JudikaturVwGH

Ra 2023/18/0299 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
08. September 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision des A A, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Kärntner Straße 7/b, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Februar 2023, L529 2248679 1/18E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 12. Jänner 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, im Irak seien Nacktbilder seiner (nunmehr ehemaligen) Ehefrau öffentlich geworden, wofür ihm deren Brüder die Schuld geben würden. Diese hätten ihn bedroht, weshalb er nun Angst um sein Leben habe. Im Laufe des Verfahrens gab der Revisionswerber zudem an, aufgrund seiner Homosexualität bzw. Bisexualität verfolgt zu werden.

2 Mit Bescheid vom 12. Oktober 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid vom Revisionswerber erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Das BVwG stellte fest, der Revisionswerber sei nicht homo- bzw. bisexuell orientiert und wäre im Irak weder wegen seiner sexuellen Orientierung, noch wegen Verstoßes durch seine Familie oder wegen Bedrohung durch Familienangehörige seiner ehemaligen Ehefrau einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt. Mit ausführlicher Begründung nahm das BVwG an, dass das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers aufgrund der widersprüchlichen und im Laufe des Verfahrens gesteigerten Aussagen insgesamt als nicht glaubhaft zu beurteilen sei. So habe der Revisionswerber seine Fluchtgründe im Laufe des Verfahrens in vielfacher Weise variiert, etwa indem er im Zuge der Einvernahme vor dem BFA zwar angegeben habe, homosexuell zu sein, zugleich aber ausdrücklich verneint habe, dass es sich dabei um seinen Fluchtgrund handle, da er im Irak aufgrund seiner Homosexualität keine Probleme gehabt hätte. Vielmehr seien die Schwierigkeiten aufgrund der Veröffentlichung der Nacktbilder seiner (nunmehr ehemaligen) Ehefrau der Grund für seine Flucht gewesen. In der Beschwerdeverhandlung habe er sodann als seinen Fluchtgrund vorgebracht, von seiner Familie verstoßen und von einer schiitischen Miliz im Irak aufgrund seiner Homosexualität persönlich mit dem Tod bedroht zu werden, was aus arabischsprachigen Dokumenten, die diese Miliz ausgestellt habe, hervorgehe. Insgesamt habe er die Steigerungen, unterschiedlichen Schilderungen und Widersprüchlichkeiten in seinem Vorbringen trotz mehrmaliger Nachfrage nicht aufzulösen vermocht. Abgesehen davon könne der Revisionswerber im Irak seine grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse befriedigen, ohne in eine existenzbedrohende oder lebensgefährliche Situation zu geraten.

5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 28. Juni 2023, E 1708/2023 7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6 Die vorliegende außerordentliche Revision macht zu ihrer Zulässigkeit geltend, das BVwG habe mit dem angefochtenen Erkenntnis gegen die Begründungspflicht verstoßen, da es sich nicht hinreichend mit dem Vorbringen des Revisionswerbers, insbesondere den vorgelegten arabischsprachigen Dokumenten, auseinandergesetzt habe. So habe das BVwG nicht objektiv nachvollziehbar begründet, wieso es sich bei den vom Revisionswerber vorgelegten Dokumenten um „äußerst plumpe Fälschungen“ handeln sollte; dem BVwG sei eine antizipierende und rechtswidrige Beweiswürdigung vorzuwerfen. Darüber hinaus habe es gegen das Überraschungsverbot verstoßen und nur mangelhafte Länderfeststellungen getroffen. Das BVwG habe insbesondere keine Feststellungen zur konkreten Heimatprovinz des Revisionswerbers getroffen, obwohl dieser in einer Stellungnahme ausdrücklich vorgebracht habe, dass seine Heimatprovinz zu den risikoreichsten Gebieten im Irak zähle.

7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Sofern sich die Revision zur Begründung der Zulässigkeit gegen die Beweiswürdigung des BVwG richtet, ist Folgendes festzuhalten: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist somit nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 10.5.2023, Ra 2022/18/0279, mwN).

12 Das BVwG hat sich mit dem Vorbringen des Revisionswerbers unter Einbeziehung seiner Aussagen während der mündlichen Verhandlung ausführlich auseinandergesetzt und ihm die Glaubhaftigkeit abgesprochen. Soweit die Revision eine „antizipierende Beweiswürdigung“ rügt und dies damit begründet, dass das BVwG nicht objektiv nachvollziehbar begründet habe, weshalb es sich bei den vom Revisionswerber vorgelegten Dokumenten um „äußerst plumpe Fälschungen“ handeln solle, ist ihr entgegenzuhalten, dass das BVwG erwog, der Revisionswerber habe diese (vom Dolmetscher während der Verhandlung ins Deutsche übersetzten) Dokumente nicht im Original, sondern bloß Fotos davon, die ihm angeblich per sozialer Medien aus dem Irak übermittelt worden seien, vorgelegt, weshalb eine Überprüfung der Echtheit der Dokumente nicht möglich und ihre Beweiskraft als gering einzuschätzen sei. Die Annahme, dass die vorgelegten Dokumente nicht geeignet seien, das Vorbringen des Revisionswerbers zu stützen, gründete das BVwG zudem auf entsprechende Länderberichte, wonach im Irak jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, gegen Bezahlung zu beschaffen sei. Dem hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.

13 Soweit die Revision einen Verstoß gegen das Überraschungsverbot sowie eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör moniert, weil es das BVwG unterlassen habe, den Revisionswerber mit der Annahme zu konfrontieren, dass es sich bei den vorgelegten arabischsprachigen Dokumenten um Fälschungen handle, gelingt es ihr nicht, ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufzuzeigen. Denn das Recht auf Parteiengehör bezieht sich nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur auf den festzustellenden maßgeblichen Sachverhalt. Die Beweiswürdigung im Sinn des § 45 Abs. 2 AVG zählt nicht zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens. Es besteht keine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, dem Asylwerber im Weg eines Vorhalts zur Kenntnis zu bringen, dass Widersprüche vorhanden seien, die im Rahmen der gemäß § 45 Abs. 2 AVG vorzunehmenden Beweiswürdigung zu seinem Nachteil von Bedeutung sein könnten, und ihm aus diesem Grunde eine Stellungnahme hiezu zu ermöglichen (vgl. VwGH 25.5.2023, Ra 2023/19/0141, mwN).

14 Das BVwG erörterte mit dem Revisionswerber die von ihm selbst vorgelegten Dokumente im Rahmen der mündlichen Verhandlung, indem es sie (wie erwähnt) vom für die Sprache Arabisch bestellten Dolmetscher übersetzen ließ und den Revisionswerber insbesondere zu deren Erhalt und zum Verbleib der Originale befragte. Von einem Verstoß gegen das Überraschungsverbot also der Einbeziehung von Sachverhaltselementen in die rechtliche Würdigung, die der Partei nicht bekannt waren, kann somit im Revisionsfall keine Rede sein (vgl. VwGH 21.9.2022, Ra 2021/19/0212, mwN).

15 Das Revisionsvorbringen, das BVwG habe nur mangelhafte Länderfeststellungen und zudem überhaupt keine Feststellungen zur konkreten Herkunftsregion des Revisionswerbers getroffen, trifft nicht zu: Das BVwG stellte fest, der Revisionswerber stamme aus „Divaniyya/al Quadisyya“ im Südirak und hielt auf dem Boden der im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Länderfeststellungen mit näherer Begründung fest, dass es sich dabei um keine regionale Problemzone handle. Die Revision vermag mit ihrem pauschal gehaltenen Vorbringen, das sich im Übrigen auf die Nachbarprovinz Najaf bezieht, nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des BVwG mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit belastet wäre; sie legt insbesondere nicht dar, welche weiteren Länderberichte das BVwG heranziehen hätte müssen (vgl. dazu VwGH 18.1.2022, Ra 2020/19/0189, mwN) und welche für den Revisionswerber günstigere Beurteilung der Lage im Herkunftsstaat sich daraus ergeben hätte.

16 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 8. September 2023

Rückverweise