Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des A K, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Jänner 2025, W220 2284086 1/7E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 9. Oktober 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er im Wesentlichen vor, dass er sich als Mitglied eines Jugendvereins im Anschluss an die Machtübernahme der Taliban dem bewaffneten Widerstand angeschlossen habe. Außerdem sei sein Vater Vorsteher des Distriktes Paryan gewesen.
2 Mit Bescheid vom 5. Dezember 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte soweit für das Revisionsverfahren relevant fest, der Revisionswerber stamme aus einem näher genannten Dorf in der Provinz Panjsher, wo er aufgewachsen sei und sich bis zu seiner Ausreise aufgehalten habe. Der Revisionswerber habe in Afghanistan zwölf Jahre lang die Schule besucht und diese abgeschlossen. Anschließend habe er in verschiedenen Provinzen Literatur studiert, wobei er das Studium 2017 erfolgreich abgeschlossen habe.
5 Dem Revisionswerber drohe in Afghanistan keine Verfolgung bzw. Bedrohung durch die Taliban. Es drohten ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konkrete und individuelle physische und/oder psychische Eingriffe erheblicher Intensität in seine persönliche Sphäre aufgrund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeit; eine solche Gefährdung sei von ihm auch nicht glaubhaft gemacht worden.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es den Beweisantrag zur Einvernahme des Cousins des Revisionswerbers übergangen und sich mit dem Inhalt des Schreibens des Cousins nicht auseinandergesetzt habe. Außerdem rügt die Revision Begründungsmängel im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Revisionswerbers in einer Jugendorganisation, einem Lichtbild, der vormaligen Tätigkeit des Vaters des Revisionswerbers und einer bestimmten Bedrohungssituation. Das Bundesverwaltungsgericht habe außerdem das Vorbringen des Revisionswerbers, dass dessen Vater „nach der Machtübernahme durch die Taliban 1990“ seine Tätigkeit in der Militärverwaltung „unter den Taliban“ weiter ausgeführt habe, aktenwidrig wiedergegeben.
8 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 22.5.2024, Ra 2022/19/0131; 8.3.2022, Ra 2021/19/0074; 13.2.2020, Ra 2019/19/0472, jeweils mwN).
10 Das Bundesverwaltungsgericht führte im Revisionsfall eine mündliche Verhandlung durch und befragte den Revisionswerber zu seinem Fluchtvorbringen. Der Revisionswerber brachte im Rahmen seiner Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen vor, dass er sich als Vorsitzender eines Jugendvereins in seinem Dorf gegen die Taliban eingesetzt habe. Auftritte des Revisionswerbers und anderer Personen im Rahmen der Vereinstätigkeit seien auf Video aufgezeichnet worden. Nach seiner Flucht seien die Taliban an Informationen und Beweismittel gelangt, welche die politischen Tätigkeiten des Revisionswerbers belegt hätten.
11 Der Revisionswerber legte innerhalb der vom Bundesverwaltungsgericht nach der mündlichen Verhandlung zur Äußerung eingeräumten Frist mit Stellungnahme vom 10. Dezember 2024 ein Schreiben seines in Deutschland aufenthaltsberechtigten Cousins vor und führte aus, dass in diesem Schreiben das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers im Hinblick auf seine Rolle in einem Jugendverein und seine Äußerungen gegen die Taliban bestätigt werde und dass der Cousin zum Beweis des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers als Zeuge einvernommen werden könne.
12 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich mit diesem Vorbringen des Revisionswerbers in dem angefochtenen Erkenntnis nur insoweit auseinander, als es eine Reflexverfolgung des Revisionswerbers aufgrund der Tätigkeit des Cousins des Revisionswerbers in Afghanistan verneinte. Die Revision legt zutreffend dar, dass dem angefochtenen Erkenntnis jedoch eine Auseinandersetzung mit dem vorgebrachten Inhalt des auf das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers als Vorsitzenden einer Jugendorganisation bezogenen Schreibens des Cousins nicht zu entnehmen ist. Das Bundesverwaltungsgericht legte auch nicht dar, ob der Hinweis auf die Einvernahme des Cousins des Revisionswerbers als Antrag auf dessen Einvernahme als Zeuge zum Beweis des Vorbringens des Revisionswerbers zu verstehen war und bejahendenfalls warum es von dieser Einvernahme absah.
13 Das Bundesverwaltungsgericht hat damit das mit der Stellungnahme vom 10. Dezember 2024 erstattete Vorbringen des Revisionswerbers in einem nicht unwesentlichen Punkt begründungslos übergangen. Schon aus diesem Grund ist das angefochtene Erkenntnis mit einem für den Verfahrensausgang relevanten Verfahrensmangel behaftet (vgl. erneut etwa VwGH 22.5.2024, Ra 2022/19/0131).
14 Da das Bundesverwaltungsgericht im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis schon aus den dargestellten Gründen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Vorbringen in der Revision einzugehen war.
15 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.
16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 30. September 2025
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