Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des A J in S (Schweiz), vertreten durch Dr. Walter Lenfeld, Dr. Wilfried Leys und Dr. Marco Sonderegger, Rechtsanwälte in 6500 Landeck, Malserstraße 19, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 10. November 2023, Zl. RV/3100655/2019, betreffend Einkommensteuer 2012 bis 2015, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber ist nach den dislozierten Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) Schweizer Staatsbürger und bezieht in der Schweiz Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Er ist verheiratet und hat mit seiner Frau, die österreichische Staatsbürgerin ist, zwei gemeinsame Kinder. Die Frau des Revisionswerbers ist Eigentümerin eines Wohnhauses in Österreich und lebt dort mit den beiden gemeinsamen Kindern sowie mit dem Revisionswerber in aufrechter Ehe.
2 Mit 27. Juni 2017 und 10. Juli 2017 ergingen aufgrund von Lohnabrechnungen des Arbeitgebers des Revisionswerbers aus der Schweiz, die den Familienbeihilfeanträgen der Ehefrau beigelegt worden sind Bescheide betreffend die Festsetzung der Einkommensteuer für die Jahre 2012 bis 2015.
3 Gegen diese Festsetzungsbescheide erhob der Revisionswerber Beschwerden und stellte nach Ergehen einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung einen Vorlageantrag.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision nicht zugelassen wurde, gab das BFG den Beschwerden des Revisionswerbers (nur) hinsichtlich der Höhe teilweise Folge und setzte die Einkommensteuer neu fest. Begründend führte es aus, dass aufgrund der familiären Beziehung des Revisionswerbers Österreich als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen sei und damit Österreich nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft (idF DBA Schweiz) das Besteuerungsrecht für dessen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit zukomme. Seine Ehefrau, von der er nicht dauernd getrennt lebe, sei in Österreich Eigentümerin eines Wohnhauses, wo seine minderjährigen Kinder und seine Ehefrau lebten und wo auch der Revisionswerber über einen inländischen Wohnsitz verfüge. Auch wenn er beruflich in der Schweiz tätig gewesen sei, habe er nach den Angaben seiner Ehefrau sogar täglich am Familienwohnsitz genächtigt bzw. nach seinen Angaben zumindest an Wochenenden. Ein umfangreicher Vorhalt der Abgabenbehörde vom 23. August 2018 zu den konkreten Lebensumständen des Revisionswerbers sei unbeantwortet geblieben. In der Beschwerdevorentscheidung, der insoweit auch Vorhaltewirkung zukomme, sei ausgeführt worden, dass der Revisionswerber im Streitzeitraum den Wohnsitz im Inland zumindest zeitweise (an Wochenenden, im Urlaub, aus sonstigen Anlässen) auch tatsächlich benutzt habe, was durch Grenzübertritte mit den zwei auf die Ehefrau in Österreich angemeldeten Fahrzeugen und durch die aufrechte Ehe, welche nicht bestritten worden sei, untermauert werde. Diese Ausführungen seien im Vorlageantrag unwidersprochen geblieben. Das BFG könne mangels entsprechender Mitwirkung zwar keine konkreten Feststellungen darüber treffen, wie oft genau sich der Revisionswerber am Wohnsitz in Österreich aufgehalten habe; vor dem Hintergrund der Verfahrensergebnisse sei aber von einem Zusammenleben in der gemeinsamen ehelichen Wohnung (Eigenheim der Ehefrau) und einem Wohnsitz des Revisionswerbers in Österreich auszugehen.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Zur Zulässigkeit der Revision führt der Revisionswerber aus, das BFG habe es unterlassen, zur Frage seines Wohnsitzes als steuerlichen Anknüpfungspunkt den wesentlichen Sachverhalt zu erheben. Zudem stelle die Annahme des BFG, wonach aufgrund der Lebenserfahrung zu einem während der Arbeitszeit benutzten Wohnsitz am Arbeitsort „keine engere Beziehung besteht, als zu einem mit dem Ehegatten gemeinsam benützten Wohnung“, eine unvertretbare Beweiswürdigung dar. Schließlich seien sämtliche Schreiben des Revisionswerbers an die Abgabenbehörde, wonach sich sein Hauptwohnsitz und Arbeitsort unverändert in der Schweiz befänden, unbeantwortet geblieben.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht aufgezeigt.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA Schweiz gilt eine Person, die in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte verfügt, als in dem Vertragsstaat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen).
11 Die Beurteilung der Frage, in welchem Staat ein Steuerpflichtiger den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hat, ist im Rahmen einer einzelfallbezogenen Gesamtabwägung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu ermitteln (vgl. etwa VwGH 21.4.2020, Ro 2017/13/0014; 17.10.2017, Ra 2016/15/0008; 15.9.2016, Ra 2016/15/0067). Wirtschaftlichen Beziehungen kommt dabei nach der hg. Rechtsprechung in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen. Unter persönlichen Beziehungen sind all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden, an dem er einen Wohnsitz hat. Von Bedeutung sind dabei familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen, aber auch Verbindungen zu Sachgesamtheiten, wie Privatsammlungen, die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements (vgl. VwGH 15.3.2023, Ra 2022/15/0067, mwN).
12 Die Beurteilung der Frage, in welchem Staat ein Steuerpflichtiger den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hat, hängt damit entscheidend von den Umständen des Einzelfalls ab. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 21.2.2023, Ra 2020/15/0089, mwN).
13 Werden Verfahrensmängel wie hier Ermittlungs- und Feststellungsmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten. Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 27.2.2024, Ra 2022/15/0027, mwN).
14 Das BFG hat sich entgegen den Behauptungen in der Revision mit den persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Revisionswerbers zu Österreich und der Schweiz auseinandergesetzt und ist vertretbar zu der Beurteilung gelangt, dass der Revisionswerber seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen in den Streitjahren 2012 bis 2015 in Österreich hatte. Es hat sich dabei darauf gestützt, dass wirtschaftlichen Beziehungen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in der Regel eine geringere Bedeutung als persönlichen Beziehungen zukommt. Dass das BFG stärkere persönliche Beziehungen zu Österreich angenommen hat, begegnet vor dem Hintergrund, dass die Ehefrau des Revisionswerbers mit den gemeinsamen minderjährigen Kindern in einem Wohnhaus in Österreich lebte, das auch er selbst in den Streitjahren bei aufrechter Ehe mehrfach benutzt hat und das Mittelpunkt der Familie war, keinen Bedenken (vgl. VwGH 16.12.2015, 2013/15/0117), zumal der Revisionswerber den diesbezüglichen Tatsachenfeststellungen im Verfahren nicht substantiiert entgegengetreten ist.
15 Aufgrund welcher Umstände das BFG davon hätte ausgehen müssen, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Revisionswerbers nicht in Österreich liegt, legt auch die Revision in ihrem Vorbringen zur Zulässigkeit nicht dar. So bringt der Revisionswerber etwa vor, dass Feststellungen zur Größe der Wohnung in Österreich sowie zu „Regelungen für [deren] Benützung durch den Revisionswerber“ fehlten, ohne jedoch aufzuzeigen, welche konkreten Feststellungen dazu zu treffen gewesen wären und warum dies darlegen würde, dass Österreich nicht den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen darstellen würde.
16 Zuletzt wird dem BFG die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Erinnerung gerufen, wonach die Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen in formaler Hinsicht in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben, erfordert. Die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen sohin erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung (vgl. VwGH 21.11.2024, Ro 2024/16/0006; 28.3.2023, Ra 2021/16/0097; 20.10.2015, Ra 2014/09/0028, jeweils mwN).
17 Diesen formalen Aufbau lässt das Erkenntnis zwar vermissen, ohne dass die Revision jedoch aufzuzeigen vermochte, dass darin auch ein relevanter Verfahrensfehler im oben beschriebenen Sinne gelegen wäre.
18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 8. Mai 2025