Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die außerordentliche Revision 1. des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Wien und 2. des Disziplinaranwalts der Österreichischen Ärztekammer in Wien, beide vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Roseggerstraße 58, gegen das am 19. Oktober 2022 mündlich verkündete und am 2. Dezember 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, 1. VGW 172/091/2626/2022, 2. VGW 172/091/7278/2022 und 3. VGW 172/091/7762/2022, betreffend Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz 1998 (mitbeteiligte Partei: Dr. A B in C, vertreten durch Mag. Ulrich Seamus Hiob, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Lazarettgasse 29/12; weitere Partei: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird hinsichtlich seines Spruchpunktes I., soweit damit den Beschwerden des Mitbeteiligten stattgegeben und dieser von den Fakten 1 und 2 des Disziplinarerkenntnisses des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Wien, vom 13. Dezember 2021, Dk 48/2021 W, Dk 49/2021 W, sowie vom Faktum 2 des Disziplinarerkenntnisses vom 21. April 2022, Dk 6/2022 W, freigesprochen wurde, sowie hinsichtlich des Spruchpunktes II. (Kostenausspruch) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit dem Disziplinarerkenntnis des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Wien, (erstrevisionswerbende Partei) vom 13. Dezember 2021, Dk 48/2021 W und Dk 49/2021 W, wurde der Mitbeteiligte wie folgt schuldig erkannt und bestraft (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):
„Der Disziplinarbeschuldigte [...] ist schuldig, er hat
1./ am 16.09.2021 in Wien als Kinderarzt in Telefonaten mit A B und mit Mag. C D, die jeweils an einer Corona Schutzimpfung für ihre Kinder interessiert waren, diesen gegenüber geäußert, es gäbe kein Corona, Schutzmasken seien nicht notwendig, es gäbe keine Übersterblichkeit bei Corona, die WHO sei von Leuten wie Bill Gates korrumpiert, die mRNA Impfstoffe rufen schwere, bekannte Nebenwirkungen hervor und es gäbe bereits mehr als 100 Impftote sowie generell von Impfungen bei Kindern abgeraten und solcherart seine Berufspflicht nach § 49 Abs 1 ÄrzteG verletzt, gegen § 53 Abs 1 ÄrzteG iVm § 1, § 2 Abs 1 und Abs 2 Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 verstoßen sowie das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft beeinträchtigt und damit die Disziplinarvergehen nach § 136 Abs 1 Z 1 und Abs 2 ÄrzteG begangen und
2./ am 21.07.2021 in Wien den am 12.07.2021 geborenen Sohn von E F und G H für die erste Mutter Kind Pass Untersuchung nur unzureichend untersucht, den notwendigen Hüftultraschall nicht veranlasst und medizinische Fragen der Eltern nicht bzw nur mit Gegenfragen beantwortet sowie generell von Impfungen bei Kindern abgeraten und solcherart seine Berufspflicht nach § 49 Abs 1 ÄrzteG zur gewissenhaften Beratung und Behandlung seiner Patienten verletzt und damit das Disziplinarvergehen des § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG begangen.
Über [den Mitbeteiligten] wird hierfür gemäß § 139 Abs 1 Z 4 ÄrzteG die Disziplinarstrafe der
Streichung aus der Ärzteliste
verhängt.
Gemäß § 163 Abs 1 ÄrzteG hat der Disziplinarbeschuldigte [...] die mit 1.000 Euro bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens zu ersetzen; [...]“
2 Wegen weiterer Disziplinarvergehen erkannte die erstrevisionswerbende Partei den Mitbeteiligten mit Disziplinarerkenntnis vom 21. April 2022, Dk 6/2022 W, ebenfalls schuldig, wobei der Spruch (auszugsweise) wie folgt lautete (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):
„I./ Der Disziplinarbeschuldigte [...] ist schuldig, er hat
1./ [...]
2./ am 02.12.2021 die stellvertretende Direktorin der HBLA O, Mag. I J in Reaktion auf deren Meldung eines Maskenbefreiungsattestes für einen ihrer Schüler als vermutetes ‚Gefälligkeitsgutachten‘ per SMS mit dem Wortlaut ‚Anruf SOFORT oder Disziplinar Amtsmissbrauch Anzeige‘ bedroht und dadurch das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft beeinträchtigt und damit die Disziplinarvergehen nach § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG begangen.
Über [den Mitbeteiligten] wird hierfür gemäß § 139 Abs 1 Z 4 ÄrzteG die Disziplinarstrafe der
Streichung aus der Ärzteliste
verhängt.
Gemäß § 163 Abs 1 ÄrzteG hat der Disziplinarbeschuldigte [...] die mit 1.000 Euro bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens zu ersetzen.“
3 Hingegen wurde der Mitbeteiligte hinsichtlich eines weiteren Tatvorwurfes freigesprochen.
4 Gegen diese Disziplinarerkenntnisse erhob der Mitbeteiligte jeweils Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht).
5 Mit dem nach Durchführung einer über die beiden Beschwerden gemeinsam durchgeführten mündlichen Verhandlung verkündeten Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht soweit für dieses Revisionsverfahren von Bedeutung der gegen die obgenannten Schuldsprüche erhobenen Beschwerden gegen die Erkenntnisse statt und sprach den Mitbeteiligten von den damit zur Last gelegten Vorwürfen frei (Spruchpunkt I.). Weiters sprach es aus, dass der Mitbeteiligte keine Verfahrenskosten zu tragen habe (Spruchpunkt II.). Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für unzulässig (Spruchpunkt III.).
6 Den Freispruch betreffend das Faktum 1 des Disziplinarerkenntnisses vom 13. Dezember 2021 begründete das Verwaltungsgericht damit, dass die Telefonate nicht mit Patienten geführt worden wären, weshalb eine Verletzung von Berufspflichten ausscheide. Bei den Telefonaten sei die Aufklärung im Mittelpunkt gestanden. Der Mitbeteiligte sei im Rahmen seiner ärztlichen Aufklärungspflicht verpflichtet gewesen, auf Risiken und Nebenwirkungen einer „off label Impfung“ von Kindern hinzuweisen. In Anbetracht näher wiedergegebener Informationen des Gesundheitsministeriums zu Impfreaktionen und zur Anzahl von Todesfällen in zeitlicher Nähe zu einer Covid Impfung seien die vom Mitbeteiligten getätigten Aussagen weder unsachlich noch unwahr. Mit dem Verweis auf impfkritische Studien habe der Mitbeteiligte lediglich angeregt, sich über Vor- und Nachteile selbst ein Bild zu machen. Der Äußerung im Zusammenhang mit der Bill und Melinda Gates Stiftung komme ein disziplinärer Unrechtsgehalt ebenfalls nicht zu, entspreche es doch den Tatsachen, dass die WHO von dieser unterstützt werde. Es sei bekannt, dass das Tragen einer FFP2 Maske keinen hundertprozentigen Schutz vor einer Ansteckung biete, weshalb in der Aussage, dass das Tragen von Masken nur einen relativen (nämlich nicht hundertprozentigen) Schutz biete, keine unsachliche oder unwahre Behauptung erblickt werden könne, die geeignet wäre, das Ansehen der Ärzteschaft zu beeinträchtigen.
7 Zum Faktum 2 des Disziplinarerkenntnisses vom 13. Dezember 2021 führte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht aus, dass eine Verletzung von Berufspflichten nicht vorliege. Die durchgeführten Untersuchungen würden entsprechend dem eingeholten Sachverständigengutachten einer lege artis vorgenommenen Untersuchung entsprechen. Die vom Mitbeteiligten gestellten Nachfragen seien nicht weiter verwunderlich. Es möge zwar unkonventionell sein, dass die Ordination des Mitbeteiligten einem Therapieraum gleiche und auch die Art der Durchführung der Erstkonsultation einem therapeutischen Setting ähnlich sei, aber für sich kein Hinweis darauf sein, dass medizinische Standards nicht eingehalten würden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes umfasse die Berufsberechtigung des Arztes für Allgemeinmedizin unter anderem auch die Behandlung von Patienten durch Anwendung psychotherapeutischer Methoden. Im Verfahren sei nicht hervorgenommen, dass der Mitbeteiligte eine notwendige Überweisung nicht ausgestellt habe. Eine Überweisung für eine Hüftultraschalluntersuchung sei nicht erforderlich. Diese sei von den Eltern auch nicht explizit begehrt worden.
8 Den Freispruch betreffend das Faktum 2 des Disziplinarerkenntnisses vom 21. April 2021 begründete das Verwaltungsgericht damit, dass es sich bei dem Maskenbefreiungsattest des Schülers um kein Gefälligkeitsgutachten des Mitbeteiligten gehandelt habe. Davon ausgehend lasse sich eine gewisse Verärgerung des Mitbeteiligten nachvollziehen, zumal der Vorwurf der Ausstellung falscher „Gefälligkeitsgutachten“ für sich „grob beleidigend“ sei. Die vom Mitbeteiligten gewählte Ausdrucksweise möge unglücklich gewählt und auch in ihrer juristischen Subsumtion nicht korrekt gewesen sein, es dürfe jedoch nicht übersehen werden, dass dieser kein Jurist und das von ihm ausgestellte ärztliche Attest von einer medizinischen Laiin implizit angezweifelt worden sei. Diese habe sich durch die entsprechende Nachricht nicht bedroht gefühlt.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Wien, und des Disziplinaranwalts, die sich in der Anfechtungserklärung ausschließlich gegen die obgenannten Freisprüche hinsichtlich der Spruchpunkte 1.) und 2.) des behördlichen Disziplinarerkenntnisses vom 13. Dezember 2021, Dk 48/2021 W und Dk 49/2021 W, und hinsichtlich des Spruchpunktes 2.) des Disziplinarerkenntnisses vom 21. April 2022, Dk 6/2022 W, sowie des damit zusammenhängenden Ausspruchs des Verwaltungsgerichts über die Kosten richtet. Nach schriftlicher Ausfertigung am 2. Dezember 2022 brachten die revisionswerbenden Parteien eine Revisionsergänzung ein.
10 Der Mitbeteiligte erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der die kostenpflichtige Zurück bzw. Abweisung der Revision beantragt wird.
11 Die Zulässigkeit der Revision in Bezug auf Faktum 1 (Dk 48/2021 W und Dk 49/2021 W) wird zusammengefasst damit begründet, dass das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Es habe unberücksichtigt gelassen, dass den Arzt eine umfassende Betreuungs- und Aufklärungspflicht treffe. Ausgehend von den Feststellungen habe der Mitbeteiligte jedoch nur einseitig die Nachteile der Impfung dargestellt und auf besonders exponierte „Corona Kritiker“ verwiesen. Zudem habe das Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit diesem Tatvorwurf unzureichende Feststellungen getroffen und eine unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen, weil es nicht sämtliche Beweisergebnisse in seine Überlegungen einbezogen habe.
12 Des Weiteren habe sich das Verwaltungsgericht bei seiner Beurteilung betreffend das Faktum 2 ebenfalls nur unzureichend mit dem Vorwurf auseinandergesetzt, weil selbst bei einer Untersuchung lege artis ein disziplinäres Verhalten durch die Nichtbeantwortung der medizinischen Fragen der Eltern betreffend den Hüftultraschall und den Impfungen vorläge. Im herangezogenen Sachverständigengutachten werde ausgeführt, dass ein Hüftultraschall bei allen Kindern vorgesehen sei. Der Mitbeteiligte habe die Eltern jedoch nicht in diesem Sinn beraten und angeleitet, weshalb die Behandlung nicht lege artis durchgeführt worden sei.
13 Die Zulässigkeit der Revision betreffend Faktum 2 (Dk 6/2022 W) sehen die revisionswerbenden Parteien im Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Einsatz von Drohungen mit Anzeigen disziplinarrechtlich relevant sei. Das Verwaltungsgericht sei zudem von der näher bezeichneten höchstgerichtlichen Rechtsprechung insofern abgewichen, als es bei der Beurteilung, ob die inkriminierte Textnachricht dem Standesansehen widerspreche, nicht darauf ankomme, dass das Verhalten „menschlich nachvollziehbar“ sei oder sich die Adressatin bedroht gefühlt habe. Der Einsatz von unsachlichen Drohungen als Druckmittel sei unzulässig. Es reiche bereits aus, dass das Verhalten als solches geeignet sei, das Ansehen der Ärzteschaft zu beeinträchtigen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 Voranzustellen ist, dass in Fällen, in denen die angefochtene Entscheidung eines Verwaltungsgerichts mehrere trennbare Spruchpunkte aufweist, die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision getrennt zu prüfen ist (vgl. VwGH 24.1.2019, Ra 2018/09/0137 , mwN). Eine Trennbarkeit von Absprüchen ist dann gegeben, wenn jeder Teil für sich allein ohne einen inneren Zusammenhang mit anderen Teilen einem gesonderten Abspruch zugänglich ist (vgl. etwa VwGH 12.9.2018, Ra 2015/08/0032 , mwN). Ein innerer Zusammenhang zwischen den bekämpften Freisprüchen im Sinn der dargelegten Rechtsprechung besteht nicht.
15 Die Revision ist im Umfang ihrer Anfechtung zulässig. Sie ist auch begründet.
Zum Freispruch vom Faktum 1 (Dk 48/2021 W, Dk 49/2021 W):
16 Die Begründung des Verwaltungsgerichts, wonach im Zusammenhang mit den inkriminierten Äußerungen im Zuge von Telefonaten keine Verletzung des Standesansehen nach § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 vorliege, weil die einzelnen Aussagen, jeweils für sich genommen und wie sie vom Mitbeteiligten gemeint waren, weder unsachlich noch unwahr seien, erweist sich als unzureichend und steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes:
17 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Frage, welcher Sinngehalt Äußerungen entnommen werden kann, sohin wie eine Äußerung zu verstehen ist, auf Basis entsprechender Feststellungen zu treffen ist. Wesentlich ist, wie der Leser (Empfänger) der Beiträge (Äußerungen) diese verstehen musste. Bei dieser Beurteilung kommt es auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerungen an (vgl. zu Disziplinarverfahren wegen Aussagen von Ärztinnen und Ärzten grundlegend VwGH 22.3.2023, Ra 2021/09/0269 ; siehe auch VwGH 7.9.2023, Ra 2022/09/0034, 0035). Die einzelnen inkriminierten Aussagen (Meinungsäußerungen) dürfen nicht aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet werden, sondern sind im entsprechenden sachverhaltsbezogenen Kontext darzustellen und zu beurteilen (vgl. erneut VwGH 7.9.2023, Ra 2022/09/0034, 0035, mwN).
18 Das Verwaltungsgericht hat in Verkennung dieser Rechtslage keine Feststellungen getroffen, welche konkreten Äußerungen der Mitbeteiligte gegenüber seinen Gesprächspartnern getätigt hat, und die eine abschließende Beurteilung zulassen, welchen Sinngehalt den jeweiligen Äußerungen in ihrer Gesamtheit objektiv zu entnehmen ist. Die Feststellungen beschränken sich vielmehr in der Wiedergabe der Darstellung des Mitbeteiligten im Verfahren, wie er die inkriminierten Äußerungen subjektiv gemeint habe. Insofern belastete das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis im Umfang des Freispruchs vom Faktum 1 (Dk 48/2021 W, Dk 49/2021 W) wegen sekundärer Feststellungsmängel mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
19 Darüber hinaus ist die vom Verwaltungsgericht herangezogene rechtliche Argumentation, wonach eine Berufspflichtverletzung gemäß § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 schon deshalb nicht vorläge, weil die inkriminierten Telefonate nicht mit Patienten geführt worden seien, abzulehnen. Den Arzt treffen auch schon vor Abschluss eines Behandlungsvertrages vorvertragliche Aufklärungspflichten (vgl. dazu Pletzer , Vor- und nachvertragliche Pflichten beim Behandlungsvertrag, RdM 2014/151; siehe zur Pflicht u.a. der gewissenhaften Betreuung von in ärztliche Beratung übernommenen Gesunden und Kranken gemäß § 49 Abs. 1 ÄrzteG 1998 Ausführungen in Rn. 22).
20 Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem vom Verwaltungsgericht zur Begründung herangezogenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Oktober 2019, Ra 2019/09/0010, ging es dort doch um Äußerungen im Rahmen eines Vortrags in einem Pfarrheim vor medizinischen Laien. Zudem legte der dortige Revisionswerber nach den Feststellungen eingangs seines Vortrages offen, dass er eine Mindermeinung vertrete und für positive Informationen zum Thema Impfen auf Hausärzte oder Apothekern verwies. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in der Entscheidung aus rechtlichen Erwägungen ausdrücklich offen gelassen, ob eine Verletzung der Berufspflichten nach § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 in dieser Konstellation vorliegen könne.
21 Fallbezogen geht es hingegen um Äußerungen im Rahmen von Telefonaten, die zwischen dem Mitbeteiligten und Elternteilen geführt wurden. Diese dienten der (ersten) Information über eine von diesen gewünschte „off label“ Impfung ihrer Kinder, was auch vom Mitbeteiligten in der Revisionsbeantwortung nicht bestritten wird. Des Weiteren blieb unbekämpft, dass sich die Elternteile an den Mitbeteiligten in dessen Eigenschaft als Kinderarzt gewandt haben. Es liegt auf der Hand, dass derartige Gespräche, auch wenn in weiterer Folge kein Behandlungsvertrag zustande kommt, eine Entscheidungsgrundlage für die weiteren Schritte von potentiellen Patienten bilden, diese daher auf die Auskünfte des Arztes vertrauen dürfen. Der Mitbeteiligte war gemäß § 49 Abs. 1 ÄrzteG 1998 verpflichtet, allfällige Vor- und Nachteile der in Aussicht genommenen Impfung auf Basis des aktuell anerkannten Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft darzustellen. In Verkennung der Rechtslage hat es das Verwaltungsgericht jedoch unterlassen, nähere Feststellungen zu treffen, die eine abschließende Beurteilung zulassen, ob der Mitbeteiligte dieser Verpflichtung nachgekommen ist.
Zum Freispruch vom Faktum 2 (Dk 48/2021 W, Dk 49/2021 W):
22 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach festgehalten hat, ist nach § 49 Abs. 1 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) ein Arzt verpflichtet, jeden von ihm in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden und Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen und „nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften und der fachspezifischen Qualitätsstandards“ das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren. Mit dieser Bestimmung schützt das ÄrzteG 1998 den einzelnen Patienten bzw. die einzelne Patientin vor Schäden an der Gesundheit, die durch nicht diesen Vorgaben entsprechende Beratung oder Behandlung entstehen können (vgl. VwGH 24.4.2019, Ra 2015/11/0113 ; 10.12.2014, Ro 2014/09/0056 , zur Behandlung eines Kindes).
23 Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den Regeln der ärztlichen Kunst, wofür der aktuell anerkannte Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft maßgeblich ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung OGH 4.8.2009, 9 Ob 64/08i, mwN).
24 Das Verwaltungsgericht begründete den Freispruch von der in diesem Punkt vorgeworfenen Berufspflichtverletzung im Wesentlichen damit, dass die Untersuchung vom Mitbeteiligten lege artis durchgeführt worden sei. Im Verfahren sei auch nicht hervorgekommen, dass der Mitbeteiligte eine notwendige Überweisung zum Hüftultraschall nicht ausgestellt habe. Eine Überweisung sei zudem nicht ausdrücklich begehrt worden. Es sei für das Gericht nicht verwunderlich, dass vom behandelnden Arzt nachgefragt werde, welche Eingriffe, Untersuchungen und Therapien von den Eltern tatsächlich gewünscht werden, um die diesbezügliche Motivation und den Wissenstand der Eltern zu überprüfen.
25 Damit hat es jedoch wie die revisionswerbenden Parteien zutreffend rügen außer Acht gelassen, dass dem Mitbeteiligten nicht nur eine unzureichende Untersuchung vorgeworfen wurde, sondern auch, medizinische Fragen der Eltern nicht bzw. nur mit Gegenfragen beantwortet zu haben. Ausgehend von der eingangs dargestellten Rechtslage schuldet der Arzt bei ärztlichen Konsultationen eine nach Maßgabe der ärztlichen Sorgfalt und Stand der Wissenschaft entsprechende Beratung und Aufklärung. Er hat den um Rat fragenden Patienten eine pflichtgemäße Antwort zu geben, damit diese eine entsprechende Entscheidungsgrundlage erhalten. Den Arzt trifft zudem eine Verpflichtung durch entsprechende Fragestellungen für eine gebotene sorgfältige Anamnese und Diagnostik zu sorgen.
26 Das Verwaltungsgericht hat zwar festgestellt, dass der Mitbeteiligte die ihm von den Eltern gestellten Fragen zur Notwendigkeit einer Hüftultraschalluntersuchung, zur Beseitigung eines Hautlappens am Ohr und zu den üblichen Impfungen für Kinder nicht beantwortete, sondern lediglich Gegenfragen stellte, dies jedoch entgegen der dargestellten Rechtslage nicht in seine rechtlichen Erwägungen miteinbezogen. Es hat sohin sein Erkenntnis insofern mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Zum Freispruch zum Faktum 2 (Dk 6/2022 W)
27 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes legt § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 allgemeine Standespflichten fest; der Arzt hat nach dieser Vorschrift daher in seinem gesamten Verhalten und auch außerhalb der Ausübung seines Berufes auf die Wahrung des Standesansehens zu achten. Dabei geht es um die allgemeine Wertschätzung, die die in Österreich tätige Ärzteschaft in der Öffentlichkeit genießt bzw. nach dem Willen des Gesetzgebers genießen soll. Beim außerberuflichen Verhalten ist für die Wahrung des Standesansehens die Möglichkeit von Rückschlüssen von Bedeutung, die aus dem Verhalten des Arztes auf seine berufliche Tätigkeit oder die berufliche Tätigkeit der in Österreich tätigen Ärzte gezogen werden können. Je näher in seinem Verhalten ein solcher Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Arztes gegeben ist, desto eher muss er auch im außerberuflichen Bereich auf die Wahrung des Standesansehens achten und ist insoferne auch in der freien Gestaltung seines Privatlebens beschränkt. Ob das Verhalten des Arztes an die Öffentlichkeit gedrungen ist, spielt bei dieser Beurteilung keine entscheidende Rolle, entscheidend ist vielmehr, ob das Verhalten als solches geeignet ist, das Ansehen der Ärzteschaft zu beeinträchtigen (vgl. VwGH 25.11.2015, Ra 2015/09/0044 , mwN).
28 Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat der Begriff des Ansehens der österreichischen Ärzteschaft einen Inhalt, der aus den allgemeinen gesellschaftlichen Anschauungen und den gefestigten Gewohnheiten des Ärztestandes festgestellt werden kann (vgl. VwGH 15.7.2015, Ro 2014/09/0064, unter Verweis auf VfSlg 6026).
29 Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Reaktion des Mitbeteiligten auf den Umstand, dass die stellvertretende Direktorin einer Schule ein von ihm ausgestelltes Maskenbefreiungsattest hinterfragte, überzogen und die zur Last gelegte schriftliche Äußerung für die Situation unsachlich und unangebracht war. Die nach ihrer Formulierung eindeutig als Drohung zu verstehende Wortwahl war objektiv betrachtet geeignet, die Achtung und das Vertrauen der Ärzteschaft zu beeinträchtigen, ist doch gerade von Ärzten ein sachliches und beherrschtes Auftreten in Situationen zu erwarten, in denen so wie hier vorliegend ein konkreter Bezug zu ihrer beruflichen Tätigkeit besteht. Darauf, ob sich die Empfängerin tatsächlich bedroht gefühlt hat, kommt es hingegen nicht an. Das Infragestellen des ärztlichen Attestes durch einen medizinischen Laien berechtigte den Mitbeteiligten, auch wenn dieser über die Vorgangsweise der Schulleitung verärgert gewesen sein möge und diese als ungerechtfertigt empfunden habe, nicht zu einer derart ungebührlichen Wortwahl.
30 Das angefochtene Erkenntnis ist daher im Umfang der angefochtenen Freisprüche mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Da der Ausspruch über die Verfahrenskosten mit den Freisprüchen in untrennbarem Zusammenhang steht, war das angefochtene Erkenntnis auch in diesem Umfang bereits deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (teilweise prävalierender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (vgl. VwGH 29.3.2023, Ra 2021/09/0201; 28.10.2021, Ra 2021/09/0075 und 0096; jeweils mwN).
Wien, am 5. September 2024