Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma, die Hofrätin Dr. Reinbacher, den Hofrat Dr. Bodis, die Hofrätin Dr. Funk Leisch sowie den Hofrat Mag. M. Mayr als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Zollamts Österreich in 1110 Wien, Brehmstraße 14, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 12. März 2024, RV/7200047/2023, betreffend Abänderung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (mitbeteiligte Partei: G GmbH in K, vertreten durch Ing. Dr. Wolfgang Gappmayer, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Margaretenstraße 22/12), den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Artikel 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind die Artikel 33, 34, 44 und 45 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union im Hinblick darauf, dass die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 44 Absatz 4 dieser Verordnung gewährleisten, dass das Rechtsbehelfsverfahren eine umgehende Bestätigung oder Berichtigung der von den Zollbehörden erlassenen Entscheidung ermöglicht, dahingehend auszulegen, dass die Entscheidung über einen gemäß Artikel 44 Absatz 2 dieser Verordnung eingelegten Rechtsbehelf gegen eine gemäß Artikel 33 dieser Verordnung erteilte verbindliche Zolltarifauskunft auf den Zeitpunkt der Ausstellung dieser verbindlichen Zolltarifauskunft durch das Zollamt zurückwirkt?
2. Für den Fall, dass die Frage 1 mit Nein beantwortet wird: Sind die Artikel 33, 34, 44 und 45 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union dahingehend auszulegen, dass die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Verfahrensregeln vorsehen können, dass die Entscheidung über einen gemäß Artikel 44 Absatz 2 dieser Verordnung eingelegten Rechtsbehelf gegen eine gemäß Artikel 33 dieser Verordnung erteilte verbindliche Zolltarifauskunft auf den Zeitpunkt der Ausstellung dieser verbindlichen Zolltarifauskunft durch das Zollamt zurückwirkt?
1 A. Sachverhalt und bisheriges Verfahren
2 Mit verbindlicher Zolltarifauskunft vom 27. Oktober 2022, zugestellt am selben Tage, reihte das Zollamt eine Ware mit der Bezeichnung „Einwegvenenstauer“ abweichend vom Einreihungsvorschlag der Antragstellerin und nunmehrigen Mitbeteiligten in die Warennummer 4008 2190 00 mit einer ausgewiesenen Gültigkeitsdauer vom 27. Oktober 2022 bis 26. Oktober 2025 ein. Die Mitbeteiligte, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und brachte vor, die mit der verbindlichen Zolltarifauskunft vorgenommene Einreihung sei nicht begründet worden und sei inhaltlich nicht korrekt. Es seien lediglich Auslegungshilfen und Erläuterungen aufgezählt worden und auf den Untersuchungsbefund der Technischen Untersuchungsanstalt verwiesen worden. Es sei das Parteiengehör verletzt und keine Einsicht in diesen Befund gewährt worden. Die Waren seien in die Position 4014 einzureihen.
3 Das nach abweisender Beschwerdevorentscheidung durch das Zollamt und einem in der Folge eingebrachten Vorlageantrag zuständig gewordene Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde der Mitbeteiligten Folge und änderte den angefochtenen Bescheid dahingebend ab, dass die verfahrensgegenständliche Ware in die Warenummer 4014 9000 00 einzureihen sei. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig sei.
4 Gegen diese Entscheidung richtet sich das Zollamt mit der gegenständlichen Amtsrevision.
5 Das Zollamt bringt zur Begründung der Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit einer Abänderung von verbindlichen Zolltarifauskünften durch das Verwaltungsgericht nach § 279 BAO. Gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. a und b des UZK werde die verbindliche Zolltarifauskunft hinsichtlich der zolltariflichen Einreihung der Ware sowohl für die Zollbehörden als auch gegenüber dem Inhaber der Entscheidung ab dem Tag, an dem diese dem Inhaber der Entscheidung zugestellt werde beziehungsweise als ihm zugestellt gelte, verbindlich. An der Zustellung der revisionsgegenständlichen verbindlichen Zolltarifauskunft an die Mitbeteiligte bestehe im Revisionsfall kein Zweifel.
6 Das Bundesfinanzgericht habe die in Beschwerde gezogene verbindliche Zolltarifauskunft des Zollamts mit seiner Entscheidung gemäß § 279 BAO rückwirkend zu ändern beabsichtigt. Eine derartige rückwirkende Änderung einer rechtsverbindlich erteilten verbindlichen Zolltarifauskunft lasse der Zollkodex jedoch nicht zu.
7 Nach Art. 34 Abs. 6 UZK könnten verbindliche Zolltarifauskünfte nicht geändert werden. Gemäß Art. 34 Abs. 3 UZK könnten verbindliche Zolltarifauskünfte nicht rückwirkend ihre Geltung verlieren.
8 Die Voraussetzungen einer rückwirkenden Rücknahme der verbindlichen Zolltarifauskunft gemäß Art. 27 Abs. 1 UZK lägen im gegenständlichen Fall nicht vor.
9 § 279 BAO ermögliche es dem Verwaltungsgericht unter anderem, den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Diese Bestimmung sei im Revisionsfall von der Regelung des UZK als primär anzuwendendes Recht überlagert und könne daher im Bereich der verbindlichen Zolltarifauskünfte nicht angewendet werden.
10 B. Maßgebende Bestimmungen
11 1. Nationales Recht
12 § 1 Abs. 1 bis 3; § 2 Abs. 1 sowie §§ 42 bis 44 des Bundesgesetzes betreffend ergänzende Regelungen zur Durchführung des Zollrechts der Europäischen Gemeinschaften (Zollrechts Durchführungsgesetz ZollR DG) lauten:
„§ 1. (1) Das Zollrecht ist im Anwendungsgebiet nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes durchzuführen.
(2) Das Zollrecht umfasst die zollrechtlichen Vorschriften der Europäischen Union, dieses Bundesgesetz und die in Durchführung dieses Bundesgesetzes ergangenen Verordnungen, soweit sie sich auf die Einfuhr oder Ausfuhr von Waren beziehen.
(3) Soweit in diesem Bundesgesetz auf Bestimmungen anderer Bundesgesetze oder Rechtsakte der Union verwiesen wird, sind diese Bestimmungen in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden.
§ 2. (1) Das im § 1 genannte Zollrecht sowie die allgemeinen abgabenrechtlichen Vorschriften und das in Österreich anwendbare Völkerrecht, soweit sie sich auf die Einfuhr oder Ausfuhr von Waren beziehen, gelten weiters in allen nicht vom Zollkodex erfaßten unionsrechtlich und innerstaatlich geregelten Angelegenheiten des Warenverkehrs über die Grenzen des Anwendungsgebietes, einschließlich der Erhebung von Abgaben (sonstige Eingangs oder Ausgangsabgaben) und anderen Geldleistungen, soweit in diesem Bundesgesetz oder in den betreffenden Rechtsvorschriften die Vollziehung der Zollverwaltung übertragen und nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist.
§ 42. Für das Rechtsbehelfsverfahren im Sinn des Art. 44 des Zollkodex kommen im Geltungsbereich des § 2 Abs. 1 nachfolgende besondere Regelungen zur Anwendung.
§ 43. (1) Gegen Entscheidungen von Zollbehörden steht als Rechtsbehelf der ersten Stufe (Art. 44 Abs. 2 Buchstabe a des Zollkodex) die Beschwerde zu.
(2) Die §§ 284 bis 286 BAO gelten mit der Maßgabe, dass bei zollrechtlichen Entscheidungen an die Stelle der in § 284 Abs. 1 BAO genannten Frist von sechs Monaten die in Art. 22 Abs. 3 des Zollkodex oder in einer sonstigen Regelung des Zollrechts festgelegte Frist für die Entscheidung über einen Antrag tritt.
§ 44. Das Recht zur Einbringung einer Beschwerde gegen einen Eingangsabgabenbescheid steht innerhalb der dem Anmelder offenstehenden Beschwerdefrist auch dem gesamtschuldnerischen Warenempfänger, der die Waren vom Anmelder übernommen hat, zu.
§ 45. Die Regelungen des § 262 Abs. 2 bis 4 BAO sind nicht anzuwenden.
§ 46. Das Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht bildet das Rechtsbehelfsverfahren der zweiten Stufe (Art. 44 Abs. 2 Buchstabe b des Zollkodex). Zur Vertretung im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht sind auch Spediteure, Frachtführer, sowie dem Eisenbahnverkehr oder Postverkehr dienende Einrichtungen befugt.
Entscheidungen im Sinn der zollrechtlichen Vorschriften, die keine Bescheide im Sinn der BAO sind, unterliegen ebenfalls der Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes im Sinn des Art. 130 Abs. 2 Z 1 B VG.“
13 § 1 Abs. 1; § 2a und § 279 der Bundesabgabenordnung (BAO) lauten:
„ § 279. (1) Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
(2) Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.
(3) Im Verfahren betreffend Bescheide, die Erkenntnisse (Abs. 1) abändern, aufheben oder ersetzen, sind die Abgabenbehörden an die für das Erkenntnis maßgebliche, dort dargelegte Rechtsanschauung gebunden. Dies gilt auch dann, wenn das Erkenntnis einen kürzeren Zeitraum als der spätere Bescheid umfasst.“
14 2. Unionsrecht
15 Artikel 33 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK) lautet:
„ Artikel 33
Entscheidungen über verbindliche Auskünfte
(1) Die Zollbehörden treffen auf Antrag Entscheidungen über verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA Entscheidungen) und Entscheidungen über verbindliche Ursprungsauskünfte (vUA Entscheidungen).
Ein solcher Antrag wird in den folgenden Fällen nicht angenommen:
a) Der Antrag wird oder wurde bereits bei derselben oder einer anderen Zollstelle von einem Inhaber einer Entscheidung oder in seinem Namen zu den gleichen Waren und, im Falle von vUA Entscheidungen, unter den gleichen für den Erwerb der Ursprungseigenschaft maßgebenden Umständen gestellt,
b) der Antrag bezieht sich nicht auf eine beabsichtigte Inanspruchnahme der vZTA oder vUA Entscheidung oder eines Zollverfahrens.
(2) vZTA und vUA Entscheidungen sind nur hinsichtlich der zolltariflichen Einreihung beziehungsweise des Ursprungs der Waren
a) sowohl für die Zollbehörden als auch gegenüber dem Inhaber der Entscheidung nur hinsichtlich der Waren verbindlich, für die die Zollformalitäten nach dem Zeitpunkt erfüllt werden, zu dem die Entscheidung wirksam wird,
b) sowohl für den Inhaber der Entscheidung als auch gegenüber den Zollbehörden erst ab dem Tag verbindlich, an dem sie ihm zugestellt werden beziehungsweise als ihm zugestellt gelten.
(3) vZTA und vUA Entscheidungen sind ab dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung wirksam wird, drei Jahre lang gültig.
(4)Damit eine vZTA oder vUA Entscheidung im Rahmen eines bestimmten Zollverfahrens Anwendung finden kann, muss der Inhaber der Entscheidung nachweisen können, dass
a) im Falle einer vZTA Entscheidung die angemeldeten Waren in jeder Hinsicht den in der Entscheidung beschriebenen Waren entsprechen,
b) im Falle einer vUA Entscheidung die betreffenden Waren und die für den Erwerb der Ursprungseigenschaft maßgebenden Umstände in jeder Hinsicht den in der Entscheidung beschriebenen Waren und Umständen entsprechen.“
16 Artikel 34 UZK in der Fassung der Verordnung (EU) 2019/474 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2019, lautet:
„ Artikel 34
Verwaltung von Entscheidungen über verbindliche Auskünfte
(1) Eine vZTA Entscheidung verliert vor Ablauf der Frist gemäß Artikel 33 Absatz 3 ihre Gültigkeit, wenn sie aufgrund eines der folgenden Umstände nicht mehr rechtmäßig sind:
a) der Annahme einer Änderung der Nomenklaturen gemäß Artikel 56 Absatz 2 Buchstaben a und b,
b) des Erlasses von Vorschriften gemäß Artikel 57 Absatz 4,
und zwar mit Wirkung vom Tag der Anwendung der entsprechenden Änderung oder Vorschriften.
(2) Eine vUA Entscheidung verliert in jedem der folgenden Fälle vor Ablauf der Frist gemäß Artikel 33 Absatz 3 ihre Gültigkeit:
a) es wird eine Verordnung angenommen oder die Union schließt eine Übereinkunft, die in der Union anwendbar wird, und die vUA Entscheidung entspricht nicht mehr dem damit gesetzten Recht; in diesen Fällen tritt der Verlust der Gültigkeit mit Wirkung vom Tag der Anwendung der entsprechenden Verordnung bzw. Übereinkunft ein;
b) sie sind nicht mehr mit dem in der Welthandelsorganisation (WTO) erarbeiteten Abkommen über Ursprungsregeln oder den Erläuterungen oder den zur Auslegung dieses Abkommens angenommenen Stellungnahmen über den Ursprung vereinbar; in diesen Fällen tritt der Verlust der Gültigkeit mit Wirkung vom Tag der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union ein;
(3) vZTA oder vUA Entscheidungen können nicht rückwirkend ihre Geltung verlieren.
(4) Abweichend von Artikel 23 Absatz 3 und Artikel 27 werden vZTA und vUA Entscheidungen zurückgenommen, wenn sie auf unrichtigen oder unvollständigen Informationen des Antragstellers beruhen.
(5) vZTA und vUA Entscheidungen werden nach Artikel 23 Absatz 3 und Artikel 28 widerrufen. Diese Entscheidungen werden jedoch nicht auf Antrag des Inhabers der Entscheidung widerrufen.
(6) vZTA und vUA Entscheidungen können nicht geändert werden.
(7) Die Zollbehörden widerrufen vZTA Entscheidungen,
a) wenn sie mit der Auslegung einer Nomenklatur im Sinne von Artikel 56 Absatz 2 Buchstabe a und b nicht mehr vereinbar sind, und zwar in jedem der folgenden Fälle:
i) aufgrund von Erläuterungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif 1) mit Wirkung vom Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union;
ii) aufgrund eines Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union mit Wirkung vom Tag der Veröffentlichung des Urteilstenors im Amtsblatt der Europäischen Union;
iii) aufgrund eines Beschlusses über die zolltarifliche Einreihung, eines Tarifavis oder einer Änderung der Erläuterungen der Nomenklatur des Harmonisierten Systems zur Bezeichnung und Codierung der Waren, die von der durch das Abkommen über die Gründung eines Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens (unterzeichnet am 15. Dezember 1950 in Brüssel) geschaffenen Organisation erlassen wurde, mit Wirkung vom Tag der Veröffentlichung der Mitteilung der Kommission im Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe C, oder
b) in anderen bestimmten Fällen.
(8) vUA Entscheidungen werden widerrufen,
a) wenn sie nicht mehr mit einem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vereinbar sind mit Wirkung vom Tag der Veröffentlichung des Urteilstenors im Amtsblatt der Europäischen Union, oder
b) in anderen bestimmten Fällen.
(9) Verliert eine vZTA oder vUA Entscheidung gemäß Absatz 1 Buchstabe b oder Absatz 2 ihre Gültigkeit oder wird sie nach den Absätzen 5, 7 oder 8 widerrufen, so kann die vZTA oder vUA Entscheidung noch bei rechtsverbindlichen Verträgen verwendet werden, die auf dieser Entscheidung beruhen und vor dem Ende ihrer Gültigkeit oder vor ihrem Widerruf geschlossen wurden. Diese verlängerte Verwendungsdauer gilt nicht, wenn eine vUA Entscheidung für zur Ausfuhr bestimmte Waren erlassen wurde.
Die verlängerte Verwendungsdauer gemäß Unterabsatz 1 darf sechs Monate ab dem Ende der Geltungsdauer oder dem Zeitpunkt des Widerrufs der vZTA oder vUA Entscheidung nicht überschreiten. In einer Maßnahme gemäß Artikel 57 Absatz 4 oder Artikel 67 kann jedoch die verlängerte Verwendungsdauer ausgeschlossen oder ein kürzerer Zeitraum festgelegt werden. Handelt es sich um Erzeugnisse, die für eine Einfuhr- oder Ausfuhrlizenz bei der Erfüllung der Zollformalitäten vorgelegt wird, so tritt der Zeitraum, für den die betreffende Bescheinigung gültig bleibt, an die Stelle des vorgenannten Sechsmonatszeitraums.
Um die verlängerte Verwendungsdauer einer vZTA oder vUA Entscheidung in Anspruch nehmen zu können, stellt der Inhaber der betreffenden Entscheidung innerhalb von 30 Tagen vor dem Ende der Geltungsdauer oder dem Zeitpunkt des Widerrufs einen Antrag bei der Zollbehörde, die die Entscheidung erlassen hat, und gibt dabei an, für welche Mengen er eine verlängerte Verwendungsdauer beantragt und in welchem Mitgliedstaat bzw. welchen Mitgliedstaaten Waren im Zeitraum der verlängerten Verwendungsdauer abgefertigt werden. Die betreffende Zollbehörde trifft die Entscheidung über die verlängerte Verwendungsdauer und teilt sie dem Inhaber unverzüglich mit, spätestens jedoch innerhalb von 30 Tagen nach dem Tag, an dem alle Informationen, die für diese Entscheidung benötigt werden, eingegangen sind.
(10) Die Kommission unterrichtet die Zollbehörden, wenn
a) der Erlass von vZTA und vUA Entscheidungen für Waren, deren korrekte und einheitliche zolltarifliche Einreihung oder deren Bestimmung des Ursprungs nicht sichergestellt ist, ausgesetzt wird, oder
b) die unter Buchstabe a genannte Aussetzung aufgehoben wird.
(11) Zur Gewährleistung einer korrekten und einheitlichen zolltariflichen Einreihung oder einer Bestimmung des Ursprungs von Waren kann die Kommission Beschlüsse erlassen, mit denen die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, vZTA oder vUA Entscheidungen zu widerrufen.“
17 Artikel 44 und 45 UZK lauten:
„ Artikel 44
Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs
(1) Jede Person hat das Recht, einen Rechtsbehelf gegen eine von den Zollbehörden im Zusammenhang mit der Anwendung der zollrechtlichen Vorschriften erlassene Entscheidung einzulegen, die sie unmittelbar und persönlich betrifft.
Jede Person, deren Antrag auf Erlass einer Entscheidung durch die Zollbehörden nicht innerhalb der in Artikel 22 Absatz 3 genannten Frist entsprochen wird, ist ebenfalls berechtigt, einen Rechtsbehelf einzulegen.
(2) Das Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs kann in einem mindestens zweistufigen Verfahren ausgeübt werden:
a) auf der ersten Stufe bei einer Zollbehörde oder einem Gericht oder einer von den Mitgliedstaaten für diesen Zweck benannten anderen Stelle,
b) auf der zweiten Stufe bei einer höheren unabhängigen Stelle, bei der es sich nach Maßgabe der geltenden Vorschriften der Mitgliedstaaten um ein Gericht oder eine gleichwertige spezialisierte Stelle handeln kann.
(3) Der Rechtsbehelf wird in dem Mitgliedstaat eingelegt, in dem die Entscheidung erlassen oder beantragt worden ist.
(4) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass das Rechtsbehelfsverfahren eine umgehende Bestätigung oder Berichtigung der von den Zollbehörden erlassenen Entscheidung ermöglicht.
Artikel 45
Aussetzung der Vollziehung
(1) Die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung hat keine aufschiebende Wirkung.
(2) Die Zollbehörden setzen jedoch die Vollziehung der Entscheidung ganz oder teilweise aus, wenn sie begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung haben oder wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte.
(3) In den in Absatz 2 genannten Fällen, in denen aus der angefochtenen Entscheidung die Pflicht zur Entrichtung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben erwächst, wird die Vollziehung der Entscheidung nur gegen Sicherheitsleistung ausgesetzt, es sei denn, es wird auf der Grundlage einer dokumentierten Bewertung festgestellt, dass durch die Leistung einer solchen Sicherheit dem Schuldner ernste wirtschaftliche oder soziale Schwierigkeiten entstehen könnten.“
18 Artikel 20 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 der Kommission vom 24. November 2015 mit Einzelheiten zur Umsetzung von Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK IA) lautet:
„ Artikel 20
Überwachung von Entscheidungen über verbindliche Auskünfte
Bei Erfüllung der Zollförmlichkeiten für unter eine Entscheidung über verbindliche Auskünfte fallende Waren durch den Inhaber dieser Entscheidung oder für dessen Rechnung wird dieser Umstand in der Zollanmeldung unter Nennung der Referenznummer der Entscheidung angegeben.“
19 C. Erläuterung der Vorlagefragen
20 Gemäß Art. 44 Abs. 4 UZK gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass das Rechtsbehelfsverfahren eine umgehende Bestätigung oder Berichtigung der von den Zollbehörden erlassenen Entscheidung ermöglicht. Diese Bestimmung überlässt es den Mitgliedstaaten daher die Einzelheiten des Rechtsbehelfsverfahren zu regeln. Der UZK enthält hierzu grundlegende Vorgaben. So hat gemäß Art. 45 Abs. 1 UZK die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung keine aufschiebende Wirkung.
21 In Österreich ist in § 46 ZollR DV vorgesehen, dass das Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht das Rechtsbehelfsverfahren der zweiten Stufe (Art. 44 Abs. 2 Buchst. b des UZK) bildet.
22 Im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht gelten gemäß § 2a BAO dessen Bestimmungen sinngemäß, soweit sie im Verfahren der belangten Abgabenbehörde gelten. Die Bestimmungen der BAO gelten gemäß § 1 Abs. 1 BAO in Angelegenheiten der Eingangs und Ausgangsabgaben nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist.
23 Gemäß § 279 Abs. 1 BAO ist das Bundesfinanzgericht berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
24 In der Sache entscheidende Erkenntnisse wirken im Rahmen des § 279 BAO nach in Österreich herrschender Ansicht ex tunc (vgl. Ellinger/Sutter/Urtz , BAO 3 , § 279 Anm. 21; Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner , Abgabenverfahren I BAO 3 , § 279 Rz 8; Ritz/Koran , BAO 7 , § 279 BAO Rz 18).
25 Verfahrensgegenständlich steht fest, dass das Zollamt der Mitbeteiligten eine verbindliche Zolltarifauskunft erteilt hat, wonach die in Rede stehende Ware in die Warennummer 4008 2190 00 einzureihen sei. Diese Entscheidung ist der Mitbeteiligten zugestellt worden und hat damit entsprechend Art. 22 Abs. 4 UZK Wirksamkeit erlangt.
26 Die Mitbeteiligte hat gegen die verbindliche Zolltarifauskunft binnen offener Frist einen Rechtsbehelf zunächst nach Art. 44 Abs. 2 Buchst. a UZK und in weiterer Folge den revisionsgegenständlichen Rechtsbehelf zweiter Stufe gemäß Art. 44 Abs. 2 Buchst. b UZK eingelegt. Eine Aussetzung der Vollziehung nach Art. 45 Abs. 2 UZK wurde nicht verfügt.
27 Das Bundesfinanzgericht gab dem Rechtsbehelf zweiter Stufe der Mitbeteiligten Folge und änderte die verbindliche Zolltarifauskunft dahingebend ab, dass die Ware in die Warenummer 4014 9000 00 einzureihen sei. Nach § 279 BAO wirkt diese Entscheidung auf den Zeitpunkt der Ausstellung der verbindlichen Zolltarifauskunft durch das Zollamt zurück. Ein solches Verständnis steht im Einklang mit einem unionsrechtlich gebotenen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz.
28 Der UZK sieht zwar ausdrücklich rückwirkende Aufhebungen von verbindlichen Zolltarifauskünften vor. So werden nach Art. 34 Abs. 4 UZK verbindliche Zolltarifauskünfte zurückgenommen, wenn sie auf unrichtigen oder unvollständigen Informationen des Antragstellers beruhen. Verbindliche Zolltarifauskünfte werden zudem gemäß Art. 34 Abs. 5 UZK nach Art. 23 Abs. 3 und Art. 28 UZK widerrufen. Diese Entscheidungen werden jedoch nicht auf Antrag des Inhabers der Entscheidung widerrufen. Die Voraussetzungen der Art. 34 Abs. 4 und 5 UZK liegen im gegenständlichen Fall unbestritten nicht vor.
29 Nach Art. 34 Abs. 3 UZK können verbindliche Zolltarifauskünfte nicht rückwirkend ihre Geltung verlieren. Art. 34 Abs. 6 UZK bestimmt, dass verbindliche Zolltarifauskünfte nicht geändert werden können. Der Verwaltungsgerichtshof hegt Zweifel darüber, ob und welche Reichweite die genannten Bestimmungen für die Rechtsbehelfe nach Art. 44 UZK entfalten. Für den Verwaltungsgerichtshof ist dabei fraglich, ob die Vorgaben des UZK bereits dem Grunde nach eine Wirksamkeit der Entscheidung über den Rechtsbehelf zurück auf den Ausstellungszeitpunkt der verbindlichen Zolltarifauskunft vorsehen oder diese ausschließen oder allenfalls die Festlegung einer solchen Wirksamkeit durch mitgliedstaatliche Verfahrensvorschiften ermöglichen.
30 Insgesamt scheint die Auslegung des Unionsrechts in Bezug auf die vorliegenden Fragen nicht derart offenkundig zu sein, dass für vernünftige Zweifel keinerlei Raum bliebe (vgl. EuGH 4.10.2018, Kommission/Französische Republik , C 416/17, Rn. 110).
31 Die Fragen werden daher dem EuGH mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung gemäß Artikel 267 AEUV vorgelegt.
Wien, am 30. Jänner 2025