Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm und den Hofrat Dr. Faber sowie die Hofrätin Dr. in Oswald als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Janitsch, über die Revision des S P in M, vertreten durch Ing. Dr. Wolfgang Gappmayer, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Margaretenstraße 22/12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juni 2023, Zlen. 1. W208 2266834 1/7E und 2. W208 2270555 1/4E, betreffend Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes und Einberufungsbefehl (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Militärkommando Salzburg), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 12. Dezember 2022 betreffend Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Im Übrigen, soweit mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Einberufungsbefehl der belangten Behörde vom 29. März 2023 abgewiesen wurde, wird die Revision zurückgewiesen.
1 1.1. Mit Eingabe vom 19. August 2022 teilte der Revisionswerber der belangten Behörde mit, er werde mit Ende September den großväterlichen landwirtschaftlichen Betrieb mit Skihütte übernehmen, da seine Großeltern in Pension gingen und gesundheitlich zur Betriebsführung nicht mehr in der Lage seien. Die Lehre bei seiner Mutter werde er mit Ende September beenden. Die Stellungkommission habe ihm einen Einrückungstermin „danach“ in Aussicht gestellte, was ihm aber nicht mehr möglich sei, da er niemanden habe, der seine Betriebe führe.
2 Die belangte Behörde holte Stellungnahmen der Gemeinde W und der Landwirtschaftskammer Salzburg ein und verständigte den Revisionswerber mit Schreiben vom 4. November 2022 von den Ergebnissen der Beweisaufnahme. Der Revisionswerber nahm dazu nicht Stellung.
3 Mit Bescheid vom 12. Dezember 2022 wies die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes gemäß § 26 Abs. 1 Z 2 Wehrgesetz 2001 WG 2001 ab.
4 Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, es lägen zwar wirtschaftliche Interessen vor, da der Revisionswerber seit 18. Oktober 2022 Eigentümer des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes „R“ sowie Besitzer und Bewirtschafter der Skihütte „Z“ sei, diese seien jedoch nicht besonders rücksichtswürdig. Der Revisionswerber sei seit der Feststellung seiner Tauglichkeit am 22. Juli 2020 in Kenntnis davon gewesen, dass er in absehbarer Zeit den Präsenzdienst leisten werde müssen. Er habe daher die Pflicht gehabt, die Vereinbarkeit seiner Präsenzdienstpflicht mit seinen wirtschaftlichen Absichten zu prüfen, und hätte gegebenenfalls von der Übernahme der beiden Betriebe vorläufig Abstand nehmen müssen. Das Alter seiner Großeltern betreffend sei zu deren Unterstützung nicht nur der Revisionswerber, sondern die ganze Familie berufen. Seinen Eltern und seinem Bruder wäre es ungeachtet von deren außerlandwirtschaftlicher Berufstätigkeit zumutbar gewesen, seinem Großvater bei der Führung des landwirtschaftlichen Betriebs zu helfen. Eine Pflegebedürftigkeit der Großeltern durch den Revisionswerber selbst bestehe nicht, weswegen auch keine besonders rücksichtswürdigen familiären Interessen an der Befreiung vorlägen.
5 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, in welcher er um „ein persönliches Gespräch“ ersuchte und vorbrachte, er sei durch Erwerbsunfähigkeit des Großvaters zur Übernahme der Betriebe „gezwungen“ gewesen. Bei ihm entfalle „eine ganze Generation“, die ihm unter normalen Umständen ein Ableisten des Grundwehrdienstes ermöglicht hätte. Aus dem großfamiliären Umfeld sei angesichts des Arbeitspensums seiner Eltern und des Schulbesuchs seines Bruders eine entlastende Mithilfe nicht möglich. Bei Abweisung seines Antrags wären seine Großeltern gezwungen, seine Aufgaben in den Betrieben wieder zu übernehmen, was dramatische Auswirkungen auf ihren schon jetzt beeinträchtigten Gesundheitszustand haben würde.
6 1.2. Mit Einberufungsbefehl vom 29. März 2023 wurde der Revisionswerber mit Wirkung vom 10. Juli 2023 zur Leistung des Grundwehrdienstes einberufen.
7 Auch gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde.
8 1.3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die beiden Beschwerden des Revisionswerbers ab und sprach jeweils aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
9 Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber sei mit 22. Juli 2020 für tauglich befunden worden. Nach dem Abschluss der land- und forstwirtschaftlichen Schule habe er am 1. Dezember 2020 eine Lehre als Systemgastronomiefachkraft im Betrieb seiner Mutter begonnen und am 13. Oktober 2022 abgeschlossen. Die Skihütte („G“) gehöre den Eltern des Revisionswerbers. Er habe den Hüttenbetrieb gemeinsam mit seinem Bruder am 1. Februar 2021 gepachtet, gemeinsam bewirtschafteten sie diesen Betrieb seit 18. Oktober 2022. Den Bergbauernhof seines Großvaters, welchen dieser ab 1. Mai 2022 an den Bruder des Revisionswerbers verpachtet habe, habe er am 18. Oktober 2022 als Eigentümer übernommen. Die Skihütte („Z“) habe er am 18. Oktober 2022 von seinem Großvater übernommen und bewirtschafte sie seither.
10 Wenn der Revisionswerber anführe, er sei auf Grund des Gesundheitszustandes seiner Großeltern zur Übernahme „gezwungen“ gewesen, habe er dazu keine Beweismittel vorgelegt. Angesichts des großfamiliären Umfeldes habe keine zwingende Notwendigkeit bestanden, dass gerade der Revisionswerber die Betriebe übernehme, zumal Pächter des Bauernhofes sein Bruder gewesen sei. Seine Mutter sei einschlägig im Gastronomiegewerbe tätig und es wäre ihr zumutbar gewesen, die Skihütte vorerst zu übernehmen. Sein Vater, der Sohn des Großvaters, sei als Tischlermeister selbständig. Diesen träfen in erster Linie die Fürsorgepflichten für die Großeltern des Revisionswerbers. Im Lungau sei auch ein Maschinenring vorhanden.
11 Der Revisionswerber habe sich nach Vorhalt der Beweisergebnisse durch die belangte Behörde im Parteiengehör verschwiegen.
12 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes, der Revisionswerber habe sämtliche wirtschaftliche Dispositionen getroffen, obwohl er gewusst habe, dass er auf Grund seiner Tauglichkeit nach Beendigung seiner Lehre den Grundwehrdienst antreten werde müssen. Er hätte bis zur Einberufung im Betrieb seiner Mutter weiterarbeiten können. Dadurch habe der Revisionswerber gegen seine Harmonisierungspflicht (Hinweise u.a. auf VwGH 29.9.2005, 2003/11/0026; 27.1.2014, 2013/11/0246) verstoßen und vorhersehbare Schwierigkeiten selbst vergrößert bzw. geschaffen. Die daraus abgeleiteten wirtschaftlichen Interessen könnten daher nicht als besonders rücksichtswürdig angesehen werden.
13 Hinsichtlich der Einberufung zum Grundwehrdienst führte das Verwaltungsgericht aus, Voraussetzung für einen Einberufungsbefehl sei nur das Vorliegen eines aufrechten Tauglichkeitsbeschlusses, was im vorliegenden Fall unbestritten sei. Nur eine rechtskräftige Entscheidung über den Aufschub des Antrittes des Grundwehrdienstes oder die Befreiung von der Verpflichtung zu dessen Leistung, nicht aber ein Antrag auf Gewährung des Aufschubs oder auf Befreiung, stelle ein rechtliches Hindernis für die Erlassung des Einberufungsbefehls dar. Der Revisionswerber sei aber von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes nicht befreit gewesen.
14 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden können, da der Sachverhalt aus der Aktenlage (Erhebungsergebnisse der belangten Behörde und Angaben des Revisionswerbers) in Verbindung mit der Beschwerde geklärt sei und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung des Sachverhaltes oder der Rechtsfrage nicht habe erwarten lassen.
15 1.4. Mit Beschluss vom 19. September 2023, E 2108/2023 9, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
16 1.5. Gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts (zur Gänze) richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
17 Die belangte Behörde erstattete im Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
18 2. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt des Abweichens von Rechtsprechung vor, das Verwaltungsgericht sei nicht auf den Umstand eingegangen, dass wirtschaftliche und familiäre Interessen im Sinne des § 26 WG 2001 zugleich vorliegen könnten (Hinweis auf VwGH 26.2.2002, 2000/11/0269). Der Revisionswerber sei „gezwungen“ gewesen, die Betriebe seines Großvaters zu übernehmen. Andernfalls käme es zu einer Gefährdung der Gesundheit und der lebenswichtigen Interessen der Großeltern, wozu auch die wirtschaftliche Existenz zähle (Hinweis auf VwGH 10.11.1998, 97/11/0101). Der Revisionswerber habe in seiner Beschwerde vorgebracht, er sei zur Übernahme des Betriebes durch die Erwerbsunfähigkeit des Großvaters „gezwungen“ gewesen und es stehe kein Familienangehöriger zur Bewirtschaftung zur Verfügung. Das Verwaltungsgericht sei diesem Vorbringen des Revisionswerbers, zu dem auch Stellungnahmen der Landwirtschaftskammer und der Gemeinde W vorlägen, nicht gefolgt, ohne sich damit beweiswürdigend auseinander zu setzen. Dazu hätte das Verwaltungsgericht eine vom Revisionswerber erkennbar beantragte mündliche Verhandlung durchführen müssen. Schließlich fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes zwecks Aufrechterhaltung eines landwirtschaftlichen Bergbauernbetriebes im öffentlichen Interesse liege.
19 3.1. Soweit sich die Revision gegen die Abweisung des Antrags des Revisionswerbers auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes richtet, ist sie schon im Hinblick auf die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Verwaltungsgericht zulässig.
20 3.2. Sie ist insoweit auch begründet:
21 Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) entgegenstehen.
22 Die Revision weist zurecht darauf hin, dass der Revisionswerber in seiner Beschwerde sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet hat, welches eine Befreiung nach § 26 Abs. 1 Z 2 WG 2001 nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen lässt (vgl. zum Erfordernis der Relevanzdarstellung in einem solchen Fall VwGH 6.5.2022, Ra 2021/11/0065, Rn. 17). So hat er insbesondere vorgebracht, die Übernahme der Betriebe sei nicht aus wirtschaftlichen Überlegungen erfolgt, sondern wäre auf Grund des Gesundheitszustandes seines Großvaters zwingend erforderlich gewesen. Auch sei eine Mithilfe seiner Eltern und seines Bruders aus näher genannten Gründen nicht möglich. Schließlich beantragte er erkennbar die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
23 Das Verwaltungsgericht ging auf dieses Vorbringen nicht näher ein, sondern gelangte ohne nähere beweiswürdigende Überlegungen zum Ergebnis, es sei auf Grund der Familienverhältnisse und der „unwiderlegten Erhebungsergebnisse“ nicht nachvollziehbar, dass gerade der Revisionswerber zur Übernahme von Skihütte und Bauernhof „gezwungen“ gewesen sei.
24 Es ist daher unzutreffend, dass der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage geklärt und nur wenig komplexe Rechtsfragen zu lösen waren, sodass das Absehen von einer mündlichen Verhandlung § 24 Abs. 4 VwGVG widerspricht (vgl. VwGH 8.6.2022, Ra 2019/11/0206).
25 3.3. Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit damit der Antrag des Revisionswerbers auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes abgewiesen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Bei diesem Ergebnis musste auf das weitere Revisionsvorbringen nicht eingegangen werden.
26 4. Soweit sich die Revision jedoch auch gegen den Einberufungsbefehl richtet, enthält sie entgegen § 28 Abs. 3 VwGG keine gesonderten Gründe, aus denen sie im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig sein soll.
27 Die Revision war daher insoweit gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
28 5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
29 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und 3 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 2. Juli 2024