JudikaturVwGH

Ra 2024/05/0002 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
30. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner und die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger und Dr. in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Tichy, in der Rechtssache der Revision des Univ. Doz. Dr. W L in Wien, vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 10. Oktober 2023, VGW 111/077/6082/2023 17, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Parteien: 1. Dr. K R und 2. M R, beide in W; weitere Partei: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 23. Februar 2023, mit dem den mitbeteiligten Parteien soweit für das vorliegende Revisionsverfahren relevant die nachträgliche Bewilligung erteilt worden war, an der Straßenschauseite die bestehende Loggia zu schließen und eine Erkerkonstruktion herzustellen, nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab (Spruchpunkt I.) und erklärte die Revision gemäß § 25a VwGG als unzulässig (Spruchpunkt II.).

2 Seinen Erwägungen legte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen zugrunde, der Revisionswerber sei Eigentümer des unmittelbar an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks. Der verfahrensgegenständliche „Erker“ befinde sich etwa in der Mitte der straßenseitigen Front des Hauptgebäudes der mitbeteiligten Parteien. Der Konsensplan des Hauptgebäudes aus dem Jahr 1880 weise auf der Fläche unterhalb dieses „Erkers“ einen Eingangsbereich mit 2 Säulen, darüber einem Dach und im 1. Stock einen vorspringenden, geschlossenen Gebäudeteil auf. Die mitbeteiligten Parteien hätten nach dem Erwerb des Gebäudes den geschlossenen, erkerähnlichen Gebäudeteil in einen Balkon geändert. Das nunmehrige Bauvorhaben beinhalte, anstelle des Balkons wiederum einen geschlossenen, erkerähnlichen Gebäudeteil zu errichten. Als dem Revisionswerber allenfalls zugewandte Front des erkerähnlichen Gebäudeteils komme lediglich dessen zum Grundstück des Revisionswerbers hin ausgerichtete Seitenfläche in Betracht. Diese Seitenfläche weise von der Liegenschaftsgrenze des Revisionswerbers eine Entfernung von etwa 18 Metern auf. Durch die Herstellung des erkerähnlichen Gebäudeteils werde nicht mehr Fläche des Baugrundstücks verbaut, als aufgrund des bestehenden Eingangsbereichs bereits verbaut sei.

3 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der erkerähnliche Zubau befinde sich an der Straßenfront des Hauptgebäudes der mitbeteiligten Parteien und damit an keiner dem Revisionswerber zugewandten Front. Die Tatsache, dass eine der beiden Seitenflächen des erkerähnlichen Zubaus der Liegenschaft des Revisionswerbers zugewandt sei, vermöge nicht zu bewirken, dass dieser Zubau eine dem Revisionswerber zugewandte Front betreffe. Dies sei insbesondere im Hinblick auf die Tatsache der Fall, dass der erkerähnliche Zubau von der dem Revisionswerber zugewandten Seitenfront deutlich zurückversetzt sei. Der Revisionswerber sei daher nicht in dem von ihm geltend gemachten subjektiv öffentlichen Nachbarrecht auf Einhaltung der Gebäudehöhe verletzt. Weiters könne der Revisionswerber nicht in dem von ihm geltend gemachten subjektiv öffentlichen Nachbarrecht auf Einhaltung der Bestimmungen über die flächenmäßige Ausnützbarkeit des Bauplatzes verletzt sein, weil durch den erkerähnlichen Zubau weder im Vergleich zum bereits vorhandenen Bestand noch im Vergleich zum Baukonsens zusätzliche verbaute Fläche in Anspruch genommen werde.

4 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nur dann vor, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage „abhängt“. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. etwa VwGH 22.12.2023, Ra 2023/05/0272; 8.8.2023, Ra 2023/05/0185, mwN).

9 Im Hinblick auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichtes zu der dem Grundstück des Revisionswerbers zugekehrten Front wird in der Zulässigkeitsbegründung die Abweichung von nicht näher dargestellter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 23.1.2023, Ra 2021/05/0220; 4.12.2020, Ra 2019/05/0294; 23.7.2013, 2012/05/0192) behauptet. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass es sich um keinen Erker im rechtlichen Sinn handle, dass sich der Eingang zum Gebäude der mitbeteiligten Parteien im verfahrensgegenständlichen Bauteil befinde und dieser Eingang jedenfalls auf der dem Grundstück des Revisionswerbers zugewandten Front befinde, und dass keine gesetzliche Bestimmung subjektiv öffentliche Rechte des Nachbarn von der Entfernung zum strittigen Bauteil abhängig mache, sodass die Entfernung von 18 Metern zwischen Bauteil und Liegenschaft des Revisionswerbers nicht maßgeblich sei (Hinweis auf VwGH 2.8.2018, Ra 2018/05/0196). Ein Zubau, welcher innerhalb der Baufluchtlinien errichtet werde, müsse als zugewandte Front zum Revisionswerber als seitlichem Nachbarn beurteilt werden.

10 Das angefochtene Erkenntnis widerspreche auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 19.1.2021, Ra 2019/05/0213), wonach ein Nachbar jedenfalls ein Mitspracherecht bei Fragen betreffend die Gebäudehöhe habe, wenn sich Gebäudeteile innerhalb einer Schutzzone befänden, da es sich bei den Anordnungen im Flächenwidmungs und Bebauungsplan im Zusammenhang mit der Festlegung des Gebietes der Schutzzone um zulässige Bestimmungen über die Gebäudehöhe handle.

11 Soweit die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung die Abweichung von angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorbringt, genügt das dazu erstattete Vorbringen den Anforderungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht. Neben der im vorliegenden Fall zwar erfolgten Angabe der nach Datum und Geschäftszahl bezeichneten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes, von welchen das Verwaltungsgericht nach Ansicht des Revisionswerbers abgewichen sein soll (vgl. dazu etwa VwGH 4.3.2024, Ra 2024/06/0027; 29.1.2024, Ra 2021/05/0103, jeweils mwN), wäre konkret darzulegen gewesen, dass der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt einer der vom Revisionswerber pauschal ins Treffen geführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hat und damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist (vgl. dazu wiederum VwGH 29.1.2024, Ra 2021/05/0103, und VwGH 23.1.2023, Ra 2021/05/0220, jeweils mwN). Eine Abweichung von der hg. Rechtsprechung zum Mitspracherecht des Nachbarn (s. sogleich) wurde sohin nicht aufgezeigt.

12 Der Nachbar kann die Einhaltung der Bestimmungen über die Gebäudehöhe gemäß § 134a Abs. 1 lit. b BO nur in Bezug auf die seiner Liegenschaft zugekehrten Fronten (Seiten der Außenflächen des Gebäudes) geltend machen. (vgl. wiederum VwGH 4.12.2020, Ra 2019/05/0294; oder auch VwGH 29.6.2016, Ra 2016/05/0030, mwN).

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat etwa in Bezug auf einen als Gaube bezeichneten Bauteil, der nicht unmittelbar am linken Rand der Straßenfront situiert war, sondern etwa um die Breite eines Fensters von diesem linken Rand und damit von der der Liegenschaft der revisionswerbenden Nachbarn zugewandten Seitenfront abgerückt war und damit hinter der den Nachbarn zugewandten Seitenfront zurückblieb, ausgeführt, dass infolgedessen eine Verletzung von Nachbarrechten hinsichtlich dieses Bauteils nicht in Frage kommt. Dass dieser Bauteil für die Nachbarn seitlich in Erscheinung tritt, ändert daran nichts (vgl. wiederum auch vom Revisionswerber zitiert VwGH 4.12.2020, Ra 2019/05/0294, mwN).

14 Vor diesem Hintergrund ist auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses, wonach der erkerähnliche Zubau an der Straßenfront des Gebäudes zu liegen komme und die dem Grundstück des Revisionswerbers zugewandte Seitenfläche dieses Bauteils von der Liegenschaftsgrenze des Revisionswerbers etwa 18 Meter entfernt sei, nicht zu erkennen, inwiefern das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung, der „erkerähnliche Zubau“ befinde sich nicht an einer der Liegenschaft des Revisionswerbers zugekehrten Front, weshalb er hinsichtlich dieses Bauteils nicht im Recht auf Einhaltung der Gebäudehöhe verletzt sein könne, von der hg. Rechtsprechung abgewichen wäre.

15 In der Zulässigkeitsbegründung wird weiters unter Anführung von Judikatur zu Erkern und Zubauten vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe die Rechtsfrage, ob es sich um einen Erker oder um einen Zubau handle, rechtlich nicht geprüft. Dadurch werde der Revisionswerber in seinen subjektiv öffentlichen Rechten gemäß § 134a Abs. 1 lit. b und c Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO) verletzt, weil weder anhand der Einreichunterlagen überprüfbar sei noch von der belangten Behörde oder dem Verwaltungsgericht überprüft worden sei, ob die Bestimmungen über die Gebäudehöhe und die Bestimmungen über die flächenmäßige Ausnützbarkeit von Bauplätzen eingehalten worden seien.

16 Dieses Vorbringen lässt außer Acht, dass das Verwaltungsgericht eine mögliche Verletzung des Revisionswerbers in den von ihm bezeichneten Rechten deshalb verneinte, weil ihm aufgrund der Situierung des beantragten Bauteiles an einer der Liegenschaft des Revisionswerbers nicht zugekehrten Front ein Nachbarrecht auf Einhaltung der Gebäudehöhe nicht zukomme, und weil hinsichtlich des Rechts auf Einhaltung der Bestimmungen über die flächenmäßige Ausnützbarkeit des Bauplatzes mit dem Bauvorhaben aufgrund der bereits bestehenden Verbauung des darunter liegenden Eingangsbereiches keine Vergrößerung der bebauten Fläche verbunden sei. Vor diesem Hintergrund hätte es (im Sinn der oben unter Rn 8 dargestellten Judikatur) einer der Zulässigkeitsbegründung jedoch nicht zu entnehmenden konkreten Darlegung bedurft, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der Frage der Qualifikation des beantragten Bauteiles als Erker oder als Zubau abhängt.

17 Die Zulässigkeitsbegründung bringt weiters eine Verletzung im Recht auf Einhaltung der Bestimmungen des Bebauungsplans im Sinn des § 134a Abs. 1 lit. d BO dahingehend vor, dass bei Beurteilung des bewilligten Bauteiles als Erker berücksichtigt werden müsse, dass ein solcher anhand des anzuwendenden Plandokumentes 7568 unzulässig sei, weil er sich an einer Baulinie befinde. Bei einem solchen Widerspruch zum Bebauungsplan hätten die mitbeteiligten Parteien eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 69 BO beantragen müssen, was jedoch nicht erfolgt sei. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes komme den Nachbarn gemäß § 134a Abs. 1 BO ein Recht zu, dass alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Ausnahmegenehmigung gemäß § 69 BO erfüllt seien. Da fallbezogen ein entsprechender Antrag nicht gestellt worden sei, könne der Revisionswerber seine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte gemäß § 134a Abs. 1 lit. b und c BO nicht geltend machen, in die durch die Abweichung gemäß § 69 BO eingegriffen werden würde. Es liege daher ein Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor (Hinweis auf VwGH 24.2.2022, Ro 2020/05/0030). Da gemäß § 69 Abs. 8 BO die Ausnahmebewilligung vor Erteilung der Baubewilligung vorliegen müsse, wäre dann, wenn eine Bewilligung für diesen Erker in Betracht käme, der erstinstanzliche Baubewilligungsbescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG zu beheben gewesen, um im weiteren Verfahren zunächst den Bauausschuss zu befassen (Hinweis auf VwGH 20.9.2005, 2004/05/0231). Verfahrensgegenständlich habe sich aber weder die Baubehörde noch das Verwaltungsgericht mit dieser Rechtsfrage befasst.

18 Dem Gebot der gesonderten Darstellung der Gründe nach § 28 Abs. 3 VwGG wird nicht entsprochen, wenn wie in Bezug auf dieses Zulässigkeitsvorbringen die zur Zulässigkeit der Revision erstatteten Ausführungen der Sache nach Revisionsgründe (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) darstellen oder das Vorbringen zur Begründung der Zulässigkeit der Revision mit Ausführungen, die inhaltlich (bloß) Revisionsgründe darstellen, in einer Weise vermengt ist, dass keine gesonderte Darstellung der Zulässigkeitsgründe vorliegt (vgl. etwa wiederum VwGH 4.3.2024, Ra 2024/06/0027; vgl. auch VwGH 28.9.2021, Ra 2020/05/0206). Dem Zulässigkeitsvorbringen ist nicht zu entnehmen, welche über den Revisionsfall hinausgehende konkrete Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG, von der die Entscheidung über die vorliegende Revision abhängt, vom Verwaltungsgerichtshof beantwortet werden sollte (vgl. zu diesem Erfordernis für viele etwa VwGH 15.12.2023, Ra 2022/05/0195; 14.12.2023, Ra 2023/05/0229, jeweils mwN).

19 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 30. April 2024

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