JudikaturBFG

RV/7100538/2022 – BFG Entscheidung

Entscheidung
01. August 2025

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Perlogis Mag. Franz Harrand Wirtschaftstreuhand GmbH Steuerberatungsgesellschaft, Bahnstraße 7, 2345 Brunn/Gebirge, über die Beschwerde vom 8. Juli 2021 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 8. Juni 2021 betreffend Haftungsbescheid / Sonstige 2021 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Für den Zeitraum 2012 bis 2014 wurde bei der Gesellschaft ***Firma***, ***FNr***, eine Außenprüfung gemäß § 147 BAO durchgeführt und daraus resultiert der Prüfungsbericht (inkl. Niederschrift) vom 29. August 2017. Im Rahmen des Außenprüfungsverfahrens wurden abgabenrechtlich relevante Sachverhalte in der Buchhaltung (ua fehlende Daten/Unterlagen, nicht abzugsfähige Vorsteuern/ Einzelwertberichtigungen/Ausgaben, ungeklärte Teilwertabschreibungen) festgestellt.

Am ***Datum 1*** wurde über das Vermögen der ***Firma*** (Primärschuldnerin) ein Konkursverfahren beim Handelsgericht Wien unter der ***Aktenzahl*** eröffnet. Am ***Datum 2*** wurde der Konkurs nach Schlussverteilung aufgehoben (Rechtskraft des Beschlusses am ***Datum 3***).

Mit Schreiben vom 18. Februar 2021 wurde der Bf. von der belangten Behörde über eine mögliche Haftungsinanspruchnahme in Kenntnis gesetzt und er wurde aufgefordert zu beweisen, dass er ohne sein Verschulden gehindert war, für die Entrichtung der Abgaben zu sorgen. Eine Beantwortung des Vorhalts ist nicht erfolgt.

Mit Haftungsbescheid vom 8. Juni 2021 wurde der Bf. als ehemaliger Geschäftsführer für die aushaftende Abgabenschuld der ***Firma*** (Primärschuldnerin) in Höhe von Euro 279.392,24 in Anspruch genommen. Mittels zusätzlicher Bescheidbegründung wurden am 21. Juni 2021 die im Haftungsbescheid angeführten haftungsrelevanten Bescheide übermittelt. In der Begründung hielt die Abgabenbehörde ua fest, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Sache des Geschäftsführers sei, die Gründe darzulegen, die ihn ohne sein Verschulden daran gehindert haben, die ihm obliegende abgabenrechtliche Verpflichtung zu erfüllen, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung gemäß § 9 Abs 1 BAO angenommen werde.

Dagegen erhob der Bf. mit Eingabe vom 8. Juli 2021 Beschwerde und brachte vor, dass es infolge fehlender liquider Mittel der Primärschuldnerin zu keiner Zeit möglich gewesen wäre, Verbindlichkeiten der GmbH zu tilgen. Es läge somit ein Grund vor, welcher den Beschwerdeführer als Geschäftsführer ohne sein Verschulden daran gehindert hätte, die ihm obliegende abgabenrechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. Eine Gläubigerbevorzugung zum Schaden der Abgabenbehörde sei somit ausgeschlossen, da keinerlei Zahlungen an andere Gläubiger geleistet worden seien. Somit könne dem Geschäftsführer keine schuldhafte Pflichtverletzung gegenüber der Abgabenbehörde vorgeworfen werden. Zusätzlich läge ein Begründungsmangel vor, da in den Bescheidbegründungen auf Feststellungen bzw Niederschriften der Betriebsprüfungen verwiesen wurden, welche bis dahin nicht beigelegt worden wären. Zudem wurde festgehalten, dass hinsichtlich der Haftungsinanspruchnahme betreffend Umsatzsteuer 2013 und 2014, sowie Körperschaftsteuer 2013 und 2014 Einhebungsverjährung eingetreten sei.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 24. September 2021 wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. Begründend wurde ausgeführt, dass die nach aliquoter Gegenverrechnung der ausgeschütteten Verteilungsquote mit den aushaftenden Konkursforderungen verbleibenden Abgabenschuldigkeiten bei der Primärschuldnerin uneinbringlich geworden seien, weshalb der Tatbestand der Ausfallshaftung gemäß § 9 BAO gegeben sei.

Am 21. Oktober 2021 wurde ein Antrag auf Vorlage der Beschwerde und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Bundesfinanzgericht gestellt.

Mit Vorlagebericht vom 22. Februar 2022 erfolgte die Vorlage der Beschwerde samt Verwaltungsakt an das Bundesfinanzgericht.

Das gegenständliche Beschwerdeverfahren wurde, mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses, vom 29. Jänner 2024, im Zuge einer Altaktenumverteilung dem erkennenden Richter zur Erledigung übertragen.

Mit Vorhalt vom 5. Februar 2025 ersuchte das Bundesfinanzgericht den Bf., einen Gleichbehandlungsnachweis nachzureichen. Mit Schreiben vom 19. März 2025 antwortete der Bf. wie folgt: "Ich habe seinerzeit kein operatives Geschäft geführt, da keine finanziellen Mittel zur Verfügung standen. Ich habe keine Zahlungen geleistet, also alle gleich behandelt. Irgend andere Beweise einer Gleichbehandlung habe ich nicht, weil überhaupt nichts geschehen ist."

Mit Schreiben vom 25. März 2025 wurde der Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zurückgezogen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf. war ab 7. Dezember 2017 Geschäftsführer der ***Firma***, ***FNr***, (Primärschuldnerin).

Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom ***Datum-Konkurseröffnung*** wurde über die Primärschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom ***Datum Schlussverteilung*** wurde der Konkurs nach Schlussverteilung aufgeboben. Am ***Datum 4*** wurde die Firma gemäß § 40 Firmenbuchgesetz (FBG) aus dem Firmenbuch gelöscht.

Mit Haftungsbescheid vom 8. Juni 2021 wurde der Bf. als ehemaliger Geschäftsführer für die aushaftende Abgabenschuld der Primärschuldnerin in Höhe von Euro 279.392,24 in Anspruch genommen. Die ausgeschüttete Verteilungsquote von ***Quote*** wurde von der belangten Behörde aliquot mit den aushaftenden Konkursforderungen gegenverrechnet und somit beim Haftungsbescheid bereits mitberücksichtigt:

AbgabenartZeitraumBetrag in EuroBescheid vom
Umsatzsteuer2013172.853,4314.11.2017
Umsatzsteuer20143.651,4214.11.2017
Umsatzsteuer20158.338,8817.10.2018
Umsatzsteuer201715.683,9614.08.2019
Körperschaftsteuer20143.228,4914.11.2017
Körperschaftsteuer201529.215,1708.04.2019
Körperschaftsteuer20168.911,5508.08.2019
Körperschaftsteuer201729.904,2114.08.2019
Anspruchszinsen2014102,7614.11.2017
Anspruchszinsen20151.021,3608.04.2019
Anspruchszinsen2016229,2608.08.2019
Anspruchszinsen2017362,5014.08.2019
Säumniszuschlag 120143.823,6011.12.2017
Säumniszuschlag 12016166,7810.12.2018
Säumniszuschlag 1201764,5709.01.2018
Säumniszuschlag 220141.734,4409.04.2018
Säumniszuschlag 2201599,8609.04.2018
SUMME279.392,24

Der Bf. erbrachte keinen Nachweis über die gleichmäßige Verteilung der liquiden Mittel an die Gläubiger der Primärschuldnerin. Eine Feststellung über die Gleichbehandlung aller Gläubiger in Bezug auf die Verteilung der liquiden Mittel konnte nicht getroffen werden.

2. Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes, Abfragen aus dem Firmenbuch, Datenbankabfragen (Abgabenkonto der Primärschuldnerin) sowie ergänzende Ermittlungen durch das Bundesfinanzgericht.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Die Haftungsbestimmung des § 9 Abs 1 BAO lautet wie folgt:

"Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können."

Damit eine Person nach diesen Bestimmungen zur Haftung für eine fremde Abgabenschuld herangezogen werden kann, müssen daher die folgenden Tatbestandsmerkmale erfüllt sein:

1. Persönlicher Anwendungsbereich - Vertreter iSd §§ 80ff BAO

2. Bestehen einer Abgabenschuld

3. Uneinbringlichkeit der Abgabe

4. Schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher oder sonstiger Pflichten durch den Vertreter

5. Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit der Abgabe

3.1.1. Persönlicher Anwendungsbereich - Vertreter iSd §§ 80ff BAO

Wie im Sachverhaltsteil festgestellt war der Beschwerdeführer unstrittig Geschäftsführer der Primärschuldnerin im Zeitpunkt, in dem die in Haftung gezogenen Abgaben fällig waren, und gehört damit zu dem in § 80 Abs 1 BAO angeführten Personenkreis. Er kann daher gemäß § 9 BAO grundsätzlich zur Haftung für ausständige Abgabenrückstände herangezogen werden.

3.1.2. Bestehen einer Abgabenschuld

Das Bestehen des Abgabenanspruchs ist zwischen den Parteien unstrittig und ergibt sich auch klar aus dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin.

Daher geht das Bundesfinanzgericht davon aus, dass die Abgabenschuld gegenüber der Primärschuldnerin bestanden hat.

3.1.3. Uneinbringlichkeit der Abgaben

Ein Geschäftsführer kann gem § 9 BAO nur zur Haftung herangezogen werden, wenn die Abgabe bei der Primärschuldnerin im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme uneinbringlich ist.

Im gegenständlichen Fall steht die Uneinbringlichkeit fest, da mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom ***Datum Schlussverteilung*** der, über das Vermögen der Primärschuldnerin, am ***Datum-Konkurseröffnung*** eröffnete Konkurs nach Schlussverteilung aufgehoben wurde. Der Haftungsbescheid wurde am 8. Juni 2021 erlassen.

3.1.4. Schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher oder sonstigen Pflichten durch den Vertreter

Allgemeine Rechtslage/erhöhte Mitwirkungspflicht des Vertreters

Gem § 80 Abs 1 BAO haben die Vertreter von juristischen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Die vorgeschriebenen und schlussendlich im Haftungsbescheid genannten Abgaben sind nicht zum Fälligkeitszeitpunkt entrichtet worden.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH besteht bei der Frage, ob der Vertreter schuldhaft eine Abgabenpflicht verletzt hat, eine qualifizierte Mitwirkungspflicht des Vertreters. Der Vertreter hat dabei darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten nicht möglich war. Andernfalls kann eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden (vgl zB 18.3.2013, 2011/16/0184; 19.3.2015, 2013/16/0166; 22.4.2015, 2013/16/0208; 19.5.2015, 2013/16/0016). In diesem Zusammenhang muss der Vertreter allerdings keinen negativen Beweis dafür vorbringen, dass keine schuldhafte Pflichtverletzung vorliegt, sondern lediglich eine konkrete, schlüssige Darstellung der Gründe, die einer rechtzeitigen Abgabenentrichtung im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben entgegengestanden sind (vgl zB 4.4.1990, 89/13/0212; 27.10.2008, 2005/17/0259).

Die Haftung kann in diesem Zusammenhang insbesondere dann begrenzt werden, wenn der Haftungspflichtige nachweist, dass ihm im Haftungszeitraum nicht ausreichend liquide Mittel zur Verfügung gestanden sind und er den Abgabengläubiger nicht schlechter behandelt hat (sogenannter Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung).

Nachweis der Gläubigergleichbehandlung

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann die fehlende Benachteiligung des Abgabengläubigers nur dann nachgewiesen werden, wenn die liquiden Mittel im Haftungszeitraum zu keiner Zeit ausreichten, um sämtliche fällige Verbindlichkeiten zu tilgen. Im Abgabenrecht gilt der Grundsatz der vollständigen Mittelausschüttung. Der Vertreter handelt schuldhaft, wenn die Primärschuldnerin über Mittel verfügt hätte, um sämtliche fällige Verbindlichkeiten zu bedienen und die Abgaben dennoch nicht vollständig bezahlt wurden. Reichen diese Mittel nicht aus, kann allerdings ein Gleichbehandlungsnachweis angetreten werden (vgl eine übersichtliche Darstellung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Lachmayer, Einzelfragen zur Haftung gem § 9 BAO, RdW 2023, 682ff).

Erbringt der Vertreter den Nachweis, dass der Abgabengläubiger ebenso viel an vorhandenen Mitteln erhalten hat, wie andere Gläubiger, dann haftet er überhaupt nicht (vgl VwGH 22.9.1999, 96/15/0049). Dabei ist nachzuweisen, dass kein einziger Gläubiger dem Abgabengläubiger vorgezogen wurde (vgl VwGH 29.4.2010, 2008/15/0085; 14.12.2005; 2002/13/0196; 30.10.2001, 98/14/0082). Es ist daher nicht darzustellen, dass der Abgabengläubiger nicht weniger als der Durchschnitt der Gläubiger bekommen hat, sondern dass kein anderer Gläubiger mehr als der Abgabengläubiger erhalten hat. Wird also ein einziger Gläubiger (z.B. ausstehende Löhne, Lieferanten, Bankverbindlichkeiten, Zug-um-Zug-Geschäfte etc) voll bezahlt, liegt eine Schlechterstellung des Abgabegläubigers iSd Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor (vgl VwGH 23.3.2010, 2010/13/0042; 25.1.2006, 2001/14/0126; 19.4.2006, 2003/13/0111; 29.4.2010, 2008/15/0085; 7.9.1990,89/14/0132; 18.6.1993, 93/17/0051). In diesem Zusammenhang ist es nicht relevant, dass solche Zahlungen betriebsnotwendig waren (VwGH 28.9.2004, 2001/14/0176). Tilgt der Vertreter andere Verbindlichkeiten voll oder in einem höheren Ausmaß, dann ist der Abgabengläubiger im gleichen Ausmaß zu befriedigen.

Ein solcher Nachweis konnte vom Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht erbracht werden.

Nachweis einer fiktiven Gläubigergleichbehandlungsquote

Gelingt dem zur Haftung herangezogenen Vertreter der Nachweis nicht, dass er sämtliche Gläubiger im Zeitpunkt der Fälligkeit der in Haftung gezogenen Abgabenschuld tatsächlich gleichbehandelt hat (alle Gläubiger haben dieselbe Quote erhalten), besteht in einem zweiten Schritt die Möglichkeit eine fiktive Quote nachzuweisen, die der Abgabengläubiger erhalten hätte, wenn sämtliche Gläubiger aus den vorhandenen Mitteln gleich befriedigt worden wären. Im Rahmen der Haftung des § 9 BAO haftet der Vertreter nämlich nicht für die volle Abgabenschuld der Primärschuldnerin, sondern nur in jenem Ausmaß in dem der Abgabengläubiger ungleich behandelt wurde (vgl zB VwGH 16.12.2009, 2009/15/0127).

Bei der Berechnung der Quote obliegt dem Vertreter eine qualifizierte Mitwirkungspflicht. Er hat die fiktive Gleichbehandlungsquote zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu berechnen und diese entsprechend nachzuweisen.

Beim Nachweis der fiktiven Quote spielen die Zahlungen an andere Gläubiger keine Rolle. Die fiktive Gleichbehandlungsquote betrachtet nur, wie viel an Abgabenschulden getilgt worden wären, wenn der Vertreter die vorhandenen Mittel gleichmäßig auf alle Verbindlichkeiten verteilt hätte. Diese Quote ist dann der Quote der tatsächlich bezahlten Abgabenschulden gegenüberzustellen. Für den Differenzbetrag haftet der Vertreter (vgl Lachmayer, Einzelfragen zur Haftung gem § 9 BAO, RdW 2023, 683).

Bei der Berechnung der Quote hat der Vertreter für den Gleichbehandlungsnachweis, zum jeweiligen Fälligkeitstag der Abgaben die fälligen Verbindlichkeiten und liquiden Mitteln gegenüberzustellen (vgl zB VwGH 24.1.2017, Ra 2015/16/0078). Mit anderen Worten sind daher der Betrag der liquiden Mitteln durch den Betrag der fälligen Verbindlichkeiten zu dividieren. Bei dieser Betrachtung wären gegebenenfalls auch später eingehenden liquide Mittel zu berücksichtigen (vgl VwGH 28.6.2022, Ra 2020/13/0067), wobei die Quote, die sich aus den liquiden Mitteln zum jeweiligen Fälligkeitstag ergibt, die Untergrenze für die Haftung darstellt. Später eingehende liquide Mittel können den Haftungsbetrag nur erhöhen.

Gelingt dem Vertreter der Nachweis einer entsprechenden Quote, haftet er lediglich im Ausmaß der Quote. Wird keine Quote nachgewiesen haftet der Vertreter für die vollen Abgabenrückstände (vgl Lachmayer, Einzelfragen zur Haftung gem § 9 BAO, RdW 2023, 683).

Im vorliegenden Fall konnte vom Beschwerdeführer kein Nachweis einer fiktiven Gläubigergleichbehandlungsquote erbracht werden.

3.1.5. Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit der Abgabe

Die Haftungsinanspruchnahme setzt eine Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem Abgabenausfall voraus.

Wie im Vorpunkt dargestellt, geht das Bundesfinanzgericht auf Basis der Aktenlagen und mangels anderer Vorbringen des Beschwerdeführers davon aus, dass er seine abgabenrechtlichen Pflichten als Geschäftsführer für Abgaben schuldhaft verletzt hat. Nach der Judikatur des VwGH spricht bei schuldhafter Pflichtverletzung die Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgabe. (vgl zB 28.2.2014, 2012/16/0001; 19.5.2015, 2013/16/0016; 27.5.2020, Ra 2020/13/0027). Da der Beschwerdeführer auch in diesem Zusammenhang keine gegenteiligen Nachweise vorlegen konnte, geht das Bundesfinanzgericht der ständigen Rechtsprechung des VwGH folgend von einer Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Beschwerdeführers und der Uneinbringlichkeit der Abgabe aus.

Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass alle Tatbestandsmerkmale der anwendbaren Haftungsbestimmung im vorliegenden Fall erfüllt sind.

3.1.6. Ermessen

Wenn alle Tatbestandsmerkmale für eine Haftung erfüllt sind, liegt die Inanspruchnahme eines zur Haftung Verpflichteten schlussendliche im Ermessen der Abgabenbehörde. Die Ermessensentscheidung der Abgabenbehörde hat sich gem § 20 BAO innerhalb der Grenzen zu halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen (vgl VwGH 23.1.1989, 87/15/0136; 10.11.1993, 91/13/0181; 16.10.2002, 99/13/0060).

Vom Bf. wurden keine Gründe vorgebracht, die bei der Abwägung von Zweckmäßigkeit und Billigkeit eine andere Einschätzung bewirken hätten können.

3.1.7. Einwendungen des Beschwerdeführers

In der Beschwerde wurde eingewendet, dass für die Umsatzsteuerbescheide 2013 und 2014 sowie die Körperschaftsteuerbescheide 2013 und 2014 bereits Einhebungsverjährung eingetreten sei. Die Einhebungsverjährung befristet das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben (zB diesbezügliche Verrechnung von Zahlungen, Haftungsinanspruchnahmen) und zwangsweise einzubringen. Die Verjährungsfrist beträgt grundsätzlich 5 Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist. Sie endet keinesfalls früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe.

Die Einhebungsverjährungsfrist wird durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen. Nach Ablauf des Jahres, in dem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.

Nach der Judikatur genügt es für die Unterbrechungswirkung einer Amtshandlung, dass sie nach außen in Erscheinung tritt und erkennbar den Zweck verfolgt, den Anspruch gegen einen bestimmten Abgabenschuldner durchzusetzen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Amtshandlung zur Erreichung des angestrebten Erfolges konkret geeignet ist und ob der Abgabenschuldner von der Amtshandlung Kenntnis erlangte (VwGH 26.2.2003, 2002/13/0223; 29.3.2007, 2005/16/0095; 18.12.2013, 2010/13/0153).

Im vorliegenden Fall wurden entsprechende Unterbrechungshandlungen u.a. im Rahmen der Betriebsprüfung gesetzt, außerdem wurden seit dem Ergehen des ersten Rückstandsausweises vom 18. September 2018 weitere nach außen erkennbare Handlungen gesetzt (Forderungsanmeldungen im Insolvenzverfahren am 18. September 2018 und 23. April 2020, Haftungsvorhalt am 18. Februar 2021, Haftungsbescheid vom 8. Juni 2021). Eine Einhebungsverjährung ist daher nicht eingetreten.

Auf Grund des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 BAO erfolgte die Inanspruchnahme des Bf. als Haftungspflichtiger für die Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin zu Recht. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht folgt der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, weshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt und die ordentliche Revision nicht zuzulassen war.

Wien, am 1. August 2025