JudikaturBVwG

W161 2285092-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
20. Februar 2025

Spruch

W161 2285092-1/29E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.12.2023, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3, 2.Satz BFA-VG idgF stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (in Folge: BF), eine syrische Staatsangehörige, reiste am 23.11.2023 in das Bundesgebiet ein und brachte am selben Tag den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet ein.

2. Eine EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer.

3. Bei der Erstbefragung am 23.11.2023 gab die BF im Wesentlichen an, sie könne der Einvernahme ohne Probleme folgen. Sie sei XXXX Jahre alt und habe ihren Herkunftsstaat Syrien vor einem Jahr mit Flug nach Bulgarien verlassen. Nach elf Monaten in Bulgarien sei sie durch Griechenland und Italien durchgereist und am 22.11.2023 nach Österreich gelangt. Nach Bulgarien sei sie mit einer Familienzusammenführung durch ihren Sohn XXXX gekommen und habe dort Asyl erhalten. Befragt, was dagegenspreche, nach Bulgarien zurückzukehren gab die BF an ihr Sohn sei weiter nach Deutschland gegangen und sie brauche jemanden, der sich um sie kümmere wegen ihres Alters. Ihre Tochter lebe hier in Österreich. Sie möchte hier in Österreich bei ihrer Tochter leben. Als Fluchtgrund gab die BF an, sie habe Syrien wegen der Sicherheit verlassen. Es gebe keinen Strom und keine Wasserversorgung. Sie habe niemanden mehr in Syrien. In Bulgarien habe sie auch niemanden mehr, darum sei sie hierher nach Österreich gekommen, damit sich ihre Tochter um sie kümmere.

4. Mit Schreiben vom 01.12.2023 richtete das BFA ein Wiederaufnahmeersuchen nach Art. 12 Abs. 2 oder 3 Dublin-III-VO an Bulgarien.

Mit Schreiben vom 22.12.2023 teilten die bulgarischen Dublinbehörden mit, der BF sei am 09.05.2023 in Bulgarien subsidiärer Schutz gewährt worden.

5. Bei der niederschriftlichen Einvernahme der BF vor dem BFA, XXXX am 18.12.2023 gab die BF an, sie fühle sich physisch und psychisch in der Lage, Angaben zu ihrem Asylverfahren zu machen. Sie habe bei der Erstbefragung die Wahrheit gesagt. Befragt, ob sie in ärztlicher Behandlung stehe oder Medikamente einnehme gab die BF an, sie habe eine XXXX . Sie habe keine Operation gehabt und sei auch keine geplant. In Syrien sei ihr empfohlen worden, eine XXXX durchführen zu lassen. Sie sei nicht versichert und deswegen habe sie auch keine Arztbesuche. Ihre Medikamente habe sie in Bulgarien bekommen. Die BF legte in der Folge Medikamente vor, welche im Protokoll vermerkt wurden. Sie gab weiters an, ein Amtsarzt im Camp in Bulgarien habe sie angeschaut. Sie sei auch in Österreich im Camp untersucht worden. In Österreich, in XXXX wohne ihre Tochter XXXX und würde sie bei dieser wohnen. Der Mann ihrer Tochter sei österreichischer Staatsbürger. Ihr Sohn XXXX sei ein Monat vor ihr nach Deutschland ausgereist. Sie hätte bei ihm in Bulgarien gelebt. Dieser hätte in Bulgarien bereits Asyl gehabt. Als er dann weitergereist wäre, sei sie nach Österreich zu ihrer Tochter. Sie habe noch drei Brüder und drei Schwestern, alle in Deutschland. Diese seien alle vor zwei Jahren von Rumänien nach Deutschland ausgewandert. In Österreich habe sie noch einen Onkel, dieser wohne seit XXXX Jahren in Österreich, sei XXXX und habe vier Söhne. Diese seien auch alle in Österreich und XXXX . Sie wisse nicht genau, wo er wohne, aber er wohne ca. eine Stunde von XXXX entfernt. Sie habe ihn vor ca. 20 Tagen getroffen. Sie lebe mit ihrer Tochter, deren Mann und deren drei Kindern im gemeinsamen Haushalt XXXX . Es bestehe indirekt ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis zu ihrer Tochter. Sie zahle ihrer Tochter nichts, natürlich sei eine Abhängigkeit da. Diese komme auch für alle Ausgaben ihres täglichen Lebens auf. Sie habe in Bulgarien einen Asylantrag gestellt und zwar 10 Tage nach ihrer Ankunft am 30.09.2022. Ihr Sohn habe für sie einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt. Sie sei dann von XXXX in den Libanon und mit dem Flugzeug nach Bulgarien geflogen. Sie sei in Bulgarien anerkannter Flüchtling. Sie habe einen positiven Bescheid erhalten und zwar von den Bundesasylbehörden. Über Vorhalt der beabsichtigten Ausweisung nach Bulgarien gab die BF an, die Sache sei ihr bewusst, aber sie möchte nicht nach Bulgarien zurück, weil sie erstens dort niemand habe, hier bei ihrer Tochter lebe und an einer XXXX leide. Sie könnte alleine dort nicht überleben. Sie habe auch in Syrien niemanden, der auf sie aufpassen würde. In Bulgarien habe sie auch niemanden. Im Gegensatz dazu habe sie hier ihre Tochter, diese passe gut auf sie auf und sorge für sie. Das Leben in Bulgarien sei unheimlich schwer. Man bekommen keinerlei Hilfe, man sei auf sich gestellt und die Rechte seien nicht vergleichbar mit den österreichischen Rechten. Auch der Schutz der Asylwerber in Bulgarien sei geringer. Sie ersuche die Behörden in Österreich auf die Tatsache einzugehen, dass hier ihre Tochter diejenige sei, die für sie sorge, sonst würde sie alleine nicht überleben können. Es sei alles vollständig und richtig protokolliert worden.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich die BF nach Bulgarien zurückzubegeben habe (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchtpunkt II.) sowie die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung nach Bulgarien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).

Dieser Bescheid legt in seiner Begründung insbesondere ausführlich die Lage für Schutzberechtigte in Bulgarien dar.

In den Feststellungen wird unter anderem festgehalten, die Identität der Beschwerdeführerin stehe fest, diese leide an einer XXXX . Es könne nicht festgestellt werden, dass in ihrem Fall schwere psychische Störungen und/oder schwere oder ansteckende Krankheiten bestünden. Sie sei seit 09.05.2023 in Bulgarien subsidiär Schutzberechtigte.

In der Beweiswürdigung wird ausgeführt, der physische Zustand der Antragstellerin ergebe sich aus ihren Angaben im Verfahren. Sie habe diverse Medikamente vorgelegt, welche sie von einem bulgarischem Arzt erhalten habe, habe jedoch keine Befunde etwaiger Krankheiten vorlegen können. Es habe nicht festgestellt werden können, dass sie sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befände. Aus dem Länderinformationsblättern zu Bulgarien ergebe sich ausreichende Versorgung für Schutzberechtigte.

7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in welcher im Wesentlichen ausgeführt wird, nach der Judikatur des VfGH wären im konkreten Fall Ermittlungen zum individuellen Fall und eine Einzelfallprüfung zur Beurteilung der Frage, ob die BF in Bulgarien eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe, erforderlich gewesen. Eine derartige Einzelfallprüfung sei im gegenständlichen Fall nicht vorgenommen worden und das Verfahren damit mit Mangelhaftigkeit belastet. Die BF leide XXXX und müsse täglich mehrere Medikamente nehmen. Das Bundesamt hätte gegenständlich prüfen müssen, ob in Bulgarien ausreichende Behandlungsmöglichkeiten vorhanden seien und ob diese zur Behandlung der vorliegenden Erkrankung angemessen seien. Die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen zur Situation in Bulgarien seien selektiv und unausgewogen ausgewertet worden. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass es akute Schwierigkeiten für Fremde gebe, eine Unterkunft zu finden, da es bei der Eintragung in das Melderegister einen rechtlichen Widerspruch gebe. Weiters sei das bulgarische Gesundheitswesen durch tiefe strukturelle Probleme gekennzeichnet. Für Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens hätte die belangte Behörde zum Schluss kommen, dass eine Abschiebung der BF nach Bulgarien eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC gewährleisteten Rechte darstellen würde.

8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2024 zu GZ W161 2285092-1/4E wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

8.1. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 16.04.2024 wurde der dagegen erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

8. 2. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 23.09.2024 wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

8.3. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 28.10.2024 wurde die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

9. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29.01.2025 zu Zl. Ra 2024/18/0173-14 wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde

Gemäß § 21 Abs. 3, zweiter Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Bei § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG handelt es sich um eine von § 28 Abs. 3 erster und zweiter Satz VwGVG abweichende Regelung, die auf die Besonderheiten des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens Bedacht nimmt, indem die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung zur Fällung einer zurückverweisenden Entscheidung im Fall einer Beschwerde gegen einen im asylrechtlichen Zulassungsverfahren erlassenen Bescheid allein an die in § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG genannten Voraussetzungen geknüpft ist. Mit einer solchen Entscheidung geht die Rechtsfolge der Zulassung des Asylverfahrens einher und diese Sonderbestimmung gelangt für sämtliche Beschwerden im Zulassungsverfahren zur Anwendung (vgl. VwGH 08.07.2021, Ra 2021/20/0074).

Der BF wurde im EU-Mitgliedstaat (und damit auch EWR-Staat) Bulgarien der Status einer subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt, sodass ihr gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz gem. § 4a AsylG grundsätzlich zurückzuweisen ist, wenn sie in Bulgarien Schutz vor Verfolgung gefunden hat und ihr – aus verfassungsrechtlichen Erwägungen – keine Verletzung ihrer Rechte gem. Art. 3 oder 8 EMRK droht.

Im vorliegenden Fall hat die erstinstanzliche Behörde es jedoch unterlassen, nähere Ermittlungen zu der im Bescheid festgestellten XXXX der BF durchzuführen. Im Hinblick auf die von ihr behauptete XXXX wird sie dazu näher zu befragen und zur Vorlage etwaiger medizinischer Unterlagen aufzufordern sein. In der Folge wird ein Sachverständigengutachten über die Art und Schwere der Erkrankung einzuholen sein. Ebenso wird zu erheben sein, ob und wie eine allenfalls festgestellte XXXX in Bulgarien behandelt werden kann.

Aufgrund der mangelhaft ermittelten Sachverhaltsgrundlage unter Berücksichtigung der Rechtsansicht des VwGH kann im gegenständlichen Fall sohin nicht abschließend beurteilt werden, ob im Falle einer Überstellung der BF nach Bulgarien die reale Gefahr einer Verletzung ihrer gemäß Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte bestünde.

Der vorliegende Sachverhalt erweist sich damit als im Sinne des § 21 Abs. 3, zweiter Satz BFA-VG als derart mangelhaft, dass grundlegende ergänzende Ermittlungen und damit einhergehend eine mündliche Verhandlung notwendig erschienen, sodass eine Zurückverweisung im Sinne dieser Bestimmung zu erfolgen hatte.

Der Verwaltungsgerichtshof geht - nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Erläuterungen zu § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG - davon aus, dass immer dann, wenn der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Ermittlungsmängel anhaften, die nicht vom Bundesverwaltungsgericht in der für die Erledigung gebotenen Eile beseitigt werden können, der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3, zweiter Satz BFA-VG stattzugeben ist. Eine Verhandlung hat diesfalls zu unterbleiben.

Gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die tragenden Elemente der Entscheidung liegen allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedsstaat, welche sich bereits aus den umfassenden und aktuellen Feststellungen des angefochtenen Bescheides ergab sowie in der Bewertung der Intensität der privaten und familiären Interessen und demgemäß in Tatbestandsfragen.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EGMR bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.