JudikaturVwGH

Ra 2024/04/0440 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Wirtschaftsrecht
27. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak, die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision der Ing. K. Gesellschaft m.b.H. in H, vertreten durch die Denk Fuhrmann Rechtsanwälte OG in 1190 Wien, Grinzingerstraße 70/7, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 24. Oktober 2024, Zl. LVwG AV 1631/001 2022, betreffend eine gewerbebehördliche Genehmigung der Änderung einer Betriebsanlage (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mödling; mitbeteiligte Partei: B D in H, vertreten durch die Greiml Horwath RechtsanwaltsPartnerschaft in 8010 Graz, Conrad von Hötzendorfstraße 6), den Beschluss

Spruch

gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 25. Oktober 2022 wurde der Revisionswerberin (im Folgenden: Genehmigungswerberin) die gewerbebehördliche Genehmigung für die Änderung der Betriebsanlage im Standort X durch die Änderung maschineller Anlagen erteilt.

22. Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen den Genehmigungsbescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG insofern Folge, als der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen wurde. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

3 Ausgehend von detaillierten Feststellungen zum Ablauf des behördlichen Verfahrens folgerte das Verwaltungsgericht, maßgeblich für die Beurteilung von angezeigten Änderungen sei der Vergleich mit dem bestehenden rechtlichen Konsens und nicht mit der tatsächlichen Betriebsweise.

4Gemäß § 77 Abs. 1 erster Satz GewO 1994 sei die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten sei, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 1 GewO 1994 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 bis 5 leg. cit. auf ein zumutbares Maß beschränkt würden. Im gegenständlichen Fall habe die belangte Behörde im gewerbebehördlichen Verfahren das Gutachten eines Amtssachverständigen für Maschinenbautechnik sowie des Amtssachverständigen für Lärmtechnik eingeholt; ein medizinischer Sachverständiger sei dem gewerbebehördlichen Verfahren jedoch nicht beigezogen worden. Gemäß ständiger Rechtsprechung habe sich der gewerbetechnische Sachverständige über die Art und das Ausmaß der zu erwartenden Immissionen zu äußern. Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen sei es, die Auswirkungen der Emissionen auf die Nachbarschaft zu beurteilen. Dabei gehöre es grundsätzlich zu den Aufgaben des gewerbetechnischen Sachverständigen, sich in einer die Schlüssigkeitsprüfung ermöglichenden Weise nicht nur über das Ausmaß, sondern auch über die Art der zu erwartenden Immissionen zu äußern und in diesem Zusammenhang darzulegen, ob und gegebenenfalls welche Eigenart einem Geräusch unabhängig von seiner Lautstärke anhafte. Die Auswirkungen der zu genehmigenden Betriebsanlage bzw. der zu genehmigenden Änderung einer genehmigten Betriebsanlage seien unter Zugrundelegung jener Situation zu beurteilen, in der die Immissionen für die Nachbarn am ungünstigsten seien. Dem ärztlichen Sachverständigen falle fußend auf dem Gutachten des gewerbetechnischen Sachverständigen die Aufgabe zu, darzulegen, welche Auswirkungen die zu erwartenden (unvermeidlichen) Immissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus ausübten. Die Beziehung eines ärztlichen Sachverständigen und somit dessen Ausführungen zum Charakter der einzelnen erhobenen Lärmereignisse seien unterblieben.

5 lm von der Behörde herangezogenen schalltechnischen Messbericht vom 16. Mai 2022, sei lediglich die Änderung des Innenpegels der Betriebshalle erhoben worden. Aus den maßgeblichen gewerberechtlichen Vorschriften ergebe sich jedoch vielmehr, dass bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Lärmbelästigung auf jenen der Lärmquelle am nächsten liegenden Teil des Nachbargrundstückes abzustellen sei, der dem regelmäßigen Aufenthalt des Nachbarn, sei es in einem Gebäude, sei es außerhalb eines Gebäudes, dienen könne. Im Übrigen liege dem schalltechnischen Messbericht eine Maschinenliste mit insgesamt 33 Maschinen zugrunde, während auf dem Bezug habenden Einreichplan vom 8. Februar 2022, welcher dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt worden sei, insgesamt 35 Maschinen angeführt seien. Die zwei im schalltechnischen Messbericht nicht angeführten Maschinen mit der Nummer 34 (Garmor Tischfräse, Hersteller: Minimac Garmor, DE) und Nummer 35 (SHW Powerspeed CUBE+Palettenspeicher, Hersteller: SHW Werkzeugmaschinen GmbH) schienen im Einreichplan vom 8. Februar 2022 auf und seien auch in der Anlagenbeschreibung der Genehmigungswerberin vom 7. Februar 2022, welche ebenfalls dem angefochtenen Bescheid zugrunde liege, näher beschrieben. Diese Maschinen seien daher ausdrücklich Gegenstand des Antrags der Genehmigungswerberin. Sie würden jedoch im schalltechnischen Messbericht vom 16. Mai 2022 nicht einmal erwähnt. Vor diesem Hintergrund sei auch das Gutachten des Amtssachverständigen für Lärmtechnik vom 12. August 2022 als unvollständig anzusehen, weil sich dessen Befund auf diesen unzureichenden Messbericht stütze.

6Ferner sei der Vergleich zwischen den innerhalb der Betriebszeit erhobenen Daten im Messbericht mit den außerhalb der Betriebszeit erhobenen Daten in der schalltechnischen Untersuchung unschlüssig, weil nicht nachvollziehbar sei, inwiefern die zu unterschiedlichen Betriebszeiten erhobenen Daten miteinander verglichen werden könnten. Eine Behörde, die ihrer Entscheidung ein unschlüssiges Gutachten zugrunde lege, werde ihrer Pflicht zur Erhebung des maßgeblichen Sachverhalts gemäß § 37 iVm § 39 Abs 2 AVG nicht gerecht. Die dem angefochtenen Bescheid hinsichtlich der lärmtechnischen Erwägungen zugrundeliegenden Gutachten seien nicht nur unvollständig, sondern auch unschlüssig.

7Die von der Genehmigungswerberin vorgebrachte Unzulässigkeit der Beschwerde wegen einer zivilrechtlichen Vereinbarung mit der mitbeteiligten Partei habe das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren nicht zu beurteilen. Ebenso wenig überzeuge das Argument der Genehmigungswerberin, dass gegenständlich eine Änderung gemäß § 81 Abs. 2 Z 7 GewO 1994 vorliege, die keiner Genehmigung bedürfe. Zwar müsse seitens der belangten Behörde keine mündliche Verhandlung durchgeführt werden. Dies habe jedoch zur Folge, dass die mitbeteiligte Partei hinsichtlich ihrer Einwendungen auch nicht präkludiert sein könne.

8 Im konkreten Fall seien daher nicht nur erneute Schallmessungen, insbesondere auch vom Nachbargrundstück der Beschwerdeführerin durchzuführen, worüber Befund und Gutachten eines Amtssachverständigen für Lärmtechnik zu erstatten, sondern auch auf Basis dieser Schallmessungen in der Folge ein medizinischer Sachverständiger beizuziehen sein werde. Dabei werde insbesondere zu klären sein, ob und wenn ja welche Auswirkungen die von der Betriebsanlage herrührenden Lärmimmissionen auf den Organismus der Mitbeteiligten hätten. Es sei nicht davon auszugehen, dass das Verwaltungsgericht die zu veranlassenden Erhebungen rascher und kostengünstiger tätigen könne als die zuständige Behörde. Die belangte Behörde liege überdies in räumlicher Nähe zum Betrieb der Genehmigungswerberin.

9 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die außerordentliche Revision.

10 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).

11Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

12Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG räumt der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte einen prinzipiellen Vorrang ein. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung der Sache, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind. Wenn die Verwaltungsbehörde aber jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat, so sind die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung iSd § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG erfüllt. Die Anwendung von allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzenhier die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVGist idR eine Frage des Einzelfalls, die nur revisibel ist, wenn das Verwaltungsgericht diese Grundsätze durch ein unvertretbares Vorgehen verletzt hätte (vgl. VwGH 12.11.2018, Ra 2018/08/0228, mwN).

14 Insofern die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung darauf verweist, dass das Verwaltungsgericht in der Sache selbst entscheiden müsse und hierbei von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen sei, da nach der Rechtsprechung von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden dürfe, eine solche besondere Ermittlungslücke aber verfahrensgegenständlich überhaupt nicht vorliege „auch wenn das LVG NÖ dies einfach ohne Begründung in seinem Bescheid schreibt“, zeigt sie nicht auf, inwiefern die ausführliche Begründung des Verwaltungsgerichts unvertretbar sei.

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 27. Dezember 2024