JudikaturVwGH

Ra 2025/06/0114 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
19. August 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Novak sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache des K S, vertreten durch die Rechtsanwaltskanzlei Mag. Bernhard HOFER GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 20. Februar 2025, LVwG 1 1050/2024 R12, betreffend eine Übertretung des Bundesstraßen Mautgesetzes 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Feldkirch), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg (Verwaltungsgericht) wurde der Beschwerde des Revisionswerbers gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 4. November 2024, mit welchem dem Revisionswerber eine Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 1 iVm. § 10 Abs. 1 und § 11 Abs. 1 Bundesstraßen Mautgesetz 2002 (BStMG) zur Last gelegt und über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von € 300, (Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und neun Stunden) verhängt worden war, weil er am 25. Mai 2024 um 20:13 Uhr ein mehrspuriges Kraftfahrzeug mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von nicht mehr als 3,5 t auf dem mautpflichtigen Straßennetz gelenkt habe, ohne die zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, gemäß § 50 VwGVG keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt sowie ihm gemäß § 52 Abs. 1 und 2 VwGVG ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgeschrieben. Gleichzeitig sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig sei.

2 Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, der Revisionswerber habe am 25. Mai 2024 um 20:13 Uhr eine mautpflichtige Straße benutzt, ohne dass eine gültige Klebevignette am Fahrzeug angebracht oder eine digitale Vignette für das Kennzeichen registriert gewesen sei. Erst 19 Minuten später habe der Revisionswerber eine 10 Tages Vignette an einer Tankstelle erworben, die ab 20:32 Uhr gültig gewesen sei.

3 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, es sei die Pflicht des Fahrzeuglenkers vor der Benutzung einer Mautstrecke sicherzustellen, dass eine gültige Vignette vorhanden sei. Dass der Revisionswerber nicht bemerkt habe, bereits in Österreich zu sein, sei als zumindest fahrlässiges Verschulden zu werten. Hinsichtlich der Strafbemessung seien keine Erschwerungsgründe festgestellt worden. Zugunsten des Revisionswerbers sei zu werten, dass er zum Tatzeitpunkt verwaltungsstrafrechtlich unbescholten gewesen sei, er die Strecke ohne gültige Vignette nur kurz befahren und nur 19 Minuten nach Feststellung der Übertretung eine Maut entrichtet habe. Die von der Behörde verhängte Mindeststrafe von € 300, sei angemessen und ausreichend. Eine weitere Herabsetzung (§ 20 VStG) komme nicht in Betracht, „weil die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe“ nicht überwiegen würden. Allein der Umstand, dass der Revisionswerber unbescholten sei, wiege nicht so schwer, dass eine außerordentliche Milderung der Strafe in Betracht käme. Auch eine Ermahnung gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG sei nicht möglich.

4 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, in der Sache selbst zu entscheiden, in eventu das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

5 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

6 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das Verwaltungsgericht sei von der näher genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es die nach § 20 VStG gebotene Abwägung der Milderungs und Erschwerungsgründe unzureichend durchgeführt habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision ist aufgrund dieses Vorbringens zulässig.

8 Gemäß § 19 Abs. 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat. Im ordentlichen Verfahren sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechts sind die §§ 32 bis 35 StGB sinngemäß anzuwenden (vgl. VwGH 7.5.2025, Ra 2025/02/0027, mwN).

9 Bei der Strafbemessung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die nach den vom Gesetzgeber in § 19 VStG festgelegten Kriterien vorzunehmen ist. Vom Verwaltungsgerichtshof ist daher (bloß) zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht von dem ihm eingeräumten Ermessen im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht hat, das heißt, ob die verhängte Strafe unter Bedachtnahme auf die Strafbemessungsgründe vertretbar erscheint (vgl. etwa VwGH 22.4.2024, Ra 2024/02/0074, mwN).

10 Gemäß § 20 VStG kann dann, wenn die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen oder der Beschuldigte ein Jugendlicher ist, die Mindeststrafe bis zur Hälfte unterschritten werden.

11 Die Anwendung des § 20 VStG (außerordentliche Milderung der Strafe) setzt voraus, dass die vorliegenden Milderungsgründe und zwar nicht der Zahl nach, sondern dem Gewicht nach die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen. Dass diese Voraussetzung zutrifft, hat das Verwaltungsgericht in nachvollziehbarer Weise darzutun. Das Verwaltungsgericht ist verpflichtet, in der Begründung seines Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG die für die Überprüfung der Ermessensübung maßgeblichen Gründe insoweit offen zu legen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien und die Nachprüfung der Ermessensentscheidung auf ihre Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes durch den Verwaltungsgerichtshof erforderlich sein kann. Dazu ist es erforderlich, die im konkreten Fall nach Meinung des Gerichtes jeweils zum Tragen kommenden Milderungsgründe und Erschwerungsgründe einander gegenüberzustellen und darzulegen, dass und weshalb das Gewicht der Milderungsgründe jenes der Erschwerungsgründe „beträchtlich überwiegt“ (vgl. zu alldem etwa VwGH 6.8.2021, Ra 2020/02/0030, mwN).

12 Im vorliegenden Fall wertete das Verwaltungsgericht bei der Strafzumessung keinen Umstand als erschwerend. Im Folgenden führte es jedoch aus, eine Herabsetzung der Strafe nach § 20 VStG sei nicht möglich, weil „die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe nicht überwiegen“. Es ist nicht nachvollziehbar, auf welche Erschwerungsgründe sich das Verwaltungsgericht bei seinen Ausführungen zu § 20 VStG bezieht, zumal es zuvor davon ausging, dass keine Erschwerungsgründe vorliegen würden.

13 Als mildernd berücksichtigte das Verwaltungsgericht bei der Strafzumessung die Unbescholtenheit des Revisionswerbers, dass dieser lediglich eine kurze Strecke ohne gültige Vignette auf der Autobahn zurücklegte und nur 19 Minuten nach Feststellung der Übertretung eine Maut entrichtete. Im Weiteren führte es jedoch aus, allein der Umstand, dass der Revisionswerber unbescholten sei, wiege nicht so schwer, dass eine außerordentliche Milderung der Strafe in Betracht komme. Bei seiner Abwägung gemäß § 20 VStG ging das Verwaltungsgericht somit im Widerspruch zu seinen obigen Ausführungen davon aus, dass „alleine“ der Milderungsgrund der Unbescholtenheit vorliege und bezog die von ihm zuvor als mildernd gewerteten Umstände nicht in seine Abwägung mit ein.

14 Das Verwaltungsgericht wird daher den sich aus § 29 Abs. 1 VwGVG ergebenden Anforderungen an die Begründung seiner Ermessensentscheidung im Rahmen der gemäß § 20 VStG gebotenen Abwägung nicht gerecht (vgl. zu den Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen auch VwGH 29.4.2025, Ra 2022/06/0262, mwN). Es liegt daher ein Begründungsmangel vor, welcher einen revisiblen Verfahrensmangel darstellt (vgl. wiederum VwGH 29.4.2025, Ra 2022/06/0262, mwN).

15 Da sich das angefochtenen Erkenntnis somit einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof auf dessen inhaltliche Rechtmäßigkeit entzieht, war es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. August 2025

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