Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr. in Lachmayer und Dr. in Wiesinger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der A GmbH in M, vertreten durch Dr. Michael Kotschnigg, Steuerberater in 1220 Wien, Stadlauer Straße 39/1/Top 12, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 29. März 2022, Zl. RV/2100950/2018, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens und Umsatzsteuer 2010, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Bei der Revisionswerberin, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die mit Kraftfahrzeugen handelt, wurde eine Außenprüfung durchgeführt. Im Anschluss an die Prüfung verfügte das Finanzamt die Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 2010 und es erließ einen neuen Umsatzsteuerbescheid.
2 Einer gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerde vom 4. Dezember 2017 gab das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidungen vom 29. März 2018 keine Folge, weshalb die Revisionswerberin die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (BFG) beantragte.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das BFG der Beschwerde keine Folge und führte aus, „der Sachverhalt ist wie im Verfahrensgang beschrieben aktenkundig, wurde von keiner Partei bestritten und kann daher als erwiesen angenommen werden“.
4 Nach Darstellung bezughabender Gesetzesstellen und dazu ergangener Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes führte das BFG aus, dass nach Ergehen des Erstbescheides 105 Rechnungen zweier Lieferanten neu hervorgekommen seien. Wären diese Rechnungen dem Finanzamt im ursprünglichen Verfahren betreffend Umsatzsteuer 2010 bekannt gewesen, „hätte es schon im damaligen Verfahren bei richtiger Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommen[en] Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen können. Dass bei der [Revisionswerberin] Unregelmäßigkeiten iZm dem Erwerb von KFZ auftreten könnten, ergab sich erst im Rahmen einer Hausdurchsuchung und im Zuge einer abgabenrechtlichen Prüfung.“ Die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel beträfen, „entscheidungswesentliche Sachverhaltselemente“, die zur Streichung der im Zusammenhang mit dem Erwerb von insgesamt 105 Kraftfahrzeugen stehenden Vorsteuer führten. Auch die Ermessensentscheidung sei begründet, weil sich die nicht anerkannten Vorsteuern auf insgesamt 295.616,50 € beliefen.
5 Die Revisionswerberin vermische in der Beschwerde und in den zahlreichen Eingaben an das BFG über weite Strecken „Argumente betreffend das Wiederaufnahmeverfahren mit jenen betreffend die Sachbescheide“. Sie beschäftige sich mit der Bekämpfung der Sachbescheide, ohne sich im Einzelnen mit den im gegenständlichen Verfahren ausschließlich interessierenden Wiederaufnahmsgründen auseinanderzusetzen.
6 Die Beschwerde lasse offen, aus welchen Gründen die belangte Behörde keine entscheidungswesentlichen Neuerungen zutage gefördert habe bzw. aufgrund welcher Argumente keine tauglichen Wiederaufnahmsgründe vorlägen. Die Revisionswerberin zitiere zwar weitwendig eine breite Palette an Judikatur des Europäischen Gerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes, doch keine dieser Entscheidungen beschäftige sich mit § 303 BAO.
7 Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit u.a. vor, die Entscheidung verstoße gegen die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründung eines Erkenntnisses, weil sich Sachverhalt und Beweiswürdigung in zwei Zeilen erschöpfe (Hinweis auf VwGH 28.5.1997, 94/13/0200, u.a.). Die Entscheidung weiche auch insoweit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, als das BFG nicht geprüft habe, ob die vom Finanzamt aufgegriffenen Wiederaufnahmsgründe eine Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 2010 rechtfertigten.
8 Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revision ist zulässig und begründet.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss die Begründung des Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichts erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Gericht zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen es die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet. Mit der dazu erforderlichen zusammenhängenden Sachverhaltsdarstellung ist nicht etwa die Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens oder des Inhaltes von Aussagen, Urkunden, Schriftsätzen bzw. Stellungnahmen der Parteien oder gegebenenfalls Sachverständigengutachten gemeint, sondern die Anführung jenes Sachverhaltes, den das Verwaltungsgericht als Ergebnis seiner Überlegungen zur Beweiswürdigung als erwiesen annimmt. Die zusammenhängende Darstellung des vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhaltes kann nicht durch den bloßen Hinweis auf „Aktenmaterial“ oder auf den Verfahrensgang ersetzt werden (vgl. etwa VwGH 28.2.2014, 2013/16/0053; 17.5.2023, Ro 2023/13/0008, und grundlegend VwGH 28.5.1997, 94/13/0200).
12 Diesen Anforderungen entspricht das angefochtene Erkenntnis des BFG nicht.
13 Für den Verwaltungsgerichtshof ist aufgrund der Ausführungen des BFG im Erwägungsteil nicht erkennbar, welchen gesamthaften Sachverhalt das BFG seinen Erwägungen zugrunde gelegt hat. Entgegen den zitierten Vorgaben der ständigen Rechtsprechung enthält das angefochtene Erkenntnis weder (gesonderte) Sachverhaltsfeststellungen noch eine diesbezügliche Beweiswürdigung. Es beschränkt sich darauf, im Kapitel „Verfahrensgang“ diverse Schriftstücke der Parteien (teils wörtlich) wiederzugeben und im Kapitel „Sachverhalt und Beweiswürdigung“ auf die Ausführungen im Kapitel „Verfahrensgang“ zu verweisen.
14 Der Revision kommt aber auch insoweit Berechtigung zu, als das BFG in der angefochtenen Entscheidung zwischen den das Wiederaufnahmeverfahren betreffenden Argumenten und den Argumenten betreffend die Sachbescheide differenziert und die die Sachbescheide betreffenden Argumente als für das Wiederaufnahmeverfahren irrelevant eingestuft hat.
15 Nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
16 Dass die Kenntnis der neuen Tatsachen oder Beweismittel allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte, bildet eine weitere Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, bereits im Wiederaufnahmeverfahren auch in die Prüfung der materiellrechtlichen Streitfrage einzutreten (vgl. Stoll , BAO Kommentar, 2917 f, mwN).
17 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich somit als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.
18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 19. Dezember 2024