IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Ulrike LECHNER LL.M sowie die fachkundige Laienrichterin Verena KNOGLER BA, MA als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle XXXX , vom 06.09.2024, OB XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme einer Zusatzeintragung in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:
I) Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass liegen vor.
II) Die Eintragung des Zusatzvermerkes ist befristet bis 31.12.2026 vorzunehmen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am 06.03.2024 langte der Antrag von Herrn XXXX (in der Folge: BF) auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund einer Behinderung“ sowie auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundkonvolutes ein.
2. Im hierzu eingeholten Sachverständigengutachten vom 02.07.2024 hält Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, nach persönlicher Untersuchung des BF am 04.06.2024 fest:
„Anamnese:
Erstbegutachtung
TE, AE, Hernia inguinalis beidseits
Agenesie der linken Niere
2022-9 Darmverschluß mit Durchbruch bei Sigmadivertikulose, lleocoecalresektion
2023-1 enterokutane Fistel
2023-6 Adhäsiolyse, Dünndarmleak Übernähung und CNP-Anlage - mehrfache CNPWechsel und Übernähungen im
2023-12 mit Re Re Lapratomie , im Tiefschlaf Tracheotomie
2024-1 Adhäsiolyse, Dünndarmübernähung, Lavage, Abdominaldressing mit Stoma
2024-2 Port-a Cath Implantation
seither Nutriflex und Infusionen
HIV pos seit ca. 2014, Viruslast unter Therapie nicht nachweisbar
Depressionen seit ca. 2021 mit burnout bekannt, diesbezüglich kein stat. Aufenthalt, 2022
Reha XXXX , was gebessert hatte, dzt. keine Psychotherapie, unter regelmäßiger Medikation stabilisiert. bisher kein niedergelassener Psychiater
Derzeitige Beschwerden:
Der Antragswerber klagt ‚über Schlafstörungen mit schweren Träumen, Kreuzschmerzen bei längerem Gehen, mit dem Stoma komme er zurecht‘
Keine spezifizierte Allergie bekannt
Anderwärtige schwere Krankheiten, Operationen oder Spitalsaufenthalte werden negiert.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Dominal, Sertralin, Triumeq, Durotiv, Molaxole, Quantalan, Kalioral, Resource, Nutriflex, Infusionslösung
Sozialanamnese:
seit ca. 2012 bei der Firma XXXX als Elektrogebäudeinstandhalter beschäftigt, seit 2021 im Krankenstand, geschieden seit ca. 2004, Partner seit ca. 5 Jahren, keine Kinder
wohnt in einer Mietwohnung im EG, barrierefrei.
Pflegegeld abgelehnt
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
2024-2 XXXX krankenhaus, Chirurgie: Mediane Re-Re-Laparotomie am 12.12.2023 bei Zustand nach Re-Laparotomie am 03.06.2023 - Adhäsiolyse, Dünndarmleak Übernähung und CNP-Anlage - mehrfache CNP-Wechsei und Übernähung
(14.,16.,18.,20.,23.,24.,26.,28.12.2023) - Influenza A positiv bei Aufnahme am 12.12.2023 - Zustand nach Re-Laparotomie, Adhäsiolyse, Hemikolektomie rechts mit Excision der entero-cutanen Colonfistel, CNP- Anlage und mehrere CNP-Wechsel 30.05.2023 - Zustand nach Dünndarmteilresektion bei entz. Konglomerattumor, Re-Laparotomie wegen Anastomosendehiszenz und Neuanlage 09/22 Perkutane Tracheotomie am 29.12.2023
Bronchoskopie 31.12.2023
Hypovolämie Delir Herpes simplex Angststörung Einzelniere rechts (von Geburt an) HIV positiv - Erstdiagnose vor 10 Jahren, Viruslast unter Therapie nicht nachweisbar Depressio
Laparotomie, Adhäsioiyse, Dünndarmübernähung, Lavage, Abdominaldressing am 12.02.2024 Schließlich erfolgte die Versorgung der entero-cutanen Colonfistel mittels Stomasack., Mehrfache intraoperative CNP- Wechsel Port a cath Implantation am 03.02.2024
2022-5 XXXX : Burnoutsyndrom, Z.n. Vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang Z.n, Nichtorganische insomnie Z,n. Psychogenes Erbrechen, Nic HiV-Krankheit
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
48 jähriger AW in gutem AZ kommt alleine ins Untersuchungszimmer
Rechtshänder
Ernährungszustand:
gut
Größe: 173,00 cm Gewicht: 68,00 kg Blutdruck: 130/80
Klinischer Status – Fachstatus:
Haut: und sichtbare Schleimhäute gut durchblutet, kein Ikterus, keine periphere oder zentrale Zyanose
Caput: HNAP frei, kein Meningismus, sichtbare Schleimhäute: unauffällig Zunge feucht, wird gerade hervorgestreckt, normal
PR unauffällig, Rachen: bland,
Gebiß: lückenhaft.
Hörvermögen ohne Hörgerät unauffällig
Collum: Halsorgane unauffällig, keine Einflußstauung, keine Stenosegeräusche
Thorax: symmetrisch, blande Narbenverhältnisse nach Port-a Cath links subclaviculär
Cor: HT rhythmisch, mittellaut, normfrequent Puls: 72 / min
Pulmo: sonorer KS, Vesikuläratmen, Basen atemverschieblich, keine Dyspnoe in Ruhe und beim Gang im Zimmer
Abdomen: Bauchdecken im Thoraxniveau, Hepar nicht vergrößert, Lien nicht palpabel, keine pathologischen Resistenzen tastbar, indolent,
blande NVH nach AE, Hernia inguinalis beidseits und LAP, blandes Stoma im ehem. Nabelbereich,
NL bds. frei
Extremitäten:
OE: Tonus, Trophik und grobe Kraft altersentsprechend unauffällig.
Nacken und Schürzengriff gut möglich,
in den Gelenken altersentsprechend frei beweglich, Faustschluß beidseits unauffällig,
eine Sensibilitätsstörung wird nicht angegeben
Feinmotorik und Fingerfertigkeit ungestört.
UE: Tonus, Trophik und grobe Kraft altersentsprechend unauffällig. In den Gelenken altersentsprechend frei beweglich, Bandstabilität,
keine Sensibilitätsausfälle, selbständige Hebung beider Beine von der Unterlage möglich, Grobe Kraft an beiden Beinen seitengleich normal.
Fußpulse tastbar, verstärkte Venenzeichnung keine Ödeme
PSR: seitengleich unauffällig, Nervenstämme: frei, Lasegue: neg.
Wirbelsäule: In der Aufsicht gerade, weitgehend im Lot, in der Seitenansicht gering verstärkte Brustkyphose und Abflachung der physiologischen Lendenlordose, FBA: 30 cm durchgeführt, Aufrichten frei,
kein Klopfschmerz, endgradig eingeschränkte Seitneigung und Seitdrehung der LWS, altersentsprechend freieBeweglichkeit der HWS, Kinn-Brustabstand: 1 cm,
Hartspann der paravertebralen Muskulatur,
Gesamtmobilität – Gangbild:
kommt mit Halbschuhen frei gehend weitgehend unauffällig, Zehenballen- und Fersengang sowie Einbeinstand beidseits gut möglich. Die tiefe Hocke wird ohne Anhalten zu 1/3 durchgeführt. Vermag sich selbständig aus- und wieder anzuziehen
Status Psychicus:
Bewußtsein klar.
gut kontaktfähig, Allseits orientiert, Gedanken in Form und Inhalt geordnet, psychomotorisch ausgeglichen, Merk- und Konzentrationsfähigkeit erhalten; keine produktive oder psychotische Symptomatik,
Antrieb unauffällig, Affekt: dysthym
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Leiden 2-3 erhöht nicht weiter, da keine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung besteht.
Leiden 4 erhöht nicht, da von zu geringer funktioneller Relevanz
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
keines vorliegend
Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu Vorgutachten:
X Nachuntersuchung 06/2026 - da ev. Rückoperation des Stomas
(…)
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum? Keine, ein Stoma führt zwar zur Beeinträchtigung im Alltag – es ist jedoch dadurch, mangels belegter anhaltender Dichtheitsprobleme, eine erhebliche Erschwernis öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründbar.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten? Nein
(…)“
3. Im Rahmen des hierzu erteilten Parteiengehörs erhob der BF unter Vorlage weiterer Befunde Einwendungen gegen das Gutachten vom 02.07.2024.
4. In seiner Stellungnahme vom 05.09.2024 führt der bereits befasste Arzt für Allgemeinmedizin aus:
„Antwort(en):
Der Antragswerber gab im Rahmen des Parteiengehörs vom 17.7.2024 an, daß er mit dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht einverstanden sei, da insbesondere die Zusatzeintragung ‚Unzumutbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel‘ nicht berücksichtigt wurde.
Beigelegt wurde der Bescheid über die Ablehnung auf Gewährung eines Pflegeldes vom 24.4.2024,
ein Operationsbericht der chirurgischen Abteilung des XXXX krankenhaus, vom 30.5.2023 der die Re-Laparotomie, Adhäsiolyse, Hemikolektomie rechts mit Excision der enterocutanen Colonfistel wegen Entero-cutaner-Fistel bei Z.n. mehrfacher Laparotomie mit Cöcumresektion wegen eines Konglomerattumors mit Dünndarmperforation beschreibt.
Sowie den Entlassungsbericht des XXXX vom 10.5.2022 mit den relevanten Diagnosen: Burnoutsyndrom, Z.n. vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang, Z.n. nichtorganische Insomnie, Z.n. psychogenem Erbrechen und HIVKrankheit
Ein weiterer Befund wurde bis jetzt noch nicht vorgelegt.
Die vom Antragsteller beim Antrag und bei der Untersuchung vorgebrachten Leiden wurden von allgemeinmedizinischer Seite unter Beachtung der vom Antragsteller zur Verfügung gestellten Befunde zur Kenntnis genommen und einer Einschätzung gemäß der geltenden EVO unterzogen.
Die nachgereichten Befunde bestätigen im Wesentlichen die getroffene Einstufung. Eine maßgebliche Undichtigkeit des Stomas ist nicht beschrieben.
Insgesamt beinhalten die nachgereichten Einwendungen daher keine ausreichend relevanten Sachverhalte, welche eine Änderung des Gutachtens bewirken würden, sodaß daran festgehalten wird, insbesondere konnte auch in der hierortigen Begutachtung eine derartige Einschränkung der Gehfähigkeit oder körperlichen Leistungsfähigkeit, welche eine erhebliche Erschwernis der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bewirken könnte, gerade eben nicht objektiviert werden – und ist auch den vorhandenen Befundberichten nicht zu entnehmen.“
5. Mit Schreiben vom 06.09.2024 teilte die belangte Behörde dem BF mit, dass im Ermittlungsverfahren ein GdB von 50% festgestellt worden sei. Die Voraussetzungen für folgende Zusatzeintragungen würden vorliegen: „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“; „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 zweiter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“. Der Behindertenpass werde befristet mit 30.09.2026, weil nach diesem Zeitpunkt eine Überprüfung seines Gesundheitszustandes erforderlich sei.
Diesem Schreiben waren das Gutachten von Dr. XXXX vom 02.07.2024 sowie dessen Stellungnahme vom 05.09.2024 beigelegt.
6. Dem BF wurde mit Schreiben vom 09.09.2024 ein Behindertenpass mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 % ausgestellt.
Fristgerecht erhob der BF Beschwerde gegen den im Behindertenpass festgesetzten Grad der Behinderung. In der Folge wurde mit Schreiben vom 26.09.2024 die Beschwerde samt Fremdakt dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zur Entscheidung vorgelegt. Das Verfahren wurde unter der GZ W217 2299753-1 der Gerichtsabteilung W217 zugewiesen.
7. Mit (verfahrensgegenständlichem) Bescheid vom 06.09.2024 wurde der Antrag des BF auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund einer Behinderung“ abgewiesen.
7.1. Gegen diesen Bescheid brachte der BF inhaltlich im Wesentlichen vor, er wüsste nicht, wo er in der U-Bahn bzw. Straßenbahn einen Wechsel des Stomabeutels im Liegen vornehmen sollte. Weiters bekomme er Kreuzschmerzen, wenn er länger (15-30 min) gehe und sei den Rest des Tages fix und fertig. Zudem könne er nichts transportieren, da er nur 5 kg tragen dürfe. Weiters verwies er darauf, bekannt gegeben zu haben, dass keine Rück-OP erfolgen werde, da ein sehr hohes Risiko bestehe, dass die Situation schlimmer werde. Die Ärzte hätten schon vergangenes Jahr gesagt, sie würden ihn nur mehr in einer akuten Situation operieren. Neue Befunde wurden keine vorgelegt.
7.2. In der Folge legte die belangte Behörde mit Schreiben vom 26.09.2024 die Beschwerde samt Fremdakt dem BVwG zur Entscheidung vor.
7.3. Das BVwG ersuchte sodann Frau Prim. Dr. XXXX , Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie, um Erstellung eines Sachverständigengutachtens aufgrund persönlicher Untersuchung des BF.
7.4. Diese führt in ihrem Gutachten vom 01.12.2024 aus:
„Anamnese:
Herr XXXX hat in den vergangenen Jahren mehrmalige operative Eingriffe am Abdomen erlitten. Zuletzt war ein prolongierter Aufenthalt im XXXX Krankenhaus mit Intensivaufenthalt postoperativ vom 12.12.2023-12.02.2024. Aufgrund schlecht heilender Wunden am Abdomen sowie wiederkehrender Kreislaufinstabilität wurde der Pat. über einen längeren Zeitraum auch intensivmedizinisch betreut und parenteral ernährt. Der postoperative Verlauf war verlängert mit zahlreichen Relaparotomien bei wiederkehrender Adhäsiolyse und Hemikolektomie rechts. Es besteht bereits ein Zustand nach Dünndarmteilresektion bei Konglomerattumor. Bei Zustand nach Stomaanlage erfolgt der Stomawechsel selbständig, Unterstützung erhält Hr. XXXX durch seinen Bekannten.
Das zwischenzeitlich notwendige Tracheostoma wurde entfernt und ist abgeheilt.
Seit dem letzten stationären Aufenthalt erholt sich Herr XXXX nur sehr schwer, er ist insgesamt im AZ und EZ geschwächt, die Ernährung erfolgt teilweise parenteral. Er beschreibt anhaltend massive Schmerzen im Abdomen, insbesondere nach Nahrungsaufnahme, eine analgetische Therapie ist etabliert und verschafft nur teilweise Linderung.
Auch bei dem Besuch in der Ordination präsentiert sich Herr XXXX in deutlich reduziertem AZ und EZ, die Stimmung ist dysthym, der freie Stand im Rahmen der Untersuchung ist nur erschwert möglich, es besteht ein laufender Gewichtsverlust (dzt. 59-60kg).
Befunde aus dem medizinischen Akt:
OP Bericht, XXXX Krankenhaus, 30.05.2023, ABL 49:
Re-laparotomie, Adhäsiolyse, Hemikolektomie rechts mit Excision der enterocutanen Colonfistel
Befundbericht Gesundheitspark XXXX , 10.05.2022, ABL 48ff/ABL 25 ff:
Aufenthalt vom 29.03.2022 - 10.05.2022:
Burnoutsyndrom
z.n. vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang
z.n. nichtorganischer Insomnie
z.n. psychogenem Erbrechen
HIV Krankheit
Kurzarztbrief LK XXXX , 12.01.- 17.01.2023, ABL 36 ff:
Enterokutane Fistel bei 20cm im Sigma bei vorbekannter Sigmadivertikulose
Zustand nach TAPP rechts bei Hernia inguinalis Text. rec.
Status post Inguinalherniotomie bds. als Kind
Agenesie der linken Niere
Status post Appendektomie
Status post Tonsillektomie
Befund Chirurgische Ambulanz KH XXXX , 02.01.2023, ABL 34 ff:
Vorstellung bei Verdacht auf Stuhl und Gasaustritt aus dem Fistelgang - Procedere Aufnahme planen am 11.01.2023 zur CT und ev. Fistulografie
Entlassungsbericht XXXX -Krankenhaus, 08.05.2023, ABL 27 ff:
enterokutane Fistel nach Dünndarm OP 09/2022 mit Revision bei Anastomosendehiszenz
02.09.2022 Dünndarmteilreseektion bei entzündlichem Konglomerattumor st.p. TAPP 2020
ED HIV vor ca. 10 Jahren
Entlassungsbericht XXXX -Krankenhaus 13.02.2024, ABL 19 ff
12.12.2023 - 12.12. 2023 CHIR
12.12.2023 - 09.01.2024 Intensiv
09.01.2024 bis 12.02.2024 CHIR
Mediane Re-Re Laparotomie am 12.12.2023 bei Zustand nach Re-Laparotomie am 03.06.2023:
CNP Anlage und mehrfacher CNP Wechsel und Übernähung
Zustand nach Dünndarmteilresektion bei Netz. Konglomerattumor, Re-Laparotommie wegen
Anatomosendehiszenz und Neuanlage 09/2022
Perkutane Tracheotomie am 29.12.2023
Bronchoskopie am 29.12.2023
Vorläufiger Entlassungsbericht XXXX -Krankenhaus, 30.05.2023-12.07.2023, ABL 10ff:
enterokutane Fistel nach Dünndarmoperation 09/2022 mit Revision und Anastomosendehiszenz.
Medikamente:
Sertralin, PPI, Durotiv, Imodium, Oleovit, parenterale Ernährung, Ringerlactat, Opiate
Status:
Größe: 174 cm Gewicht: 60 kg
Kopf frei beweglich
Herz: Herztöne leise, rhythmisch, rein, tachycard
Lunge: va, keine Rasselgerausche, Lungenbasen verschieblich
Abdomen: Zustand nach Platzbauch - Narben verheilt, Stoma in situ, Platte sitzt regelrecht
WS: im Lot
OE: frei beweglich, UE: frei beweglich keine Beinödeme Haut: gräulich, blass
Status psychicus:
klar, orientiert, Ductus kohärent, Stimmung dysphorisch/dysthym
Gangbild:
unauffälliges Gangbild, Lagewechsel schmerzbedingt und aufgrund Schwäche erschwert, der freie Stand ist nicht sicher möglich
Zusammenfassung:
Frage 1 und 2.)
Diagnosen:
Zustand nach entzündlichem Konglomerattumor und Ileumteilresektion 09/2022
Zustand nach Hemikolektomie bei Zustand nach Enterokutaner Colonfistel 12/2023
Zustand nach mehrfachen operativen Re-Laparotomien bei Adhäsiolyse bei Zustand nach Hemikolektomie im Zeitraum 12.2023 bis 02.2024 mit Intensivaufenthalt und Katecholaminpflicht
Colostomaanlage
Agenesie der linken Niere
St.p. Burnoutsituation mit Zustand nach stationärem Aufenthalt 03-05/2022
Angststörung
Depressio
HIV positiv - keine Nachweis der Viruslast unter Therapie
Leiden 1
Zustand nach partieller Dickdarm und Dünndarmentfernung
PosNr.: 07.04.12 GdB 50%
Fixer Richtsatz bei Zustand nach zahlreichen operativen Eingriffen am Abdomen, Zustand nach Platzbauch mit schlechter Wundheilung, enterokutaner Fistelbildung und infolge der Eingriffe Mangelernährung, die parenterale Flüssigkeitssubstitution und Ernährung sind hier mit erfasst.
Leiden 2
Colostoma
PosNr.: 07.04.18 GdB 50%
Fixer Richtsatz
Leiden 3
Depressio, Zustand nach Burnoutsyndrom
PosNr.: 03.06.01 GdB 30%
2 Stufen über dem unteren Rahmensatz bei Zustand nach stationärem Aufenthalt 2022, die bestehende Angststörung ist hier mit erfasst und eingeschätzt, es besteht ein sozialer Rückzug.
Leiden 4
Agenesie der linken Niere
PosNr.: 08.01.01 GdB 30%
Oberer Rahmensatz bei funktioneller Einzelniere.
Leiden 5
Erworbene Immunschwäche
PosNr.: 10.03.13 GdB 10%
Unterer Rahmensatz da Viruslast unter Therapie nicht nachweisbar.
Gesamtgrad der Behinderung GdB 70%
Das führende Leiden 1 wird aufgrund der funktionellen Relevanz des Leiden 2 bis 5 und aufgrund der besonders negativen Leidensbeeinflussung durch die Leiden 2 und 3 um zwei Stufen erhöht.
Frage 3.)
Eine Nachuntersuchung ist in 2 Jahren indiziert, da eine relevante Besserung möglich scheint
Frage 4.)
Der Gesamtgrad ist ab Antragstellung anzunehmen.
Frage 5 a. bis j.)
Leiden 1 wurde als eigenes Leiden aufgenommen, da erhebliche funktionelle Einschränkungen draus resultieren.
Leiden 2 ist idem zum Vorgutachten (ehemals Leiden 1)
Leiden 3 wurde erhöht bei Zustand nach Rehabilitation 2022, weiterhin bestehender Angststörung wie auch im ABL 19ff beschrieben (ehemals Leiden 3).
Die Leiden 4 und 5 sind idem zum Vorgutachten (ehemals Leiden 2 und 4).
Bei dem Pat. besteht ein Zustand nach mehrmaligen langen Krankenhausaufenthalten und zahlreichen operativen Eingriffen am Abdomen mit prolongierter Wundheilung. Aufgrund der komplexen Erkrankungssituation mit Zustand nach mehrmaligen operativen Eingriffen und Resektion sowohl Teilen von Dick- als auch Dünndarm, besteht neben der erheblichen Einschränkung des Allgemeinzustandes, eine deutliche Mangelernährung (eine Zusatzernährung erfolgt bereits parenteral). Die Schwäche führt dazu, dass lange Stehzeiten nicht ausreichend sicher möglich sind und Herr XXXX seine Tage vor allem im Sitzen und Liegen verbringt.
Zusätzlich gibt der Beschwerdeführer erhebliche Schmerzen im gesamten Abdomen an, welche oftmals das aufrechte Stehen verunmöglichen. Die Schmerzsymptomatik ist aufgrund der komplexen abdominellen Vorgeschichte durchaus nachvollziehbar, eine analgetische Therapie ist etabliert.
Die Stomaplatte ist in situ und dicht. Ein Ausrinnen des Stomas ist bei üblicher Versorgung desselben an sich nicht gegeben und auch bei korrektem Sitz der Stomaplatte nicht erwartbar.
Trotz uneingeschränkter Gelenkbeweglichkeit ist aufgrund des reduzierten Allgemeinzustandes sowie der generellen Schwäche eine Benützung öffentlicher Verkehrsmittel derzeit nicht möglich, da die körperliche Belastbarkeit erheblich eingeschränkt ist.
Insgesamt ist festzuhalten, dass das Zurücklegen einer Wegstrecke von 300 bis 400m in 10 min aus eigener Kraft derzeit nicht ohne Pause möglich ist. Niveauunterschiede können überwunden werden, da keine Beeinträchtigung der Gelenkbeweglichkeit besteht. Freies Stehen im öffentlichen Verkehrsmittel ist aufgrund der Schwäche und der abdominellen Schmerzen nicht ausreichend sicher gegeben, der Transport muss im Sitzen erfolgen.
Aufgrund der Befundzusammenschau, der ausführlichen Anamnese sowie der körperlichen Untersuchung wird hier eine abweichende Einschätzung denn im Vorgutachten Dr. XXXX (ABL 37-40) getroffen.
Eine Nachuntersuchung betreffend die Unzumutbarkeit ist indiziert, da eine relevante Besserung der Gesamtsituation möglich scheint.“
7.5. Gegen dieses Gutachten sind in der Folge keine Einwendungen beim BVwG im Rahmen des hierzu gewährten Parteiengehörs eingelangt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der BF hat seinen Wohnsitz im Inland und besitzt einen Behindertenpass. Am 06.03.2024 einlangend begehrte der BF die Ausstellung eines Behindertenpasses, die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund einer Behinderung“ sowie die Ausstellung eines Parkausweises.
1.2. Dem BF ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel derzeit nicht zumutbar.
1.2.1 Art der Funktionseinschränkungen:
- Zustand nach partieller Dickdarm- und Dünndarmentfernung
- Colostoma
- Depressio, Zustand nach Burnoutsyndrom
- Agenesie der linken Niere
- Erworbene Immunschwäche
1.2.2. Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
- Zustand nach mehrmaligen langen Krankenhausaufenthalten und zahlreichen operativen Eingriffen am Abdomen mit prolongierter Wundheilung. Aufgrund der komplexen Erkrankungssituation mit Zustand nach mehrmaligen operativen Eingriffen und Resektion von Teilen des Dick- und auch des Dünndarms besteht neben der erheblichen Einschränkung des Allgemeinzustandes eine deutliche Mangelernährung (eine Zusatzernährung erfolgt bereits parenteral). Aufgrund dieser Schwäche sind lange Stehzeiten nicht ausreichend sicher möglich. Zusätzlich leidet der BF unter erheblichen Schmerzen im gesamten Abdomen, die oftmals das aufrechte Stehen verunmöglichen. Eine analgetische Therapie ist etabliert. Trotz uneingeschränkter Gelenkbeweglichkeit ist aufgrund des reduzierten Allgemeinzustandes sowie der generellen Schwäche eine Benützung öffentlicher Verkehrsmittel derzeit nicht möglich, da die körperliche Belastbarkeit erheblich eingeschränkt ist.
2. Beweiswürdigung:
Zu 1.1) Die getroffenen Feststellungen gründen auf dem diesbezüglich unbedenklichen Eintrag im Zentralen Melderegister und stehen überdies im Einklang mit den Angaben des BF.
Zu 1.2) Die Feststellung hinsichtlich der Antragsstellung auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund einer Behinderung“ sowie auf Ausstellung eines Parkausweises gründen auf dem diesbezüglich schlüssigen Akteninhalt des von der belangten Behörde vorgelegten Fremdaktes.
Die Feststellungen zur Art und zum Ausmaß der Funktionseinschränkungen gründen sich auf das vom BVwG eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von Prim. Dr. XXXX , Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie, vom 01.12.2024, basierend auf der persönlichen Untersuchung des BF am 28.10.2024.
In diesem Gutachten wird auf die Art der Leiden des BF und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und im Einklang mit der medizinischen Wissenschaft und den Denkgesetzen eingegangen, wobei die vom BF vorgelegten Befunde und Beweismittel im Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme umfassend Berücksichtigung gefunden haben. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die Krankengeschichte des BF wurde umfassend nach dem konkret vorliegenden Krankheitsbild berücksichtigt. Hinsichtlich der erhobenen Diagnose wurden vom BF auch keine Einwendungen erhoben.
Die vorgelegten Beweismittel sind in die Beurteilung eingeflossen, die befasste Sachverständige hat sich damit auseinandergesetzt. Hinsichtlich der Beurteilung der Auswirkungen der Gesundheitsschädigung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kann dem Sachverständigengutachten vollumfänglich gefolgt werden.
So erläutert die Sachverständige im Einklang mit den vorliegenden Beweismitteln und den Angaben des BF, dass das Zurücklegen einer Wegstrecke von 300 bis 400m in 10 Minuten aus eigener Kraft derzeit nicht ohne Pause möglich ist. Niveauunterschiede können zwar überwunden werden, da keine Beeinträchtigung der Gelenkbeweglichkeit besteht. Jedoch ist ein freies Stehen im öffentlichen Verkehrsmittel aufgrund der Schwäche - aufgrund der komplexen Erkrankungssituation mit Zustand nach mehrmaligen operativen Eingriffen und Resektion sowohl von Teilen des Dick- als auch Dünndarms, besteht neben der erheblichen Einschränkung des Allgemeinzustandes, eine deutliche Mangelernährung (eine Zusatzernährung erfolgt bereits parenteral) - und der abdominellen Schmerzen nicht ausreichend sicher gegeben, der Transport muss im Sitzen erfolgen.
Im Rahmen der persönlichen Untersuchung konnte sich die Sachverständige von der aktuellen Schwäche des BF selbst ein Bild machen: Wog der BF bei der Untersuchung am 04.06.2024 bei einer Körpergröße von 173 cm noch 68 kg, so betrug sein Körpergewicht am 28.10.2024 nur mehr 59 – 60 kg.
Die Angaben des BF sind somit geeignet, die angefochtene Beurteilung zu entkräften. Die Abweichung zu der, der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten gutachterlichen Schlussfolgerung resultiert aus der geänderten rechtlichen Beurteilung. Ob dem BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, stellt nämlich keine medizinische Frage, sondern eine Rechtsfrage dar und obliegt dem erkennenden Senat. Zu deren Erörterung, siehe die rechtlichen Erwägungen unter Punkt II 3.1.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu Spruchpunkt A)
Zur Entscheidung in der Sache
Unter Behinderung iSd Bundesbehindertengesetz (BBG) ist gemäß dessen § 1 Abs 2 leg.cit. die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktion zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
§ 40 Abs. 1 BBG normiert, dass behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen ist, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG), BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist (§ 40 Abs. 2 BBG).
Gemäß § 41 Abs. 1 BBG hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010 idF BGBl II 251/2012) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist. (§ 42 Abs. 2 BBG)
Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen. (§ 45 Abs. 1 BBG)
Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu. (§ 45 Abs. 2 BBG)
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist u.a. jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen. (§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)
Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktions-beeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen. (§ 1 Abs. 5 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).
Wie unter Punkt II.2. bereits ausgeführt, ist das Beschwerdevorbringen geeignet darzutun, dass die der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte gutachterliche Beurteilung nicht dem tatsächlichen Leidensausmaß des BF entspricht.
Die aufgrund des reduzierten Allgemeinzustandes sowie der generellen Schwäche verursachte erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit wirkt sich für den BF maßgeblich negativ auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus.
Dem BF ist es derzeit nicht zumutbar, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen.
Da festgestellt worden ist, dass der Leidenszustand des BF in seiner Gesamtheit die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erheblich erschwert, und die dauernden Gesundheitsschädigungen somit ein relevantes Ausmaß erreichen, ist die Eintragung des Zusatzes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gerechtfertigt.
Die Zusatzeintragung im Behindertenpass ist jedoch befristet vorzunehmen, weil eine Änderung in den Voraussetzungen gemäß § 42 Abs. 2 BBG zu erwarten ist.
Die belangte Behörde wird dem BF somit in der Folge einen bis 31.12.2026 befristeten Behindertenpass auszustellen haben.
Über die Höhe des Gesamtgrades der Behinderung erfolgt eine gesonderte Entscheidung durch das BVwG.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG konnte das Gericht von der Verhandlung absehen, weil der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde. Die Schriftsätze der Parteien und die Akten des Verfahrens lassen erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Vielmehr erschien der Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides aus der Aktenlage geklärt. Dem steht auch Art 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegen, vgl. dazu auch das Erkenntnis des VwGH vom 21.02.2019, Ra 2019/08/0027.
Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
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