JudikaturBFG

RV/3100377/2025 – BFG Entscheidung

Entscheidung
Steuerrecht
26. Juni 2025

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter Mag. David Hell LL.B. LL.M. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom 12. Oktober 2023 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 3. Oktober 2023 betreffend Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2022, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2022 vom 3. Oktober 2023 wird ersatzlos aufgehoben.Dadurch tritt der Erstbescheid vom 23. Februar 2023 wieder in Kraft.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

1. Verfahrensgang / Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf.) hat am 22.2.2023 über FinanzOnline ihre Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2022 abgegeben, wobei sie als "Anzahl bezugsauszahlende Stellen" zwei angegeben hatte. Mit Bescheid vom 23.2.2023 erfolgte eine erklärungsgemäße Veranlagung, wobei zwei Lohnzettel (von der ***Arbeitgeberin1*** und von ***Arbeitgeber2***) berücksichtigt wurden.

Am 8.3.2023 erhielt das Finanzamt Österreich einen weiteren Lohnzettel von der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB), welcher steuerpflichtige Bezüge in Höhe von 9.619,93 € und den Bezug einer "außerordentlichen Einmalzahlung" auswies.

Mit zwei getrennten Bescheiden vom 3.10.2023 nahm das Finanzamt Österreich zunächst das Verfahren betreffend Einkommensteuer 2022 der Beschwerdeführerin (Bf.) wieder auf, wobei das Finanzamt begründend Folgendes ausführte:

"Das Verfahren war gemäß § 303 (1) BAO wiederaufzunehmen, weil eine berichtigte oder eine neue Mitteilung über die Auszahlung des Anti-Teuerungsbonus übermittelt wurde und sich dadurch eine Änderung bei Berechnung der Einkommensteuer ergeben hat."

Gleichzeitig erließ das Finanzamt Österreich einen neuen Einkommensteuerbescheid für 2022, in welchem es begründend Folgendes ausführte:

"Auslösende Meldung: Antiteuerungsbonus

Wir haben nachträgliche Informationen zum Anti-Teuerungsbonus erhalten. Wir haben daher, den Anti-Teuerungsbonus entsprechend berücksichtigt."

Gegen den Wiederaufnahmebescheid - und nicht den neuen Einkommensteuerbescheid - erhob die Bf. mit Schreiben vom 5.10.2023, bei der belangten Behörde am 12.10.2023 eingelangt, rechtzeitig Beschwerde. Darin führte sie begründend zusammengefasst aus, sie könne nicht nachvollziehen, auf welcher Grundlage dieser Bescheid erlassen worden sei; sie habe darauf vertraut, dass der Erstbescheid korrekt und verbindlich sei.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 7.11.2023 wies das Finanzamt die Beschwerde ab, wobei es begründend zusammengefasst ausführte, die Wiederaufnahme sei erfolgt, weil ein nachträglich übermittelter Lohnzettel zu berücksichtigen sei und die Bf. den Anti-Teuerungsbonus "bereits erhalten" habe.

Am 13.11.2023 brachte die Bf. über FinanzOnline dagegen rechtzeitig einen Vorlageantrag ein, in welchem sie begründend zusammengefasst ausführte, sie könne die Ablehnung ihrer Beschwerde nicht nachvollziehen.

(Erst) am 25.6.2025 legte das Finanzamt die Beschwerde samt Akt und Vorlagebericht dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Weitere Verfahrensschritte wurden in der Zwischenzeit offenbar nicht gesetzt. Im Vorlagebericht führte das Finanzamt (erstmals) begründend Folgendes aus: Steuerpflichtigen mit geringem Einkommen und Anspruch auf den Verkehrsabsetzbetrag oder Pensionistenabsetzbetrag stehe gemäß § 124b Z 407 EStG 1988 einmalig für das Kalenderjahr 2022 ein Teuerungsabsetzbetrag in Höhe von bis zu 500 Euro zu. Davon ausgeschlossen seien Pensionsbezieher, die eine außerordentliche Einmalzahlung gemäß § 772a ASVG, § 400a GSVG, § 394a BSVG, § 95h PG 1965 oder § 60 Abs. 19 BB-PG erhalten haben. Ob eine außerordentliche Einmalzahlung ausbezahlt wurde, sei am Lohnzettel des Pensionsbeziehers anzugeben. Laut dem nachträglich übermittelten Lohnzettel der BVAEB habe die Bf. eine außerordentliche Einmalzahlung erhalten, weshalb der Teuerungsabsetzbetrag nicht zustehe.

2. Beweiswürdigung

Der oben dargestellte Verfahrensgang ergibt sich unmittelbar aus den angeführten Schriftstücken der Bf. und der belangten Behörde, weshalb ihn das Gericht ohne Bedenken als Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde legen konnte.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Die streitgegenständliche Beschwerde der Bf. richtet sich nach ihrem Wortlaut eindeutig nur gegen den Wiederaufnahme- und nicht (auch) gegen den neuen Sachbescheid. Auch aus dem restlichen Inhalt der Beschwerde kann nach Ansicht des Gerichtes nicht geschlossen werden, dass sie sich (auch) gegen den neuen Sachbescheid richtet.

Gemäß § 303 Abs. 1 BAO kann ein abgeschlossenes Verfahren wiederaufgenommen werden, "wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oderb) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oderc) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte."

Im vorliegenden Fall ist gerade noch erkennbar, dass sich die amtswegige Wiederaufnahme auf neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel und somit § 303 Abs. 1 lit. b BAO stützt.

Nach VwGH 29.6.2022, Ro 2021/15/0002, genügt es zur Begründung einer amtswegigen Wiederaufnahme, wenn aus einer Zusammenschau der Begründung der beiden zugleich erlassenen Bescheide (Wiederaufnahmebescheid und Sachbescheid) nachvollziehbar ist, worauf sich das Finanzamt stützt.

Dieser Anforderung werden die vorliegenden Bescheide jedoch nicht gerecht. Ohne die ergänzenden Ausführungen des Finanzamtes im Vorlagebericht vom 25.6.2025 bliebe völlig unverständlich, auf welche neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel sich das Finanzamt bei der Wiederaufnahme konkret gestützt hat. Insbesondere ist im angefochtenen Bescheid auch in Verbindung mit dem neuen Sachbescheid nicht erkennbar, dass konkret jener nunmehr im Vorlagebericht dargelegte Umstand neu hervorgekommen ist, dass die Bf. von der BVAEB eine außerordentliche Einmalzahlung erhalten hat und dieser Umstand zu einer Änderung des Einkommensteuerbescheides führe.

Die fehlende Angabe eines konkreten Wiederaufnahmegrundes und insbesondere auch der Angabe, welche Tatsachen oder Beweismittel konkret neu hervorgekommen sind, ist im Beschwerdeverfahren nicht sanierbar. Die ergänzenden Ausführungen der belangten Behörde in der Beschwerdevorentscheidung und im Vorlagebericht sind somit für das Gericht nicht beachtlich, da das Gericht nicht berechtigt ist, konkrete Tatsachen oder Beweismittel als Wiederaufnahmegründe "nachzuschieben" (vgl. VwGH 16.11.2006, 2006/14/0014).

Mit der in den Bescheiden gewählten Bezeichnung "Anti-Teuerungsbonus" hat sich die belangte Behörde ferner derart in der Bezeichnung des Wiederaufnahmegrundes vergriffen, dass sie effektiv einen überhaupt nicht existierenden Wiederaufnahmegrund angegeben hat:

Der Anti-Teuerungsbonus war nämlich ein Zuschlag zum regionalen Klimabonus für das Jahr 2022 gemäß § 8 KliBG, der grundsätzlich steuerfrei war (§ 8 Abs. 3 KliBG), aber bei Einkommen über 90.000 € steuerpflichtig wurde (§ 8 Abs. 4 KliBG). Die Bf. hatte im Jahr 2022 unstrittig ein Einkommen (weit) unter 90.000 €, sodass jeglichen Mitteilungen bzw. Informationen zum Anti-Teuerungsbonus von vornherein die Eignung fehlt, einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeizuführen. Wenn die belangte Behörde nun im Vorlagebericht ausführt, dass die Wiederaufnahme nicht im Zusammenhang mit diesem Anti-Teuerungsbonus, sondern mit dem Teuerungsabsetzbetrag gemäß § 124b Z 407 EStG 1988 steht, räumt sie damit auch selbst ein, dass der von ihr ursprünglich herangezogene Wiederaufnahmegrund nicht einschlägig ist.

Der Wiederaufnahmebescheid war daher ersatzlos aufzuheben. Gemäß § 307 Abs. 3 BAO tritt dadurch das Einkommensteuerverfahren 2022 in die Lage zurück, in der es sich vor der Wiederaufnahme befunden hat; dies bedeutet, dass der neue Sachbescheid vom 3.10.2023 aus dem Rechtsbestand ausscheidet und der Erstbescheid vom 23.2.2023 wieder in Kraft tritt.

Die Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides durch das Bundesfinanzgericht steht allerdings bei Vorliegen eines geeigneten Grundes und ordnungsgemäßer Begründung einer neuerlichen Wiederaufnahme durch das Finanzamt oder der Anwendung anderer rechtskraftdurchbrechender Maßnahmen gemäß § 293 ff BAO nicht entgegen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da das vorliegende Erkenntnis der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt, war die Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht zuzulassen.

Innsbruck, am 26. Juni 2025