Spruch
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde des rumänischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. Farhad PAYA, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.05.2024, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 17.04.2023 wurde der Beschwerdeführer (BF) aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (Aufenthaltsverbot/Ausweisung) zu äußern und Fragen zu seinem Privat- und Familienleben und seinem Aufenthalt in Österreich zu beantworten. Der BF erstattete keine Stellungnahme.
Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX .2024, XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB und des Verbrechens der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten oder verfälschten Geldes nach § 233 Abs 1 Z 1 erster und sechster Fall StGB – ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe – zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei die Strafe unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein zweijähriges Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit seinen strafgerichtlichen Verurteilungen und dem Fehlen familiärer, sozialer und beruflicher Bindungen in Österreich begründet.
Dagegen richtet sich die erhobene Beschwerde mit den Anträgen, eine Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, das Aufenthaltsverbot ersatzlos zu beheben, zumindest herabzusetzen; jeweils in eventu die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes sowie die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ersatzlos zu beheben. Hilfsweise wird noch ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die Beschwerde wird zusammengefasst damit begründet, dass der BF eine Beziehung mit einer in Österreich lebenden rumänischen Staatsangehörigen führt. Er sei seit Beginn seines Aufenthaltes nahezu durchgängig als Paketzusteller beschäftigt. Der BF weise lediglich eine strafgerichtliche Verurteilung auf und habe zuvor einen ordentlichen Lebenswandel geführt. Er gehe einer Beschäftigung nach, welcher er im Falle einer Außerlandesbringung beenden müsse und liege im Hinblick auf seine Lebensgemeinschaft eine Verletzung von Art. 8 EMRK vor.
Das BFA legte dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens mit dem Antrag vor, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, und erstattete eine Gegenäußerung.
Mit Teilerkenntnis des BVwG vom 17.06.2024, GZ: G310 2293193-1/3Z, wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG zuerkannt.
Feststellungen:
Der BF ist ein am XXXX in der ungarischen Stadt XXXX geborener rumänischer Staatsangehöriger. Er ist ledig, gesund und arbeitsfähig. Er führt eine Beziehung zu einer in Österreich lebenden rumänischen Staatsbürgerin, mit welcher er seit XXXX .2024 an derselben Wohnadresse in Kärnten lebt.
Seit XXXX .2022 ist der BF mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet und wurde ihm am XXXX .2023 eine Anmeldebescheinigung ausgestellt.
Seit XXXX .2022 liegen Beschäftigungszeiten des BF in Österreich vor, bei seinem jetzigen Arbeitgeber ist er seit XXXX .2024 als Arbeiter beschäftigt. Ein Arbeitslosengeldbezug erfolgte in dem Zeitraum von XXXX .2024 bis XXXX .2024.
Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX .2024, XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB und des Verbrechens der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten oder verfälschten Geldes nach § 233 Abs 1 Z 1 erster und sechster Fall StGB – ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe – zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei die Strafe unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass er I.) am XXXX 2023 in XXXX Verfügungsberechtigten einer Supermarkt-Filiale sechs Thunfischkonserven im Wert von gesamt EUR 29,44 mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht hat, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern; II.) eine falsche 200 Euro-Note, somit nachgemachtes Geld, mit dem Vorsatz, dass es als echt und unverfälscht ausgegeben werde, zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt von Rumänien nach Österreich eingeführt und bis zumindest XXXX 2023 in XXXX und XXXX besessen hat.
Bei der Strafbemessung wurde sein ordentlicher Lebenswandel, sein teilweise reumütiges Geständnis als mildernd, hingegen das Zusammentreffen von zwei Vergehen als erschwerend gewertet.
Der BF wurde in Deutschland zweimal wegen unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Geldstrafe sowie zu einem Entzug der Fahrerlaubnis bzw. Fahrverbot verurteilt.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.
Die Feststellungen basieren insbesondere auf den Angaben des BF vor dem BFA und den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), Strafregister sowie den Sozialversicherungsdaten und den eingeholten ECRIS-Auszügen.
Die Identität des BF wird durch seine rumänische Identitätskarte, von der eine Kopie im Verwaltungsakt vorliegt, belegt. Die Angaben zu seinem Privat- und Familienleben resultieren aus seinen Angaben in der Beschwerde.
Die Wohnsitzmeldungen in Österreich ergeben sich aus dem ZMR, aus dem auch ersichtlich ist, dass er an derselben Adresse wie seine Lebensgefährtin gemeldet ist.
Das Verfahren hat keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme ergeben. Seine Arbeitsfähigkeit folgt aus seinem erwerbsfähigen Alter und der derzeit ausgeübten Erwerbstätigkeit.
Im Fremdenregister ist die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung dokumentiert.
Die Erwerbstätigkeiten des BF sowie der Arbeitslosengeldbezug ergeben sich aus seinen Sozialversicherungsdaten.
Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung der BF, zu den zugrundeliegenden Taten und den Strafbemessungsgründen gehen aus dem Strafregister, dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX .2024 hervor.
Die Verurteilungen in Deutschland ergeben sich aus dem Europäischen Strafregister-Informationssystem (ECRIS).
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den BF als EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen oder verwaltungsrechtliche Bestrafungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
§ 67 FPG dient der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl § 2 Abs 4 Z 18 FPG), und zwar insbesondere der Umsetzung von deren Art 27 und 28 (VwGH Fr 2016/21/0020), und ist in erster Linie in Fällen schwerer Kriminalität anzuwenden (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).
Hier hat sich der BF weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufgehalten noch das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben. Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden.
Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich in Freiheit wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nach den Grundsätzen der Judikatur umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit - etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall - manifestiert hat (VwGH 30.04.2020, Ra 2019/20/0399).
Obwohl der BF im Inland straffällig wurde, weist sein Verhalten noch nicht eine solche Schwere auf, dass eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, vorliegt, die ein Aufenthaltsverbot rechtfertigen würde. Er wurde im Bundesgebiet nur wegen nicht allzu schwerwiegenden Straftaten bestraft, wobei mit einer gänzlich bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe das Auslangen gefunden und der Strafrahmen bei weitem nicht ausgenutzt wurde. Der BF ist um geordnete Lebensumstände bemüht. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin zusammen und geht einer Beschäftigung nach.
Zwar wird nicht verkannt, dass mit seinem strafrechtlich relevanten Fehlverhalten eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit einhergeht, aber es ist dennoch zu berücksichtigen, dass er sich seit seiner letzten Verfehlung nichts mehr zu Schulden kommen hat lassen, einer vollversicherten Erwerbstätigkeit nachgeht und über ein regelmäßiges legales Einkommen verfügt.
Da somit die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nicht erfüllt sind, ist Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben. Dies bedingt auch die Behebung des darauf aufbauenden Spruchpunkts II. des angefochtenen Bescheids.
Da ein geklärter Sachverhalt vorliegt und der BF auch in der Beschwerde kein ergänzendes klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattete, kann eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben, zumal iSd § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0033). Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (VwGH 11.05.2017, Ra 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.