JudikaturVwGH

Ra 2024/01/0267 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
03. April 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser sowie die Hofräte Mag. Brandl und Dr. Terlitza, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der A M in H, vertreten durch Mag. Martin Behal, Rechtsanwalt in 7400 Oberwart, Hauptplatz 8c/6, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Philipp Haller, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Ferstelgasse 1/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2024, Zl. I405 2285086 1/15E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit Bescheid vom 11. November 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den ersten Antrag der Revisionswerberin, einer tunesischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Tunesien zulässig sei, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und aberkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung.

2 Die Revisionswerberin stellte daraufhin am 24. Juli 2023 den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

3 Mit Bescheid vom 5. Dezember 2023 wies das BFA diesen Antrag der Revisionswerberin ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Tunesien zulässig sei und gewährte eine Frist für die freiwillige Ausreise.

4 Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde.

5 Mit angefochtenem Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde ab (Spruchpunkt A) und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei (Spruchpunkt B).

6 Das BFA erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof keine Revisionsbeantwortung.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Gemäß § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG hat die Revision die Bezeichnung der Rechte, in denen die revisionswerbende Partei verletzt zu sein behauptet (Revisionspunkte), zu enthalten. Durch die von der revisionswerbenden Partei vorgenommene Bezeichnung der Revisionspunkte wird der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses oder des angefochtenen Beschlusses gemäß § 41 VwGG gebunden ist. Demnach hat der Verwaltungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob durch die angefochtene Entscheidung irgendein subjektives Recht der revisionswerbenden Partei verletzt wurde, sondern nur zu prüfen, ob jenes Recht verletzt wurde, dessen Verletzung sie behauptet. Der in § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG geforderten Angabe der Revisionspunkte kommt für den Prozessgegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Revisionswerber jenes subjektive Recht herauszuheben hat, dessen behauptete Verletzung die Legitimation zur Revisionserhebung erst begründet (vgl. etwa VwGH 21.2.2024, Ra 2023/01/0316, mwN).

11 Die vorliegende Revision macht als Revisionspunkte zunächst geltend, dass sich die Revisionswerberin hinsichtlich des Status der Asylberechtigten, des Status der subsidiär Schutzberechtigten und des Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen in ihrem „subjektiven Recht auf Durchführung einer den Grundsätzen der Ermittlungspflicht entsprechenden Länderfeststellung gemäß § 37 in Verbindung mit § 39 Abs 2 AVG verletzt“ erachte.

12 Die Verletzung von Verfahrensvorschriften als solche stellt keinen Revisionspunkt dar, sondern zählt zu den Revisionsgründen (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG). Bei den von der Revisionswerberin geltend gemachten Rechtsverletzungen handelt es sich daher nicht um Revisionspunkte, sondern um Revisionsgründe, die nur in Verbindung mit der Verletzung eines aus einer materiell rechtlichen Vorschrift ableitbaren subjektiven Rechtes zielführend vorgebracht werden können. Werden die Revisionspunkte wie im gegenständlichen Fall unmissverständlich ausgeführt, so sind sie auch einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht mehr zugänglich (vgl. wiederum VwGH 21.2.2024, Ra 2023/01/0316, mwN).

13 Wenn die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung die Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis im Zusammenhang den Auswirkungen der Trennung des ungeborenen Sohnes der Revisionswerberin von seinem Vater kritisiert, so behauptet sie im Ergebnis die Unvertretbarkeit der vorgenommenen Interessenabwägung. Die in der Revision dafür angeführten Gründe sind tatsachenbezogen und daher unzulässige Neuerungen (§ 41 VwGG).

14 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. für viele VwGH 14.9.2023, Ra 2023/01/0239, mwN).

15 Die Berücksichtigung des Kindeswohls stellt im Kontext aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung dar; das Kindeswohl ist daher bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen von Fremden nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium. Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFA VG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.

Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist zudem nicht allein auf die privaten und familiären Interessen eines Minderjährigen abzustellen, sondern zu berücksichtigen, dass auch den öffentlichen Interessen an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insbesondere gegen im Bundesgebiet aufhältige Fremde, die nach für sie negativem Abschluss von Asylverfahren über kein Aufenthaltsrecht mehr verfügen maßgeblicher Stellenwert zukommt. Es ist daher dem Kindeswohl im Rahmen einer Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG kein absoluter Vorrang beizumessen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 24.9.2024, Ra 2024/20/0525 0527, mwN).

16 Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen der von ihm vorgenommenen Interessenabwägung die Frage des Kindeswohls ausreichend einbezogen.

17 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

18 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 3. April 2025