Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Rieder, über die Revision des O Y in W, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. April 2024, W260 22546171/25E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis stellte das Bundesverwaltungsgericht in Bestätigung eines Bescheides der Österreichischen Gesundheitskasse fest, dass der Revisionswerber von 11. Juni 2018 bis 7. Oktober 2018 und von 3. November 2018 bis 24. März 2019 aufgrund seiner Tätigkeit für die D GmbH der Pflichtversicherung in der Kranken , Unfallund Pensionsversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG sowie der Arbeitslosenversicherungspflicht nach § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen sei. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.
2 Der Revisionswerber sei in den verfahrensgegenständlichen Zeiträumen für die nunmehr aufgelöste und im Firmenbuch gelöschte D GmbH als Mietwagenfahrer tätig und von der Dienstgeberin aufgrund dieser Tätigkeit als geringfügiger Dienstnehmer beim Krankenversicherungsträgersomit als ein der Teilversicherung in der Unfallversicherung nach § 7 Z 3 lit. a ASVG unterliegender Beschäftigter gemeldet gewesen.
3Im Zuge einer gemeinsamen Prüfung der Lohnabgaben und Beiträge sei festgestellt worden, dass die Arbeitsaufzeichnungen der D GmbH hinsichtlich ihrer Dienstnehmer unvollständig bzw. offensichtlich unrichtig gewesen seien. Da somit im Sinn des § 42 Abs. 3 ASVG die zur Verfügung stehenden Unterlagen für die Beurteilung der für das Versicherungsverhältnis maßgebenden Umstände nicht ausgereicht hätten, sei eine Schätzung nach dieser Gesetzesstelle durchgeführt worden. Hinsichtlich des Revisionswerbers habe sich dabei (aus näher genannten Gründen) ergeben, dass das von ihm bezogene Entgelt in den verfahrensgegenständlichen Zeiten die Geringfügigkeitsgrenze überschritten habe und der Revisionswerber daher der Vollversicherung unterlegen sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7In der außerordentlichen Revision wird unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geltend gemacht, die Vornahme einer Schätzung nach § 42 Abs. 3 ASVG weiche von den Vorgaben der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, nämlich konkret vom Erkenntnis VwGH 19.10.2005, 2002/08/0273, ab. Danach könne nämlich zwar die Höhe der Beitragsgrundlage, nicht jedoch das Bestehen einer Pflichtversicherung nach dem ASVG und damit richtigerweise auch nicht eine Vollversicherungim Wege der Schätzung ermittelt werden. Es müsse also zunächst erwiesen sein, dass eine Pflichtversicherung im Sinne einer Vollversicherung bestanden habe, bevor nach § 42 Abs. 3 ASVG vorgegangen werden dürfe. Eine andere Auslegung würde auch dazu führen, dass aufgrund eines Fehlverhaltens des Dienstgebers nämlich der ungenügenden Führung von Aufzeichnungeneine dritte Person als Dienstnehmer der Versicherungspflicht unterworfen werde. Im vorliegenden Fall sei eine die Geringfügigkeitsgrenze überschreitende Beschäftigung des Revisionswerbers nicht feststellbar gewesen. Der Beweis für das Vorliegen einer Vollversicherung hätte daher auch nicht durch eine Schätzung nach § 42 Abs. 3 ASVG geführt werden dürfen.
8Nach § 42 Abs. 3 ASVG ist, wenn die zur Verfügung stehenden Unterlagen für die Beurteilung der für das Versicherungsverhältnis maßgebenden Umstände nicht ausreichen, der Versicherungsträger berechtigt, diese Umstände aufgrund anderer Ermittlungen oder unter Heranziehung von Daten anderer Versicherungsverhältnisse bei demselben Dienstgeber sowie von Daten gleichartiger oder ähnlicher Betriebe festzustellen. Der Versicherungsträger kann insbesondere die Höhe von Trinkgeldern, wenn solche in gleichartigen oder ähnlichen Betrieben üblich sind, anhand von Schätzwerten ermitteln.
9Dem von der Revision genannten Erkenntnis VwGH 19.10.2005, 2002/08/0273, lag zugrunde, dass vom Krankenversicherungsträger angenommen worden war, dass ein Dienstgeber mehrere Dienstnehmer, deren Identität nicht feststellbar war, nicht zur Sozialversicherung gemeldet hatte. Der Vorschreibung von Beiträgen gegenüber diesem Dienstgeber legte der Sozialversicherungsträger die Schätzung von Beiträgen für die unbekannten Dienstnehmer nach § 42 Abs. 3 ASVG zu Grunde. Mit dem genannten Erkenntnis verneinte der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit dieser Vorgangsweise und verwies darauf, dass wie es nunmehr der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entsprichtdie Frage der Versicherungspflicht im Verfahren betreffend die Beitragspflicht eine Vorfrage ist (vgl. insoweit aus jüngerer Zeit etwa VwGH 13.6.2023, Ra 2021/08/0089, mwN) und Feststellungen über die Versicherungspflicht als Dienstnehmer immer in Bezug auf bestimmte Dienstgeber und bestimmte Dienstnehmer zu treffen sind (vgl. etwa auch VwGH 16.2.2011, 2007/08/0123, mwN). Im Weiteren hielt der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf § 111 ASVG fest, dass das ASVG zwar Sanktionen für den Fall kennt, dass ein Dienstgeber Auskünfte über die bei ihm beschäftigten Dienstnehmer nicht erteilt oder Meldepflichten verletzt hat, wobei die Anwendung dieser Sanktionen nicht voraussetzt, dass die Versicherungspflicht bestimmter Personen festgestellt wurde. § 42 Abs. 3 ASVG so der Verwaltungsgerichtshof im genannten Erkenntnis weitersetzt für eine Schätzung hingegen voraus, dass feststeht, dass eine konkrete Person als Dienstnehmer (oder in einer anderen, die Versicherungspflicht begründenden Weise) für den Dienstgeber (Auftraggeber) tätig gewesen ist und in Bezug auf diese Person die zur Beurteilung des Versicherungsverhältnisses erforderlichen Daten unvollständig sind oder fehlen. § 42 Abs. 3 ASVG ermächtigt nach seinem Wortlaut die Behörde aber nicht, nicht näher feststellbare Beschäftigungsverhältnisse unbekannter Personen durch die Schätzung von deren Zahl und einer Lohnsumme zu substituieren und auf Grund dieser Lohnsumme eine Beitragsnachverrechnung unter der Annahme eines durchgehenden Beschäftigungsverhältnisses vorzunehmen. Dazu verwies der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf Judikatur des Verfassungsgerichtshofesauch darauf, dass es im Übrigen verfassungsrechtlich bedenklich wäre, auf diese Weise zu „virtuellen Pflichtversicherungen“ zu gelangen, die keiner versicherten Person zugeordnet werden können und daher auch nicht die Leistungsberechtigung dieser (unbekannten) Personen zu begründen vermöchten. Zusammenfassend schloss der Verwaltungsgerichtshof, dass in Fällen, in denen der Versicherungsträger nicht in der Lage ist, Beitragsverpflichtungen einem konkreten Beschäftigungsverhältnis zuzuordnen, dies auch nicht nach § 42 Abs. 3 ASVG im Schätzungswege substituiert werden kann.
10 Eine dem genannten Erkenntnis gleichende Konstellation liegt im vorliegenden Fall nicht vor. Den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der in den verfahrensgegenständlichen Zeiträumen von der Dienstgeberin auch zur Sozialversicherung gemeldeteRevisionswerber in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt war und daher Dienstnehmer der D GmbH nach § 4 Abs. 2 ASVG gewesen ist, tritt die Revision nicht entgegen. Die Person sowohl des Dienstgebers der D GmbH als auch des Dienstnehmers des Revisionswerbers waren somit bekannt. Strittig war lediglich die Höhe des Entgelts des Revisionswerberssomit im Sinn von § 49 Abs. 1 ASVG der Geld und Sachbezüge, auf die er als Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis Anspruch hatteund damit, ob der Revisionswerber nach § 5 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 ASVG als geringfügig beschäftigte Person von der Vollversicherung ausgenommen war. Auch im Fall der Geringfügigkeit tritt allerdings jedenfalls eine Teilversicherung in der Unfallversicherung nach § 7 Z 3 lit. a ASVG ein. Damit stand aber fest, dass der Revisionswerber in den verfahrensgegenständlichen Zeiträumen jedenfalls einer Versicherungspflicht als Dienstnehmer der D GmbH unterlag (vgl. dazu, dass nach der Terminologie des ASVG auch Personen hinsichtlich einer geringfügigen Beschäftigung der „Pflichtversicherung der Dienstnehmer“ unterliegen, auch § 10 Abs. 1 ASVG).
11Es kann somit keine Rede davon sein, dass im Sinn des zitierten Erkenntnisses VwGH 19.10.2005, 2002/08/0273, die Beitragsverpflichtungen keinem konkreten Beschäftigungsverhältnis zugeordnet hätten werden können. In Hinblick auf die feststehende Versicherungspflicht des Revisionswerbers als Dienstnehmer der D GmbH war der Anwendungsbereich des § 42 Abs. 3 ASVG eröffnet. Dass eine Schätzung nach § 42 Abs. 3 ASVG auch zur Feststellung führen kann, dass entgegen der Angaben des Dienstgebersin Hinblick auf das Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze hinsichtlich eines oder mehrerer Dienstnehmer die Vollversicherung eintritt, hat der Verwaltungsgerichtshof auch in der Vergangenheit nicht beanstandet (vgl. VwGH 27.12.2018, Ra 2015/08/0095 und 0096; sowie nochmals VwGH 16.2.2011, 2007/08/0123).
12§ 42 Abs. 3 ASVG stellt, soweit der Anwendungsbereich im genannten Sinn eröffnet ist, im Übrigen einzig darauf ab, ob die dem Versicherungsträger aufgrund vorangegangener Ermittlungen zur Verfügung stehenden Unterlagen im konkreten Fall für eine Beurteilung der für das Versicherungsverhältnis maßgebenden Umstände ausreichen. Für die Rechtmäßigkeit der Vornahme einer Schätzung nach § 42 Abs. 3 ASVG ist daher allein maßgeblich, ob der Krankenversicherungsträger zu Recht davon ausgegangen ist, dass die zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht ausgereicht haben, um die Höhe der Anspruchslöhne zu überprüfen (vgl. VwGH 27.11.2014, 2012/08/0216, mwN). Keine Voraussetzung eines Vorgehens nach § 42 Abs. 3 ASVG ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes somit, dass die Beteiligten wobei naturgemäß neben dem Dienstgeber auch immer der Dienstnehmer von der Schätzung betroffen ist am Fehlen ausreichender Unterlagen ein Verschulden trifft. Entgegen der Revision war somit auch nicht von Bedeutung, ob dem Revisionswerber das Nichtvorliegen derartiger Unterlagen vorgeworfen werden konnte.
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 15. April 2025