Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Bamer, über die Revision des Landeshauptmanns von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 24. April 2023, Zl. VGW 151/006/3724/2022 5, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: I A, vertreten durch Mag. Stefan Errath, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 89a/34), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang, d.h. insoweit, als damit der mit Bescheid der belangten Behörde vom 2. Februar 2022 erfolgte Ausspruch betreffend die Abweisung des Verlängerungsantrags des Mitbeteiligten vom 14. Mai 2021 aufgehoben wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Bescheid vom 2. Februar 2022 nahm die revisionswerbende Behörde (der Landeshauptmann von Wien) unter Spruchpunkt 1 drei näher genannte rechtskräftig positiv abgeschlossene Verfahren, in denen dem Mitbeteiligten, einem nordmazedonischen Staatsangehörigen, Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) erteilt worden waren, gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder auf. Unter einem wies die belangte Behörde unter Spruchpunkt 2a den Erstantrag des Mitbeteiligten gemäß (u.a.) § 30 Abs. 1 NAG sowie unter Spruchpunkt 2b die zwei weiteren den wiederaufgenommenen Verfahren zugrundeliegenden Anträge auf neuerliche Erteilung von Aufenthaltstiteln und einen bis dahin noch nicht bescheidmäßig erledigten Verlängerungsantrag des Mitbeteiligten vom 14. Mai 2021 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot Weiß Rot Karte plus“ mangels Vorliegens eines gültigen Aufenthaltstitels ab.
2 Begründend führte die revisionswerbende Behörde aus, dass es sich bei der zwischen dem Mitbeteiligten und einer bosnisch herzegowinischen Staatsangehörigen im August 2013 geschlossenen und im Juni 2016 wieder geschiedenen Ehe, auf die er sich bei Beantragung der betreffenden Aufenthaltstitel (unter Bezugnahme auf den seiner Ehegattin erteilten Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“) gestützt habe, aus näher dargestellten Gründen um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 24. April 2023 gab das Verwaltungsgericht Wien der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten statt und hob den Bescheid vom 2. Februar 2022 auf. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
4 Das Verwaltungsgericht gelangte aus näher dargelegten beweiswürdigenden Überlegungen zum Ergebnis, dass es sich fallbezogen entgegen der Ansicht der belangten Behörde um keine Aufenthaltsehe gehandelt habe, weshalb sowohl der Ausspruch über die Wiederaufnahme der rechtskräftig positiv abgeschlossenen Verfahren als auch die Abweisung der diesen Verfahren zugrundeliegenden Anträge (über die nicht neuerlich zu entscheiden sei) rechtswidrig und folglich (ersatzlos) aufzuheben gewesen seien. Da der Mitbeteiligte somit anders als dem Bescheid der revisionswerbenden Behörde zugrunde gelegt über einen Aufenthaltstitel verfüge, komme auch eine Abweisung des noch nicht bescheidmäßig erledigten Verlängerungsantrags vom 14. Mai 2021 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot Weiß Rot Karte plus“ wegen Fehlens eines einer Verlängerung zugänglichen Aufenthaltstitels nicht in Betracht. Folglich sei auch der die Abweisung des Verlängerungsantrags vom 14. Mai 2021 betreffende Spruchteil des Bescheides vom 2. Februar 2022 aufzuheben gewesen. Über den offenen Verlängerungsantrag werde die revisionswerbende Behörde zu entscheiden haben.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des Landeshauptmanns von Wien, die zwar das angefochtene Erkenntnis formal zur Gänze anficht, sich aber wie sowohl die Zulässigkeitsbegründung als auch die übrigen Ausführungen der Amtsrevision zeigen der Sache nach lediglich gegen die mit dem angefochtenen Erkenntnis erfolgte Aufhebung des den Verlängerungsantrag des Mitbeteiligten vom 14. Mai 2021 abweisenden Spruchteils des Bescheides vom 2. Februar 2022 richtet.
6 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit bringt die Amtsrevision im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe, auch wenn es dies nicht ausdrücklich ausgesprochen habe, hinsichtlich des genannten Spruchteils des Bescheides vom 2. Februar 2022 eine aufhebende und zurückverweisende Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG getroffen. Die nach dieser Gesetzesbestimmung erforderlichen Voraussetzungen seien fallbezogen aber nicht erfüllt gewesen. Unter diesem Gesichtspunkt sei das Verwaltungsgericht von der hg. Judikatur abgewichen.
7 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision erweist sich aus dem von ihr bezeichneten Grund als zulässig. Sie ist auch begründet.
9 Das Verwaltungsgericht hat im Spruch der angefochtenen Entscheidung der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge gegeben und den Bescheid der revisionswerbenden Behörde vom 2. Februar 2022 zur Gänze aufgehoben. Ein inhaltlicher Abspruch über den Verlängerungsantrag des Mitbeteiligten vom 14. Mai 2021, der Gegenstand des Verfahrens vor der revisionswerbenden Behörde war, ist wie auch die Begründung des Verwaltungsgerichts unmissverständlich zeigt nicht erfolgt.
10 Dazu ist vorweg festzuhalten, dass es im Revisionsfall dahinstehen kann, ob das Verwaltungsgericht durch die Aufhebung des den Verlängerungsantrag des Mitbeteiligten vom 14. Mai 2021 abweisenden Spruchteils des Bescheides vom 2. Februar 2022 eine Entscheidung gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG mittels ersatzloser Aufhebung oder eine aufhebende und zurückverweisende Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu treffen beabsichtigte. In beiden Fällen erweist sich der in Revision gezogene Ausspruch des Verwaltungsgerichts als rechtswidrig.
11 Die Voraussetzungen für eine ersatzlose Aufhebung des behördlichen Abspruchs über den noch offenen Verlängerungsantrag lagen nicht vor, weil mit einem Erkenntnis gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG die Angelegenheit des Verwaltungsverfahrens, d.h. in der vorliegenden Konstellation auch der Verlängerungsantrag des Mitbeteiligten vom 14. Mai 2021, zu erledigen gewesen wäre. Im Gegensatz zur Aufhebung des Spruchpunktes 1 des Bescheides vom 2. Februar 2022 betreffend die Wiederaufnahme der rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren sowie im Gegensatz zur (daraus resultierenden) Aufhebung der in den wiederaufgenommen Verfahren ergangenen behördlichen Aussprüche, die bei Fehlen der für die Wiederaufnahme sowie der für eine neuerliche Entscheidung in den wiederaufgenommenen Verfahren erforderlichen Voraussetzungen (Nichtvorliegen einer Aufenthaltsehe) ersatzlos vorzunehmen waren, kam in dem hier in Rede stehenden Umfang (Abspruch über den noch offenen Verlängerungsantrag vom 14. Mai 2021) eine ersatzlose Aufhebung des Bescheides der revisionswerbenden Behörde rechtlich nicht in Betracht (vgl. auch VwGH 24.8.2023, Ra 2022/22/0093, Rn. 8).
12 Darüber hinaus erwiese sich wie von der Amtsrevision zutreffend aufgezeigt eine aufhebende und die Angelegenheit betreffend den Verlängerungsantrag vom 14. Mai 2021 zurückverweisende Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG als rechtswidrig.
13 Nach ständiger hg. Rechtsprechung zu § 28 VwGVG (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063) normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG für eine Sachentscheidung vor, hat das Verwaltungsgericht jedenfalls eine solche zu treffen. Zudem hat das Verwaltungsgericht wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festhielt nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt (vgl. etwa VwGH 21.6.2022, Ra 2021/22/0231, Rn. 7, mwN).
14 Da der angefochtenen Entscheidung keinerlei Begründung dafür zu entnehmen, weshalb gegenständlich eine meritorische Entscheidungszuständigkeit des Verwaltungsgerichts zu verneinen wäre, und auch nicht ersichtlich ist, weshalb dies vorliegend der Fall sein sollte, erwiese sich eine auf § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gestützte Entscheidung ebenfalls als rechtswidrig (vgl. auch VwGH 25.7.2019, Ra 2018/22/0270, Rn. 14; VwGH 28.2.2022, Ro 2018/22/0012, Pkt. 11.2.).
15 Aus den dargelegten Erwägungen belastete das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis in dem in Revision gezogenen Umfang (Aufhebung des den Verlängerungsantrag des Mitbeteiligten vom 14. Mai 2021 abweisenden Spruchteils des Bescheides vom 2. Februar 2022) mit vorrangig wahrzunehmender inhaltlicher Rechtswidrigkeit. In diesem Umfang war das angefochtene Erkenntnis daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 23. Februar 2024