Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Seiler, über die Revision 1. des M Y, 2. der B Y, und 3. des R Y, alle vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 10, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2023, 1. L524 2218978 2/50E, 2. L524 2218977 2/43E und 3. L524 2218979 2/38E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Zur Vorgeschichte wird auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Juli 2023, Ra 2023/19/0109 0111, verwiesen. Mit diesem Beschluss wurde die Revision gegen die mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 21. Februar 2023 im Beschwerdeweg ergangene Abweisung der Anträge der Revisionswerber auf internationalen Schutz als verspätet zurückgewiesen.
2 Bereits mit Schriftsatz vom 26. Juni 2023 hatten die Revisionswerber durch den einschreitenden Rechtsanwalt beim BVwG einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision gegen das Erkenntnis des BVwG vom 21. Februar 2023 eingebracht und gleichzeitig die versäumte Handlung, die Einbringung einer außerordentlichen Revision, nachgeholt.
3 Mit Beschluss vom 28. Juni 2023 wies das BVwG den Antrag der Revisionswerber auf Wiedereinsetzung gemäß § 46 VwGG ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 In seiner Begründung stellte das BVwG unter anderem fest, dass die in der Kanzlei des Rechtsvertreters der Revisionswerber für die Eintragung der Fristen zuständige Mitarbeiterin im vorliegenden Fall die Frist zur Revisionserhebung berechnet und auf dem Erkenntnisexemplar das Fristende vermerkt, dieses aber weder im Papier- noch im Outlook-Kalender eingetragen habe. Dies und den Umstand, dass keine Revision ausgearbeitet worden sei, habe die Kanzleileiterin (erst) am 19. Juni 2023 bemerkt. Die Kanzleileiterin überprüfe die von dieser Mitarbeiterin vorgenommenen Vermerke stichprobenweise in unregelmäßigen Abständen.
5 Rechtlich führte das BVwG unter Berufung auf VwGH 23.5.2022, Ra 2022/14/0049, aus, dass grundsätzlich immer der Parteienvertreter selbst für die richtige Beachtung einer Rechtsmittel- oder Beschwerdefrist verantwortlich sei und er die Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen und die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Angestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen habe. Dies habe der Rechtsvertreter im vorliegenden Fall nicht getan. Die Fristeintragungen der Mitarbeiterin seien von der Kanzleileiterin stichprobenweise in unregelmäßigen Abständen überprüft worden. Dass der Rechtsvertreter selbst im Rahmen seiner Überwachungspflicht die richtige Eintragung im Kalender kontrolliere, sei nicht einmal behauptet worden. Ausgehend davon liege daher ein die Wiedereinsetzung ausschließendes und der Partei zuzurechnendes Verschulden vor, weshalb der Antrag abzuweisen sei.
6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision zunächst vor, dass die für die Kontrolle der Mitarbeiterin verantwortliche Kanzleileiterin in ihrer langjährigen Tätigkeit noch nie eine Fehlleistung gesetzt habe und zwischen ihr und dem Parteienvertreter eine enge Zusammenarbeit bestehe, wodurch eine Kontrolle durch den verantwortlichen Parteienvertreter gewährleistet sei. Es würde die Aufsichtspflicht des Parteienvertreters überspannen, wenn er selbst Kontrollhandlungen der Kanzleileiterin permanent überprüfen müsste. Das Anbringen eines Bestätigungsvermerks stelle eine manipulative Tätigkeit dar, deren Überprüfung durchaus einer erfahrenen Kanzleileiterin übertragen werden könne.
11 Dem ist Folgendes zu entgegnen:
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis in diesem Sinn dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Dabei wird durch ein entsprechendes Kontrollsystem dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. VwGH 17.3.2021, Ra 2021/14/0054, mwN).
13 Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer ansonsten verlässlichen Kanzleikraft überlassen. Solche Vorgänge sind etwa die Kuvertierung, die Beschriftung eines Kuverts oder die Postaufgabe, also manipulative Tätigkeiten (vgl. nochmals VwGH Ra 2021/14/0054, mwN).
14 Bei der kanzleimäßigen Bestimmung einer Rechtsmittelfrist und ihrer kalendarischen Vormerkung handelt es sich jedoch entgegen der Revision nicht um einen solchen rein manipulativen Vorgang (vgl. VwGH 23.5.2022, Ra 2022/14/0049, mwN). Wenn der Parteienvertreter die Rechtsmittelfrist damit nicht selbst kalendermäßig konkret bestimmt, sondern diese Bestimmung der Frist seinen Kanzleiangestellten überlässt, so obliegt es ihm im Rahmen der gebotenen Überwachungspflicht jedenfalls, diesen Vorgang bzw. die richtige Eintragung im Kalender zu kontrollieren. Stichprobenartige Überprüfungen sind im Allgemeinen nicht ausreichend (vgl. nochmals VwGH Ra 2022/14/0049, mwN).
15 Ein Vertreter verstößt auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die geeignet sind, im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen hintanzuhalten (vgl. VwGH 25.4.2022, Ra 2022/03/0060, mwN).
16 Wird in keiner Weise dargelegt, ob jemals eine Kontrolle (auch) der manipulativen Vorgänge im Kanzleibetrieb oder der Kanzleiangestellten erfolgte bzw. wie das diesbezügliche Kontrollsystem eingerichtet ist, kann von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Fehlt es an einem diesbezüglichen Vorbringen, liegt jedenfalls kein bloß minderer Grad des Versehens vor. Daher sind bereits mangels einer Darlegung eines wirksamen Kontrollsystems die Voraussetzungen für die Bewilligung des Wiedereinsetzungsantrages nicht erfüllt (vgl. VwGH 6.10.2021, Ra 2021/02/0208, mwN).
17 Die Revision beschränkt sich im Wesentlichen auf die Darlegung der Mitarbeiterkontrolle durch die Kanzleileiterin und verweist ansonsten lediglich pauschal auf eine enge Zusammenarbeit zwischen ihr und dem Rechtsvertreter. Damit vermag die Revision ein Abweichen von der oben dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes durch das BVwG nicht aufzuzeigen.
18 Schließlich macht die Revision noch Ermittlungs- und Feststellungsmängel geltend. Anders als in dem vom BVwG herangezogenen Erkenntnis VwGH 23.5.2022, Ra 2022/14/0049, gehe es nämlich im vorliegenden Fall nicht um die Fehlberechnung einer Frist, sondern um eine anordnungswidrig unterlassene Handlung einer als erfahren geltenden Mitarbeiterin.
19 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 9.5.2023, Ra 2023/19/0008, mwN).
20 Die vorliegende Zulässigkeitsbegründung erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Abgesehen davon, dass das BVwG keine Fehlberechnung der Frist, sondern die Unterlassung einer Kalendereintragung festgestellt hat, entspricht auch eine Differenzierung zwischen der Berechnung einer Rechtsmittelfrist und ihrer kalendarischen Vormerkung wie sie der Revision im Hinblick auf eine allfällige Einordnung als manipulativer Vorgang vorschwebt nicht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ferner VwGH 14.1.2019, Ra 2019/09/0002, mwN).
21 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 29. August 2023