Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wagner, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. März 2024, G305 2280464 1/18E, betreffend Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und befristetes Einreiseverbot (mitbeteiligte Partei: K A), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Am 28. September 2023 wurde der 1999 geborenen Mitbeteiligten die Einreise nach Deutschland verweigert, nachdem sie sich auf der Durchreise durch Österreich Richtung Frankreich bei einer Personenkontrolle an der deutsch österreichischen Grenze mit der Kopie des Reisepasses einer anderen Person ausgewiesen hatte. Zur Vorbereitung der Rückübernahme teilten die deutschen Behörden unter anderem den vollständigen Namen der Mitbeteiligten, ihr Geburtsdatum und ihre serbische Staatsangehörigkeit den österreichischen Behörden mit.
2 Nach ihrer Überstellung noch am selben Tag wurde die Mitbeteiligte festgenommen. In ihrer Einvernahme vor der Landespolizeidirektion Salzburg erklärte die Mitbeteiligte, die als Herkunftsstaat Serbien angab, über keinen Aufenthaltstitel eines Mitgliedstaates der Europäischen Union zu verfügen und Familie in Deutschland zu haben, wobei sie keine genaueren Angaben machen könne.
3 Im Hinblick auf die beabsichtigte Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Schreiben (ebenfalls) vom 28. September 2023 die Mitbeteiligte, über die auch die Schubhaft verhängt wurde, auf, zu mehreren Fragen, insbesondere hinsichtlich Familienangehöriger in anderen Mitgliedstaaten, Stellung zu nehmen. Dieses Schreiben, in dem erneut die serbische Staatsangehörigkeit der Mitbeteiligten festgehalten wurde, blieb jedoch unbeantwortet.
4 Im Rahmen eines Rückkehrberatungsgesprächs am 4. Oktober 2023 gab die laut Anmerkung im Protokoll sehr unkooperativ erscheinende nicht rückkehrwillige Mitbeteiligte an, keine Dokumente zu besitzen, weil sie seit ihrem zweiten Lebensjahr in Köln gelebt habe. Sie wolle nach Bosnien, „eigentlich“ aber nach Deutschland. Allerdings sei ihre Aufenthaltsbewilligung in Deutschland abgelaufen. Dies wurde durch eine vom BFA eingeholte Auskunft der deutschen Behörden vom 6. Oktober 2023 bestätigt. Den übermittelten Informationen zufolge habe die mehrfach wegen Betrugs und Diebstahls verurteilte und zuletzt bis Dezember 2021 in Haft befindliche Mitbeteiligte nach ihrer Einreise nach Deutschland 2002 zunächst bis 2013 ein Aufenthaltsrecht gehabt, danach jedoch nur noch eine mehrmals verlängerte Aufenthaltserlaubnis für ausreisepflichtige Fremde bei Unmöglichkeit der Ausreise erhalten, bevor ihr Verlängerungsantrag im Februar 2023 abgelehnt und ihr die Abschiebung angedroht worden sei. Daraufhin richtete das BFA noch am selben Tag ein Amtshilfeersuchen an das Ausländeramt der Stadt Köln.
5 Im Protokoll des Rückkehrberatungsgesprächs vom 10. Oktober 2023 wurde wie bereits im vorangegangenen Gespräch als Herkunftsstaat der nunmehr rückkehrwilligen Mitbeteiligten Serbien, das auch als Zielland der Rückkehr genannt wurde, festgehalten.
6 Mit Bescheid vom 11. Oktober 2023 sprach das BFA aus, dass der Mitbeteiligten eine Aufenthaltsberechtigung aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG gegen die Mitbeteiligte erlassen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung nach Serbien festgestellt werde (Spruchpunkt III.). Wegen der Einreise ohne gültige Reisedokumente und ohne notwendige finanzielle Mittel unter Umgehung der Grenzkontrolle erließ das BFA gegen die Mitbeteiligte gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.), gewährte für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist (Spruchpunkt V.) und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.).
7 Mit Schreiben vom 18. Oktober 2023 teilte das Ausländeramt der Stadt Köln in Beantwortung des Amtshilfeersuchens des BFA vom 6. Oktober 2023 unter anderem mit, dass die bereits erwähnte Aufenthaltserlaubnis der Mitbeteiligten mangels Mitwirkung an der Passbeschaffung und mangels Vorliegens der Erteilungsvoraussetzungen nicht verlängert und ihr bis März 2023 eine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt worden sei, wobei ihr für den Fall, dass sie ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen sollte, die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina angedroht worden sei.
8 Am selben Tag langten Fotokopien mehrerer Ausweiskarten der Mitbeteiligten und weiterer Personen mit dem Familiennamen der Mitbeteiligten beim BFA ein. Die jeweilige Staatsangehörigkeit ist auf den Dokumenten nicht ersichtlich. Das Unterlagenkonvolut enthielt auch zwei Bescheinigungen, denen zufolge die Mitbeteiligte weder im Geburtenregister der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina noch jenem der Gemeinde Cazin, ebenfalls in Bosnien und Herzegowina, aufscheine.
9 Diese Unterlagen legte die Mitbeteiligte ihrer Beschwerde vom 24. Oktober 2023, die sich gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheides des BFA richtete, bei. Die Mitbeteiligte führte unter anderem aus, staatenlos zu sein und nicht über die serbische Staatsangehörigkeit zu verfügen.
10 Nach Vorlage der Beschwerde reichte das BFA dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) das Protokoll eines am 25. Oktober 2023 durchgeführten (weiteren) Rückkehrberatungsgesprächs nach, in dem die serbische Staatsangehörigkeit der Mitbeteiligten, die erneut Serbien als Zielland ihrer Rückkehr nannte, festgehalten wurde. Gemäß den Anmerkungen im Protokoll seien die Anträge für die serbische Botschaft ausgefüllt und weitergeleitet worden. Zudem habe die Mitbeteiligte erklärt, einen zweiten (näher genannten) Nachnamen zu haben.
11 Im Zuge eines Rückkehrberatungsgesprächs am 9. November 2023 gab die Mitbeteiligte wiederum an, bosnische Staatsangehörige zu sein, und führte Bosnien als Zielland der Rückkehr an. Am 14. November 2023 wurde das Ergebnis einer Abfrage des Europäischen Strafregister-Informationssystems (ECRIS), dem nähere Informationen über die Verurteilungen der Mitbeteiligten in Deutschland zu entnehmen sind, nachgereicht.
12 Nachdem in der Folge sowohl die bosnisch-herzegowinische Botschaft als auch die serbische Botschaft jeweils im Rahmen eines Verfahrens zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates die Mitbeteiligte nicht als Staatsangehörige identifiziert hatten, wurde die Mitbeteiligte am 1. Dezember 2023 aus der Schubhaft entlassen. Sie ist seither unbekannten Aufenthalts.
13 In Erledigung der Beschwerde hob das BVwG mit dem angefochtenen Beschluss vom 11. März 2024 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Bescheid des BFA vom 11. Oktober 2023 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
14 Über die gegen diesen Beschluss erhobene Amtsrevision des BFA hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
15 Zur Zulässigkeit wird in der Revision ein Abweichen des BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur eingeschränkten Möglichkeit einer Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltend gemacht.
16 Dieser Einwand trifft wie die weiteren Ausführungen zeigen zu, weshalb sich die Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig und auch als berechtigt erweist.
17 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung darf somit nur bei krassen, also besonders gravierenden, Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder wenn sie bloß ansatzweise ermittelt hat. Sind hingegen lediglich ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit iSd § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa VwGH 30.8.2022, Ra 2022/21/0045, Rn. 7, mwN).
18 Unter Berufung auf diese Judikatur führte das BVwG in seiner Begründung ins Treffen, dass keine Ermittlungen zu den Personen, deren Dokumente in Fotokopie übermittelt wurden, „vorliegen“ würden. Überdies sei die Staatsangehörigkeit der Mitbeteiligten ungeklärt. Da die Mitbeteiligte im Laufe des behördlichen Verfahrens unterschiedliche Herkunfts- und Zielländer für eine freiwillige Rückkehr genannt habe, hätte das BFA entsprechende Ermittlungen anstellen müssen. Der Bescheid sei vor Einlangen der Auskunft des Kölner Ausländeramtes und des ECRIS-Auszuges, somit vor dem Eingang relevanter Informationen, erlassen worden. Im Ergebnis seien derzeit nur ansatzweise relevante Ermittlungsergebnisse vorhanden. Das BFA habe die konkrete Auseinandersetzung mit dem Aufenthalt und Status der Mitbeteiligten und den anderen in Deutschland lebenden Personen, die im Akt genannt worden seien, unterlassen, damit die Ermittlungen dazu durch das BVwG vorgenommen werden müssten. Da das BFA bislang keine geeigneten Schritte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts gesetzt habe, könne derzeit nicht beurteilt werden, ob gegen die Mitbeteiligte eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu erlassen sei.
19 Im vorliegenden Fall hatten die deutschen Behörden über die serbische Staatsangehörigkeit der Mitbeteiligten noch vor ihrer Überstellung nach Österreich informiert. Dieser Hinweis wurde sowohl in der Einvernahme am 28. September 2023 als auch in den darauffolgenden Rückkehrberatungsgesprächen von der Mitbeteiligten bestätigt. Auch das Schreiben des BFA vom selben Tag, in dem ihre serbische Staatsangehörigkeit ebenfalls festgehalten worden war, veranlasste die Mitbeteiligte zu keiner Richtigstellung. Daran, dass die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides von der serbischen Staatsangehörigkeit ausgehen konnte, ändert der mitunter von der Mitbeteiligten geäußerte Wunsch, (auch) nach Bosnien oder Deutschland zurückzukehren, nichts.
20 Erst in der Beschwerde gegen den Bescheid vom 11. Oktober 2023 behauptete die Mitbeteiligte erstmals, nicht serbische Staatsangehörige, sondern staatenlos zu sein. Das Unterbleiben von (weiteren) Erhebungen zu ihrer Staatsangehörigkeit kann angesichts des erst in der Beschwerde erstatteten Vorbringens der Mitbeteiligten weder der belangten Behörde vorgeworfen werden, noch zu einer Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG führen. Dies gilt gleichermaßen für das vom BVwG gerügte Fehlen von Ermittlungen zur Identität und zum Status jener Personen, deren Dokumente nach der Bescheiderlassung dem BFA übermittelt worden waren. Überdies hatte das BFA in seinem Schreiben vom 28. September 2023 die Mitbeteiligte vergeblich zur Bekanntgabe näherer Informationen über den Aufenthalt von Familienangehörigen innerhalb der Europäischen Union aufgefordert, nachdem die Mitbeteiligte schon in ihrer Einvernahme zuvor keine weiteren Angaben dazu gemacht hatte. Es kann nicht gesagt werden, die belangte Behörde habe in diesem Zusammenhang lediglich ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt.
21 Auch der vom BVwG hervorgehobene Umstand, dass die belangte Behörde den Bescheid noch vor Einlangen der Auskunft des Ausländeramtes der Stadt Köln erlassen hatte, ist nicht geeignet, eine Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu rechtfertigen, zumal sich die belangte Behörde in ausreichendem Maße auf bereits zuvor erhaltene Informationen der deutschen Behörden über den fremdenrechtlichen Status der Mitbeteiligten und ihre Straffälligkeit in Deutschland stützen konnte. Das BVwG hat auch nicht nachvollziehbar dargelegt, welche Auswirkungen die Nachreichung der (über den bereits bestehenden Kenntnisstand hinausgehenden) Informationen des ECRIS Auszuges auf das vorliegende Verfahren haben sollte. Davon, dass im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nur ansatzweise relevante Ermittlungsergebnisse vorgelegen hätten, kann keine Rede sein. Erweist sich die Staatsangehörigkeit der Mitbeteiligten aufgrund ihres Aussageverhaltens nach der Bescheiderlassung als widersprüchlich und erscheinen diesbezügliche Erhebungen als ergänzungsbedürftig, rechtfertigt dies für sich nicht die Annahme, es lägen gravierende Ermittlungslücken im behördlichen Verfahren vor, die eine Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 zu tragen vermögen. Vielmehr können in einer Konstellation wie der vorliegenden die zur Vornahme einer Interessenabwägung und einer Gefährdungsprognose allenfalls erforderlichen ergänzenden Ermittlungen durch das BVwG selbst durchgeführt werden.
22 Da das BVwG nach dem Gesagten somit zu Unrecht mit einer Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG vorgegangen ist, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 28. August 2025