Vorwort
Artikel 1
Art. 1
Im Sinne dieses Abkommens bedeutet:
a) „kerntechnische Anlage“ einen Kernreaktor, eine Anlage zur Behandlung, Verarbeitung oder Lagerung von frischen oder abgebrannten Kernbrennelementen, weiters eine Anlage zur Zwischen- oder Endlagerung von radioaktivem Abfall;
b) „Notfall“ einen Unfall in einer kerntechnischen Anlage auf dem Gebiet einer der Vertragsparteien, in dessen Folge strahlendes Material betriebswidrig in die Umwelt ausgetreten ist, beziehungsweise mit großer Wahrscheinlichkeit austreten könnte, oder einen sonstigen Notfall im Zusammenhang mit dem Austritt von radioaktivem Material in die Umwelt, unabhängig davon, ob das auslösende Ereignis auf dem Gebiet einer Vertragspartei eingetreten ist, jeweils unter der Voraussetzung, daß eine Gefährdung der Bevölkerung des anderen Nachbarstaates in der Folge dieses Ereignisses nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann.
Artikel 2
Art. 2
Die Vertragsparteien melden einander unverzüglich im direkten Wege jeden Notfall und wenden hierbei die Bestimmungen des im Rahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation ausgearbeiteten Übereinkommens über die frühe Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen an, wobei insbesondere folgende Angaben, soweit die benachrichtigende Vertragspartei darüber verfügt, zu übermitteln sind:
a) der Zeitpunkt, gegebenenfalls der genaue Ort und die Art des Notfalls;
b) die betroffene Anlage oder Tätigkeit;
c) die vermutete oder festgestellte Ursache und die vorhersehbare Entwicklung des Notfalls in bezug auf die grenzüberscheitende Freisetzung radioaktiver Stoffe;
d) die allgemeinen Merkmale der radioaktiven Freisetzung, einschließlich – soweit durchführbar und angemessen – der Art, der wahrscheinlichen physikalischen und chemischen Form und der Menge, Zusammensetzung und effektiven Höhe der radioaktiven Freisetzung;
e) Informationen über die derzeitigen und vorhergesagten meteorologischen und hydrologischen Bedingungen, die zur Vorhersage der grenzüberschreitenden Freisetzung der radioaktiven Stoffe erforderlich sind;
f) die Ergebnisse der Umweltüberwachung in bezug auf die grenzüberschreitende Freisetzung der radioaktiven Stoffe;
g) die ergriffenen oder geplanten Schutzmaßnahmen außerhalb der betroffenen Anlage;
h) die Vorhersage über das Verhalten der radioaktiven Freisetzung im weiteren Verlauf.
Artikel 3
Art. 3
Die genauen Modalitäten für die Meldungen und die Übermittlung von Informationen im Sinne von Artikel 2 werden von den Vertragsparteien in der Gemischten Kommission (Artikel 12) festgelegt. Das Übermittlungssystem für solche Meldungen und Informationen wird mindestens einmal jährlich getestet.
Artikel 4
Art. 4
Jede Vertragspartei gibt der anderen auf diplomatischem Wege die für die Entgegennahme von Meldungen und Informationen im Sinne von Artikel 2 zuständige Kontaktstelle bekannt. Die Kontaktstelle entspricht der für die Durchführung von Artikel 2 des im Rahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation ausgearbeiteten Übereinkommens über die frühe Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen im bilateralen Verhältnis zwischen den Vertragsparteien zuständigen Stelle.
Artikel 5
Art. 5
Sofern eine der Vertragsparteien eine im Zusammenhang mit einem Notfall benötigte Information nur von Dritten beschaffen kann, leistet ihr die andere Vertragspartei im Rahmen ihrer Möglichkeiten Unterstützung durch Weiterleitung aller diesbezüglichen Anfragen und deren Beantwortung.
Artikel 6
Art. 6
Für den Fall von Ereignissen, die zwar nicht einen Notfall im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b darstellen, aber geeignet sind, Besorgnis in der Bevölkerung einer Vertragspartei oder der Vertragsparteien auszulösen, geben die Vertragsparteien Informationen im Sinne von Artikel 2.
Artikel 7
Art. 7
Sofern nach der Ansicht einer Vertragspartei ein Notfall dies erforderlich macht, werden unverzüglich von den Leitern der Delegationen in der Gemischten Kommission (Artikel 12) Konsultationen veranlaßt, um soweit erforderlich eine Abstimmung der von den beiden Vertragsparteien ergriffenen Maßnahmen durchzuführen.
Artikel 8
Art. 8
Die Vertragsparteien unterstützen einander bei Notfällen gemäß den Bestimmungen des im Rahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation ausgearbeiteten Übereinkommens über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder strahlungsbedingten Notfällen. Sie geben einander die für die Kontakte gemäß Artikel 4 Absatz 1 dieses Übereinkommens zuständigen Behörden und Kontaktstellen auf diplomatischem Wege bekannt. Darüber hinaus nehmen die Vertragsparteien die Vereinbarung gemeinsamer Maßnahmen zum Schutze des Lebens, der Gesundheit und der materiellen Güter ihrer Bevölkerung bei Notfällen sowie über konkrete Formen der gegenseitigen Hilfeleistung in Aussicht, deren Ausarbeitung der Gemischten Kommission (Artikel 12) übertragen wird.
Artikel 9
Art. 9
Die Vertragsparteien informieren einander regelmäßig:
a) über die Entwicklung ihrer kerntechnischen Programme, insbesondere vom Gesichtspunkt des Strahlenschutzes;
b) über ihre Rechtsvorschriften für kerntechnische Anlagen auf dem Gebiet der kerntechnischen Sicherheit, des Strahlenschutzes und des Umweltschutzes;
c) über das an bestimmten Punkten des Landes und insbesondere im Umkreis der in Artikel 10 Absatz 1 genannten Anlagen bestehende Netz von Meßstationen zur Ermittlung der Stahlenbelastung der Umwelt (Luft und Aerosole, Grund- und Oberflächengewässer, Boden, wichtige Komponenten der Ernährungskette);
d) über von diesem Netz gesammelte Meßdaten;
e) über den Stand sonstiger Angelegenheiten, die in diesem Abkommen geregelt sind.
Die in Buchstabe d genannten Meßdaten sollen der anderen Vertragspartei die Möglichkeit bieten, daraus Schlüsse über eine allfällige Strahlenbelastung ihres Gebietes zu ziehen. Wenn bei den Meßdaten bedeutsame Änderungen auftreten, wird die andere Vertragspartei hiervon gesondert benachrichtigt. Eine solche Benachrichtigung ersetzt nicht die allenfalls erforderliche Meldung eines Notfalls gemäß Artikel 2.
Artikel 10
Art. 10
1. Bei Kernkraftwerken, Anlagen für die Lagerung, Wiederaufbereitung oder Entsorgung abgebrannter Kernbrennstoffe und kerntechnischen Anlagen an zum Gebiet der anderen Vertragspartei fließenden Gewässern wird nach dem Grundsatzbeschluß betreffend die Errichtung und mindestens zwei Jahre vor der geplanten Inbetriebnahme die andere Vertragspartei über die wesentlichen technischen Eigenschaften der Anlage informiert, und zwar unter besonderer Berücksichtigung jener Eigenschaften, die die Beurteilung der von ihr zu erwartenden Strahlenbelastung der Umwelt beeinflussen; darüber hinaus wird die andere Vertragspartei über das der Anlage zugeordnete System für Umweltschutz-Messungen informiert. Für die in diesem Artikel genannten Anlagen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des vorliegenden Abkommens in Betrieb sind, werden diese Angaben rückwirkend übermittelt.
2. Die andere Vertragspartei kann jener Vertragspartei, auf deren Gebiet eine solche Anlage geplant oder in Bau ist, ihre vom eigenen Standpunkt für wesentlich erachteten Bemerkungen und Kommentare bezüglich einer solchen Anlage übermitteln. Diese Bemerkungen und Kommentare werden von der zuletzt genannten Vertragspartei an ihre zuständigen Behörden zur Erwägung weitergeleitet.
Artikel 11
Art. 11
Auf Ersuchen einer Vertragspartei, auf deren Gebiet eine der in Artikel 10 Absatz 1 genannten Anlagen geplant, in Bau oder in Betrieb ist, unterstützt die andere Vertragspartei die Beurteilung dieser Anlage insbesondere vom Gesichtspunkt der zu erwartenden Strahlenbelastung der Bevölkerung und der Umwelt durch die Beschaffung und Zurverfügungstellung allenfalls erforderlicher eigener Angaben.
Artikel 12
Art. 12
1. Zur Durchführung dieses Übereinkommens wird eine Gemischte Kommission gebildet, die nach gegenseitiger Übereinkunft, aber mindestens alle zwei Jahre zusammentritt.
2. Die Kommission prüft und berät die die Vertragsparteien interessierenden Fragen im Zusammenhang mit kerntechnischen Anlagen. Sie ist insbesondere zuständig für die Übermittlung von Informationen gemäß Artikel 9, Artikel 10 Absatz 1 und Artikel 11 sowie von Kommentaren und Bemerkungen gemäß Artikel 10 Absatz 2.
3. Die Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Leiter der beiden Delegationen in der Kommission verkehren unmittelbar miteinander. Ort und Termin der Tagungen der Kommission werden von ihnen einvernehmlich festgelegt. Die Benachrichtigung über bedeutsame Änderungen bei Meßdaten (Artikel 9) erfolgt im unmittelbaren Verkehr der Leiter der beiden Delegationen.
Artikel 13
Art. 13
Auf Grund dieses Abkommens übermittelte Informationen sind vom Empfänger gemäß Artikel 5 Absatz 3 des im Rahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation ausgearbeiteten Übereinkommens über die frühe Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen zu behandeln.
Artikel 14
Art. 14
Eine Erstattung der Kosten für im Rahmen dieses Abkommens übermittelte Informationen wird nicht verlangt.
Artikel 15
Art. 15
Die im Rahmen dieses Abkommens übermittelten Informationen sind üblicherweise in der offiziellen Sprache der übermittelnden Seite abgefaßt. Die Vertragsparteien können sich auch fallweise auf die Benützung von Drittsprachen einigen. Bei der Übermittlung von Meldungen und Informationen gemäß Artikel 2 berücksichtigen die Vertragsparteien in ihrer Entscheidung über den Sprachgebrauch die Anforderungen der möglichst schnellen Übermittlung und Nutzbarkeit sowie der Vermeidung von Fehldeutungen.
Artikel 16
Art. 16
Dieses Abkommen tritt am ersten Tage des dritten Monats in Kraft, der dem Monat folgt, in dem die Vertragsparteien einander die Erfüllung der innerstaatlichen Voraussetzungen für sein Inkrafttreten schriftlich auf diplomatischem Wege mitgeteilt haben. Es kann von beiden Seiten schriftlich auf diplomatischem Wege aufgekündigt werden, wobei die Kündigung ein Jahr nach ihrem Erhalt durch die andere Vertragspartei wirksam wird.
Geschehen in zwei Exemplaren, in deutscher und ungarischer Sprache, wobei beide Texte gleichermaßen authentisch sind.
Wien, am 29. April 1987