JudikaturVwGH

Ra 2024/18/0451 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. September 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. Kronegger als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des A B, vertreten durch Mag. Jakob Mahringer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dominikanerbastei 22/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. April 2024, I414 2272997 1/28E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Angolas, stellte am 2. Februar 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, in Angola im Jahr 2021 an Demonstrationen gegen die Regierung teilgenommen zu haben und deshalb verfolgt zu werden.

2 Mit Bescheid vom 28. April 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Angola zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung an zwei Terminen als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

4 Das BVwG stellte insbesondere fest, dem Revisionswerber sei es nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen; insbesondere könne nicht festgestellt werden, dass er in Angola aufgrund von Demonstrationsteilnahmen verfolgt werde. In der Beweiswürdigung hielt das BVwG dazu unter anderem fest, der Revisionswerber habe vage, unplausible und überdies im Zuge der Antragstellung, der Einvernahme vor dem BFA und während der Verhandlung vor dem BVwG widersprüchliche und gesteigerte Angaben gemacht. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes habe er etwa eine Demonstration am 11. November 2021 erwähnt, an der er selbst jedoch nicht teilgenommen habe. Erst vor dem BFA habe er eine Demonstrationsteilnahme, jedoch am 16. Oktober 2021, behauptet. Bei der Erstbefragung habe er noch ausgeführt, er habe „keine Probleme bekommen“, erst vor dem BFA habe er angegeben, dass er nach der Demonstrationsteilnahme von Mitgliedern der Partei MPLA nach Hause verfolgt und geschlagen und seine Cousine vergewaltigt worden sei. Nicht nachvollziehbar sei, dass der Revisionswerber seinem Vorbringen zufolge erst im Jänner 2022 die Flucht ergriffen und bis dahin im selben Haus gewohnt habe, obwohl die MPLA Kenntnis von seinem Wohnort gehabt und bereits Nachbarn getötet habe. Der Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens abträglich sei auch, dass der Revisionswerber einerseits angegeben habe, von der Regierung verfolgt worden zu sein und andererseits behaupte, auf legalem Wege und problemlos das Land verlassen zu haben.

5 Die weitere Feststellung, der Revisionswerber leide zwar an einer Anpassungsstörung, aber nicht an einer behaupteterweise auf erlittene Folter nach den Demonstrationsteilnahmen zurückzuführenden posttraumatischen Belastungsstörung, stützte das BVwG auf das Gutachten eines im Beschwerdeverfahren herangezogenen Sachverständigen aus dem Fachgebiet Psychiatrie und Allgemeinmedizin.

6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 26. Juni 2024, E 2279/2024 5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

7 Die daraufhin eingebrachte außerordentliche Revision erhebt zunächst den Vorwurf der „unvollständige[n] Ermittlung des Sachverhaltes hinsichtlich einer relevanten Verfolgungsgefahr“ und behauptet unter diesem Titel die Unschlüssigkeit des Gutachtens des vom BVwG bestellten Sachverständigen, der nicht über die notwendigen Qualifikationen in Bezug auf Folteropfer verfüge und das einschlägige sogenannte „Istanbul Protokoll“ bei der Untersuchung des Revisionswerbers nicht herangezogen habe. Trotz Erstattung fachlicher Stellungnahmen zu seinem Gutachten sei kein weiteres Gutachten eingeholt worden. Außerdem habe das BVwG gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen, indem es die vom Revisionswerber beantragte Zeugin, nämlich seine Cousine, nicht einvernommen habe und sich nur mittelbar auf ihre Aussagen im Beschwerdeverfahren gegen den ihren eigenen Antrag auf internationalen Schutz abweisenden Bescheid des BFA gestützt habe. Schließlich wäre dem Revisionswerber selbst wenn man bloß von der vom Sachverständigen festgestellten Anpassungsstörung ausginge zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen, weil nach den Länderberichten die psychische Gesundheit in Angola grob vernachlässigt werde und Behandlungen mit hohen Kosten verbunden seien, die der Revisionswerber nicht bestreiten könnte.

8 Damit wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Die Revision erhebt den Vorwurf der „unvollständige[n] Ermittlung des Sachverhaltes hinsichtlich einer relevanten Verfolgungsgefahr“, behauptet in der Folge jedoch ausschließlich verschiedene Mängel des Gutachtens des vom BVwG bestellten Sachverständigen aus dem Fachgebiet Psychiatrie und Allgemeinmedizin. Die Revision übersieht, dass das BVwG seine Annahme, dem Revisionswerber sei es nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen, (vorrangig) nicht aus Aussagen dieses Gutachtens abgeleitet hat; vielmehr tragen diese Feststellung bereits die detailreichen, oben auszugsweise wiedergegebenen (übrigen) beweiswürdigenden Überlegungen des BVwG, denen die Revision nicht substantiiert, sondern bloß mit dem pauschalen Verweis darauf, dass allfällige Widersprüche auf die psychische Erkrankung des Revisionswerbers zurückzuführen seien, entgegentritt (vgl. im Übrigen dazu, dass ein medizinisches Gutachten zwar geeignet sein kann, die Verletzungsursache von vorhandenen Narben zu belegen, jedoch nicht zur Aufklärung der Frage, im Zuge welcher Ereignisse ein Asylwerber die Verletzungen erlitten haben mag, bereits VwGH 18.3.2021, Ra 2021/18/0091, mwN).

13 Dessen ungeachtet ist der Rüge der mangelnden Qualifikation des vom BVwG bestellten Sachverständigen in Bezug auf Folteropfer entgegen zu halten, dass gemäß § 53 Abs. 1 AVG nichtamtliche Sachverständige von einer Partei abgelehnt werden können, wenn diese Umstände glaubhaft macht, die die Unbefangenheit oder Fachkunde des Sachverständigen in Zweifel stellen. Von der Möglichkeit der Ablehnung des Sachverständigen hat der Revisionswerber im Verfahren vor dem BVwG jedoch keinen Gebrauch gemacht. Im Übrigen führt entgegen dem Revisionsvorbringen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Erstattung einer fachlichen Stellungnahme zu einem Sachverständigengutachten nicht zwingend dazu, dass ein weiteres Gutachten eingeholt werden muss. Ist vielmehr eine Partei durch Vorlage eines Privatgutachtens dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen oder des Amtssachverständigen auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten und liegen demzufolge einander in ihren Schlussfolgerungen widersprechende Gutachten vor, kann das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf eines der beiden Gutachten stützen. Es hat in diesem Fall im Rahmen der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen es einem der beiden formal gleichwertigen Beweismittel den höheren Beweiswert zubilligt als dem anderen. Im Fall des Vorliegens mehrerer Gutachten, die voneinander abweichende Schlussfolgerungen enthalten, ist das Verwaltungsgericht somit gehalten, sich mit den unterschiedlichen Ergebnissen der Gutachten unter Prüfung der Schlüssigkeit beweiswürdigend auseinanderzusetzen. Es ist jedoch von der Behörde oder dem Verwaltungsgericht nicht zwingend ein „Obergutachten“ einzuholen (vgl. etwa VwGH 16.1.2023, Ra 2021/04/0075, mwN). Dass das BVwG von diesen Grundsätzen abgewichen wäre, legt die Revision nicht dar.

14 Dem Vorbringen, das BVwG habe durch die beweiswürdigende Verwertung von Aussagen der Cousine des Revisionswerbers im Beschwerdeverfahren gegen den ihren eigenen Antrag auf internationalen Schutz abweisenden Bescheid gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz verstoßen, ist zu entgegnen, dass damit ein Verfahrensmangel behauptet wird, dessen Relevanz für den Verfahrensausgang schon in der Zulässigkeitsbegründung darzutun wäre (vgl. etwa VwGH 29.5.2024, Ra 2024/19/0242, mwN). Die Revision bringt in diesem Zusammenhang lediglich vor, die Aussagen der Cousine im Verfahren über ihre eigene Beschwerde könnten nicht „isoliert betrachtet“ werden; vielmehr sei zu berücksichtigen, dass Hinweise auf eine psychische Erkrankung der Cousine bestanden hätten, die entsprechend zu berücksichtigen gewesen wären. Bei einer Einvernahme der Cousine als Zeugin hätte der Revisionswerber konkrete Fragen zu den psychischen Erkrankungen der Zeugin stellen können, die ursächlich für „ein allfälliges Abweichen einzelner Aussagen hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers“ gewesen wären. Damit legt die Revision nicht hinreichend konkret dar, welcher Sachverhalt, der zu einem für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis führen hätte können, bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers festzustellen gewesen wäre.

15 Mit ihrem pauschalen Vorbringen, dem Revisionswerber wäre selbst wenn man bloß von der vom Sachverständigen festgestellten Anpassungsstörung ausginge zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen, legt die Revision nicht dar, dass die Erkrankung des Revisionswerbers nach den Leitlinien aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die auf der Judikatur des EGMR zur Auslegung des Art. 3 EMRK beruhen (vgl. etwa VwGH 5.7.2023, Ra 2022/18/0328, mwN), die Gewährung von subsidiärem Schutz gerechtfertigt hätte.

16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 18. September 2024

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