JudikaturVwGH

Ra 2024/05/0087 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
09. Juli 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak und die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger und Dr. in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Tichy, über die Revision des S A in H, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Amhof Dr. Damian GmbH in 1060 Wien, Linke Wienzeile 4/2/6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 24. März 2024, LVwG AV 1022/001 2022, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Marktgemeinde Hinterbrühl; mitbeteiligte Partei: Mag. K S, vertreten durch die Krist Bubits Rechtsanwälte OG in 2340 Mödling, Elisabethstraße 2; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit Bauansuchen vom 10. November 2021 beantragte der Mitbeteiligte die baubehördliche Bewilligung für die Adaptierung der bestehenden Zufahrtsstraße auf einer näher genannten Parzelle in der KG H. Die bereits im Bestand vorhandene Zufahrtsstraße, welche von der K Gasse abzweige und das auf der verfahrensgegenständlichen Parzelle situierte Wohnhaus erschließe, solle über eine Gesamtlänge von 70 Metern adaptiert, eine Stützmauer errichtet und ein Retentionsbecken eingebaut werden. Teilweise sei zusätzlich eine Böschung zwischen Stützmauer und neuer Straße vorgesehen.

2 Gegen dieses Vorhaben erhob der nunmehrige Revisionswerber, der östlicher und westlicher Nachbar des Baugrundstückes ist, Einwendungen.

3 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde H vom 2. Mai 2022 wurde dem Mitbeteiligten die baubehördliche Bewilligung für „die Umgestaltung der Zufahrtsstraße, Herstellung einer Stützmauer und eines Retentionsbeckens, sowie Veränderungen der Höhenlage des Geländes“ unter Vorschreibung von Nebenbestimmungen erteilt.

4 Die gegen diesen Bescheid vom Revisionswerber erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde H vom 21. Juni 2022 als unbegründet abgewiesen.

5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die Rechtswidrigkeit des Inhalts, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht und die kostenpflichtige Entscheidung in der Sache selbst, in eventu die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses begehrt.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Der Revisionswerber behauptet in der Zulässigkeitsbegründung der Revision die Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, nach der die von der Partei eingewendete Unzuständigkeit der belangten Behörde von Amts wegen aufzugreifen sei (Hinweis auf VwGH 31.7.2007, 2006/05/0221). Das gegenständliche Bauvorhaben falle in den Anwendungsbereich des NÖ Straßengesetzes 1999; die Frage der Genehmigungspflicht des bewilligten Bauvorhabens nach dem Niederösterreichischen Straßengesetz 1999 sei jedoch vom Verwaltungsgericht nicht geprüft worden.

11 Mit diesem Vorbringen übergeht der Revisionswerber die zur Frage der Anwendbarkeit des NÖ Straßengesetzes 1999 ergangenen Ausführungen des Verwaltungsgerichtes im angefochtenen Erkenntnis. Das Verwaltungsgericht ging vom Vorliegen einer Privatstraße aus und sah keine Anhaltspunkte für deren Qualifikation als „Privatstraße mit Öffentlichkeitscharakter“ im Sinn des § 7 Abs. 1 NÖ Straßengesetz 1999. Vielmehr diene der in Rede stehende Verkehrsweg ausschließlich der inneren Erschließung eines Privatgrundstücks und sei, weil weder eine Landes noch eine Gemeindestraße vorliege, nicht vom Geltungsbereich der Niederösterreichischen Bauordnung (NÖ BO 2014) ausgenommen. Das eingereichte Straßenbauwerk sei als Privatstraße nach § 14 Z 2 NÖ BO 2014 (Errichtung von baulichen Anlagen) bewilligungspflichtig. Eine Unzuständigkeit des Bürgermeisters der Marktgemeinde H als Baubehörde liege daher nicht vor.

12 Weiters lägen folgende Abweichungen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor: Das Verwaltungsgericht habe im Rahmen der angefochtenen Entscheidung auf Beweismittel Bezug genommen, die dem Revisionswerber vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses nicht unter Einräumung von Parteiengehör zur Kenntnis gebracht worden seien, obwohl dazu nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Verpflichtung bestanden habe (Hinweis auf VwGH 18.4.1989, 88/08/0020). Das Verwaltungsgericht habe sich mit den vom Revisionswerber erhobenen Einwänden betreffend die von der bewilligten Straßenanlage ausgehenden, zu erwartenden Emissionen nicht auseinandergesetzt (Hinweis auf VwGH 15.9.2011, 2006/04/0177). Weiters habe das Verwaltungsgericht verabsäumt, die vom Revisionswerber wiederholt beantragten Sachverständigengutachten einzuholen, obwohl deren Einholung „nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes“ im Hinblick auf die nur von einem Sachverständigen zu beantwortenden Tatsachenfragen erforderlich gewesen wäre.

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in den gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorzubringenden Gründen konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte und in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch nicht beantwortet hat. Dabei hat der Revisionswerber im Falle der behaupteten Abweichung von Rechtsprechung konkret darzulegen, dass der der gegenständlich angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt einer der von ihm ins Treffen geführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hat und es damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, wobei die bloße Wiedergabe von Rechtssätzen zu verschiedenen Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreicht. Ebenso reicht auch die bloße Nennung von Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes nach Datum und Geschäftszahl, ohne auf konkrete Unterschiede in dieser Rechtsprechung hinzuweisen, nicht aus (vgl. etwa VwGH 2.4.2024, Ra 2024/06/0045, mwN).

14 Diesen Anforderungen wird die Zulässigkeitsbegründung der Revision im Hinblick auf die oben behaupteten Abweichungen von der Rechtsprechung nicht gerecht, da hinsichtlich der angesprochenen Themen Parteiengehör und Emissionen jeweils lediglich ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zitiert, aber nicht dargelegt wird, dass und inwiefern der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt den zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes gleiche und inwiefern das Verwaltungsgericht im Revisionsfall dennoch anders entschieden habe. Hinsichtlich der Nichteinholung von Sachverständigengutachten wird keinerlei Rechtsprechung zitiert, sodass schon deshalb keine konkrete Darlegung einer Abweichung von hg. Judikatur erfolgt ist.

15 So setzt sich der Revisionswerber mit der Begründung des Verwaltungsgerichtes, weshalb von keiner Verletzung von subjektiv öffentlichen Nachbarrechten in Bezug auf Emissionen auszugehen sei (Seite 23 des angefochtenen Erkenntnisses), nicht auseinander. Was die Behauptung betrifft, das Verwaltungsgericht habe auf nicht dem Parteiengehör unterworfene Beweismittel Bezug genommen, wird nicht einmal offengelegt, von welchen Beweismitteln der Revisionswerber diesbezüglich ausgeht. Im Übrigen ist weder dem angefochtenen Erkenntnis noch den Verwaltungsakten zu entnehmen, dass das Verwaltungsgericht weitere Ermittlungen durchgeführt hätte.

16 Zur behaupteten Nichteinholung von Sachverständigengutachten ist darüber hinaus noch auf die hg. Rechtsprechung zu verweisen, nach der die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein „ausreichend ermittelter Sachverhalt“ vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 25.3.2024, Ra 2024/20/0090; 27.10.2023, Ra 2023/06/0164). Derartiges legt die bloß allgemein gehaltene Zulässigkeitsbegründung nicht dar.

17 Dem weiteren Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung, dass eine Abweichung von nicht näher angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur inhaltlichen Bestimmtheit von Bescheiden einschließlich Bescheidauflagen vorliege, weil die dem Mitbeteiligten zur Einhaltung aufgetragenen Auflagen betreffend die Verpflichtung, auf Betriebsvorschriften aus einem eingereichten, entwässerungstechnischen Projekt Bezug zu nehmen, unbestimmt sei, ist schon deshalb die Grundlage entzogen, weil es sich diesbezüglich um einen als solchen titulierten „Hinweis des bautechnischen Sachverständigen“ und nicht um eine Bescheidauflage handelt.

18 Zum Zulässigkeitsvorbringen eines Verstoßes gegen die Pflicht des Verwaltungsgerichtes, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wird darauf verwiesen, dass das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG, soweit durch Bundes oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen kann, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

19 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einer Reihe von Entscheidungen mit Blick auf Art. 6 EMRK die Auffassung vertreten, dass eine Verhandlung nicht in jedem Fall geboten ist, und zwar insbesondere dann nicht, wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten sind, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist und das Gericht aufgrund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden kann und keine übermäßig komplexen Rechtsfragen zu lösen sind (vgl. dazu etwa VwGH 20.1.2022, Ra 2019/05/0244, und wiederum VwGH 27.10.2023, Ra 2023/06/0164, mwN).

20 Fallbezogen begründete das Verwaltungsgericht die Nichtdurchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung mit der vollständigen Erhebung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts durch die Verwaltungsbehörden, der zum Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichtes immer noch die gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufgewiesen habe. Zudem seien auch keine Rechtsfragen aufgeworfen worden, deren Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich gewesen wäre.

21 Der Revisionswerber führt in der allein maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung nicht aus, inwiefern entgegen den Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis nach den oben dargestellten Grundsätzen dennoch eine Verletzung der Verhandlungspflicht vorliegen sollte. Mit dem Hinweis, „aufgrund der Beschwerde“ des Revisionswerbers seien die Voraussetzungen für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorgelegen, weshalb das Unterbleiben einer solchen rechtswidrig sei, wird den Ausführungen des Verwaltungsgerichtes nicht substantiiert entgegengetreten. Insbesondere wird damit den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zum Inhalt des gegenständlichen Bauvorhabens und dessen Wirkung auf angesprochene Nachbarrechte nicht widersprochen. Es wird damit auch nicht dargetan, dass und aus welchem Grund es sich gegenständlich um eine im Sinne der genannten Rechtsprechung komplexe Rechtsfrage handle, zu welcher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung geboten gewesen wäre.

22 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 9. Juli 2024

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