Spruch
W189 2297487-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Belarus, vertreten durch Caritas Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.06.2024, Zl. 1277441800-240529364, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.10.2024 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge: die BF), eine Staatsangehörige von Belarus, reiste im März 2021 legal in Österreich ein und war hier zunächst aufgrund von Aufenthaltstiteln nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) wohnhaft. Am 29.03.2023 stellte sie den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem sie am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Zu ihrem Ausreisegrund gab sie zu Protokoll, dass sie ein Mitglied der politischen Organisation „Coordination Council“ gewesen sei. Diese Organisation werde als terroristische Organisation bezeichnet. Sie habe an mehreren Demonstrationen gegen den jetzigen Präsidenten teilgenommen. Sie habe auch Videoaufnahmen. Sie werde von den Behörden gesucht. Bei einer Rückkehr werde sie verhaftet und eingesperrt.
2. In ihrer niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: das BFA) am 05.06.2024 machte die BF nähere Ausführungen zu ihrem Fluchtgrund und ihren Lebensumständen.
3. Mit Bescheid des BFA vom 24.06.2024 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Belarus (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung gegen die BF erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Belarus zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
4. Gegen diesen Bescheid erhob die BF durch ihre Rechtsvertretung binnen offener Frist Beschwerde, über welche das Bundesverwaltungsgericht am 30.10.2024 in beider Anwesenheit eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchführte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Identität der BF steht fest. Sie ist eine Staatsangehörige von Belarus, wo sie bis zu ihrer Einreise in Österreich im März 2021 lebte.
Die BF unterstützte im Zuge der belarussischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 als Aktivistin die politische Opposition. Sie ist ein erweitertes Mitglied des nach diesen Wahlen gegründeten Koordinierungsrates („Coordination Council“), welcher seitens der Opposition unter der offiziell unterlegenen Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja nach der Wahl und den Vorwürfen der Fälschung zugunsten des Machthabers Alexander Lukaschenko gegründet wurde, um einen friedlichen Übergang der Macht an die Opposition zu koordinieren, und welcher in Belarus seit Jänner 2023 aus politisch motivierten, repressiven Gründen als extremistische Organisation gilt. Die BF traf im Jahr 2022 in Wien öffentlich die belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, wobei die BF in erster Reihe in einer kleinen Gruppe an Menschen steht, die unter anderem die in Belarus verbotenen weiß-rot-weiße Oppositionsfahne sowie ein Plakat halten, auf welchem die Freiheit für alle politische Gefangenen in Belarus gefordert wird. Das Treffen ist durch Fotos und Videos dokumentiert. Ein kurzer Ausschnitt hiervon, in welchem die BF frontal zu sehen ist, wurde am 24.02.2024 in ein Video auf der offiziellen Website von Swetlana Tichanowskaja veröffentlicht, welches zudem auf über 2.000 öffentlich zugänglichen Bildschirmen in Belarus abgespielt wurde.
Die BF läuft Gefahr, aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einer aus politischen Gründen von den belarussischen Behörden als extremistisch eingestuften Organisation bzw. der öffentlichen Zurschaustellung einer oppositionellen Gesinnung bei einer Einreise in Belarus von den staatlichen Behörden inhaftiert und in einem unfairen Verfahren zu einer potentiell mehrjährigen Haftstrafe verurteilt zu werden.
2. Beweiswürdigung:
Die Identität der BF steht aufgrund ihres belarussischen Reisepasses fest, weshalb im weiteren kein Zweifel an ihrer Staatsangehörigkeit besteht. Mangels Anhaltspunkten zum Gegenteil ist ebenso der Aufenthalt der BF in ihrem Herkunftsstaat bis zu ihrer Einreise in Österreich im März 2021 glaubhaft.
Die BF erzählte im Verfahren und untermauerte durch mehrere Vorlagen, dass sie während der Präsidentschaftswahlen in Belarus im Jahr 2020 als Aktivistin die politische Opposition unterstützte, wobei sie unter anderem auch Mitglied des sogenannten Koordinierungsrates („Coordination Council“) wurde (AS 8, 47, 53 f, 63 ff; OZ 10 mit Übersetzungen in OZ 14 und 17; Verhandlungsprotokoll S. 13 f; Beilage ./1). Die im Jänner 2023 von belarussischen Behörden aus politisch motivierten, repressiven Gründen vorgenommene Einstufung des Koordinierungsrates als extremistische Organisation ist mehreren öffentlichen Quellen zu entnehmen (vgl. etwa Wikipedia, Koordinierungsrat (Belarus), https://de.wikipedia.org/wiki/Koordinierungsrat_(Belarus); Viasna, In 2023, 62 “extremist groups“ were recognized, 11 of them are media outlets, 10.01.2024, https://spring96.org/en/news/113898; Konrad Adenauer Stiftung, Politisches System in Belarus, Juni 2024, https://www.ecoi.net/de/dokument/2110533.html; Menschenrechtsrat der UNO, Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Belarus, 09.05.2024, https://www.ecoi.net/en/file/local/2110401/g2407284.pdf). Ebenso legte die BF eine Fotodokumentation eines öffentlichen Treffens mit Swetlana Tichanowskaja in Wien im Jahr 2022 vor, in welcher die BF unter den festgestellten Umständen zu sehen ist (AS 91 f; OZ 10; Verhandlungsprotokoll S. 14). Die BF belegte desweiteren, dass eine kurze Videoaufnahme dieses Treffens, in welcher sie frontal zu sehen ist, in einem am 24.02.2024 auf der Website von Swetlana Tichanowskaja veröffentlichtem Video verarbeitet wurde, wobei hinreichend glaubhaft ist, dass dieses Video zudem seitens Oppositionsgruppierungen auf über 2.000 öffentlich zugänglichen Bildschirmen in Belarus abgespielt wurde (OZ 10; Beilage ./3).
Dass Personen, denen vonseiten der belarussischen Behörden aus politischer Motivation aufgrund einer zumindest unterstellt oppositionellen Einstellung eine staatsfeindliche oder extremistische Gesinnung vorgeworfen wird, aufgrund unfairer Verfahren zu auch mehrjährigen Haftstrafen verurteilt werden, ergibt sich wiederum aus dem übereinstimmenden Berichtsmaterial (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Lage in Belarus vom 02.09.2024, Kapitel „5. Justizwesen/Rechtsschutz“ und „13.3. Opposition“; AS 197 ff, 201 ff; Viasna, List of political prisoners and persons convicted in political criminal cases, https://prisoners.spring96.org/en/list). Vor dem Hintergrund dieser Berichte kann nicht mit der für das Verfahren maßgeblichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass auch der BF aufgrund der oben dargelegten Umstände eine derartige politisch motivierte, strafrechtliche Verfolgung droht, zumal sie durch diese Umstände hinreichend exponiert und identifizierbar ist. Daran vermögen letztlich auch die Einwendungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, wonach die BF legal aus Belarus ausreisen konnte, sie weiterhin staatliche Pensionszahlungen erhält und sie ihren Antrag auf internationalen Schutz nicht im zeitlichen Zusammenhang mit ihrer Einreise in Österreich stellte (AS 126 f), nichts ändern. Ob die BF zum Zeitpunkt ihrer Ausreise bereits im Fokus der belarussischen Behörden stand ist nämlich insoweit nicht mehr von maßgebender Bedeutung, als der Koordinierungsrat, deren Mitgliedschaft sie im Verfahren darlegte, erst danach als extremistische Gruppierung eingestuft wurde, und sie erst nach ihrer Ausreise in einem auf der Webseite der Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja veröffentlichten Video gut erkennbar aufschien, welches zudem durch die Opposition in Belarus selbst an verschiedenen Orten öffentlich ausgestrahlt wurde und somit mit hoher Wahrscheinlichkeit die Aufmerksamkeit der belarussischen Behörden erregte. Die Umstände, die für eine erhöhte Gefährdung der BF im Vergleich zu anderen Personen, die (bloß) an den Demonstrationen im Zuge der Präsidentschaftswahlen von 2020 teilnahmen, sprechen, traten somit erst nach ihrer Ausreise ein. Diese erst im Zeitablauf erhöhte Gefahrenlage lässt auch nachvollziehbar erscheinen, dass die BF erst nun ihren Antrag auf internationalen Schutz stellte, zumal sie auch selbst angab, zunächst davon ausgegangen zu sein, dass sich die Lage in Belarus wieder beruhigen würde, und sie zunächst über einen anderen Aufenthaltstitel und somit ein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügte (Verhandlungsprotokoll S. 7; Fremdenregister). Vor diesem Hintergrund ist allein die fortlaufende Pensionszahlung an die BF nicht geeignet, die Wahrscheinlichkeit der Bedrohung der BF in Belarus – sei es, weil sie den belarussischen Behörden bereits bekannt ist, oder sei es, weil sie erst durch ihre Wiedereinreise in deren Fokus geraten würde – in beachtlicher Weise herabzusetzen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend (VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108).
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).
Das Vorbringen des Antragstellers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit der Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 10.08.2019, Ra 2018/20/0314).
Eine Verfolgungshandlung ist nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen ausgeht, sondern auch dann, wenn der Staat nicht willens oder nicht fähig ist, Verfolgungshandlungen zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).
Aufgrund der getroffenen Feststellungen droht der BF in Belarus vonseiten der staatlichen Behörden eine politisch motivierte, strafrechtliche Verfolgung, ein unfaires Verfahren und eine damit verbundene mehrjährige Haftstrafe. Mit anderen Worten unterliegt die BF mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in ihrer Heimat aufgrund einer zumindest unterstellten politischen Gesinnung staatlicher Verfolgung von erheblicher Intensität.
Da diese Verfolgung vom belarussischen Staat selbst ausgeht, steht ihr keine innerstaatliche Fluchtalternative nach § 11 AsylG 2005 offen. Sonstige Ausschlussgründe sind nicht hervorgekommen.
Der BF ist somit der Status der Asylberechtigten zu gewähren.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.
Der BF kommt folglich eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.