (BBC 8.9.2023; vgl. ACLED 21.9.2023). Die Bewohner von Timbuktu leiden unter akuter Lebensmittelknappheit, und es kommt zu starken Preisanstiegen bei Lebensmitteln sowie Benzin (BAMF 16.10.2023). Der häufige Granatbeschuss der Stadt - es gab z.B. sechs Vorfälle zwischen Mitte August und Mitte September 2023 -, darunter des Flughafens, gehört ebenfalls zum Repertoire der JNIM. Die Kanonade vom 11.9.2023 führte zu einer vorübergehenden Einstellung des Flugverkehrs von und nach Timbuktu, u. a. durch den Humanitären Flugdienst der UN (United Nations Humanitarian Air Service - UNHAS) (ACLED 21.9.2023).

Die Opferzahlen der letzten Monate sind hoch. Infolge der erneuten Feindseligkeiten in Nord-Mali wurden seit August 2023 ca. 400 Todesopfer (Stand Mitte Oktober 2023) registriert, davon fast die Hälfte Zivilisten. Die CSP beschuldigt die Armee sowie die Wagner-Gruppe, Gräueltaten an der Zivilbevölkerung begangen zu haben, insbesondere in Ersane, ein Dorf zwischen Gao und Kidal. Dort wurden angeblich 17 Personen hingerichtet und deren Leichen mit Sprengstoff präpariert. Die malischen Behörden wiesen diese Anschuldigungen jedoch zurück und beteuern, dass die Armee die Menschenrechte in vollem Umfang achtet (ICG 13.10.2023).

Zentral-Mali (Mopti und Ségou):

Der Konflikt zwischen der malischen Regierung und den dschihadistischen Gruppen ist im Zentrum noch intensiver als im dünn besiedelten Norden (KAS 6.2023). 55 % der verübten Gewaltakte, die mit militanten Islamistengruppen in Verbindung gebracht werden, fanden in Mopti oder Ségou statt [Zeitraum: Juli 2022 bis Juli 2023, Anm.] (ACSS 10.7.2023). Laut der UN finden auch 70 % der per Fernbedienung gezündeten Bombenanschläge in Zentral-Mali statt (KAS 6.2023) und die Gewalt dieser Gruppierungen konzentriert sich auch weiterhin auf die beiden Regionen (ACSS 10.7.2023). Die Armee hat allerdings mit Russlands Hilfe stark aufgerüstet - Kampfhubschrauber, -jets sowie Söldner wurden ins Land gebracht - und führt Stand Juni 2023 seit über einem Jahr eine Offensive im Zentrum (KAS 6.2023). Einige Operationen haben dort den Widerstand verschärft, weil sie auf Zivilisten abzielten (ACSS 10.7.2023). Im März 2022 sollen malische Sicherheitskräfte und ihre Verbündeten in Moura zwischen 300 (HRW 12.1.2023; vgl. FH 2023) und 500 (OHCHR 12.5.2023; vgl. AR 16.5.2023) inhaftierte Männer, unter ihnen mutmaßliche islamistische Kämpfer, kurzerhand hingerichtet haben. Der Vorfall stellt die bis dato schwerwiegendste Gräueltat im jahrzehntelangen Konflikt zwischen Regierungstruppen und bewaffneten islamistischen Gruppen dar [Siehe Kapitel 6. Folter und unmenschliche Behandlung wie 17. Ethnische Minderheiten, Anm.] (HRW 12.1.2023). Die „Macina Befreiungsfront“ (Force de Libération du Macina - FLM), die aktivste Islamistengruppe in Mali, nutzt solche Menschenrechtsverletzungen und die Gewalt gegen Zivilisten für ihre Zwecke, u. a. für Rekrutierungen. Ferner verübt sie immer komplexere Angriffe auf kritische Infrastruktur, wie z. B. auf den Flugplatz in Sévaré, sowie auf Stellungen der malischen Armee bzw. Wagner. Aktuell rückt die FLM Richtung Süden vor (ACSS 10.7.2023). Grundsätzlich eskalieren regionale Konflikte im dicht besiedelten Landeszentrum schneller als in der weiten Wüste des Nordens, wo es kaum Straßen und wenige Siedlungen gibt (KAS 6.2023).

Als Reaktion auf die Offensiven der malischen Armee mit der Gruppe Wagner, und aufgrund deren Allianz mit den Milizen „Dan Na Ambassagou“ und Dozo (oder Donso) in Zentral-Mali ist die JNIM zunehmend aggressiver geworden. Sie hat daher ihr Vorgehen gegen diese Akteure intensiviert, u. a. durch regelmäßige Angriffe auf Dörfer, Blockaden, Zwangsumsiedelungen und Vertreibungen, vor allem in Mopti und Ségou (ACLED 21.9.2023).

Schwere Gefechte der Sicherheitskräfte mit Dschihadisten zwischen den Städten Mopti und Ségou führten am 10.1.2023 zur Tötung von 14 Soldaten, elf wurden verletzt. Zudem sollen 31 Terroristen getötet worden sein. Die islamistischen Kämpfer sollen auch improvisierte Sprengsätze eingesetzt haben. Die JNIM reklamierte einen „doppelten Hinterhalt“ gegenüber Soldaten sowie Söldnern der Wagner-Gruppe in Mopti für sich. Bei einem Minenangriff habe man zudem eine unbestimmte Zahl von Soldaten und Söldnern, bei dem anderen fünf Söldner und sieben Soldaten getötet. Die JNIM selbst habe fünf „Märtyrer“ verloren (BAMF 30.6.2023).

Laut Medienberichten kam es am 22.4.2023 in Sévaré in der Nähe des Militärstützpunktes zu drei Selbstmordanschlägen. Dabei sollen zumindest neun Zivilpersonen getötet und 60 verletzt worden sein. Mit Sprengstoff beladene Fahrzeuge sollen dabei zur Explosion gebracht worden sein, die 20 Häuser zerstörten. Bisher hat sich niemand zu den Anschlägen bekannt (BAMF 30.6.2023).

Am 18.8.2023 kam es Medienberichten zufolge zu einem Angriff auf das Dorf Yarou in der Nähe der Stadt Bandiagara (Mopti). Bewaffnete Männer töteten bei dem Angriff mindestens 23 Zivilisten, zwölf wurden verletzt. Auch mehrere Häuser wurden in Brand gesteckt. Bisher hat sich niemand zu dem Angriff bekannt (BAMF 21.8.2023).

Süd-Mali (Bamako, Kayes, Koulikoro und Sikasso):

Gewalt vonseiten militanter Islamisten ist auch auf Gebiete übergeschwappt, welche bis dato ruhig waren. Kombattanten der FLM haben im gesamten Süden des Landes aufwendige Hinterhalte und Angriffe auf Sicherheitskräfte durchgeführt. Gleichzeitig haben sie eine Tragweite und Koordination an den Tag gelegt, die eher für ihre Aktivitäten in Nord- und Zentral-Mali typisch sind. Anschläge in Kayes, in der Nähe der südwestlichen Grenzen zu Mauretanien und dem Senegal, kamen in den letzten zehn Jahren selten vor, aber das beginnt sich zu ändern - in Kayes, die Region, welche in der Vergangenheit am wenigsten von islamistischer Gewalt betroffen war, hat sich die Zahl der Attacken verdreifacht, während die Aktivitäten militanter Gruppen in Süd-Mali im letzten Jahr [Zeitraum: Juli 2022 bis Juli 2023, Anm.] insgesamt um 50 % zugenommen haben. Auch Bamako ist zunehmend bedroht: In der ersten Hälfte 2023 wurden im Umkreis von 150 km um Bamako mehr Anschläge verübt als in jedem anderen Jahr zuvor (ACSS 10.7.2023).

Quellen

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BMZ - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung [Deutschland] (25.7.2023): Mali: Westafrikanischer Binnenstaat in der Krise, https://www.bmz.de/de/laender/mali, Zugriff 10.11.2023

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Mali, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069611/country_report_2022_MLI.pdf, Zugriff 10.11.2023

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C24 - Crisis 24 (27.4.2022): Security. In Mali Country Report, https://crisis24.garda.com/insights-intelligence/intelligence/country-reports/mali?origin=de_riskalert, Zugriff 10.11.2023

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Mali, https://www.ecoi.net/en/document/2085475.html, Zugriff 10.11.2023

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ICG - International Crisis Group (10.2023): Crisis Watch. Tracking Conflict Worldwide. Mali: October 2023, https://www.crisisgroup.org/crisiswatch/database?location[]=26, Zugriff 10.11.2023

KAS - Konrad-Adenauer-Stiftung (6.2023): Länderbericht Regionalprogramm Sahel: Die Blauhelm-Mission in Mali vor dem Aus, https://www.ecoi.net/en/file/local/2093863/Die+Blauhelm-Mission+in+Mali+vor+dem+Aus.pdf, Zugriff 10.11.2023

LM - Le Monde (5.5.2021): Dans le nord du Mali, trois civils amputés par des terroristes, https://www.lemonde.fr/afrique/article/2021/05/05/dans-le-nord-du-mali-trois-civils-amputes-par-des-terroristes_6079196_3212.html, Zugriff 10.11.2023

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OHCHR - United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights (12.5.2023): Malian troops, foreign military personnel killed over 500 people during military operation in Moura in March 2022 - UN human rights report, https://www.ohchr.org/en/press-releases/2023/05/malian-troops-foreign-military-personnel-killed-over-500-people-during, Zugriff 10.11.2023

SCR - Security Council Report (19.10.2023): Mali: Meeting under „Any other Business“ on the Withdrawal of MINUSMA, https://www.securitycouncilreport.org/whatsinblue/2023/10/mali-meeting-under-any-other-business-on-the-withdrawal-of-minusma.php, Zugriff 10.11.2023

1.3.3. Rechtsschutz / Justizwesen

Die Judikative ist laut der Verfassung formell unabhängig (BS 23.2.2022; vgl. FH 2023, USDOS 20.3.2023). Sie kontrolliert die Regierung jedoch nicht wirksam (BS 23.2.2022). Im Gegenteil, die Exekutive übt in der Praxis erheblichen Einfluss auf sie aus (BS 23.2.2022; vgl. FH 2023, USDOS 20.3.2023). Der Grund dafür ist in der Struktur des malischen Rechtssystems zu finden, bestehend aus Oberstem Gerichtshof, Oberstem Justizrat und Verfassungsgericht. Der Präsident leitet z. B. den Obersten Justizrat, das Gremium, das die Justizbehörden beaufsichtigt und Richter ernennt (BS 23.2.2022; vgl. AA 3.6.2022). Zudem überwacht der Justizminister sowohl die Strafverfolgung als auch die Justiz (FH 2023). Diese Praxis beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit und Unparteilichkeit der Justiz und erschwert ihre Fähigkeit, interne Probleme zu lösen (BS 23.2.2022).

Von der weitverbreiteten Korruption ist auch die Judikative nicht ausgenommen (AA 3.6.2022; vgl. BS 23.2.2022, USDOS 20.3.2023). Lokalen Menschenrechtsgruppen zufolge sind Bestechung und Vorteilsgewährung an malischen Gerichten durchaus üblich (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 3.6.2022). Strafverfolgung und Strafzumessung kann von der eigenen wirtschaftlichen Fähigkeit zur Zahlung entsprechender Bestechungsgelder oder von der Fähigkeit zur Einbringung von Zeugenaussagen abhängen (AA 3.6.2022). Es wird berichtet, dass die Korruptionsanfälligkeit auf allen Ebenen einen Schlüsselfaktor für das fehlende Vertrauen der Bürger in die Justiz spielt. Das Justizwesen hat nur begrenzte finanzielle wie organisatorische Ressourcen. Der Staat gibt nur ca. 1 % seines Budgets für die Justiz aus, die daher weiterhin von Entwicklungshilfe abhängig ist (BS 23.2.2022).

Das Rechtssystem basiert auf französischem Zivilrecht und Gewohnheitsrecht (CIA 17.10.2023). Die Verfassung garantiert ein faires Verfahren und die Justiz versucht grundsätzlich, dieses Recht durchzusetzen (USDOS 20.3.2023). In der Praxis geschieht das jedoch nicht einheitlich (FH 2023). Nicht digitalisierte Akten und analoge Fallverwaltungssysteme, Sicherheitsbedenken, politischer Druck wie Bearbeitungsrückstände behindern zuweilen die Gerichtsverfahren (USDOS 20.3.2023).

Die Justizgrundrechte werden weitgehend gewährt und Sippenhaft wird vom Staat nicht praktiziert (AA 3.6.2022). Gerichtsentscheidungen werden häufig nicht vollstreckt (BS 23.2.2022; vgl. USDOS 20.3.2023). Häftlinge werden nicht immer innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen 48-Stunden-Frist angeklagt und müssen mit längeren Untersuchungshaftzeiten rechnen. Fälle willkürlicher Verhaftungen kommen ebenfalls vor (FH 2023). Das malische Rechtssystem deckt zudem nicht das gesamte Staatsgebiet ab; nur etwa 4 % der Anwälte sind z.B. außerhalb von Bamako tätig (BS 23.2.2022). Ein Mangel an privaten Anwälten verhindert, besonders auf dem Land, einen schnellen Zugang zu Rechtshilfe (USDOS 20.3.2023), dasselbe gilt für die hohen Kosten sowie langwierigen Verfahren (FH 2023).

Im Norden sowie im Zentrum ist das Justizwesen faktisch nicht vorhanden, hauptsächlich aufgrund der schwierigen Sicherheitslage (BS 23.2.2022). Die Justizgrundrechte werden in Landesteilen, die von bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, wahrscheinlich nicht gewahrt werden (AA 3.6.2022) und mit ordnungsgemäßen Verfahren ist nicht zu rechnen (FH 2023). Die Richter sind dort mitunter monatelang nicht in den ihnen zugewiesenen Bezirken (USDOS 20.3.2023), auch, weil es bereits zu militanten Angriffen auf Justizmitarbeiter kam (FH 2023). Die Mehrzahl der Streitigkeiten in ländlichen Regionen werden von Dorfvorstehern oder Friedensrichtern, welche von der Regierung ernannt werde, entschieden. Letztere üben die Ermittlungs-, die Strafverfolgungs-, sowie die Gerichtsfunktion parallel aus. In Teilen von Kidal und Timbuktu legen islamische Richter regionale Dispute bei (USDOS 20.3.2023). Durch die Anwendung des Gewohnheitsrechts bzw. der Scharia haben traditionelle wie religiöse Autoritäten die Justiz dort de facto ersetzt (BS 23.2.2022), wobei sie nicht dieselben Rechte wie Zivil- und Strafgerichte gewähren (USDOS 20.3.2023). In Gebieten, welche von islamistischen Gruppen kontrolliert werden, wird Recht von Scharia-Gerichten, die sich nicht an die Standards für faire Verfahren halten, gesprochen (HRW 12.1.2023).

Im Falle von Menschenrechtsverletzungen können sowohl Individuen als auch Organisationen den Zivilrechtsweg beschreiten. Sie können ihre Beschwerden beim ECOWAS-Gerichtshof oder beim Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker einlegen. Es wird berichtet, dass zivilrechtliche Gerichtsbeschlüsse in Fällen von erblicher Sklaverei nur schwer durchgesetzt werden können (USDOS 20.3.2023).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.6.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Mali (Stand: April 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2074954/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Mali_%28Stand_April_2022%29%2C_03.06.2022.pdf, Zugriff 25.10.2023

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Mali, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069611/country_report_2022_MLI.pdf, Zugriff 25.10.2023

CIA - Central Intelligence Agency [USA] (17.10.2023): Mali, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/mali/, Zugriff 25.10.2023

FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Mali, https://www.ecoi.net/en/document/2097713.html, Zugriff 25.10.2023

HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Mali, https://www.ecoi.net/en/document/2085475.html, Zugriff 25.10.2023

USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Mali, https://www.ecoi.net/en/document/2089138.html, Zugriff 25.10.2023

1.3.4. Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden bestehen aus der Nationalen Polizei, den Streitkräften (Forces Armées Maliennes - FAMa), der Nationalen Gendarmerie (la Direction Générale de la Gendarmerie Nationale - DGGN), der Nationalgarde (la Garde Nationale du Mali - GNM) und dem Geheimdienst (l’Agence nationale de la Sécurité d’État - ANSE). FAMa, DGGN und GNM sind administrativ dem Verteidigungsministerium unterstellt, wobei sich das Verteidigungsministerium und das Ministerium für innere Sicherheit und Katastrophenschutz die operative Kontrolle über DGGN und GNM teilen. Die Nationale Polizei ist für Gesetzesvollzug und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in Städten zuständig, die DGGN in ländlichen Gebieten und für den Grenzschutz. FAMa und GNM übernehmen manchmal Strafverfolgungsaufgaben in Gebieten, in denen Polizei und Gendarmerie abwesend sind (USDOS 20.3.2023; vgl. CIA 26.9.2023). Der Geheimdienst ist befugt, jeglichen Fall zu untersuchen und im Ermessen seines Generaldirektors, welcher direkt dem Präsidenten untersteht, Personen vorübergehend festzunehmen (USDOS 20.3.2023). Staatsschutz und Polizei bzw. DGGN arbeiten im Wesentlichen nur bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus zusammen (AA 3.6.2022). Die zivilen Behörden haben nicht immer eine wirksame Kontrolle über die zivilen wie militärischen Sicherheitskräfte (USDOS 20.3.2023).

2012 sind die FAMa und die übrigen Sicherheitskräfte im Zuge der Kämpfe gegen Tuareg-Rebellen wie islamistische Gruppen zusammengebrochen und wurden seitdem mit beträchtlicher externer Hilfe, u.a. von der EU, Frankreich und den UN, wiederaufgebaut. Es kam zu einer umfangreichen Unterstützung, inklusive verwirklichter Operationen zur Terrorismus- und Aufstandsbekämpfung (CIA 26.9.2023; vgl. HRW 12.1.2023), am Höhepunkt mit mehr als 5.000 Soldaten (HRW 12.1.2023). Im Feber 2022 kündigte Paris das Ende seiner neunjährigen Anti-Terror-Operation in Mali an (HRW 12.1.2023; vgl. NYT 17.2.2022) und mit Ende August 2022 hatte der letzte französische Soldat das Land verlassen (AJ 16.8.2022; vgl. CIA 26.9.2023, HRW 12.1.2023). Ähnliches gilt für die EU-Spezialeinheit Takuba, die von Paris geführt wurde: Ende Juni 2022 wurde ihre Tätigkeit in Mali offiziell eingestellt (F24 1.7.2022; vgl. HRW 12.1.2023). Die Gründe sind die angespannten Beziehungen zwischen der EU bzw. Frankreich und Mali, ausgelöst durch Menschenrechtsverletzungen und die Anwesenheit privater russischer Militärdienstleister (CIA 26.9.2023; vgl. HRW 12.1.2023). Seit 2013 war zudem die UN-Mission MINUSMA im Land tätig und hatte die Aufträge, für Sicherheit zu sorgen, die FAMa wieder aufzubauen, die Zivilbevölkerung zu schützen, den nationalen politischen Dialog zu unterstützen und bei der Wiederherstellung der Autorität der Regierung zu helfen. Allerdings stimmte der UN-Sicherheitsrat im Juni 2023 für die Beendigung der Mission, nachdem die Übergangsregierung den Abzug ausländischer Truppen gefordert hatte (CIA 26.9.2023). Russland übernahm die Führung bei der Bereitstellung militärischer Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus (HRW 12.1.2023); seit Dezember 2021 besitzt Mali einen Vertrag mit einem privaten Militärunternehmen aus Russland, um die Ausbildung der Streitkräfte und die Sicherheit hochrangiger Beamter zu gewährleisten. Bis dato haben die russischen Auftragnehmer, von denen schätzungsweise 1.000 im Land sind, auch an Sicherheitsoperationen teilgenommen (CIA 26.9.2023). Im Juni 2022 zog sich Mali außerdem aus der G5-Sahel zurück, einer regionalen Anti-Terror-Einheit mit 5.000 Mann, der Burkina Faso, Tschad, Mauretanien und Niger angehören (HRW 12.1.2023; vgl. F24 16.5.2022).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.6.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Mali (Stand: April 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2074954/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Mali_%28Stand_April_2022%29%2C_03.06.2022.pdf, Zugriff 6.10.2023

AJ - Al Jazeera (16.8.2022): Last French troops leave Mali, ending nine-year deployment, https://www.aljazeera.com/news/2022/8/16/last-french-troops-leave-mali-ending-nine-year-deployment, Zugriff 6.10.2023

CIA - Central Intelligence Agency [USA] (26.9.2023): Mali, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/mali/, Zugriff 6.10.2023

F24 - France 24 (1.7.2022): EU’s Takuba force quits junta-controlled Mali, https://www.france24.com/en/africa/20220701-eu-s-takuba-force-quits-junta-controlled-mali, Zugriff 6.10.2023

F24 - France 24 (16.5.2022): Mali withdraws from G5 Sahel regional anti-jihadist force, https://www.france24.com/en/africa/20220515-mali-withdraws-from-g5-sahel-regional-anti-jihadist-force, Zugriff 6.10.2023

HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Mali, https://www.ecoi.net/en/document/2085475.html, Zugriff 6.10.2023

NYT - New York Times (17.2.2022): France Announces Troop Withdrawal From Mali After 9-Year Campaign, https://www.nytimes.com/2022/02/17/world/africa/mali-france-withdrawal.html, Zugriff 6.10.2023

USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Mali, https://www.ecoi.net/en/document/2089138.html, Zugriff 6.10.2023

1.3.5. Allgemeine Menschenrechtslage

Der Schutz der Menschenrechte ist in der malischen Verfassung verankert, jedoch verhält sich die Situation je nach staatlicher Präsenz unterschiedlich. Mali hat die ECOWAS-Konventionen, die AU-Konventionen zum Menschenrechtsschutz, und folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:

Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe

Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte

Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen

Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung

Internationaler Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte

Übereinkommen über die Rechte des Kindes

Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten

Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie

Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Seit 2013 sendet der UN-Menschenrechtsrat einen unabhängigen Experten nach Mali, welcher regelmäßig über die dortige Menschenrechtslage berichtet (AA 3.6.2022). In seinem letzten Bericht lobte der derzeitige Experte, Alioune Tine, die gute Zusammenarbeit mit der Regierung, zeigte sich aber besorgt über die Sicherheitskrise samt ihren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, sowie den schwindenden Raum für die Zivilgesellschaft [siehe Kapitel 12. Meinungs- und Pressefreiheit, Anm.] und die Achtung der Rechtsstaatlichkeit [siehe Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen, Anm.] (OCHCR 31.3.2023).

Im Rahmen des andauernden bewaffneten Konflikts wurden Hunderte von Zivilisten sowohl durch malische Sicherheitskräfte als auch durch unterschiedliche bewaffnete Gruppen getötet, darunter durch außergerichtliche Hinrichtungen (AI 27.3.2023). Auch gewaltsames Verschwindenlassen wie Folter wurden von beiden Parteien verübt [siehe Kapitel 6. Folter und unmenschliche Behandlung, Anm.], dasselbe gilt für den Einsatz von Kindersoldaten [siehe Kapitel 18.2 Kinder, Anm.] (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 3.6.2022). Die Übergangsregierung untergräbt zudem Bemühungen, Vorwürfe über Gräueltaten, die mutmaßlich von staatlichen Akteuren begangen wurden, zu untersuchen und die Straflosigkeit für Taten aller bewaffneten Gruppen besteht fort (HRW 12.1.2023; vgl. USDOS 20.3.2023).

Der Handel mit Menschen, vornehmlich Frauen und Mädchen, sowie deren Ausbeutung als Diener, aber auch sexuell, besteht weiter fort. Kinderarbeit und -handel als Arbeitskräfte ist besonders in den südlichen Grenzregionen ein Problem, z. B. im handwerklichen Goldabbau (AA 3.6.2022). Des Weiteren sind Kinder-, Früh- und Zwangsverheiratungen sowie weibliche Genitalverstümmelungen bzw. -beschneidungen weit verbreitet [siehe Kapitel 18.1 Frauen und 18.2 Kinder, Anm.] (USDOS, 20.3.2023). Ferner bestehen sklavenähnliche Abhängigkeitsverhältnisse im Norden wie Süden fort, die sich teilweise als ethnische Identität - „schwarze Tuareg“ - ausgeprägt haben [siehe Kapitel 17. Ethnische Minderheiten] (AA 3.6.2022).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.6.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Mali (Stand: April 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2074954/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Mali_%28Stand_April_2022%29%2C_03.06.2022.pdf, Zugriff 27.10.2023

AI - Amnesty International (AI 27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World’s Human Rights; Mali 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089560.html, Zugriff 27.10.2023

HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Mali, https://www.ecoi.net/en/document/2085475.html, Zugriff 27.10.2023

OHCHR - United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights (31.3.2023): Human Rights Council Hears that the Security Situation in Mali is Very Concerning, and that Severe Violations of Human Rights Have Become Shockingly Routine in Ukraine, https://www.ohchr.org/en/news/2023/03/human-rights-council-hears-security-situation-mali-very-concerning-and-severe, Zugriff 27.10.2023

USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Mali, https://www.ecoi.net/en/document/2089138.html, Zugriff 27.10.2023

1.3.6. Religionsfreiheit

Die Verfassung definiert Mali als säkularen Staat, verbietet Diskriminierung aufgrund von Religion und gewährleistet Religionsfreiheit im Einklang mit dem Gesetz (USDOS 15.5.2023; vgl. FH 2023). Letztere wird durch den malischen Staat, der sich als laizistisch versteht, nicht eingeschränkt; die freie Ausübung der Religion wird von der Verfassung garantiert (Art. 18, 25, 28 und 118) (AA 3.6.2022). Die Gültigkeit dieser Verfassungsbestimmungen wurde im Mai 2021 von der sich derzeit im Amt befindenden Übergangsregierung bestätigt. Außerdem stellt das Gesetz Verstöße gegen die Religionsfreiheit unter Strafe (USDOS 15.5.2023). Religiöse und konfessionelle Vielfalt werden in den unter staatlicher Kontrolle stehenden Gebieten gewährt und gefördert. Der malische Staat öffnet sich aber langsam stärkerem islamischen Einfluss, was sich in der Anerkennung der religiösen Eheschließung und dem Einwirken religiöser Führer auf den politischen Bereich manifestiert (AA 3.6.2022).

Die malische Bevölkerung ist gemäß dem Ministerium für religiöse Angelegenheiten, Gottesdienste und Bräuche (Ministère des Affaires religieuses, du Culte et des Coutumes - MARCC) zu 95 % muslimisch (USDOS 15.5.2023; vgl. MRG 6.2019). Fast alle Muslime sind Sunniten und die meisten hängen dem Sufismus an (USDOS 15.5.2023; vgl. FH 2023); laut einem prominenten schiitischen Imam sollen jedoch bis zu 10 % der Muslime Schiiten sein. Die übrigen 5 % der Bevölkerung sind Christen (von denen ungefähr zwei Drittel römisch-katholisch und ein Drittel protestantisch sind), Befürworter des Kemetismus, eine Wiederbelebung einer ägyptischen Religion, Anhänger indigener Religionen und Menschen ohne Religionsbekenntnis (USDOS 15.5.2023). Viele der Gruppen, die Gur sprechen, insbesondere die Dogon sowie einige Malinke und Bambara, praktizieren traditionelle afrikanische Religionen (EB 6.10.2023). Synkretistische Glaubensformen sind weit verbreitet, weil Elemente des traditionellen Glaubens auch unter Muslimen und Christen fortbestehen (USDOS 15.5.2023; vgl. EB 6.10.2023). In den staatlich kontrollierten Landesteilen lässt sich keine Strafverfolgungspraxis feststellen, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer gewissen sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung systematisch diskriminiert. D. h., dass im Süden des Landes keine praktischen und rechtlichen, staatlichen Einschränkungen für eine freie Ausübung der Religion (z.B. Christentum, traditionelle Religionen, etc.) bestehen (AA 3.6.2022).

Das MARCC ist für die Umsetzung der nationalen Strategie gegen gewalttätigen Extremismus, die Förderung von religiöser Toleranz und die Koordinierung von nationalen religiösen Aktivitäten wie Pilgerfahrten oder religiöse Feiertage für Anhänger aller Religionen zuständig. Ein Entwurf für ein Gesetz zur Regelung der Religionsfreiheit und -ausübung, welches bereits im Dezember 2021 vom Ministerrat angenommen wurde und noch bei der Übergangsregierung anhängig ist, würde es dem MARCC ermöglichen, religiöse Organisationen leichter zu beaufsichtigen, indem es eine führende Rolle bei deren Registrierung spiele (USDOS 15.5.2023).

Im Norden und teils im Zentrum von Mali ist die Ausübung der Religionsfreiheit de facto dort stark eingeschränkt, wo bewaffnete Gruppen eine islamistisch-fundamentalistische Ausrichtung haben (AA 3.6.2022). Diese Gruppen greifen seit 2012 diejenigen an, welche ihrer strengen Auslegung des Islam nicht folgen. Sie haben mitunter gezielt Christen entführt und gewaltsam schikaniert (FH 2023). In den von ihnen kontrollierten Gebieten bringen islamistische bewaffnete Gruppierungen Telekommunikationsmasten zu Fall, führen die Zakat (Religionssteuer) ein und setzen die Scharia sowie Strafen über Gerichte durch, die sich nicht an die Standards für faire Verfahren halten (HRW 12.1.2023). In einigen Gemeinden geht die Anwendung islamischen Rechts über das Familienrecht hinaus, für welches das malische Rechtssystem die Anwendung des Kadi-Systems gestattet (AA 3.6.2022). Viele Andersdenkende haben diese Gebiete verlassen (AA 3.6.2022).

Im Oktober 2020 gab das Nationale Sekretariat für Prävention und Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus des MARCC mithilfe des UN-Entwicklungsprogramm eine Studie über Faktoren, die den Extremismus in Hinblick auf die Religion beeinflussen, in Auftrag. Auf Grundlage der Resultate dieser Studie beschloss die Übergangsregierung im Juli 2021 den nationalen Aktionsplan 2021-25 zur Bekämpfung und Prävention von gewalttätigem Extremismus sowie Terrorismus, welcher auch interreligiöse Maßnahmen und die Förderung von religiöser Toleranz umfasst (USDOS 15.5.2023).

Nach der Veröffentlichung eines Videos in den sozialen Medien, in dem ein Mann auf einen Koran tritt und sich beleidigend über den Islam äußert, sind am 4.11.2022 Tausende Menschen in Bamako auf die Straße gegangen, um gegen Blasphemie zu protestieren. Medienberichten zufolge sind sechs Personen wegen des Vorwurfs der Beteiligung an Blasphemie festgenommen worden (BAMF 1.1.2023).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.6.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Mali (Stand: April 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2074954/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Mali_%28Stand_April_2022%29%2C_03.06.2022.pdf, Zugriff 9.10.2023

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.1.2023): Briefing Notes Zusammenfassung. Gruppe 62 - Informationszentrum Asyl und Migration: Mali Juli - Dezember 2022, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/Zusammenfassungen/briefingnotes-zf-hj-2-2022-mali.pdf?__blob=publicationFile v=2, Zugriff 9.10.2023

EB - Encyclopaedia Britannica (6.10.2023): Mali, https://www.britannica.com/place/Mali, Zugriff 9.10.2023

FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Mali, https://www.ecoi.net/en/document/2097713.html, Zugriff 9.10.2023

HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Mali, https://www.ecoi.net/en/document/2085475.html, Zugriff 9.10.2023

MRG - Minority Rights Group (6.2019): Mali, https://minorityrights.org/country/mali/, Zugriff 9.10.2023

USDOS - US Department of State [USA] (15.5.2023): 2022 Report on International Religious Freedom: Mali, https://www.ecoi.net/de/dokument/2091925.html, Zugriff 9.10.2023

1.3.7. Bewegungsfreiheit

Die Verfassung und die Gesetze sehen Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen, Emigration sowie Wiedereinbürgerung vor. Im Allgemeinen respektiert die Regierung diese Rechte (USDOS 20.3.2023). Die Bewegungsfreiheit und die freie Wohnsitznahme sind allerdings nach wie vor durch die unsichere Lage eingeschränkt, insbesondere im nördlichen und zentralen Mali (FH 2023). Die Bevölkerung von Gao, Kidal, Timbuktu und Teilen von Mopti haben Bedenken, die Städte aus Sicherheitsgründen zu verlassen, u. a. wegen der Bedrohung durch unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen (improvised explosive devices - IEDs). Das Militär sowie manche Milizen betreiben Checkpoints, angeblich zur Gewährleistung der Sicherheit. Einige internationale Organisationen berichten, dass der Zugang für humanitäre Hilfe im Zentrum des Landes, wo die Streitkräfte militärische Operationen durchführen, schwieriger wurde. Auch Angriffe bewaffneter Gruppen auf Infrastrukturen wie Brücken und die Abriegelung von Städten wie z. B. von Boni oder Marebougou durch solche Gruppen schränken die Bewegungsfreiheit ein (USDOS 20.3.2023).

Reisemöglichkeiten werden durch erhebliche Distanzen sowie klimatische und geografische Verhältnisse (Wüste im Norden) erschwert; die Benutzung von Transportmitteln birgt im Norden des Landes des Weiteren Anschlagsgefahren (AA 3.6.2022).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.6.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Mali (Stand: April 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2074954/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Mali_%28Stand_April_2022%29%2C_03.06.2022.pdf, Zugriff 16.10.2023

FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Mali, https://www.ecoi.net/en/document/2097713.html, Zugriff 16.10.2023

USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Mali, https://www.ecoi.net/en/document/2089138.html, Zugriff 16.10.2023

1.3.8. Grundversorgung und Wirtschaft

Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt (BS 23.2.2022). Gemäß dem aktuellen HDI (Human Development Index) liegt das Land auf Platz 186 von 191 untersuchten Ländern (UNDP 8.9.2022; vgl. BMZ 18.7.2023a) und in etwa 42,1 % der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze (CIA 26.9.2023). Dementsprechend hart sind die Lebensbedingungen: Sehr viele Malier haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, ca. 80 % verfügen über keine adäquate Sanitärversorgung. Die Lebenserwartung beträgt nur etwa 59 Jahre. Das Bevölkerungswachstum liegt bei jährlich 3,1 % (BMZ 18.7.2023b) und 47 % der Einwohner von Mali sind jünger als 15 Jahre (BMZ 18.7.2023b; vgl. EB 12.10.2023). 17,3 % der Malier, die unter 25 Jahre alt sind, sind außerdem arbeitslos (CIA 26.9.2023). Aufgrund von Störungen des internationalen Handels infolge der COVID-19-Pandemie sowie der unsicheren Lage stiegen die Inlandspreise 2021 stark an. Besonders der Anstieg der Lebensmittelpreise verstärkt den Druck auf Armut und Ernährungsunsicherheit (WB 4.2022), vor allem, weil der malische Staat nicht in der Lage ist, die Armut konsequent aus eigener Kraft zu bekämpfen (BS 23.2.2022).

78,2 % der Gesamtbevölkerung sind von den Auswirkungen der Ernährungsunsicherheit betroffen. Zudem haben die kumulativen Auswirkungen der häufigen Dürre, der bewaffneten Gewalt und der weitverbreiteten Unsicherheit zu einer beständigen Verschlechterung der Lebensbedingungen in Mali beigetragen (WFP o.D.; vgl. WFP 31.3.2023). Im Global Hunger Index (GHI) von 2023 liegt Mali auf Platz 98 von 125 Ländern. Mit einem Wert von 25,6 weist Mali ein bedenkliches (serious) Hungerniveau auf (GHI o.D.). Im Jahr 2022 benötigten 7,5 Millionen Malier humanitäre Hilfe, so das UN-Welternährungsprogramm (WFP) (WFP 31.3.2023). Das deutsche Auswärtige Amt geht jedoch davon aus, dass die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in den vom Staat kontrollierten Gebieten gewährleistet ist (AA 3.6.2022). Am 1.9.2023 warnten die beiden UN-Organisationen WFP und UNICEF, dass fast eine Million Kinder unter fünf Jahren bis zum Jahresende von akuter Unterernährung betroffen sein und mindestens 200.000 an Hunger sterben könnten. Insgesamt seien fünf Millionen Kinder auf humanitäre Hilfe angewiesen, 1,5 Millionen mehr als noch in 2020 (BAMF 4.9.2023).

2022 ging die multidimensionale Krise in Mali in ihr zehntes Jahr. Das Land leidet weiterhin unter den Auswirkungen bereits bestehender Probleme, einschließlich der Unsicherheit, der politischen Instabilität und der Klimaunsicherheit (WFP 31.3.2023). Im Jänner 2022 verhängte die ECOWAS weitreichende Wirtschaftssanktionen gegen Mali, da es die Übergangsregierung versäumt hatte, Wahlen zu einem zuvor vereinbarten Zeitpunkt anzusetzen. Die Sanktionen wurden zwar im Juli 2022 aufgehoben, aber die malische Wirtschaft erholte sich zunächst nur schwer (ITA 8.8.2022), wobei sie sich trotz dieser Sanktionen, der hohen Lebensmittelinflation und des Parasitenbefalls, welcher die Baumwollproduktion beeinträchtigte, als widerstandsfähig erwies. Das BIP-Wachstum wird von der Weltbank auf 1,8 % geschätzt, was auf die Erholung der Nahrungsmittellandwirtschaft und die Resilienz des Gold- und Telekommunikationssektors zurückgeht (WB 26.7.2023). Die Versorgung mit Treibstoff, unerlässlich für die Stromerzeugung des Landes, ist allerdings durch den Russisch-Ukrainischen Krieg nach wie vor stark gestört (ITA 8.8.2022). Das BIP betrug 2022 19,2 Milliarden USD und 913 USD je Einwohner in 2013 (WKO 10.2023).

Die malische Wirtschaft ist überwiegend agrarisch geprägt (EB 12.10.2023; vgl. WFP 31.3.2023). Auf die Landwirtschaft entfällt grundsätzlich ungefähr ein Drittel des BIP, wobei schätzungsweise 80 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft, Viehzucht oder Fischerei tätig sind (ITA 8.8.2022), jedenfalls die Mehrheit. Der traditionelle Trockenfeldbau, bei dem die Pflanzen nur über natürliche Niederschläge ihr Wasser erhalten, kann die Ernährung der stark wachsenden Bevölkerung nicht sichern (BMZ 18.7.2023a). Der überwiegende Teil der Bevölkerung betreibt Subsistenzwirtschaft und ist dabei abhängig von internationaler Entwicklungshilfe (AA 3.6.2022). Viele Malier ergänzen dadurch ihr Einkommen durch den Anbau von Nutzpflanzen wie z. B. Baumwolle sowie saisonale Migration in die Côte d'Ivoire oder den Senegal (EB 12.10.2023). Ebenjene Arbeitsmigration sowie Geldsendungen sind wichtige Finanzierungsquellen der malischen Wirtschaft. Geldüberweisungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Familien der Migranten, weil sie zu höheren Einkommen, weniger Armut und verbesserter Gesundheit respektive Bildung führen. Geldsendungen machen in etwa 11 % des BIP aus (BS 23.2.2022).

Im Jahr 2022 wurde die landwirtschaftliche Produktion durch vielfältige Faktoren, insbesondere Unsicherheit und Klimawandel, beeinträchtigt. Das Land erlebte sprunghafte Wetterverhältnisse: In einigen Regionen kam es zu Dürreperioden, während andere Gebiete von Überschwemmungen betroffen waren (WFP 31.3.2023). Mali ist grundsätzlich mit einigen Umweltproblemen konfrontiert, welche direkte Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Dazu zählen Entwaldung, Bodenerosion, ein sinkender Grundwasserspiegel, eine fortschreitende Versandung des Niger und zunehmende Extremwetterereignisse (BMZ 18.7.2023a). Hohe Unterernährungsraten sind die Folge (WFP 31.3.2023). Die Übergangsregierung wendet rund 12 % des Jahresbudgets für die Entwicklung des Agrarsektors auf und fördert hierfür inländische wie ausländische Investitionen (ITA 8.8.2022).

Neben der Landwirtschaft beruht die malische Wirtschaft vor allem auf dem Bergbau, weshalb sie stark von den Weltmarktpreisen der beiden wichtigsten Exportgüter Baumwolle und Gold abhängig ist (BMZ 18.7.2023a). Letzteres ist das Hauptexportprodukt des Landes (BMWi 6.2021) und machte 2020 82,9 % der Ausfuhren aus. Obwohl der Baumwollsektor im Vergleich zum Gold nur den zweiten Platz einnimmt, bietet er mehr als vier Millionen Maliern, d. h. mehr als einem Fünftel der Bevölkerung, eine Lebensgrundlage (ITA 8.8.2022). Dennoch leben heutzutage vier von fünf Baumwollbauern in Armut, trotz der hohen Nachfrage nach dem „weißen Gold“ auf dem Weltmarkt (MI 15.4.2023). Sowohl der Industriesektor als auch der Abbau natürlicher Ressourcen sind noch nicht stark entwickelt (EB 12.10.2023; vgl. ITA 8.8.2022). Die Industrie konzentriert sich vor allem auf die Verarbeitung von Nahrungsmitteln (EB 12.10.2023; vgl. CIA 26.9.2023), umfasst aber auch Textilien, landwirtschaftliche Geräte, Kosmetika, Batterien, Farben, Kunststoffe, Zement, Zigaretten und Getränke (ITA 8.8.2022). Weniger als ein Fünftel der Erwerbsbevölkerung ist in der Industrie beschäftigt; viele Menschen sind anstelle im Kleingewerbe tätig. Die Förderung der umfangreichen Bodenschätze kommt überdies nur langsam voran (EB 12.10.2023). Die Übergangsregierung hat der Diversifizierung des Bergbausektors allerdings Vorrang eingeräumt und verspricht sich künftige Entwicklungsmöglichkeiten bei der Gewinnung von Uran, Bauxit, Phosphaten, Eisen, Lithium und Mangan (ITA 8.8.2022). Die Afrikanische Entwicklungsbank sieht Zukunftschancen in der Nutzung des großen malischen Naturkapitals, u. a. im Rahmen von privater Klimafinanzierung oder grünem Wachstum, und fördert diese (AFDB 5.10.2023).

Gebremst wird die wirtschaftliche Entwicklung durch den schlechten Zustand der Infrastruktur (z.B. Verkehrswege) sowie die Abhängigkeit von Ölimporten. Ein Großteil der Bevölkerung erzielt sein Einkommen im informellen Sektor. Die staatlichen Steuereinnahmen sind dadurch entsprechend niedrig (BMZ 18.7.2023a). Zudem ist Armut in ländlichen Gebieten wesentlich stärker verbreitet als in den städtischen Gebieten, und die Einkommensverteilung ist in den zwei Gebieten sehr ungleich (BS 23.2.2022). Mali ist insgesamt ein Land mit niedrigem Einkommen (WB o.D.). 55 % der Bevölkerung leben auf dem Land. Die Urbanisierung durch Bevölkerungswachstum und Landflucht nimmt jedoch rasant zu. Der Staat steht vor der schwierigen Aufgabe, Beschäftigungsperspektiven für die stark wachsende, junge Bevölkerung zu schaffen und Zugang zu Basisdienstleistungen für alle Einwohner zu ermöglichen (BMZ 18.7.2023b).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.6.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Mali (Stand: April 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2074954/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Mali_%28Stand_April_2022%29%2C_03.06.2022.pdf, Zugriff 17.10.2023

AFDB - African Development Bank Group (5.10.2023): Mali's natural capital offers opportunities for private climate finance and green growth, says the African Development Bank's 2023 Country Focus Report, https://www.afdb.org/en/news-and-events/press-releases/malis-natural-capital-offers-opportunities-private-climate-finance-and-green-growth-says-african-development-banks-2023-country-focus-report-64820, Zugriff 17.10.2023

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (4.9.2023): Briefing Notes. Gruppe 62 - Informationszentrum Asyl und Migration, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw36-2023.pdf?__blob=publicationFile v=4, Zugriff 17.10.2023

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Mali, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069611/country_report_2022_MLI.pdf, Zugriff 17.10.2023

BMWi - Bundesministerium für Wirtschaft und Energie [Deutschland] (6.2021): Sektoranalyse Mali und Senegal. Analyse des Potenzials der Energieversorgung des Bergbausektors durch erneuerbare Energien, https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Aussenwirtschaft/sektoranalyse-mali-senegal.pdf?__blob=publicationFile v=1, Zugriff 17.10.2023

BMZ - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung [Deutschland] (18.7.2023a): Mali: Wirtschaftliche Situation. Mehrheit der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft, https://www.bmz.de/de/laender/mali/wirtschaftliche-situation-16134, Zugriff 17.10.2023

BMZ - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung [Deutschland] (18.7.2023b): Mali: Soziale Situation. Sehr harte Lebensbedingungen, https://www.bmz.de/de/laender/mali/soziale-situation-16132, Zugriff 17.10.2023

CIA - Central Intelligence Agency [USA] (26.9.2023): Mali, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/mali/, Zugriff 17.10.2023

EB - Encyclopaedia Britannica (12.10.2023): Mali, https://www.britannica.com/place/Mali, Zugriff 17.10.2023

GHI - Global Hunger Index (o.D.): Mali, https://www.globalhungerindex.org/mali.html, Zugriff 17.10.2023

ITA - International Trade Administration [USA] (8.8.2022): Mali - Country Commercial Guide. Market Overview, https://www.trade.gov/country-commercial-guides/mali-market-overview, Zugriff 17.10.2023

MI - Medico International (15.4.2023): Weißes Gold ohne Wert, https://www.medico.de/weisses-gold-ohne-wert-16492, Zugriff 17.10.2023

UNDP - United Nations Development Programme (8.9.2022): Human Development Insights, https://hdr.undp.org/data-center/country-insights#/ranks, Zugriff 17.10.2023

WB - World Bank, The (26.7.2023): World Bank Says Mali’s Economy Showed Signs of Resilience Despite Sanctions and Climate Shocks, https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2023/07/26/mali-economy-has-shown-signs-of-resilience-despite-sanctions-and-climatic-shocks-says-the-world-bank, Zugriff 17.10.2023

WB - World Bank, The (4.2022): Mali Economic Update, April 2022. Resilience in uncertain times: renewing the social contract, https://reliefweb.int/attachments/164a27f5-77e6-40b5-b021-ebdd17e843c2/EN.pdf, Zugriff 17.10.2023

WB - World Bank, The (o.D.): Sahel Adaptive Social Protection Program: Mali, https://www.worldbank.org/en/programs/sahel-adaptive-social-protection-program-trust-fund/country-work/mali, Zugriff 17.10.2023

WFP - World Food Programme (31.3.2023): Mali. Annual Country Report 2022, https://docs.wfp.org/api/documents/WFP-0000148014/download/, Zugriff 17.10.2023

WFP - World Food Programme (o.D.): Mali, https://www.wfp.org/countries/mali, Zugriff 17.10.2023

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (10.2023): Länderprofil Mali, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-mali.pdf?_gl=1*rch4ti*_ga*ODcyNDk2Nzc0LjE2MjU4MTI4MzU.*_ga_4YHGVSN5S4*MTYzNzkyMzgzOS4xNy4xLjE2Mzc5MjM4NTEuNDg, Zugriff 17.10.2023

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz, daneben in das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Mali (Gesamtaktualisierung 10.11.2023). Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister, dem Fremdenregister, der Grundversorgung sowie ein Sozialversicherungsdatenauszug wurden ergänzend zum vorliegenden Akt zur Person des Beschwerdeführers amtswegig eingeholt.

Am 07.08.2024 fand vonseiten der Gerichtsabteilung I405 eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in der der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung und einer Dolmetscherin für die Sprache Mandingo einvernommen wurde.

In Anbetracht eines Richterwechsels erfolgte am 24.04.2025 eine Neudurchführung des Verfahrens und wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung, einer Vertreterin der belangten Behörde und einer Dolmetscherin für die Sprache Mandingo einvernommen wurde. Dargetan, verlesen und erörtert wurden (unter anderem) die OZ1 bis OZ9 und OZ13 des Gerichtsaktes. Auf eine Verlesung wurde verzichtet.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zum Familienstand, zur Volljährigkeit, zur Staatsangehörigkeit sowie zur Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit fußen auf den diesbezüglich übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (Erstbefragung am 24.08.2022, AS 1 f; Protokoll vom 09.02.2024, AS 83; Beschwerde vom 23.04.2024, AS 288; Protokoll vom 07.08.2024, S 6 und S 12; Protokoll vom 24.04.2025, S 5), hinsichtlich denen sich keine Bedenken ergeben haben. Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden bis dato keine unbedenklichen identitätsbezeugenden Dokumente – wie einen Reisepass oder Personalausweis – vorgelegt hat, steht seine Identität nicht fest.

Der Beschwerdeführer führte vor dem BFA aus, gesund zu sein und keine psychischen oder physischen Probleme zu haben (Protokoll vom 09.02.2024, AS 81; Protokoll vom 22.03.2024, AS 133), wobei er auch zuletzt in der mündlichen Verhandlung verneinte, an chronischen Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen zu leiden (Protokoll vom 24.04.2025, S 4). Es war deshalb – auch in Ermangelung gegenteilig lautender Urkunden oder Hinweise – festzustellen, dass der Beschwerdeführer gesund ist. Aufgrund des Gesundheitszustands in Zusammenschau mit dem erwerbsfähigen Alter des Beschwerdeführers war auf dessen Arbeitsfähigkeit zu schließen, die er durch seine gegenwärtige Erwerbstätigkeit auch unter Beweis stellt.

Seine Herkunft aus (phon) Djenne bzw (phon) Ngigen, nahe Kolokani, gab der Beschwerdeführer übereinstimmend wieder (Protokoll vom 24.08.2022, AS 1 und AS 3; Protokoll vom 09.02.2024, AS 83 und AS 103; Protokoll vom 22.03.2024, AS 133; Protokoll vom 07.08.2024, S 4), ebenso den Nichtbesuch der Schule und seine Tätigkeit in der Landwirtschaft (Protokoll vom 24.08.2022, AS 2; Protokoll vom 09.02.2024, AS 85; Protokoll vom 07.08.2024, S 5 f) und haben sich diesbezüglich auch keine Bedenken ergeben. Er selbst konkretisierte, die Ernte nicht verkauft, sondern davon gelebt zu haben (Protokoll vom 09.02.2024, AS 85), wobei er seine Mutter und Großmutter anführte (Protokoll vom 24.04.2025, S 6). Hinsichtlich der von ihm durchreisten Länder haben sich jedenfalls aus geographischer Sicht keine Bedenken ergeben (Protokoll 24.08.2022, AS 5). Das Datum seiner Asylantragstellung in Österreich ist sowohl im Erstbefragungsprotokoll vermerkt (Protokoll vom 24.08.2022, AS 2), als auch im Fremdenregisterauszug des Beschwerdeführers verschriftlicht.

Auch zuletzt bestätigte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung, dass seine Mutter und Großmutter nach wie vor im Heimatdorf leben würden (Protokoll vom 24.04.2025, S 6), was den Rückschluss darauf zulässt, dass ein Kontakt zu ihnen nach wie vor besteht, mag der Kontakt auch etwas länger zurückliegen (Protokoll vom 24.04.2025, S 6).

Aus dem Betreuungsinformationssystemauszug des Beschwerdeführers geht hervor, dass er seit April 2025 keine Leistungen mehr aus der staatlichen Grundversorgung bezieht. Seinem Sozialversicherungsdatenauszug lässt sich seine geringfügige Beschäftigung von 04.11.2024 bis 31.12.2024 sowie seine gegenwärtige Erwerbstätigkeit seit 08.04.2025 entnehmen.

Dem amtswegig eingeholten Strafregisterauszug zum Beschwerdeführer war zu entnehmen, dass dieser strafgerichtlich unbescholten ist.

Der Bescheid des BFA vom 27.03.2024, mit dem dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ist aktenkundig (AS 159 ff).

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss. Die Verantwortung eines Antragstellers hat jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.

Generell ist zur Glaubwürdigkeit eines Vorbringens auszuführen, dass eine Aussage grundsätzlich dann als glaubhaft zu qualifizieren ist, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist; der Beschwerdeführer sohin in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über von ihm relevierte Umstände bzw. Erlebnisse zu machen. Weiters muss das Vorbringen plausibel sein, d.h. mit überprüfbaren Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung entspringenden Erkenntnissen übereinstimmen. Hingegen scheinen erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Aussage angezeigt, wenn der Beschwerdeführer den seiner Meinung nach seinen Antrag stützenden Sachverhalt bloß vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt. Weiteres Erfordernis für den Wahrheitsgehalt einer Aussage ist, dass die Angaben in sich schlüssig sind; so darf sich der Beschwerdeführer nicht in wesentlichen Passagen seiner Aussage widersprechen.

Es ist anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten – z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.01.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.02.2001, 2000/20/0461) – zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z.B. VwGH 24.06.1999, 98/20/0435; VwGH 20.05.1999, 98/20/0505, u.v.a.m.).

Der Beschwerdeführer brachte im Zuge seiner Erstbefragung vor, dass er in Mali täglich von Mitgliedern der Boko Haram misshandelt und gefoltert worden sei. Sie würden ihn verfolgen, weil er Christ sei (Protokoll vom 24.08.2022, AS 6).

In der ersten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA gab der Beschwerdeführer befragt nach seinen Fluchtgründen zusammengefasst zu Protokoll, dass er wegen des Krieges in Mali geflohen sei. Die Boko Haram seien plötzlich überall gewesen, deshalb sei er geflüchtet. Sie hätten alle, die keine Muslime gewesen seien, töten wollen. Sie seien fünfmal angegriffen worden und hätten sie alles mitgenommen (Protokoll vom 09.02.2024, AS 87 und AS 91 f).

In der zweiten niederschriftlichen Einvernahme schilderte er, die Boko Haram hätten gefordert, dass die Leute eine Opfergabe geben. Wenn jemand nichts gehabt habe, seien die Kinder oder die Frau mitgenommen oder umgebracht worden. Er habe flüchten können (Protokoll vom 22.03.2024, AS 134).

Vor dem Bundesverwaltungsgericht schilderte der Beschwerdeführer am 07.08.2024, dass er davongelaufen sei, als die Boko Haram in das Dorf gekommen wären und gefragt hätten, ob sie den Koran lesen könnten. Sie seien zweimal beim Beschwerdeführer gewesen. Er sei dann weggelaufen und in einen Wald gerannt (Protokoll vom 07.08.2024, S 7 ff).

Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 24.04.2025 schilderte der Beschwerdeführer zusammengefasst, dass die Boko Haram ihn umbringen würden. Diese würden immer kommen und wollen, dass man zum Islam wechsle, sonst würden sie einen umbringen (Protokoll vom 24.04.2025, S 5).

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers erweist sich in Vielem als widersprüchlich, sodass dieses für nicht glaubhaft befunden wird, was sich im Einzelnen auf folgende Erwägungen stützt:

Hinsichtlich den Ergebnissen aus der Erstbehandlung bleibt zwar zu berücksichtigen, dass diese insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient, nicht hingegen zur Erfragung der näheren Fluchtgründe, weshalb der Annahme, dass ein Asylwerber immer alles, was zur Asylgewährung führen könne bereits in der Erstbefragung vorgebracht werde, nicht beigetreten werden kann (vgl. VwGH 16.07.2020, Ra 2019/19/0419). Gleichwohl ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429 mit Hinweis auf VwGH 14.06.2017, Ra 2017/18/0001, mwN). Gegenständlich ist in diesem Zusammenhang jedenfalls bemerkenswert, dass der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung befragt zu seinen Fluchtgründen angab, er sei täglich von Mitgliedern der Boko Haram misshandelt und gefoltert worden (Protokoll vom 24.08.2022, AS 6), was er derart zu keinem späteren Zeitpunkt mehr wiedergab. Vielmehr betonte er in der mündlichen Verhandlung sogar, dass sie ihn nicht geschlagen hätten (Protokoll vom 07.08.2024, S 10). Bereits vor diesem Hintergrund hegt das erkennende Gericht Zweifel an den dargelegten Schilderungen des Beschwerdeführers zur vermeintlichen konkret ihn betreffenden Bedrohungssituation.

Im Weiteren waren auch die Darlegungen des Beschwerdeführers in Zusammenhang mit seiner Ausreise aus Mali nicht stringent. In der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer nämlich noch an, er sei mit dem PKW nach Burkina Faso ausgereist (Protokoll vom 24.08.2022, AS 4), vor dem BFA hingegen, dass er mit einem Bus von Mali nach Burkina Faso ausgereist wäre (Protokoll vom 09.02.2024, AS 87; Protokoll vom 22.03.2024, AS 134 ff). In der mündlichen Verhandlung hingegen schilderte er erneut in Abweichung zu seinen vorangegangenen Angaben, er sei mit einem LKW von Mali nach Burkina Faso gefahren (Protokoll vom 07.08.2024, S 6).

Der persönlichen Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ist im Weiteren abträglich, dass er vor dem BFA noch explizit ausführte, seine Großmutter mütterlicherseits sei verstorben (Protokoll vom 09.02.2024, AS 85), während er in der mündlichen Verhandlung auf das Zusammenleben mit seiner Mutter und Großmutter mütterlicherseits abstellte und betonte, dass es der Mutter und Großmutter laut ihren eigenen Angaben im Heimatdorf gut gehe (Protokoll vom 07.08.2024, S 4 f). Auch zuletzt führte er aus, seine Mutter und seine Großmutter würden nach vor in seinem Heimatdorf leben (Protokoll vom 24.04.2025, S 6).

Im Weiteren verneinte er vor dem BFA noch, in der Hauptstadt von Mali gewesen zu sein (Protokoll vom 09.02.2024, AS 93), während er in der mündlichen Verhandlung erklärte, er sei einmal als Kind in der Hauptstadt gewesen (Protokoll vom 07.08.2024, S 4).

Schließlich sind die von ihm getätigten Aussagen zu den vermeintlichen Vorfällen auch (ungeachtet der diesbezüglich anderslautenden Angaben in der Erstbefragung) in sich nicht stringent. So gab der Beschwerdeführer vor dem BFA nämlich an, dass die Angriffe von Boko Haram täglich stattgefunden hätten und er sich an fünf Angriffe erinnere (Protokoll vom 09.02.2024, AS 93), während er in der mündlichen Verhandlung schilderte, er sei selbst persönlich zweimal von Besuchen der Boko Haram betroffen gewesen (Protokoll vom 07.08.2024, S 7 ff). Im Weiteren divergierten die Darlegungen des Beschwerdeführers auch insofern, als er zuerst ausführte, die Mitglieder von Boko Haram hätten Leute überfallen und alles aus dem Haus mitgenommen (Protokoll vom 09.02.2024, AS 93), dann hingegen, dass die Leute eine Opfergabe hätten geben müssen, andernfalls Frauen und Kinder mitgenommen oder umgebracht worden wären (Protokoll vom 22.03.2024, AS 134).

Bemerkenswert ist zudem, dass der Beschwerdeführer vor dem BFA das vermeintliche Aufsuchen seines Zuhauses vonseiten von Mitgliedern von Boko Haram, wie er in der mündlichen Verhandlung schilderte (Protokoll vom 07.08.2024, AS 7 f), vor dem BFA trotz zweier niederschriftlichen Einvernahmen gänzlich unerwähnt ließ und nur allgemein ausführte, geflüchtet zu sein, als die Mitglieder von Boko Haram Leute getötet hätten (Protokoll vom 22.03.2024, AS 134). Dezidiert legte er vor dem BFA noch dar, er hätte ausschließlich von anderen Einwohnern seines Dorfes gehört, dass die Leute gezwungen würden, Moslem zu werden, wobei er explizit verneine, persönlich angesprochen worden zu sein (Protokoll vom 22.03.2024, AS 136). Dem stehen seine Angaben in der mündlichen Verhandlung, wonach er zweimal persönlich von Mitgliedern der Boko Haram aufgesucht worden sei (Protokoll vom 07.08.2024, S 7 f), gänzlich entgegen. Erneut gilt darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer verneinte, von ihnen geschlagen worden zu sein (Protokoll vom 07.08.2024, S 10), was jedoch seinen Angaben in der Erstbefragung diametral entgegensteht (Protokoll vom 24.08.2022, AS 6).

Erwähnenswert ist schließlich auch, dass beim zweiten Aufsuchen die Mutter und Großmutter des Beschwerdeführers ebenfalls zugegen gewesen wären (Protokoll vom 07.08.2024, S 10) diese aber, obwohl sie laut Angaben des Beschwerdeführers ebenfalls den Koran nicht hätten lesen können (Protokoll vom 07.08.2024, S 10), mit keinen Konsequenzen konfrontiert waren. Auf Vorhalt dieses Umstandes konnte der Beschwerdeführer selbst keine Erklärung finden (Protokoll vom 07.08.2024, S 11). Es spricht keineswegs für die Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach niemand von „ihnen“ sicher gewesen sei (Protokoll vom 09.02.2024, AS 93), jedoch offensichtlich seinen Mutter und Großmutter unbehelligt im Heimatdorf zurückbleiben konnte, auch ohne den Koran zu lesen.

Schließlich divergierten seine Angaben auch dahingehend, als dass der Beschwerdeführer vor dem BFA noch vermeinte, in der Masse zu Bussen an einer Bushaltestelle, ähnlich einem Busbahnhof, gelaufen zu sein (Protokoll vom 22.03.2024, AS 134), hingegen er in der mündlichen Verhandlung schilderte, er sei weggelaufen und in den Wald gerannt (Protokoll vom 07.08.2024, S 11). In keiner Weise nachvollziehbar ist im Weiteren, dass der Bus ungefähr einen Tag lang gefahren sein will, ohne dass der Beschwerdeführer gewusst haben will, ob der Bus getankt habe (Protokoll vom 22.03.2024, AS 135 f), wo ihm doch sehr wohl aufgefallen sei, dass der Bus angehalten habe, um Leute „auf Klos zu lassen“ (Protokoll vom 22.03.2024, AS 135).

Letztlich kann aufgrund dieser Vielzahl an Widersprüchlichkeiten dem Vorbringen des Beschwerdeführers kein glaubhafter Kern entnommen werden, selbst unter Berücksichtigung etwaiger sprachlicher Ungenauigkeiten in der ersten niederschriftlichen Einvernahme, die auf Französisch erfolgte (Protokoll vom 09.02.2024, AS 77).

Im Ergebnis vermochte der Beschwerdeführer damit zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt mit seinem Vorbringen nicht aufzuzeigen bzw. nicht glaubhaft zu machen, in Mali mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus Gründen der Rasse, Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder vonseiten Dritter bedroht worden zu sein bzw. in Zukunft zu werden.

Generell gilt festzuhalten, dass in Mali die freie Ausübung der Religion von der Verfassung garantiert wird, sich der malische Staat als laizistisch versteht und die Religionsfreiheit nicht einschränkt, mag der christliche Bevölkerungsanteil auch nur etwa 5 % ausmachen (vgl. Punkt II. 3.6.). Wie bereits ausgeführt, sind die Mutter und Großmutter des Beschwerdeführers diesbezüglich mit keinen Problemen konfrontiert. Der Beschwerdeführer vermeinte schließlich selbst in der mündlichen Verhandlung, dass sich das Zusammenleben von Christen und Muslimen in seinem Dorf als friedlich gestaltete (Protokoll vom 24.04.2025, S 6).

2.4. Zum Herkunftsstaat

Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser, handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH, 07.06.2000, 99/01/0210).

Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht substantiiert entgegen, sodass die der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichte nicht in Zweifel zu ziehen waren. Die obgenannten Länderfeststellungen konnten daher der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gegenständlich wurde ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des Bescheids (Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten) Beschwerde erhoben, weshalb die weiteren Spruchpunkte II. und III., mit denen dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde, unberührt bleiben.

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids):

3.1.1. Rechtslage

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die asylsuchende Person bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Fremde im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (Aktualität der Verfolgung; vgl. VwGH 06.04.2020, Ra 2019/01/0443; VwGH 25.09.2018, Ra 2017/01/0203).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Wie in der Beweiswürdigung unter Punkt II. 2.3. bereits ausführlich dargestellt, konnten keine konkreten, gegen den Beschwerdeführer persönlich gerichteten Verfolgungshandlungen festgestellt werden, da sich sein Fluchtvorbringen in Zusammenhang mit Boko Haram in seinem Heimatdorf in Anbetracht der gravierenden Widersprüchlichkeiten als nicht glaubhaft herausstellte.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben.

Aus diesem Grunde war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zur Beurteilung der Glaubhaftmachung eines Fluchtvorbringens, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die den Einzelfall betreffenden Rechtsfragen sind nicht reversibel.