JudikaturVwGH

Ra 2024/02/0152 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
13. August 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision des B in G, vertreten durch Mag. Oliver Simoncic, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Rathausplatz 3 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 5. Juni 2024, LVwG S 2075/001 2023, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Krems), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Krems vom 22. August 2023 wurde dem Revisionswerber angelastet, er habe am 15. Jänner 2023 zwischen 00:47 Uhr und 1:02 Uhr an einem näher angegebenen Tatort ein nach dem Kennzeichen konkretisiertes Kraftfahrzeug gelenkt, obwohl er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe und der Alkoholgehalt seines Blutes nach Rückrechnung durch den Amtsarzt 0,64 Promille betragen habe. Er habe dadurch § 14 Abs. 8, § 37a FSG verletzt. Über ihn wurde nach § 37a FSG eine Geldstrafe von € 300, (Ersatzfreiheitsstrafe 81 Stunden) verhängt. Begründend ging die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde davon aus, dass die am 15. Jänner 2023 um 1:17 Uhr vorgenommene Atemalkoholuntersuchung 0,41 mg/l Alkoholgehalt der Atemluft ergeben habe und eine Rückrechnung durch den Amtsarzt auf der Basis der vom Revisionswerber gegenüber dem einschreitenden Beamten ursprünglich gemachten Angaben einen Blutalkoholgehalt von 0,64 Promille ergeben habe.

2 Die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und es bestätigte das bekämpfte Straferkenntnis mit der Maßgabe, dass in der Tatbeschreibung der Passus „0,64 Promille” auf „0,86 Promille” und die verletzten Verwaltungsvorschriften bzw. Strafbestimmungen von „§ 14 Abs. 8, § 37a FSG” auf „§ 5 Abs. 1, § 99 Abs. 1b StVO 1960” abgeändert wurden. Der Revisionswerber wurde zur Zahlung eines ziffernmäßig genannten Beitrags zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens verpflichtet und das Verwaltungsgericht sprach aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.

3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Revisionswerber am 15. Jänner 2023 in der Zeit zwischen etwa 0:45 Uhr und etwa 1:00 Uhr das Kraftfahrzeug auf einer näher genannten Strecke gelenkt habe, obwohl er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden und der Alkoholgehalt seines Blutes 0,86 Promille betragen habe. Beweiswürdigend legte das Verwaltungsgericht dar, warum es die Nachtrunkbehauptungen des Revisionswerbers als nicht glaubhaft qualifizierte und dass deshalb die vom Amtssachverständigen vorgenommene Rückrechnung des Ergebnisses der Alkomatmessung auf den Lenkzeitpunkt heranzuziehen gewesen sei. Rechtlich führte das Verwaltungsgericht u.a. aus, das Lenken in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand sei zwar nicht Tatbestandsmerkmal der im bekämpften Straferkenntnis genannten § 14 Abs. 8 und § 37a FSG, jedoch mache es dieses „überschießend“ in die Tatbeschreibung aufgenommene Sachverhaltselement nun zulässig, die Tat unter § 5 Abs. 1, § 99 Abs. 1b StVO zu subsumieren und der richtigen verletzten Verwaltungsvorschrift bzw. Strafnorm zu unterstellen und damit im Sinne des § 44a Z 2 und 3 VStG zu präzisieren.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Der Revisionswerber erachtet die Revision zunächst deshalb als zulässig, weil das Verwaltungsgericht seinen Beweisantrag auf Vernehmung namentlich genannter und von ihm beantragter Zeugen verworfen habe, obwohl sich daraus jedenfalls ergeben hätte, dass der Revisionswerber im Zeitpunkt des Lenkens seines Fahrzeuges nicht alkoholisiert gewesen sei.

9 Hinsichtlich des gestellten Beweisantrages ist darauf zu verweisen, dass Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen ist, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahmen einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG liegt nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 6.7.2023, Ra 2023/02/0108, mwN).

10 Mit der Begründung des Verwaltungsgerichtes, es zweifle nicht an, dass der Revisionswerber mit den beantragten Zeugen bis 0:30 Uhr lediglich ein achtel Liter Wein getrunken habe, unterstellte es die Beweistatsachen als wahr und es weicht schon deshalb die Abweisung des Beweisantrages nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.

11 Weiters wird zur Zulässigkeit der Revision vorgebracht, das Verwaltungsgericht sei auch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Amtswegigkeitsprinzip und dem Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit abgewichen, weil es Ermittlungen zur Frage unterlassen habe, wieviel der Revisionswerber abseits des Besuchs bei den genannten Zeugen getrunken habe.

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterliegt es der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, ob eine Beweisaufnahme notwendig ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG liegt nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt ist und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hat (vgl. VwGH 13.2.2024, Ra 2022/02/0027, mwN).

13 Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers war nicht etwa das Verwaltungsgericht verpflichtet, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die vom Revisionswerber vorgebrachte Behauptung, nach dem Lenken des Fahrzeuges alkoholische Getränke konsumiert zu haben, nicht den Tatsachen entspricht. Das Verwaltungsgericht hat zwar zufolge § 38 VwGVG iVm § 25 Abs. 2 VStG die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden, doch erfordert es die Mitwirkungspflicht des Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren, den Erhebungsergebnissen nicht nur konkrete Behauptungen entgegenzusetzen, sondern auch entsprechende Beweise anzubieten. Unterlässt er dies, so bedeutet es keinen Verfahrensmangel, wenn die Behörde von Amts wegen keine weiteren Beweiserhebungen durchführt (vgl. VwGH 28.6.1991, 91/18/0078, mwN).

14 Dass das Verwaltungsgericht die Grenzen der Mitwirkungspflicht des Revisionswerbers überspannt hätte (vgl. dazu Fister in Lewisch/Fister/Weilguni , VStG3 (2023) § 25 Rz 5f und die dort zitierte hg. Judikatur) wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht dargetan. Ebenso wenig wird aufgezeigt, welche Beweise aufzunehmen gewesen wären, um zu ermitteln, wieviel Alkohol der Revisionswerber vor oder nach dem Besuch bei den oben genannten Zeugen konsumiert habe. Der Alkoholisierungsgrad des Revisionswerbers beim Lenken des Kraftfahrzeuges wurde auf der Grundlage der Untersuchung der Atemluft und des eingeholten Sachverständigengutachtens ermittelt. Ein Abweichen des Verwaltungsgerichtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur amtswegigen Ermittlung der materiellen Wahrheit zeigt die Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht auf.

15 Soweit die Revision zu ihrer Zulässigkeit Ermittlungsfehler der einschreitenden Polizeibeamten bemängelt, ist darauf hinzuweisen, dass ein solcher Verstoß gegen § 25 Abs. 2 VStG vor dem Verwaltungsgericht in der Regel sanierbar ist. Wird er nicht saniert, kann dies mit dem Revisionsgrund der Verletzung von Verfahrensvorschriften vor dem Verwaltungsgerichtshof releviert werden (vgl. dazu Fister in Lewisch/Fister/Weilguni , VStG3 (2023) § 25 Rz 9 und die dort zitierte hg. Judikatur).

16 Da die Polizisten in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu den aus Sicht des Revisionswerbers offen gebliebenen Punkten befragt werden konnten, war eine Behebung des behaupteten Verfahrensfehlers möglich und wird kein die Zulässigkeit der Revision begründender Verfahrensfehler dargetan.

17 Weiters releviert der Revisionswerber widersprüchliche Angaben im Behördenakt sowie falsche Berechnungsgrundlagen des Sachverständigen und greift damit die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes an.

18 Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. Die Würdigung der Beweise ist keinen gesetzlichen Regeln unterworfen. Dies schließt aber eine Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d. h. sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa VwGH 24.1.2018, Ra 2018/02/0005, mwN).

19 Die vom Revisionswerber in diesem Zusammenhang genannten Aktenbestandteile betreffen eine Stellungnahme der Polizisten zu der vom Revisionswerber abgegebenen Rechtfertigung, in der sein Besuch einer Bar nicht angesprochen wurde. Wenn daher die Polizisten weder in der Stellungnahme noch in der neben der Alkoholanzeige separat aufgenommenen Verkehrsunfallanzeige keine Hinweise auf einen Alkoholkonsum des Revisionswerbers in der Bar liefern, stellt das keinen Widerspruch zu anderen Beweisergebnissen dar, der in einer vollständigen Beweiswürdigung zu erörtern gewesen wäre.

20 Inwiefern der medizinische Sachverständige bei seiner Berechnung des Alkoholgehaltes von falschen Berechnungsgrundlagen ausgegangen sei, wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht aufgezeigt, sodass es diesem behaupteten Verfahrensmangel an einer ausreichenden Bezugnahme auf den konkreten Sachverhalt mangelt (vgl. VwGH 21.4.2015, Ra 2015/02/0054).

21 Zuletzt macht die Revision zu ihrer Zulässigkeit noch einen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot geltend, weil das Verwaltungsgericht die Tatbeschreibung von 0,64 Promille auf 0,86 Promille und die verletzte Verwaltungsvorschrift und die Strafsanktionsnorm von „§ 14 Abs. 8, § 37a FSG” auf „§ 5 Abs. 1, § 99 Abs. 1b StVO 1960” abgeändert habe.

22 Nach dem in § 42 VwGVG geregelten Verschlechterungsverbot darf auf Grund einer vom Beschuldigten oder auf Grund einer zu seinen Gunsten erhobenen Beschwerde in einem Erkenntnis oder in einer Beschwerdevorentscheidung keine höhere Strafe verhängt werden als im angefochtenen Bescheid.

23 Das damit normierte Verbot der reformatio in peius verbietet jede Erhöhung einer Geldstrafe oder auch nur einer Ersatzfreiheitsstrafe. Solange es zu keiner Erhöhung der Strafe kommt, hindert das Verschlechterungsverbot aber nicht eine rechtliche Korrektur des erstinstanzlichen Bescheides (vgl. VwGH 5.9.2018, Ra 2018/11/0144, mwN).

24 Im vorliegenden Fall blieb die über den Revisionswerber verhängte Strafe gleich und es wird auch keine Einschränkung der erstinstanzlichen Tatanlastung mit einer daraus erforderlichen Reduktion der Strafe (vgl. etwa VwGH 16.12.2005, 2005/02/0238) behauptet, sodass auch hier eine Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aufgezeigt wird.

25 Soweit das Verwaltungsgericht den Grad der Alkoholisierung des Revisionswerbers änderte, handelt es sich dabei um eine aufgrund der vom bekämpften Straferkenntnis abweichenden Sachverhaltsfeststellungen notwendig gewordene Richtigstellung des Spruchs nach § 44a Z 1 VStG, wozu das Verwaltungsgericht nicht nur berechtigt, sondern unter diesem Aspekt sogar verpflichtet war (vgl. Fister in Lewisch/Fister/Weilguni , VStG3 (2023) § 44a Rz 1, mit weiteren Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung). Eine höhere Strafe im Sinne des § 42 VwGVG wurde damit nicht verhängt.

26 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 13. August 2024

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